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Full text of "20.10.2010 Stahl Jugendradio Im Kalten Ätherkrieg. Berlin Als Klanglandschaft Des Pop Inhalt Fassung 2 1"

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Uber  die  Reihe 

Die  Buchreihe  edition  gehirnstrom  widmet  sich  monographisch  (Essays, 
Dissertationen,  Polemiken)  und  in  Anthologien  Themen  der  (post-)modernen 
Gesellschaft,  (pop-)kulturellen  Phänomenen  und  Pioniergedanken  in  den  klas- 
sischen Wissenschaften. 

Uber  das  Buch 

Hat  die  Popmusik  der  1960er  Jahre  die  Welt  verändert?  Das  Bild,  das  man 
sich  gemeinhin  über  die  Sechziger  Jahre  macht,  ist  unscharf,  ein  Geflecht  aus 
Mythen  und  Stilisierungen.  Heiner  Stahl  weist  am  Beispiel  von  Jugendhörfunk- 
programmen  in  der  geteilten  Stadt  Berlin,  der  Bundesrepublik  und  der  DDR 
nach,  dass  sich  gegen  Ende  des  Jahrzehnts  eine  grenzüberschreitende  Sounds- 
cape Pop  herausbildete,  die  gegen  die  akustischen  Präsenzen  der  Systemausein- 
andersetzung in  den  Rundfunkanstalten,  den  Klang  und  die  Lebensweise  von 
Gestern  gerichtet  war.  Dabei  fungierte  der  Kalte  Krieg  überraschenderweise  als 
Katalysator  einer  Modernisierung,  welche  die  Mehrheitsgesellschaften  in  Ost 
und  West  nach  Kräften  zu  verhindern  suchten. 

Uber  den  Autor 

Heiner  Stahl,  1974  in  Stuttgart  geboren,  ist  wissenschaftlicher  Mitarbeiter 
am  Lehrstuhl  für  Vergleichende  Literaturwissenschaft,  Kultur-  und  Medien- 
theorie und  Mediengeschichte  an  der  Universität  Erfurt.  Er  studierte  Ge- 
schichte und  Politikwissenschaft  an  der  Universität  Potsdam  und  war  wissen- 
schaftlicher Mitarbeiter  am  Zentrum  für  Zeithistorische  Forschung  (ZZF)  in 
Potsdam.  Dort  promovierte  er  mit  der  vorliegenden  Arbeit  bei  Thomas  Lin- 
denberger und  Konrad  H.  Jarausch.  Nach  zweijähriger  Tätigkeit  als  Sales  & 
Marketing  Analyst  in  London  lehrt  und  forscht  er  seit  Oktober  2009  in  Erfurt. 


Heiner  Stahl 


Jugendradio  im  kalten  Ätherkrieg 

Berlin  als  eine  Klanglandschaft  des  Pop  (1962-1973) 


editiOII  GEHIRNSTROM 

herausgegeben  von  Hanne  Landbeck  und  Marcel  Kirf 


| landbeck 


Für  Noam-Nicolas  und  Anne 


Inhalt 


Einleitung 13 

Die  Rundfunklandschaft  Berlin  als  eine  grenzüberschreitende  Soundscape  Pop  14 
Die  Anlage  dieser  Untersuchung  16 

1 Jugendradio  im  kalten  Ätherkrieg  (1962-1973).  Eine  Einführung  20 

1.1  Hörfunk  in  den  konkurrierenden  Medienlandschaften  des  Kalten  Krieges 22 

1.2  Was  sind  Medienlandschaften? 26 

1.3  Rundfunklandschaften.  Abgrenzungen,  Verfechtungen  und  Beweglichkeiten 

in  Berlin „ 28 

1.4  Musikpolitik,  Rundfunk  und  Sound.  Herrschaftsverhältnisse  des  Klanges  in 

den  1960er  Jahren 36 

1.5  Akustische  Geschichtsschreibung  - Vom  Geräusch  zur  Soundscape 38 

1.6  Eigen-Sinn  und  das  Verfahren  Pop.  Antidiziplinen  und 

Amerikanisierungen 45 

1. 7 Cold  War  Liberais  und  Cold  War  Conservatives.  Kalter  Krieg  und 

Jugendkultur 5 1 

1 . 8 Der  Rundfunk  als  selektiver  Verstärker  gesellschaftlicher  Aufbrüche  in 

den  1960er  Jahren  in  beiden  Teilen  Deutschlands 56 

1.9  Transnationale  Popkultur  als  Generationsereignis 59 

2 Besorgte  Jugendpolitiken  und  Jugendkulturen  im  Berlin  der  1960er  Jahre  61 

2.1  Die  BRD  und  ihre  sich  »liberalisierenden«  Teilkulturen 65 

2.1.1  Jugendkulturen  der  1960er  Jahre.  Individualisierung  und 

Liberalisierung  in  der  Bundesrepublik 67 

2.1.2  Konsumkultur  und  die  neue  Körperlichkeit  der  Jugendlichen. 

Halbstarke,  Gammler,  Hippies  und  Rocker  aus  Sicht  von 
Jugendpädagogen 70 

2.1.3  Subkultur  und  Ordnung.  Die  Angstprojektion  auf  Gegenkulturen 

in  der  liberalen  Demokratie 73 

2.1.4  Der  Blick  in  die  »spaßfreie  Zone«  als  Vergewisserung  westlicher 

Liberalität w 76 

2.2  Die  DDR  und  die  jugendpolitischen  Integrationsbemühungen 79 


5 


2.2.1  Das  wiederkehrende  Aufbegehren  der  DDR-Jugendsubkulturen 

und  die  daran  angepassten  Herrschaftstechniken 8 1 

2.2.2  Die  SED-Jugendkommuniques.  Verlautbarungen  für  die 

Leistungsgesellschaft 85 

2.2.3  »Wir  singen  heute  schon  die  Lieder  von  morgen«. 

Jugendverband  und  Popmusik  im  partei-öffentlichen  Raum 88 

2. 3 Berlin  als  Verstärkeranlage 9 1 

2.3.1  Besorgte  Jugendpolitiken  im  Berlin  der  1960er  Jahre. 

Wegschließen,  Beschäftigen,  Politisieren,  Konsum  lenken 93 

2. 3. 1.1  Die  Senatsverwaltung  Jugend  als  Förderer  von  Jugend- 
kultur in  Westberlin 94 

2. 3. 1.2  Sozialistische  Erziehung  und  die  bleibenden  Lücken  der 

SED-Jugendpolitik  in  Ostherlin 100 

2.3.2  Konzertort  Berlin 103 

2 .3 .2 . 1 Waldbühne,  Sportpalast  und  Teenagerlokale: 

Westberlin „„ „ 1 04 

2. 3.2 .2  Klubs,  Bands  und  Tanzsäle:  Ostberlin 106 

2.4  Abwehr  und  Gewährung  jugendkultureller  Freizeitgestaltung. 

Eine  Zusammenfassung 1 1 2 

3 Rundfunklandschaften:  Bundesrepublik  und  Berlin  1 14 

3. 1 Die  Rundfunklandschaft  der  Bundesrepublik.  Die  Abwehr  staatlicher 

Zentralisierungen  und  die  Herstellung  von  »Ausgewogenheit« 1 1 5 

3.1.1  Rundfunkfreiheiten,  Programmaufsichten  und  festgeschriebene 

Abwehrhaltungen 1 1 7 

3.1.2  »Ausgewogenheit«.  Eine  Maßeinheit  politischer 

Bodengewinne 119 

3.2  Rundfunklandschaft  Berlin  12  1 

3.2.1  Rundfunkfunklandschaft  Westberlin  122 

3 .2 . 1 . 1 Der  SFB  als  pluralistischer  Senatssender  mit 

ausgefeilten  Abwehrtechniken 123 

3 .2 . 1 .2  Die  Medienpolitik  des  Westberliner  Senats 126 

3. 2. 1.3  Der  SFB  und  die  bundesrepublikanische  Rundfunk- 
ordnung bis  1962  129 


6 


3.2.1 .4  Der  RIAS  vmd  Berlin 131 

3.2.1 .4.1  Das  RIAS-Programm 133 

3 .2 . 1 .4.2  Die  offene  und  die  verdeckte  Finanzierung 

des  RIAS  ~T 135 

3.2.2  Rundfunklandschaft  Ostberlin.  Das  Beispiel  Berliner 

Rundfunk «*%*#** - 1 3 7 

3.3  Aiisweichmöglichkeiten.  Internationale  Sender  in  den  deutschen 

Rundfunklandschaften 142 

3.3.1  Abwehrmechanismen  gegen  Ausweichmöglichkeiten 

in  Ostberlin  142 

3.3.2  Abwehrmechanismen  gegen  Ausweichmöglichkeiten 

in  Westberlin 146 

3.4  Rundfunklandschaften  sind  nicht  teilbar,  sie  werden  zusammengehört. 

Eine  Zusammenfassung 149 

4 Berliner  Rundfunkstationen  und  Jugendfunk  (1962-1973)  150 

4. 1 Jugendliche  als  Multiplikatoren  von  morgen.  Die  RIAS-Profilsuche  in  den 

1 960er  Jahren  1 5 1 

4.1.1  Jugendfunk  stört  im  RIAS  an  den  Wochentagen  152 

4.1.2  RIAS-Jugendjournal  (1962)  und  RIAS-Treffpunkt  16/40 

(1966) s — 1 5 5 

4.1.3  Der  RIAS-Treffpunkt  in  der  Wahrnehmung  der  politischen 

Entscheidungsträger 159 

4.2  SED-Jugendpolitik  und  die  Interessen  der  EDJ  im  sozialistischen 

Jugendfunk  vor  1964 161 

4.2.1  Jugendfunk  in  Ostberlin  im  Jahre  1961.  Atze,  Bürschte, 

Fröhlich  vor  Fünf  und  Frolic  at  Fix  e 162 

4.2.2  Die  Melodie  des  Jugendkommuniques  »Hausherren 

von  Morgen«  „ .165 

4.3  Sozialistischer  Staatsrundfunk  und  Jugenstudio  DT  64 167 

4.3.1  Vom  Sender  DT  64  zum  Jugendstudio  DT  64. 

Der  Politbüroheschluss  vom  26.  Mai  1964 168 

4.3.2  Die  Diskussion  um  den  Jugendsender  im  Staatlichen 

Rundfunkkomitee  am  2.  Juni  1964 172 


7 


4.3.3  Programmflächen  schärfen.  Profilierrmgsdiskussionen  im 

DDR  Rundfunk  1964 176 

4.3.4  Die  Ausdehnung  der  Sendezeit  von  Jugendstudio  DT  64 

bis  1965  „ a 179 

4.3.5  »...  weil  ich  nicht  möchte,  dass  DT  64  totgeritten  wird.« 

Die  verhinderte  Ausdehnung  von  Jugendstudio  DT  64  auf  das 
Wochenende  1965 1 So 

4.3.6  Der  Berliner  Rundfunk  als  Sender  der  Jugend. 

Ein  Vorschlag  der  Perspektivplanabteilung  für  die  Entwicklung 

des  DDR- Rundfunks  1966/6" 182 

4.3.7  Jugendradio  DT  64.  Zu  lange  gewartet 183 

4.4  Der  SFB  und  dessen  Jugendsendungen. 

Eine  Geschichte  der  Begrenzungen _ 1 84 

4.4.1  Das  SFB-Programm  und  die  institutionelle  Zusammenarbeit  mit 
dem  Senat  vor  der  Einführung  von  wir-  um  zwanzig  und  s-f-beat  185 

4.4.2  Der  SFB  macht  keinen  Jugendfunk,  die  »Zone«  macht  ihn. 

Die  Kritik  des  »Arbeitskreises  Funk,  Fernsehen,  Film«  1964 186 

4.4.3  Töne  für  die  »Zone«.  Die  Einführung  von  s-f-beat 

im  März  1967 , 187 

4.4.4  s-f-beat:  Sozialdemokratisch,  fortschrittlich,  Beat. 

Eine  politisierte  Stunde  Popmusik  192 

4.4.5  Kritik  zum  Sonntag.  Das  Jugendmagazin  wir-  um  zwanzig 194 

4.4.6  Der  »ausgewogene«  SFB  und  die  »Causa  Spritulla« 197 

4. 5 Jugendsendungen  in  der  Rundfunklandschaft  Berlin.  Versuchsanstalten  der 

Adaption,  der  Kopie  und  der  Weiterentwicklung.  Eine  Zusammenfassung 200 

5.  Musikpolitik  im  geteilten  Berlin.  Aushandlungen  von  Hörfunksound  und 
Einarbeitungen  von  Popmusik  (1962-1973)  202 

5. 1 DDR  204 

5.1.1  Die  Musikpolitiken  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  (SRK)  204 

5.1.2  Die  verschleppte  Organisation  sozialistischer  Musik 

im  DDR-Rumlfunk  205 

5.1.3  Sozialistische  Musik.  Das  Reden  über  Musik 209 

5 . 1 .3 . 1 Die  eigene  Kulturpolitik  des  Rundfunks. 


Eine  Argumentationsfigur  der  Kritik 210 

5.1.3 .2  Das  sozialistisch  Populäre.  Massenverbundenheit  als 
Rechtfertigungsstrategie  des  Rundfunks 212 

5.1.4  Sozialistische  Musik.  Die  Aufnahme  von  Musik 215 

5. 1.4.1  Die  Einfügungen  internationaler  Stile  in  die  Tanz-  und 

Unterhaltungsmusik  im  Jahr  1964 217 

5. 1.4.2  Rundfunksound  und  Produktionspolitik  in  der 

Nachwirkung  des  11.  Plenums  1965/66 219 

5.1.5  Das  Verhältnis  60:40 222 

5.1.6  Die  Melodie  des  Jugendkommuniques  und  des 

Deutschlandtreffens  1964 224 

5. 1.6.1  »Berlin  ist  jung«.  Die  Melodie  der  Hausherren  von 

Morgen  im  Vorfeld  des  Deutschlandtreffens 224 

5. 1.6.2  Der  »Wort«-Sound  des  Senders  DT  64  während  des 
Pfingsttreffens  1964,  mitgeschnitten  vom  Monitordienst 

des  RIAS 225 

5.1.7  Der  Klang  von  Jugendstudio  DT  64.  Die  Soundscape 

sozialistischer  Herrschaftsverhältnisse 230 

5. 1.7.1  Die  neue  Melodie  des  Jugendkommuniques  in 

Jugendstudio  DT  64.  Eine  Analyse  der  Abteilung  Jugend  und 
Erziehung  des  RIAS  vom  November  1965 232 

5. 1.7. 1.1  Jugendstudio  DT  64  als  Experimentierfeld  des 

DDR  Rundfunks 233 

5. 1.7. 1.2  Mischungsverhältnisse.  Sozialistische 

Herstellungsversuche  einer  Soundscape  des  Pop 235 

5. 1.7. 2 Jugendstudio  DT  64  in  der  kultur-  und  medien- 

politischen  Auseinandersetzung  vor  dem  11.  Plenum  (1965) 237 

5 . 1 .7 .2 . 1 Tanzmusik  und  die  ZK- Abteilung  Kultur 

im  Sommer  1965 238 

5.1. 7.2.2  Jugendstudio  DT  64  im  Herbst  1965 241 

5. 1.7.2. 3 Das  Staatliche  Rundfunkkomitee  und  Jugend- 
studio DT  64  im  Oktober  1965 243 

5. 1.7.2 .4  Beatmusik  und  die  Kritik  am  DDR-Rundfunk 
vor  und  auf  dem  11.  Plenum  1965. 


9 


Eine  Auseinandersetzung  zwischen  den  Abteilungen 
Agitation  und  Kultur  des  ZK  der  SED 246 

5. 1.7. 3 Die  Auswertung  des  11.  Plenums  im  Berliner  Rundfunk 

und  bei  DT  64.  Die  Belebung  alter  Fronten  zwischen 
Rundfunk  und  Schallplatte 253 

5. 1.7. 4 Jugendstudio  DT  64  und  die  Akte  der  Popularisierung. 

Singebewegung,  DDR-Rock  und  die  X.  Weltfestspiele  der 
Jugend  und  Studenten  (1967-1973) 257 

5. 1.7. 4.1  Jugendstudio  DT  64  als  Produzent  von 

Ereignissen  258 

5.1. 7.4.2  Akte  der  Popularisierung.  Ost-DJs  1971  in 

der  Wahrnehmung  der  SFB-Jugendredaktion 259 

5. 1.7.4. 3 Sinnvolle  Freizeitgestaltung  und  die  X. 

Weltfestspiele.  Neue  Aufgaben  für  DT  64 260 

5.1.8  Das  Populäre  als  Versicherung  von  Hörerbindungen  und 
Kommunikationen.  Die  Auseinandersetzungen  um  Sound  im  DDR- 

I iörfunk.  Ein  Zwischenfazit 263 

5.2  Westberlin-Pop.  SFB  und  RIAS  und  der  Lärm  von  den  Rändern 

(1961-1973) ' „„ 265 

5.2.1  Der  Sender  Freies  Berlin,  schöne  Melodien  und  der  Pop- 
Underground  265 

5 .2 . 1 . 1 Schöne  Musik.  Intendanz  und  Programmdirektion  und 

die  Bewertung  der  SFB-Musik 266 

5 .2 . 1 .2  Schöne  Musik.  Hörbarkeit  und  Lärm. 

Individuelle  Musikpolitiken  in  s-f-beat 268 

5 .2 . 1 .3  s-f-beat  als  Kompass  für  die  Trends  transnationaler 

Popmusik  in  Berlin 270 

5 .2 . 1 .3 . 1 American  Pop  und  die  britische  Musikszene 

nach  »Beat«.  Die  Vielfalt  der  Stile 272 

5. 2. 1.3. 2 Akustische  Körperbestimmungen. 

Gitarrenriffs  und  starke  Frauen 278 

5. 2. 1.4  Die  gesellschaftlichen  Ränder.  Themenauswahl  und 

Sound  als  Kommentierungsverhältnisse 282 

5 .2 . 1 .4. 1  Öffentliche  Räume  und  deren  Politisierung,,., 2 84 


10 


5. 2. 1.4.2  Selbstverständigungen.  NS-Vergangenheit 

und  gegenwärtige  Benachteiligungen 287 

5. 2. 1.5  Westberlin  - die  Beschreibungen  einer  sich  als  Pop- 
metropole verstehenden  Provinzstadt 289 

5.2.2  RIAS.  Poparbeiter  des  Kalten  Krieges 295 

5. 2.2.1  Das  Gegenprogramm  des  RIAS 

zum  Deutschlandtreffen  1964 296 

5. 2.2.2  Musik  gegen  Grenzen.  RIAS -Treffpunkt  16/40. 

13.  August  1966.  Fünf  Jahre  Mauer 305 

5. 2.2. 3 Tausendundein  Treffpunkt.  Die  Jubiläumsfeier  im  Mai 

1971  zeigt  auf  eine  »neue«  Verwendung  von  Pop 309 

5.3  Rundfunklandschaften  sind  Klanglandschaften. 

Drei  Zuflüsse  in  die  Berliner  Soundscape  des  Pop.  Eine  Zusammenfassung 3 1 1 

6.  Zornige  junge  Menschen  und  ihre  technischen,  auditiven  und  körperlichen 
Praktiken  der  Antidisziplin.  Hörerhandeln  313 

6. 1 Die  verschiedenen  Popkulturen.  Medien-Pop  und  Freizeit-Pop 314 

6.1.1  Popkulturelle  Empfangsverhältnisse.  Unterströmungen  und 

Oberflächenbearbeitungen  315 

6.1.2  Klang  und  symbolische  Devianz  im  öffentlichen  Raum  in 

Berlin  317 

6. 1.2.1  Die  jugendlichen  Deutungen  der  DT  64-Argumente 

gegen  Gammler  1965 319 

6. 1 .2 .2  Das  Nicht-Konzert  der  Rolling  Stones 

am  7.  Oktober  1969 321 

6. 1 .2 .3  Erfahrungsberichte  Westberliner  Polizeidirektionen  von 

Beatkonzerten  1966  324 

6.2  Gekreuzte  Rezeptionen  in  einer  Rundfunklandschaft  der  Differenz 326 

6.2.1  Technische  Rezeptions- und  Empfangsverhältnisse 327 

6.2.2  Doppelnutzungen  Ost 330 

6.2.3  Ostfunk  in  Westohren.  Die  »unterschlagene«  Richtung  des 

Medienkonsums 333 

6.3  Soundscape  Pop.  Konsumenten  schaffen  eigene  Klanglandschaften. 

Eine  Zusammenfassung 335 


7.  Schlussbetrachtung:  Die  Herrschaftsbeziehungen  in  der  Soundscape  des  Pop. 


Oder  warum  Jugendkultur  immer  schneller  war  337 

Abkürzungsverzeichnis 342 

Quellenverzeichnis  3 44 

Literaturverzeichnis  347 

Danksagung - — 375 

Impressum  376 


Einleitung 


Hat  die  Popmusik  der  1960er  Jahre  die  Welt  verändert?  Warum  sollte  man  sich 
diese  Frage  überhaupt  stellen?  Da  wäre  zum  einen  der  umstürzlerische  politi- 
sche Anspruch,  weniger  der  Künstler  dieser  Zeit  selbst,  als  einer  Vielzahl  der 
Konsumenten  ihrer  Musik.  Zum  anderen  sind  die  Songs  und  die  Helden  jener 
Tage  heute  noch  allgegenwärtig.  Aktuelle  Interpreten  berufen  sich  auf  jene 
Vorbilder,  Bands  wie  die  Rolling  Stones  füllen  noch  immer  Stadien  und  Ju- 
gendliche unserer  Tage  tragen  die  Ikonen  von  damals  stolz  zur  Schau,  oftmals 
allerdings  ohne  noch  die  Personen  hinter  den  Bildern  von  Jimi  Hendrix,  Jim 
Morrison  oder  auch  Che  Guevara  zu  erinnern.  Das  Bild,  das  man  sich  gemein- 
hin von  den  1960er  Jahren  macht,  ist  unscharf,  ein  Geflecht  aus  Mythen  und 
Stilisierungen.  So  ist  eine  Landschaft  aus  Imaginationen  entstanden,  woran  so- 
wohl die  gegenkulturellen  Nostalgiker,  die  damals  jung  waren,  im  Zuge  rück- 
wärtiger Selbstverständigungen  ebenso  nicht  unschuldig  sind  wie  die  kommer- 
zielle Ausbeutung  von  Emotionen. 

Hat  die  Popmusik  der  1960er  Jahre  also  die  Welt  verändert?  Bezieht  man 
diese  Frage  auf  die  politischen  Utopien  der  zersplitterten  1968er,  die  erst  ex- 
post  als  Bewegung  oder  Generation  genormt  wurden,  ist  es  heute  weitgehend 
Konsens,  dies  zu  verneinen.  Betrachtet  man  allerdings  die  Kultur  der  1960er,  ist 
eine  klare  Verschiebung  von  Lebenswelten,  -Stilen  und  -auffassungen  auszuma- 
chen. Die  neuen  kulturellen  Kodierungen  sind  zwar  als  ein  Produkt  politisch- 
gesellschaftlicher Utopien  zu  denken.  Sie  konnten  sich  aber  erst  durchsetzen, 
als  sich  ihr  Anspruch  entpolitisierte. 

Die  Re-Politisierung  dieser  kulturellen  Kodierungen  entstand  durch  den 
Abwehrreflex  der  Mehrheitsgesellschaft.  Dazu  müssen  die  Mentalitäten  der 
Nachkriegsgesellschaften,  insbesondere  im  post-faschistischen  Deutschland, 


gesehen  werden.  Die  Kulmination  der  kulturellen  Veränderungen  in  den  deut- 
schen Nachkriegsgesellschaften  ereignete  sich  in  der  zweiten  Hälfte  der  1960er 
Jahre.  Die  klangliche  Dimension  dieser  Veränderung  veranschaulicht  eine  fiktive 
Gegenüberstellung: 

Als  die  Rosinenbomber  1948  in  Berlin-Tempelhof  landeten,  hatten  die  Pilo- 
ten nicht  nur  Care-Pakete  an  Bord,  sondern  sie  kauten  auch  Kaugummis  und 
aus  ihren  Bordradios  klang  Swingmusik.  Wenn  sie  dann  im  Militärjeep  durch 
das  zerstörte  Berlin  fuhren,  umfing  sie  ein  gänzlich  anderer  Klang:  Aus  den 
wenigen  Volksempfängern,  die  die  Bombardierungen  überstanden  hatten, 
klang  noch  immer  der  alte  Sound  deutscher  Radiowellen.  Also  wurde  das  Auto- 
radio aufgedreht,  aus  dem  die  alliierten  Soldatensender  AFN  oder  BFN 
schollen. 

Angenommen,  derselbe  Pilot  landete  20  Jahre  später,  imjahre  1968,  erneut 
in  Tempelhof.  Dann  würde  er  - inzwischen  vielleicht  Offizier  - mit  dem  Taxi 
ins  Hotel  fahren,  und  feststellen,  dass  nicht  nur  der  Swing,  sondern  auch  der 
aktuelle  Sound  aus  Kalifornien  und  London  im  deutschen  Rundfunk  angekom- 
men ist. 

Die  Rundfunklandschaft  Berlin  als  eine  grenzüberschreitende  Soundscape  Pop 

Die  besondere  Konstellation  und  Anordnung  des  Kalten  Krieges  in  Berlin 
formt  eine  spezifische  Rundfunklandschaft,  in  der  sich  zum  Ende  der  1960er 
Jahre  eine  grenzüberschreitende  Soundscape  Pop  gegen  die  akustischen  Präsen- 
zen der  Rundfunkanstalten  herausbildet.  Die  Berliner  Rundfunksender  be- 
ginnen allmählich,  jugendliche  Hörer  mit  Beat-  und  Popmusik  anzusprechen. 
Die  jungen  Hörer  zu  unterhalten  drängt  immer  stärker  die  Absicht  zurück, 
belehrend  und  erziehend  zu  wirken.  Dies  ist  zuallererst  dem  medialen  Wettbe- 
werbsdruck in  einem  begrenzten  Markt  und  den  Bedingungen  der  politischen 
und  kulturellen  Systemauseinandersetzung  in  Deutschland  und  Berlin  geschul- 
det. 

Die  deutsch-deutsche  Rundfunkgeschichte  ist  somit  als  Verzögerungsge- 
schichte zu  schreiben,  da  jugendliche  Zielgruppen  erst  mit  entsprechenden  Me- 
dienformaten grenzüberschreitend  angesprochen  werden,  als  sie  schon  längst 
konsumkulturell  handelnde  und  wählerische  Akteure  sind.  Sie  richten  ihre  Pro- 


T4 


gramme  an  akustischen  Interessenlagen  aus  und  unterlaufen  die  ideologisch 
geprägten  Erziehungsabsichten,  die  die  Medienprodukte  enthalten. 

Die  Berliner  Konkurrenzanordnung  holt  in  diesem  Feld  der  Medienforma- 
te Rückstände  gegenüber  transnationalen  Entwicklungen  ruckartig  nach  und  ist 
dann  wiederum  bemüht,  diese  ausgelösten  Neuerungen  jeweils  in  den  Pro- 
grammen zu  bändigen.  Zur  Einhegung  gehört  auch  Beweglichkeit.  Beide  Me- 
chanismen sind  in  den  Rundfunkanstalten  in  Ost-  und  Westberlin  zu  finden. 
Die  hier  vorgeschlagene  Bezeichnung  der  verschleppten  Einarbeitung  von  Pop 
in  die  akustischen  Performanzen  der  öffentlich-rechtlichen  und  sozialistischen 
Hörfunkprogramme  betont  stärker  die  vorhandenen  Brüche.1 

Eine  Mediengeschichte  der  Verwendungen  und  Aneignungen,  die  die  so- 
ziale Praxis  von  Bedeutungen  und  Umgangsweisen  hervorhebt,  kann  nicht 
Westberlin  als  Positivfolie  herausheben.  Auch  dort  werden  Bruchlinien  in  den 
Aushandlungen  von  Programmausgewogenheiten  und  Musikfarben  gerade  in 
den  Diskussionen  des  SFF-Programmausschusses  sichtbar,  die  nur  leidlich  zum 
Liberalisierungs-Paradigma  passen.  Die  durch  die  ideologische  Konkurrenz 
imprägnierten  Medientexte  und  die  klanglichen  Erzählungen  der  Rundfunkan- 
stalten haben  dabei  erhebliche  Schwierigkeiten,  die  Störungen  auszusteuern,  die 
die  transnationale  Popmusik  als  Waffe  des  Kalten  Krieges  in  Ost-  und  West- 
berlin erzeugt. 

Die  Hörfunkprogramme  für  junge  Berliner  und  DDR-Jugendliche  zwi- 
schen 14  und  25  Jahren  sind  Gegenstand  dieser  Untersuchung.  Für  den  Zeit- 
raum der  1960er  bis  Mitte  der  1970er  Jahre  lässt  sich  daran  zeigen,  wie  sich  die 
Wechselwirkungen  zwischen  den  Rundfunkanstalten  Sender  Freies  Berlin , Rund- 
funk im  Amerikanischen  Sektor  und  Berliner  Rundfunk  zu  einer  gekreuzten  ge- 
meinsamen Geschichte  verdichten.  Das  berührt  auf  der  institutioneilen  Ebene 
die  doppelseitigen  Rezeptionen  der  Angebote.2  Welche  programmgestalteri- 
schen Elemente  eingearbeitet  werden,  wie  Information  - auch  musikalische  - 


1 Linda  Martin/  Kerry  Segrave:  Anti-rock.  The  Opposition  to  Rock’n’Roll,  Hamden:  Archon  Books 
1988,  S.  111-213.  Insbesondere  Part  II,  1963-1973. 

2 Michael  Werner/  Benedicte  Zimmermann:  Penser  l’histoire  croisee.  Entre  empirie  et  reflexivite, 
in:  Annales  HSS,  58.  Jg.  (2003)  H.  1,  S.  7-36,  S.  9.  Siehe  Michael  Werner/  Benedicte  Zimmermann:  Ver- 
gleich, Transfer,  Verflechtung.  Der  Ansatz  der  Histoire  croisee  und  die  Herausforderung  des  Transnatio- 
nalen, in:  Geschichte  und  Gesellschaft,  28.  Jg.  (2002)  H.  4,  S.  607-636. 


15 


damit  verbunden  wird  und  auf  welchem  Sendeplatz  diese  Produkte  gesendet 
werden,  das  weist  jeweils  auf  Transferverhältnisse  hin,  die  mit  den  Werkzeugen 
der  »histoire  croisee«,  einer  verschränkten  Geschichtsschreibung,  zu  markieren 
sind.  Mediensysteme  und  Rundfunkanstalten  in  Berlin  eignen  sich  deshalb  für 
eine  solche  Betrachtungsweise,  weil  sie  voneinander  abweichend  organisiert 
und  in  unterschiedlichen  politischen  Systemen  verankert  sind,  aber  dennoch  in 
einem  topografisch  begrenzten  und  medial  entgrenzten  Raum  miteinander  in 
Beziehung  stehen. 

Die  Anlage  dieser  Untersuchung 

Ich  werde  das  Zusammenwirken  von  Medienangeboten,  Jugend-  und  Pop- 
kultur sowie  der  Nutzungsweisen  jugendlicher  Zielgruppen  als  Herausforde- 
rungen für  die  jugend-,  medien-  und  kulturpolitischen  Institutionen  verstehen, 
in  denen  Verflechtungen  und  Wechselwirkungen  genauso  zu  Tage  treten  wie 
entscheidende  strukturelle  Unterschiede.  Sound  ist  dabei  die  Klammer,  die  die- 
sen Bestandteil  von  Medien-  und  Zeitgeschichte  hier  erstmals  in  den  Vorder- 
grund rückt. 

Die  Untersuchung  behandelt  in  Kapitel  2,  wie  sich  die  Anordnungen  von 
Jugendfürsorge  und  Jugendkultur  in  der  konkurrierenden  Perspektive  beider 
Teile  Berlins  zueinander  verhalten.  Als  Erstes  werden  jedoch  die  Erscheinungs- 
formen von  »Amerikanisierungen«  und  Liberalisierungen  in  der  Bundesrepu- 
blik dargestellt.  Davon  abgesetzt  werden  die  jugendpolitischen  Strategien  der 
SED,  die  in  die  Jugendkommuniques  von  1961  und  1963  einflossen.  Sie  werden 
unter  dem  Gesichtspunkt  des  Leistungsgedankens  und  der  daraus  resultieren- 
den Gewährung  von  Freiraum  betrachtet.  In  einem  dritten  Schritt  wird  der 
Versuch  unternommen,  Berlin  als  eine  »Verstärkeranlage«  für  besorgte  Jugend- 
politiken und  sich  abbildende  jugendkulturelle  Trends  zu  begreifen.  Die  Unter- 
lagen der  Jugendsenatorin  Ella  Kay,  der  Landesjugendpflegerin  Ilse  Reichel  so- 
wie die  Überlieferung  der  Abteilung  Jugend  des  Ostberliner  Magistrats  und  der 
Jugendabteilung  der  SED-Bezirksleitung  sind  hierfür  von  mir  ausgewertet  wor- 
den. Dabei  wurde  deutlich,  dass  Ost  wie  West  selektive  »Amerikanisierungen« 
vorantrieben,  durch  welche  auch  neue,  nationalisierende  Einfügungen  erkenn- 
bar werden.  Die  hierin  angelegten  Wechsel-  und  Konfrontationsverhältnisse 


16 


sind  an  die  jeweils  gültigen,  aber  sich  verändernden  Betrachtungen  von  Jugend- 
kultur gebunden.  Die  bereits  von  der  Mehrheitsgesellschaft  eingefügten  Ele- 
mente von  Jugendkultur  werden  gegen  das  »gefährliche  Neue«  oder  das  harm- 
lose, aber  in  Bezug  auf  das  Konsumverhalten  manipulierte  »Neue«  abgesetzt. 

Das  dritte  Kapitel  steckt  die  Entstehung  der  Rundfunklandschaft  in  der 
geteilten  Stadt  Berlin  als  Produkt  des  Kalten  Krieges  ab.  Dabei  wird  auf  den 
Charakter  von  Rundfunk  als  Kommunikationswaffe  und  als  integrierendes 
Instrument  von  Herrschaftsdarstellung  hingewiesen.  Die  Berliner  Konkurrenz- 
anordnung erzeugt  mehrseitige  Profilierungszwänge.  Diese  entstehen  in  den 
Rundfunkanstalten  und  wurden  zusätzlich  von  »außen«  aus  den  politischen  und 
kulturellen  Umfeldern  in  sie  hinein  getragen.  In  diesen  Überlegungen  werden 
Begriffe  wie  »Ausgewogenheit«  und  »Rundfunkfreiheit«  in  ihren  Westberliner 
Begrenzungen  und  Kodierungen  betrachtet.  Dabei  kommen  die  medienpoliti- 
schen  Strategien  des  Westberliner  Senats  zur  Geltung,  die  innerhalb  der 
Bestrebungen  der  Adenauer-Regierung  um  eine  rundfunkpolitische  Neuord- 
nung zu  verorten  sind. 

Die  Berliner  Rundfunkstationen  rücken  ihre  Jugendsendungen  (und  dieser 
Aspekt  wird  in  Kapitel  4 in  seiner  wechselseitigen  Verflechtung  beschrieben) 
von  den  Rändern  der  Wochenprogramme  in  die  Mitte  der  vorabendlichen  Sen- 
deplätze. Damit  ist  eine  enorme  Aufwertung  innerhalb  des  Gesamtprogramms 
verbunden.  Dies  vollzieht  sich  in  unterschiedlichen  Aushandlungsformen, 
denen  aber  Verzögerungen,  Einhegungen  und  die  Wechselwirkungen  dieser 
Kalten  Kriegs-Anordnung  gleichermaßen  eingeschrieben  sind.  Um  einige  die- 
ser Aushandlungen  zu  beleuchten,  sind  im  Rahmen  der  Studie  auch  Zeitzeu- 
geninterviews geführt  worden.3  Sie  haben  aber  nur  als  ergänzende  Elemente 
Eingang  in  die  Untersuchung  gefunden. 

Ferner  ist  für  die  Kultur-  und  Medienpolitik  der  SED  deutlich  zu  machen, 
dass  das  11.  Plenum  des  ZK  der  SED  vom  15.  bis  18.  Dezember  1965  den 
DDR-Rundfunk  lediglich  kurzzeitig  beschränkte.  Das  jugendpolitische  Profil 
des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  wurde  nicht  in  Frage  gestellt.  Bislang  wird 


3 Vielen  Dank  nochmals  an  Susanne  Fijal,  Marianne  Wagner,  Hans-Rainer  Lange  (SFB),  Richard 
Kitschigin  (RIAS),  Siegmar  Krause,  Marianne  Oppel,  Peter  Salchow,  Dieter  Hunziger,  Manfred  Kühn, 
Axel  Blumentritt  und  Johnny  Marhold  (Berliner  Rundfunk). 


u 


dieses  Plenum  als  Ereignis  betrachtet,  das  einen  radikalen  Umbruch  der  SED- 
Jugendpolitik  auslöste.  Diese  Arbeit  wird  die  zeitlich  begrenzte  Nachwirkung 
des  »Kahlschlag«-Plenums  hervorheben  und  die  gegenläufigen  Interessen  der 
ZK-Abteilungen  Kultur  und  Agitation  damit  in  Bezug  setzen.  Dabei  greift  die 
Studie  auf  die  entsprechenden  Überlieferungen  des  Staatlichen  Rundfunkko- 
mitees, der  ZK-Abteilungen  sowie  die  Protokolle  des  II.  Plenums  im  Bundes- 
archiv Berlin  bzw.  der  Stiftung  Archiv  der  Partei-  und  Massenorganisationen 
der  DDR  (SAPMO)  im  Bundesarchiv  zu. 

Zur  Bedeutung  des  Ministeriums  für  Staatssicherheit  ist  auf  die  breite  und 
tief  gehende  Studie  des  Forschungsverbundes  SED-Staat  der  Freien  Universi- 
tät Berlin  zu  verweisen,  die  die  Bearbeitung  von  ost-  und  westdeutschen  Rund- 
funkanstalten  durch  das  MfS  behandelt.  Da  der  DDR-Rundfunk  stark  mit  Par- 
teimitgliedern durchsetzt  war,  mussten  dort  nur  die  Schlüsselpositionen  der 
Sendeanstalten  mit  - in  den  Augen  des  MfS  - zuverlässigen  Funktionären  abge- 
sichert werden4  Auch  der  Jugendfunk  ist  hier  keine  Ausnahme.  Ab  Mitte  der 
1960er  Jahre  war  ein  leitender  Mitarbeiter  in  der  Redaktion  von  Jugendstudio 
DT  64  als  Inoffizieller  Mitarbeiter  (IM)  tätig.  Ferner  lief  die  Anwerbung  eines 
IM,  die  schließlich  abgebrochen  wurde.  IM  »Ekkehardt«  und  IMV  »Fatuma« 
berichteten  ab  1971  über  die  internen  Konflikte  bei  Jugendstudio  DT  64 .5 

Der  fünfte  Abschnitt  thematisiert  Musikpolitik  und  die  Aushandlungen  von 
Sound  in  den  Rundfunkanstalten  und  macht  deutlich,  dass  die  Jugendsendungen 
die  akustischen  Gesamt-Erscheinungsbilder  des  SFB,  des  RIAS  und  des  Berliner 
Rundfunk  erheblich  stören.  Die  Wettbewerbskonstellation  in  Berlin  rechtfertigt 
solche  Überlagerungen  immer  wieder.  An  der  Gegenüberstellung  von  DT  64 


4 Forschungsverbund  SED-Staat:  Die  rundfunkbezogenen  Aktivitäten  des  Ministeriums  für  Staats- 
Sicherheit  der  ehemaligen  DDR  in  der  DDR  sowie  der  Bundesrepublik  Deutschland  (=  Gutachten  im  Auf- 
trag des  Westdeutschen  Rundfunk/  ARD),  Berlin  2004,  S.  164-168,  S.  1 66.  Zum  MfS  allgemein  siehe  Jens 
Gieseke:  Die  hauptamtlichen  Mitarbeiter  der  Staatssicherheit.  Personalstruktur  und  Lebenswelt  1950- 
1989/90,  Berlin:  Ch.  Links  2000. 

5 Da  die  IM-Durchsetzung  der  Jugendredaktionen  nicht  die  zentrale  Fragestellung  dieser  Untersu- 
chung betraf  und  außerdem  die  MfS -Unterlagen  für  Jugendstudio  DT  64  leider  auch  keine  programm-, 
musik-  und  inhaltsbezogenen  Aspekte  erhellten,  rückte  dieser  Punkt  in  den  Hintergrund.  Vgl.  BStU,  MfS, 
HA  XX,  Nr.  913  foliert,  IM  »Ekkehardt«,  Über  die  Situation  in  der  Abt.  DT  64  BR.  Auf  Band  gesprochen 
von  »Eckehardt«  am  13.2.1973,  Bl.  8.  I Siehe  auch:  BStU,  MfS,  ALM,  Nr.  4720/79  foliert,  HAXX/7, 
Bericht  über  den  am  12.10.1972  mit  dem  IMV  »Fatuma«  in  der  Zeit  von  17.30  -19.15  Uhr  durchgeführ- 
ten Treff,  Berlin  18.10.1972,  Bl.  40-42. 


vmd  dem  RLdS'-Sonderprogramm  zum  Deutschlandtreffen  1964  sowie  an  einer 
Gedenksendung  des  FZ/IS-Jugendfunks  zum  Mauerbau  wird  erkennbar,  welche 
Verweisketten  Wort-Klang  und  Musik-Klang  bilden  und  wie  diese  für  die 
Arbeit  mit  Popmusik  in  der  medialen  Konkurrenz  der  1960er  Jahre  eingesetzt 
werden.  Es  wird  (zum  Beispiel  an  der  SFR-Jugendsendung  s-f-beat)  aber  ebenso 
deutlich,  welche  ästhetisch-musikalische  Beweglichkeit  in  diese  Anordnung 
gelangt,  wie  sich  dieser  Modus  in  der  konfliktorientierten  Berichterstattung 
fortschreibt  und  dann  an  seine  Grenzen  stößt.  Uber  Musiklisten  des  SFB- 
Jugendfunks,  der  im  Deutschen  Rundfunkarchiv  Potsdam-Babelsberg  (DRA) 
vorhandenen  Schriftüberlieferung  der  SFB-Intendanz  und  -Programmdirekti- 
on wird  dies  dargestellt.  Für  den  RIAS  greift  diese  Untersuchung  auf  das 
Schriftgut  im  DRA  zurück.  Die  mitgeschnittenen  Sendungen  von  RIAS-Treff- 
punkt,  DT  64  und  Jugendstudio  DT  64  im  RLdS-Tönbandarchiv  bei  Deutsch- 
landradioKultur,  von  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  im  Bandarchiv  des  Rund- 
funk Berlin-Brandenburg  fließen  in  die  Betrachtung  als  ästhetische  Rahmungen 
und  klangliche  Zeitzeugnisse  ein.6 

Das  letzte  Kapitel  geht  auf  technische,  akustische  und  körperliche  Prakti- 
ken der  Antidisziplin  ein  und  beleuchtet  die  Rezeptionsweisen  und  die  Verwen- 
dungen von  Hörfunkprogrammen  sowie  die  Inszenierung  von  Subkultur  in  der 
sozialistischen  und  freiheitlich-demokratischen  Öffentlichkeit.  Die  Konsumen- 
ten prägen  die  Klanglandschaft  des  Pop,  da  sie  ihre  Programme  aus  der  Dop- 
pel- und  Mehrfachnutzung  vorhandener  Zuflüsse  zusammenstellen  und  den 
Angeboten  ihren  Sinn  zuweisen.  Die  Reichweitenuntersuchungen  der  Abtei- 
lung Soziologische  Forschung  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  der  DDR 
und  die  Studien  zur  Nutzung  der  DDR-Massenmedien  des  Leipziger  Instituts 
für  Jugendforschung  werden  zur  Veranschaulichung  dieses  Zusammenhangs 
verwendet.  Die  Produktionen  von  öffentlichem  Raum  durch  Jugendliche  wer- 
den als  Gegentaktik  zu  einem  vorgegebenen  Herrschaftstext  betrachtet. 


6 Es  sei  verwiesen  auf  das  Internetprojekt  des  RBB  »Kalter  Krieg  im  Radio«,  URL:  http://www.kal- 
ter-krieg-im-radio.de/index.php?er=10  [Letzter  Zugriff  5.9.2010].  Allerdings  fehlt  darin  erstens  eine 
Nennung  von  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat,  zweitens  kommt  die  Präsentation  ohne  Audioquellen  des  SFB 
aus.  Das  ist  ein  deutlicher  Hinweis  auf  die  dortige  Überlieferungssituation.  Zumindest  Ausschnitte  aus  der 
wir  - um  z7Ptf72zzg-Diskussion  anlässlich  des  Todes  von  Benno  Ohnesorg  hätte  man  erwarten  können 
(Bandnummer:  0900581,  4.6.1967,  wir  — um  zwanzig , Vorfälle  beim  Schah-Besuch). 


!9 


1.  Jugendradio  im  kalten  Ätherkrieg  (1962-1973).  Eine  Einführung 

Klack,  langsam  kriecht  der  Ton  aus  dem  Lautsprecher.  Das  Mittelwellenband 
rauscht,  knackt  und  fiept.  »Das  Ministerium  für  Gesamtdeutsche  Fragen  ...« 
erklärt  Deutschlandfunk  (548  kHz).  Weitergedreht.  Ein  Streichorchester  er- 
klingt auf  566  kHz,  der  Frequenz  von  Sender  Freies  Berlin  I.  Weitergedreht. 
»Der  Zentralrat  der  Freien  Deutschen  Jugend  ...«  freut  sich  Jugendstudio  Berlin 
des  Berliner  Rundfunks  (611  kHz)  über  einen  wegweisenden  Beschluss.  Auch 
das  muss  nicht  sein.  »Wie  Associated  Press  und  Stimme  Amerikas  übereinstim- 
mend ...«  verlautbart  die  zweite  Welle  des  Rundfunks  im  Amerikanischen  Sektor 
(RIAS)  auf  der  Mittelwelle  683  kHz  und  bekräftigt  die  Weitsicht  im  Zeichen 
des  Sternenbanners.  Auf  RIAS  I (737  kHz,  Sender  Hof)  ist  das  hauseigene  Tanz- 
orchester mit  einem  beschwingten  Medley  bekannter  Melodien  zu  hören.  Auf 
881  kHz  heisst  es:  »Im  Bezirk  Neubrandenburg  ist  der  Siebenjahresplan  zur 
Befischung  ...«  Weg  damit!  Die  Erfolgsmeldungen  klingen  ja  immer  gleich.  Es 
knackt  und  zischt  beim  Wechsel  der  Frequenzen.  Helle  Männerstimmen  singen 
»Surfin’  ...  Surfin’  USA«.  Ha!  Beach  Boys  auf  American  Forces  Network  (AFN) 
Berlin  (935  kHz).  Endlich  Musik,  die  nach  Gegenwart  klingt.  Der  nahe  dabei 
liegende  Deutsche  Soldatensender  935  hat  noch  nicht  zu  senden  begonnen, 
überlagert  also  den  US-Soldatensender  noch  nicht.  Die  Rundschau  am  Abend  auf 
RIAS  I Berlin  (989  kHz)  hat  instrumentale  Swingmusik  als  Zwischentitel  auf  der 
Klangspur.  Schnell  weiter,  denn  gleich  kommt  Politik.  Die  Berliner  Welle  des 
Berliner  Rundfunks  (1358  kHz)  klingt  nach  Kaffeekränzchen.  Helga,  Rolf, 
Frank  oder  Oliver  wiederholen  auf  den  fröhlichen  Wellen  von  Radio  Luxemburg 
(1439  kHz)  auch  immer  nur  die  gleichen  Nettigkeiten.  Diese  Stimmen  sind  die 
Werbung  für  die  Platten,  die  sie  spielen.  Und  sie  überbrücken  die  Zeit  bis  zur 
Werbeunterbrechung.  Auf  SFB  II  (1484  kHz)  müht  sich  ein  Sinfonieorchester 
redlich.  Ein  Moderator  erzählt,  Politiker  Soundso  »äußerte  sich  im  Deutsch- 
landfunk zur  wirtschaftlichen  Situation  in  der  Sowjetzone  ...«  (1538  kHz).  Aber 
soweit  drehen  musikbegeisterte  junge  Hörfunkkonsumenten  eher  nicht  an  den 
Einstellknöpfen  ihrer  Transistorradios. 

Diese  Momentaufnahme  könnte  die  Suche  nach  einem  Hörfunkfunksender 
zum  Beispiel  im  Mai  1963  beschreiben:  Ein  Jugendlicher  auf  der  Suche  nach 
seiner  Musik,  nach  aktueller  Musik.  Die  Beach  Boys  hatten  »Surfin’  USA«  im 


20 


März  desselben  Jahres  veröffentlicht.  Chuck  Berry  hatte  den  Titel  für  sie 
geschrieben.  Der  SED-Jugendverband  FDJ  hatte  für  Ende  Mai  das  VII.  Parla- 
ment angesetzt  und  nun  berichtete  besonders  das  Jugendstudio  des  Berliner 
Rundfunks  im  Vorfeld  darüber.  Vielleicht  war  es  kurz  nach  den  17.30-Nachrich- 
ten  oder  zwischen  18.00  und  18.15  Uhr.  Eine  wissensdurstige  junge  Sozialistin 
wäre  zumindest  bei  den  Verlautbarungen  der  FDJ  hängen  geblieben,  um  viel- 
leicht dann  zur  leichten  Muse  auf  SFB  I oder  RIAS  II  zu  wechseln,  oder  sich  gar 
Surfmusik  beim  amerikanischen  Soldatensender  anzuhören.  Die  junge  West- 
berlinerin hingegen  wollte  sich  nicht  schon  wieder  von  der  Rundschau  am  Abend 
die  amerikanische  Überlegenheit  erläutern  zu  lassen  und  zog  gleich  den  Musik- 
sound von  AFN  vor.  Sie  entschied  sich  für  diese  akustische  Tagesbegleitung 
durch  eine  Medienlandschaft  der  Teilungen. 

Umzuschalten  war  eine  private  Möglichkeit,  die  vorgegebene  mediale  An- 
ordnung des  Atherkrieges  aufzulösen  und  aus  der  in  der  geteilten  Stadt  Berlin 
vorhandenen  Vielfalt  von  Hörfunkangeboten  eigensinnige  Kombinationen  her- 
zustehen. Radiobausätze  wie  Pitty  I oder  Hobby  waren  für  technikbegeisterte 
Jungen  und  Mädchen  billige  Einsteigerlösungen.  Transistorradios  wie  Spatz 
baby  (ein  handliches  Transistorradio  vom  VEB  Elektroakustik  Hartmannsdorf) 
oder  das  Mikki  vom  Berliner  VEB  Sternradio  blieben  noch  erschwinglich.  Ein- 
gebauter Kurz-  und  Ultrakurzwehenempfang  wie  beim  Hartmannsdorfer  Opal 
61 03  TR7,  beim  Grundig  Party-Boy  210  und  den  Siemens-Modellen  RT 1 0 oder 
Turnier  RK  30  1 bildete  neue  Trennungen,  technische  und  ästhetische.  Sie  er- 
möglichten neue  Formen  der  Unterscheidbarkeit.  Diese  drückten  sich  auch  im 
Kaufpreis  aus. 

Aber:  Die  Grenze,  die  Berlin  seit  1961  zerschnitt  und  Westberlin  zur 
»Insel«  werden  ließ,  war  im  massenmedialen  Empfangsraum  aufgehoben.  Sen- 
defrequenzen bezeichneten  Grenzübergänge  und  steckten  Territorien  ab.8  Die 


7 Bernhard  Hein:  Die  Geschichte  der  Rundfunkindustrie  der  DDR.  Das  Kofferradio  in  der  DDR, 
Dessau:  Funk  Verlag  Bernhard  Hein  2002.  Siehe  dazu  auch  URL:  http://www.oldradioworld.de/xpor- 
tabl.htm  [Letzter  Zugriff  5.9.2010]. 

8 In  Berlin  waren  die  folgenden  UKW-Frequenzen  belegt:  AFN  87,85;  SFB  I 88,75;  RIAS  I 89,60; 
BBC  90,20;  Berliner  Rundfunk  91,4  (DT  64);  SFB  II  92,40  (s-f-beat);  FFB  93,6;  RIAS  II  94,3;  Radio  DDR  I 
95,8;  Deutschlandsender  97 ,65;  BFBS  98,75;  Berliner  Welle  99,7 . Siehe:  Internationales  Handbuch  für  Rund- 
funk und  Fernsehen,  Hamburg:  Hans-Bredow-Institut  1963. 


Rundfunkstationen  in  Berlin  lagen  als  Markierungen  auf  der  Senderleiste  der 
Rundfunkgeräte  nahe  beieinander.  Im  Ultrakurzwellen-Bereich  war  es  noch 
enger.  Und  obwohl  sich  ihre  Kommentierungen  und  Sendezeiten  aufeinander 
bezogen,  hatten  die  Aussagen,  die  die  Medienprodukte  enthielten,  einerseits 
Entfernungen  herzustellen  und  andererseits  diese  wiederum  zu  überbrücken. 
Die  sprachlichen  Bezugnahmen  auf  »Berlin«  als  Ort  von  Gemeinsamkeiten 
und  Gegnerschaften  schufen  im  Westberliner  öffentlich-rechtlichen  Rundfunk 
und  im  Ostberliner  staatssozialistisch-zentralistischen  zwei  konkurrierende 
Deutungsstränge.  Bei  der  musikalischen  Gestaltung  der  hochkulturellen 
Abendprogramme  setzte  sich  diese  Trennung  weniger  stark  fort  und  war  bei  der 
Unterhaltungsmusik  nicht  mehr  eindeutig  zu  erkennen.  Es  war  somit  für  die 
Sender  und  deren  Musikredaktionen  wesentlich  aufwendiger,  Unterschiede 
kenntlich  zu  machen  und  ein  eigenes  Profil  zu  entwickeln. 

Im  Gegensatz  zu  1963  konnte  man  sechs  Jahre  später,  an  einem  Wochentag 
zwischen  17.30  Uhr  und  18.30  Uhr  wesentlich  mehr  Tanz-  und  Popmusik 
hören.  Auf  AFN  lief  das  Wunschkonzert,  gefolgt  von  Sports  News.  British  Forces 
Broadcasting  Service  (BFBS)  brachte  Ausschnitte  aus  dem  BBC  Light  Programme, 
dann  eine  Kurzgeschichte  und  Nachrichten.  Der  Westberliner  RIAS  II-Treff- 
punkt  und  das  Ostberliner  Jugendstudio  DT  64  konkurrierten  bis  18  Uhr  um 
junge  Hörfunkkonsumenten.  Danach  stand  DT  64  mit  dem  Aktuellen  Plattentel- 
ler des  bundesrepublikanischen  Deutschlandfunks  im  Wettbewerb.  Auf  der  zwei- 
ten SFB-Frequenz  lief  bis  gegen  halb  sieben  klassische  Musik.  Dann  beschallte 
s-f-beat  die  Abendessen-Zeremonien  mit  einer  neuen  Geräuschkulisse,  die  älte- 
re Hörer  auch  als  störenden  Lärm  bezeichneten.  Der  deutsche  Rundfunk  be- 
gann, um  Zielgruppen  zu  werben  und  sie  anzusprechen.  Was  war  in  der  Zwi- 
schenzeit passiert? 

1. 1 Hörfunk  in  den  konkurrierenden  Medienlandschaften  des  Kalten  Krieges 

Durch  die  mobilen  Empfangsgeräte  waren  die  medialen  Angebote  als  wech- 
selnde Zusammenschaltungen  verfügbar.  Damit  waren  die  Verwendungen  von 
Programmen  nicht  mehr  auf  Wohnung  und  Haushalt  beschränkt,  sondern  be- 
weglich und  nun  auch  im  öffentlichen  Raum  aufführbar  geworden.9  Die  Kon- 
sumenten benutzten  unter  anderem  Transistorradios  dazu,  eigene  Programme 


zusammenzustellen.  Darin  drückte  sich  eine  »audiovisuelle  Praxis«10  der  An- 
eignung aus,  die  sich  auf  technische  Infrastrukturen,  eine  Vielfalt  medialer 
Angebote,  eigenwillige  Umformungen  und  ausgewählte  Einfügungen  von  Vor- 
gefundenen visuellen  und  akustischen  Zeichen  gründete.  Die  Hörer  bildeten  an 
den  bestehenden  Unterschieden  zwischen  den  Aussagen  der  Stationen  ihre 
eigenen  Sichtweisen,  verteilten  Loyalitäten  je  nach  den  alltäglichen  Gebrauchs- 
werten. Das  beinhaltete  auch  die  grundlegende  Kommunikation  der  Rundfunk- 
sender. Wie  Rainer  Gries 1 1 am  Beispiel  von  Nivea  und  Coca-Cola  zeigte,  ver- 
ändert sich  die  Verpackung  und  die  ästhetische  Darstellung  der  Produkte  im 
Laufe  der  Zeit,  nicht  aber,  wofür  die  »Marke«  stehen  will.  Dieser  Gedanke 
kann  auf  Medienangebote  übertragen  werden.  Das  geschieht  hier  am  Beispiel 
von  s-f-beat,  RIAS-Trejfpunkt  und  Jugendstudio  DT  64  des  (Ost-) Berliner  Rund- 
funks. 

Rainer  Gries  ordnet  Produkten  Träger-,  Zeichen-  und  Kanalfunktionen  zu. 
Was  Produkte  und  Marken  erzählen,  wandelt  sich  nicht,  betont  Gries.12  Sie 
würden  mentale  Bestände  der  Vergangenheit  weiterschreiben.  Auf  diese  Weise 
würden  sie  sich  dem  schnellen  Wechsel  der  Gegenwart  entgegenstellen.13 
Allerdings  würden  sich  die  Kommunikationen  ästhetischen  Veränderungen 


9 Axel  Schildt:  Hegemon  der  häuslichen  Freizeit.  Rundfunk  in  den  50er  Jahren,  in:  Axel  Schildt/ 
Arnold  Sywottek  (Hg.):  Modernisierung  im  Wiederaufbau.  Die  westdeutsche  Gesellschaft  der  50er  Jahre, 
Bonn:  Dietz  1998,  S.  458-476.  Siehe  auch:  Andreas  Fickers:  Der  »Transistor«  als  technisches  und  kultu- 
relles Phänomen.  Die  Transistorisierung  der  Radio-  und  Fernsehempfänger  in  der  deutschen  Rundfunk- 
industrie 1955  bis  1965,  Bassum:  Verlag  für  Geschichte  der  Naturwissenschaften  und  Technik  1998. 
Besonders  Kapitel  6:  Ein  jugendliches  Statussymbol  verändert  die  Hörkultur,  S.  81-90. 

10  Siegfried  Zielinski:  Audiovisionen.  Kino  und  Fernsehen  als  Zwischenspiele  in  der  Geschichte, 
Reinbek  bei  Hamburg:  Rowohlt  1989,  S.  15.  Siehe  auch:  Peter  M.  Spangenberg:  »Weltempfang«  im 
Mediendispositiv  der  60er  Jahre,  in:  Irmela  Schneider/  Torsten  Hahn/  Christina  Bartz  (Hg.):  Medienkul- 
tur der  60er  Jahre  (=  Diskursgeschichte  der  Medien  nach  1945;  2),  Wiesbaden:  Westdeutscher  Verlag 
2003,  S.  149-158.  Hickethier,  Knut  (1999):  Zwischen  Gutenberg-Galaxis  und  Bilder-Universum.  Medien 
als  neues  Paradigma,  Welt  zu  erklären,  in:  Geschichte  und  Gesellschaft,  25.  Jg.  (H.  1),  S.  146-172.  Micha- 
el Meyen:  Hauptsache  Unterhaltung.  Mediennutzung  und  Medienbewertung  in  Deutschland  in  den  50er 
Jahren  (=  Kommunikationsgeschichte;  14),  Münster:  LIT  2001.  Ders.:  Denver  Clan  und  Neues  Deutsch- 
land. Mediennutzung  in  der  DDR,  Berlin:  Ch.  Links  2003. 

11  Rainer  Gries:  Produkte  als  Medien.  Kulturgeschichte  der  Produktkommunikation  in  der  Bundes- 
republik und  der  DDR,  Leipzig:  Leipziger  Universitätsverlag  2003. 

12  Ebd.,  S.  87. 

13  Ebd.,  S.  582. 


23 


anpassen,  so  Gries.  Übertragen  auf  Hörfunksendungen  ließe  sich  sagen,  dass 
Mitteilung  und  Botschaft  solch  medialer  Erzeugnisse  Veränderungen  unterla- 
gen, die  Konstante  eines  Senders  aber  seine  Selbst-  und  Fremderzählung  war  - 
das,  wofür  er  symbolisch  stand.  Rundfunkstimmen  waren  virtuelle  Familien- 
mitglieder. Dieser  Aspekt  kann  an  Jugendstudio  DT  64,  s-f-beat  und  RIAS-Treff- 
punkt  gezeigt  werden. 

Die  ideologisch-politische  Konkurrenzanordnung  in  Berlin  begünstigte  pro- 
grammgestalterische Veränderungen,  wenn  sie  in  die  Rahmungen  des  Kalten  Krie- 
ges einzufügen  waren.14  Die  einzelnen  Rundfunkanstalten  handelten  diese  Ver- 
schiebungen intern  aus,  verbanden  sie  mit  außerhalb  der  Stationen  bestehenden 
Interessenlagen  und  bekräftigten  schließlich  die  getroffenen  Entscheidungen,  sol- 
che Angebote  im  Programm  zu  einer  bestimmten  Sendezeit  zu  verbreiten,  immer 
wieder  mit  Verweisen  auf  die  Konkurrenzsituation.  Dabei  wird  erkennbar  werden, 
dass  SFB,  RIAS  und  Berliner  Rundfunk  trotz  ihrer  Jugendhörfunkprogramme  einer 
Modernisierung  der  Präsentationsweisen  nachliefen. 


14  Barbara  Mettler:  Demokratisierung  und  Kalter  Krieg  (=  Rundfunkforschung;  2),  Berlin:  Verlag 
Volker  Spiess  1975.  Maral  Herbst:  Demokratie  und  Maulkorb.  Der  deutsche  Rundfunk  in  Berlin  zwischen 
Staatsgründung  und  Mauerbau,  Berlin:  Vistas  2002.  Petra  Galle:  RIAS  Berlin  und  Berliner  Rundfunk 
1945-1949.  Die  Entwicklung  ihrer  Profile  in  Programm,  Personal  und  Organisation  vor  dem  Hintergrund 
des  beginnenden  Kalten  Krieges  (=  Medien  und  Kultur;  1),  Münster:  LIT  2003.  Klaus  Arnold:  Kalter 
Krieg  im  Äther.  Der  Deutschlandsender  und  die  Westpropaganda  der  DDR  (=  Kommunikationsgeschich- 
te; 16),  Münster:  LIT  2002. 

Zum  RIAS : Roland  Müllerburg:  Für  Berlin  und  Deutschland.  Der  RIAS  - Rundfunk  im  amerikani- 
schen Sektor,  in:  Hans-Bredow-Institut  (Hg.):  Rundfunk  und  Fernsehen  1948-1989.  Ausgewählte  Beiträ- 
ge der  Medien-  und  Kommunikationswissenschaft  aus  40  Jahrgängen  der  Zeitschrift  Rundfunk  und  Fern- 
sehen, Baden-Baden:  Nomos  1990,  S.  44-49.  [...]  Manfred  Rexin  (Hg.):  Radio-Reminiszenzen.  Berlin: 
Vistas  2002. 

Zum  Sender  Freies  Berlin : Dierk  Ludwig  Schaaf:  Politik  und  Proporz.  Rundfunkpolitik  in  Nord-  und 
Westdeutschland  1945-1955  (=  Dissertation;  Universität  Hamburg),  Hamburg  1971.  Erik  Heinrich:  Vom 
NWDR  Berlin  zum  SFB.  Rundfunkpolitik  in  Berlin  1946-1954  (=  Dissertation;  FU  Berlin),  Berlin  1985. 

Zu  DT  64:  Andreas  Ulrich/  Jörg  Wagner  (Hg.):  DT  64  - Das  Buch  zum  Jugendradio  1964-1993, 
Leipzig:  Thom  1993.  Andreas  Bauhaus:  Jugendpresse,  -hörfunk  und  -fernsehen  in  der  DDR.  Ein  Spagat 
zwischen  FDJ-Interessen  und  Rezipientenbedürfnissen  (=  Dissertation;  Universität  Münster),  Münster: 
LIT  1994,  S.  133-161.  Christian  Könne:  Hörfunk  im  Kalten  Krieg.  Berliner  Radioprogramme  in  der 
Systemkonkurrenz,  in:  Michael  Lemke  (Hg.):  Schaufenster  der  Systemkonkurrenz.  Die  Region  Berlin- 
Brandenburg  im  Kalten  Krieg,  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2006,  S.  363-387,  S.  373.  Edward  Larkey: 
Rotes  Rockradio.  Populäre  Musik  und  die  Kommerzialisierung  des  DDR-Rundfunks  (=  Medien  und  Kul- 
tur; 2),  Berlin:  LIT  2007. 


24 


Jugendstudio  DT  64  hatte  seit  dem  29.  Juni  1964  gegenüber  s-f-beat  (Ent- 
sendung: 6.  März  1967)  und  RIAS -Treffpunkt  (Erstsendung:  1.  Oktober  1968) 
einen  mehrjährigen  Vorlaufund  war  als  »Marke«  eingeführt.  Allerdings  war  die 
Etablierung  von  DT  64  auf  unterschiedliche  Weise  gebrochen.  Das  lag  an  ver- 
schiedenen Auslegungen  der  SED-Jugend-  und  Kulturpolitik,  die  in  den  ZK- 
Abteilungen  Kultur,  Agitation  und  Jugend  sowie  innerhalb  des  Staatlichen 
Rundfunkkomitees  (SRK)  bestanden. 

Gemeinsam  ist  den  drei  Rundfunkanstalten  (SFB,  RIAS  und  Berliner  Rund- 
funk), dass  in  allen  Fällen  die  Intendanzen  darauf  setzten,  die  Veränderung  ihrer 
Programmgestaltung  und  die  damit  verbundenen  klanglichen  Verschiebungen 
so  lange  wie  möglich  hinauszuzögern.  Jugendhörfunksendungen  wurden  in  das 
gesamte  klangliche  Erscheinungsbild  der  Rundfunkanstalten  schrittweise  ein- 
gefügt, allerdings  dann  im  Gesamtprogramm  stets  von  anderen  Sendungen  ein- 
gehegt und  umschlossen.  Dieser  Begrenzung  machte  aber  letztlich  diese  Neue- 
rung im  medialen  Angebot  der  Sender  erst  möglich.  Die  Beweglichkeit  der  jun- 
gen Hörer,  die  den  transnationalen  Charakter  der  neu  entstehenden  Popkultur 
eher  verstanden  und  anwendeten  und  somit  deutlich  weiter  waren  als  die  Rund- 
funkanstalten, trieben  diese  mit  ihren  Erwartungen  gleichsam  vor  sich  her. 

Davon  war  nicht  nur  der  staatssozialistische  DDR-Rundfunk  betroffen, 
sondern  auch  beide  Westberliner  Konkurrenten.  Vielmehr  war  es  der  sozialisti- 
sche Berliner  Rundfunk,  der  mit  Jugendfunk  Berlin  - dem  Vorgänger  von  Jugend- 
studio DT  64  - bereits  Anfang  der  1960er  Jahre  ein  Jugendhörfunkprogramm 
anbot,  lange  bevor  die  Westberliner  Konkurrenten  entsprechende  Formate  ins 
Programm  nahmen.  Die  stilistischen  Vorlagen,  wie  sich  Jugendradio  in  der 
Berliner  Rundfunklandschaft  entwickeln  sollte,  gingen  also  keineswegs  von  SFB 
und  RIAS  aus,  sondern  wurden  jenseits  der  Mauer,  in  Ostberlin,  entwickelt. 
Der  Ostberliner  Jugendfunk  orientierte  sich  an  den  Diskjockeys  von  American 
Forces  Network  und  Radio  Luxemburg.  Auf  das  im  sozialistischen  Rundfunk 
hybridisierte  Format  bezogen  sich  SFB  und  RL4S  in  der  Folgezeit15,  entwickel- 


15  Allerdings  gerieten  auch  die  Konstellationen  anderer  europäischer  Mediensysteme  durch  die  Ein- 
führung  jugendspezifischer  dritter  Programme  in  Bewegung,  zum  Beispiel  der  österreichische  Staatsrund- 
funk ORF  ( Ö 3,  1967),  Radio  Hilversum  (. Hilversum  5,  1965)  und  BBC  {Radio  1,  1967). 


25 


ten  es  weiter  und  waren  damit  schließlich  stilprägend  für  die  gesamte  Rund- 
funklandschaft der  Bundesrepublik.16 

1 . 2 Was  sind  Medienlandschaften  ? 

Die  Nachrichten-  und  Bildproduktionen  zweier  konfrontativ  ausgerichte- 
ter Mediensysteme  standen  sich  in  Berlin  seit  dem  Kriegsende  gegenüber. 
Arjun  Appadurai  beschreibt  im  post-kolonialen  Kontext  diesen  Zustand  als 
Überlagerungen  von  Mediascapes17 , die  sich  an  verschiedenen  Bedeutungen  von 
Ereignissen  und  deren  Zeichenhaftigkeit  festmachen.  Die  Anbieter  versuchen 
die  von  ihnen  verbreiteten  Bilder,  Klänge  und  sprachlichen  Informationen,  vor 
einer  Umgestaltung  durch  die  Imaginierungen  und  Ritualisierungen  seitens  der 
Konsumenten  zu  schützen.18  Diese  Medienprodukte  umzuformen  bedeutet  für 
die  Nutzer  handlungsfähig  zu  werden  und  die  selbst  erlernten  medialen  Kom- 
petenzen einzusetzen.  An  den  Differenzen  zwischen  den  Intentionen  und  den 
Rezeptionen  werden  Bruchlinien  zu  den  die  Herrschaftsverhältnisse  abbilden- 
den elektronischen  Medien  sichtbar. 

Der  Begriff  Landschaft  wird  in  dieser  Untersuchung  als  eine  Anordnung 
gesellschaftlich  erzeugter  Räume  betrachtet,  die  sich  nicht  nach  bestimmten 
Richtungen  verschließen  lassen  und  immer  wieder  neu  besetzt  werden  können. 
Die  Beherrschung,  die  Produktion  und  die  Benutzung  dieser  Landschaft  wer- 
den in  vielfältigen  Herrschaftsbeziehungen  hergestellt.19  Darin  sind  auch 


1fi  Stefan  Kursawe:  Vom  Leitmedium  zum  Begleitmedium.  Die  Radioprogramme  des  Hessischen 
Rundfunk  1960-1980  (=  Medien  in  Geschichte  und  Gegenwart;  21),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2004. 
Siehe  auch:  Wolfgang  Gushurst:  Popmusik  im  Radio.  Musik-Programmgestaltung  und  Analysen  des 
Tagesprogramms  der  deutschen  Servicewellen  1975-1995,  Baden-Baden:  Nomos  2000. 17  Arjun  Appadu- 
rai: Global  Flows.  Disjuncture  and  Difference  in  the  Global  Cultural  Economy,  in:  Ders.:  Modernity  at 
Large.  Cultural  Dimensions  of  Globalization,  Minneapolis/  London:  University  of  Minnesota  Press  1996/ 
2000,  S.  27-47,  S.  33.  Fünf  Dimensionen  kultureller  Fließrichtungen  unterschied  Appadurai:  »ethnosca- 
pes,  mediascapes,  technoscapes,  finanscapes,  and  ideoscapes.« 

18  Appadurai:  Here  and  Now  (Chapter  1)  in:  Modernity  at  Large,  2000,  S.  1-23,  S.  7. 

19  Fredric  Jameson:  The  Geopolitical  Aesthetic.  Cinema  and  Space  in  the  World  System,  Blooming- 
ton/ Indianapolis:  Indiana  University  Press  1992,  ix-xvi,  xiv. 

Zum  Konzept  »cognitive  mapping«  siehe:  Kevin  Lynch:  Das  Bild  der  Stadt,  Basel/  Boston/  Berlin: 
Birkhäuser  2001,  S.  18.  [Wiederveröffentlichung  von  1965]. 

Zur  Herstellung  von  Raum,  dessen  Symbolen  und  Unterscheidbarkeiten:  Henri  Lefebvre:  Writings 


2 6 


Handlungsweisen  enthalten,  die  die  Relationen  zum  Medium,  den  audiovisuel- 
len Erzeugnissen  und  darin  eingefassten  Deutungsangeboten  in  Frage  stellen. 
Der  hier  eingeführte  Begriff  Rundfunklandschaft  enthält  eine  institutionelle 
und  herrschaftsbezogene  Prägung.  In  einer  solchen  Rundfunklandschaft  bilden 
sich  aber  auch  die  Überlagerungen  privater  und  öffentlicher  Verwendungen 
von  Medienprodukten  ab.  Daraus  entsteht  eine  »kulturelle  Topographie«  des 
alltäglichen  Hörfunkkonsums  und  der  erzieherischen  Einflussnahme.20 

Der  Bildungsauftrag,  der  dem  Rundfunk  als  Kommunikationsmittel  zuge- 
schrieben wurde,  war  den  Programmmachern  so  in  Fleisch  und  Blut  überge- 
gangen, dass  er  lange  Zeit  wichtiger  war  als  tatsächlich  zu  wissen,  welche  Hörer 
welche  Sendungen  aus  welchen  Gründen  einschalteten.21 

Wenn  westdeutsche  Rundfunkprogramme,  wie  es  Alexander  Badenoch 
zeigt,  seit  den  späten  1940er  Jahren  versuchten,  den  sozialen  Raum  Heimat  für 
unterschiedliche  Hörerzielgruppen  wiederherzustellen22,  dann  ist  die  Beset- 
zung anderer  symbolischer  Gegenstände  wie  »Antifaschismus«23,  »deutsch- 
sowjetische  Freundschaft«  oder  die  »neue  gesellschaftliche  Mobilität«  eine 
Verfahrensweise  der  DDR-Medien,  Vorstellungen  von  sozialistischer  Heimat 
zu  entwerfen.  Hörfunkredakteure,  die  jugendliche  und  heranwachsende  Kon- 


on  Cities  (hrsg.  v.  Elonore  Korfman/  Elizabeth  Lebas),  Maiden/  Oxford:  Blackwell  1996,  S.  109.  Stuart 
Eiden:  Understanding  Henri  Lefebvre.  Theory  and  the  Possible,  London/  New  York:  Continuum  2004. 

20  Vittoria  Borsö/  Reinhold  Görling:  Einleitung,  in:  Dies.  (Hg.):  Kulturelle  Topographien,  Stutt- 
gart/ Weimar:  Metzler  2004,  S.  7-10,  S.  8. 

21  Roger  Silverstone/  Eric  Hirsch:  Information  and  Communication  Technologies  and  the  Moral 
Economy  of  the  Household,  in:  Dies.  (Hg.):  Consuming  Technologies.  Media  and  Information  in  Dome- 
stic Spaces,  London:  Routledge  1992,  S.  15-31.  Frank  Bösch:  Am  Ende  einer  Illusion.  Mediale  Kontroll- 
verluste  in  der  frühen  Bundesrepublik  und  DDR,  in:  Lorenz  Engell/  Bernhard  Siegert/  Joseph  Vogl  (Hg.): 
1950  (=  Archiv  für  Mediengeschichte;  4),  Weimar:  Universitätsverlag  2004,  S.  195-205.  Meyen,  Michael 
(1999):  »Geistige  Grenzgänger«.  Medien  und  die  deutsche  Teilung.  Ein  Beitrag  zur  Kommunikationsge- 
schichte der  ersten  beiden  Nachkriegsjahrzehnte,  in:  Jahrbuch  für  Kommunikationsgeschichte,  1.  Jg.,  S. 
192-231.  Ders.  : Das  unwichtige  Medium.  Radiohören  in  der  DDR,  in:  Klaus  Arnold/  Christoph  Classen 
(Hg.):  Zwischen  Pop  und  Propaganda.  Radio  in  der  DDR,  Berlin:  Ch.  Links  2004,  S.  341-354.  Martin 
Werle:  Fragmentierung  des  Publikums  im  Rundfunk,  in:  Navigationen.  Zeitschrift  für  Medien  und  Kul- 
turwissenschaften (hrsg.  v.  Jens  Schröter/  Georg  Schwering),  5.  Jg.  (2005)  H.  1-2,  S.  111-123. 

22  Monika  Boll:  Nachtprogramm.  Intellektuelle  Gründungsdebatten  in  der  frühen  Bundesrepublik, 
Münster:  LIT  2004. 

23  Christoph  Classen:  Faschismus  und  Antifaschismus.  Die  nationalsozialistische  Vergangenheit  im 
ostdeutschen  Hörfunk  (1945-1953)  (=  Zeithistorische  Studien;  27),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2004. 


27 


sumenten  erreichen  und  von  anderen  ebenfalls  zur  Verfügung  stehenden  Ange- 
boten abhalten  wollten,  standen  immer  wieder  vor  Entscheidungen,  wie  das 
gesellschaftliche  Erziehungsideal  und  die  bereits  ausdifferenzierten  Nutzungen 
in  einem  Angebot  zu  vereinen  waren.  Das  berührte  in  hohem  Maße  die  musika- 
lische Gestaltung  solcher  Programme.  Musik,  die  im  Radio  lief  bzw.  nicht  zur 
Aufführung  gelangte,  durchlief  verschiedene  Auswahlverfahren,  um  in  die 
klangliche  Erscheinung  des  Gesamtprogramms  eingefügt  zu  werden. 

Glaubwürdigkeit  erlangt  ein  Programmangebot  dann,  betont  Paddy  Scan- 
neil, wenn  es  sich  als  fähig  erweist,  in  der  medialen  Präsentation  auf  die  zeitli- 
chen und  räumlichen  Bedingungen  des  Elörens  und  Sehens  sowie  auf  die 
Aneignungsorte  und  -gelegenheiten  der  Konsumenten  einzugehen.  Die  Nutzer 
würden  über  die  ritualisierten  Wiederholungen  eine  dauerhafte  Kommunikati- 
onsbeziehung festigen,  so  Scannell.24  Dadurch  würden  andere,  ebenfalls  zur 
Verfügung  stehende  Wahlentscheidungen  weitgehend  ausgeschlossen  werden. 

Jugendstudio  DT  64,  RIAS -Treffpunkt,  s-f-beat  und  das  sonntägliche  SFB- 
Jugendmagazin  wir  - um  zwanzig  verdeutlichten  auf  unterschiedliche  Weise, 
welche  Freiheiten  politische  Systeme  einräumten  und  welche  sie  verwehrten. 
Anziehungskraft  und  Bekanntheit  zeigten  an,  inwieweit  diese  Zusammenfüh- 
rungen tatsächlich,  und  auf  welchen  Zeitraum  begrenzt,  auch  gelangen.  Die 
Rundfunkanstalten  sahen  sich  dabei  der  Elerausforderung  gegenüber,  ein  attrak- 
tives Programm  für  jugendliche  Elörer  anzubieten,  ohne  die  ältere  Stamm- 
hörerschaft zu  verprellen. 

1.3  Rundfunklandschaften.  Abgrenzungen,  Verfechtungen  und  Beweglichkeiten 
in  Berlin 

Eine  Rundfunkanstalt  organisierte  wie  Medieninhalte  hergestellt  und  verbreitet 
wurden.  Sie  förderte  und  beschnitt  die  Kreativität  derer,  die  Programme  jour- 
nalistisch aufbereiteten.  Die  Beharrungskräfte  einer  solchen  institutionalisier- 
ten Bürokratie  und  die  Schnelligkeit  und  Deutungsmacht  des  Mediums  handel- 


24  Paddy  Scanneil:  For-anyone-as-someone  structures,  in:  Media,  Culture  & Society,  22.  Jg.  (2000) 
H.  1,  S.  5-24,  S.  22. 


ten  aus,  welche  neuen  Kulturmaterialien  eingeführt  wurden  und  auf  welche 
Weise  frühere  Bezüge  neu  zu  formulieren  waren.  Darüber  regulierte  die  Insti- 
tution, wie  beweglich  sie  in  verschiedenen  Segmenten  des  Medienangebotes 
war,  wie  stark  Verflechtungen  mit  anderen  nationalen  und  internationalen  Pro- 
duzenten ausgeprägt  und  wie  klar  Abgrenzungen  gezogen  waren.  Die  verschie- 
denen Aushandlungen  dieser  Schwerpunkte  erzeugten  unterschiedliche  Erzäh- 
lungen der  Sender.  Sie  überlappten  sich,  weil  die  wechselseitige  Empfangbar- 
keit  und  Verfügbarkeit  einen  kulturellen  Raum  Berlin  fortschrieb,  diesen  aller- 
dings mit  unterschiedlichen  Deutungen  erweiterte. 

Rundfunk  versendete  in  Programmen  eingefügte  sprachliche  und  klangli- 
che Aussagen,  die  »zum  unmittelbaren  Empfang  durch  die  Allgemeinheit«25 
bereitgestellt  und  von  einer  unbegrenzten  Zahl  von  Konsumenten  durch  Röh- 
ren-, Transistor-  oder  Autoradios  abgerufen  wurden.  Rundfunk  war  also  »die 
für  die  Allgemeinheit  bestimmte  Veranstaltung  und  Verbreitung  von  Darbie- 
tungen aller  Art  in  Wort,  in  Ton  und  in  Bild«26,  die  durch  elektrische  Schwin- 
gungen übertragen  werden. 

Rundfunkanstalten  stimmten  die  versendeten  Medieninhalte  mit  den  insti- 
tutioneil produzierten  Kommunikations-  und  Redeweisen  ab.  Sie  waren  von 
bestehenden  politischen  und  kulturellen  Grenzziehungen  geprägt,  die  sich 
ebenso  auf  die  gesellschaftlichen  Aushandlungen  über  die  Einführung  neuer 
kultureller  Zeichen  und  Formen  auswirkten.  Es  ging  dabei  darum,  auf  welche 
Weise  Verschließungen  vor  äußeren  Einflüssen  in  einer  Anordnung,  einer 
Landschaft  der  Verflechtungen  und  Dynamisierungen,  dennoch  erzeugt  werden. 
Die  Jugendhörfunkprogramme  der  West-  und  Ostberliner  Rundfunkanstalten 
bildeten  in  dieser  Perspektive  die  institutionellen  und  gestalterischen  Übergän- 
ge von  Abgrenzungen,  Verflechtungen  und  Beweglichkeiten  in  verdichteter 
Form  ab.  Sie  veranschaulichten  diesen  Zusammenhang  an  Konfliktlagen,  die 
mit  fortschreitender  Zeit  weniger  mit  der  Konfrontation  des  Kalten  Krieges 


25  Günter  Herrmann:  Fernsehen  und  Hörfunk  in  der  Verfassung  der  Bundesrepublik  Deutschland, 
Tübingen:  J.C.B.  Mohr  1975,  S.  23. 

Gerhard  Leibholz:  Rechtsgutachten  zur  verfassungsrechtlichen  Problematik  der  Ausübung  der 
Rechtsaufsicht  gegenüber  Rundfunk-  und  Fernsehanstalten  im  Bereich  der  Programmgestaltung  (=  hrsg. 
v.  Informations-  und  Presseabteilung  ZDF,  Schriftenreihe  des  ZDF;  11),  Mainz  1973,  S.  24. 


29 


und  mehr  mit  der  Wahrnehmung  und  Ausblendung  struktureller  Defizite  in 
den  Formen  der  Berichterstattung  sowie  mit  der  Erzeugung  von  Anziehungs- 
kräften im  politisierten  Alltag  zu  tun  hatten. 

Das  öffentlich-rechtlich  organisierte  Mediensystem  in  der  Bundesrepublik 
zeichnete  sich  durch  verschiedene  Aufsichtskonstellationen  aus,  die  als  Filter 
die  Voraussetzungen  für  Programmfreiheit  und  politische  Willensbildung 
schufen.  Dem  Anspruch  nach  waren  diese  Institutionen  staatsfern  und  partei- 
politisch neutral  organisiert.  Die  Intendanten  verantworteten  die  Programme 
der  von  ihnen  geleiteten  Anstalten  gegenüber  verschiedenen  politischen  und 
kulturellen  Interessenlagen.  Diesen  Zusammenhang  beschreiben  Stefan  Rech- 
lin,  Ralf  Fritze  und  Sabine  Friedrich  für  den  Südwestfunk  (SWF)  institutionen- 
geschichtlich.27 Rundfunkräte  und  Programmausschüsse  waren  dabei  eine  vor- 
geschaltete, anstaltsinterne  Öffentlichkeit,  in  der  allgemeine  Befindlichkeiten 
gegenüber  Berichterstattungen  und  Programmgestaltungen  auftraten  und  ver- 
handelt wurden.  Auch  wenn  die  von  den  gesellschaftlichen  Gruppen  entsandten 
Gremienmitglieder  die  haushälterischen  und  gestalterischen  Aufsichtsfunktio- 
nen nur  unzureichend  erfüllten,  so  argumentiert  Konrad  Dussel,  begriffen  sie 
sich  als  Mandatsträger  der  Allgemeinheit.28  Sie  waren  auch  in  der  Lage,  bei 
bestimmten  Sendungen  auf  ästhetische,  moralische  und  politische  Bedenken 
hinzuweisen.  Die  Gremienmitglieder  verstärkten  dadurch  bei  Programmdirek- 
toren und  Intendanten  bestehende  Eindrücke,  dass  bestimmte  Redaktionen  nur 
ausgewählte  Positionen  in  ihren  Beiträgen  und  Programmen  darstellten,  also 
durchaus  als  tendenziös  und  unausgewogen  gelten  konnten.  Damit  waren  nach- 
holende Einspruchsmöglichkeiten  der  Rundfunkräte  verbunden,  die  die  vorlie- 
gende Untersuchung  am  Beispiel  des  SFB  aufzeigt.  Das  in  der  Westberliner 


27  Stephan  Rechlin:  Rundfunk  und  Machtwechsel.  Der  Südwestfunk  in  den  Jahren  1965-1977.  Eine 
Institutionengeschichte  in  rundfunkpolitischen  Fallbeispielen  (=  Südwestfunk  Schriftenreihe  Rundfunk- 
geschichte; 8),  Baden-Baden:  Nomos  1999.  Ralf  Fritze:  Der  Südwestfunk  in  der  Ära  Adenauer.  Die  Ent- 
wicklung der  Rundfunkanstalt  von  1949  bis  1965  unter  politischem  Aspekt  (=  Südwestfunk  Schriftenreihe 
Rundfunkgeschichte;  2),  Baden-Baden:  Nomos  1992.  Sabine  Friedrich:  Rundfunk  und  Besatzungsmacht. 
Organisation,  Programm  und  Hörer  des  Südwestfunks  1945-1949  (=  Südwestfunk  Schriftenreihe  Rund- 
funkgeschichte; 1),  Baden-Baden:  Nomos  1991. 

28  Konrad  Dussel:  Die  Interessen  der  Allgemeinheit  vertreten.  Die  Tätigkeit  der  Rundfunk-  und 
Verwaltungsräte  von  Südwestfunk  und  Süddeutschem  Rundfunk  1949  bis  1969  (=  Südwestfunk  Schriften- 
reihe Rundfunkgeschichte;  5),  Baden-Baden:  Nomos  1995. 


3° 


Rundfunkanstalt  bestehende  Wechselspiel  aus  Aufsichtspflichten  und  Bemü- 
hungen um  politische  und  ästhetische  »Ausgewogenheit«  hatte  eigene  Mecha- 
nismen hervorgebracht,  die  sich  auf  die  Einhegungen  und  Verzögerungen  bei 
der  Einarbeitung  von  programmlichen  Neuerungen  auswirkten.  Dieses  Verfah- 
ren wird  an  den  Jugendsendungen  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  dargestellt. 

Christina  von  Eiodenberg  betont  in  ihrer  Betrachtung  der  westdeutschen 
Medienöffentlichkeit,  insbesondere  der  Politikmagazine  im  HRD-Fernsehen, 
dass  sich  beim  Übergang  in  die  1960er  Jahre  eine  kommunikative  Integration, 
die  zuvor  durch  Antikommunismus  und  nationale  Geschlossenheit  hergestellt 
worden  war,  in  den  Rundfunkanstalten  zusehends  auflöste.  Auf  eine  »Orientie- 
rungsphase« sei  eine  produktive  Phase  des  Aufbruchs  gefolgt.  Diese  habe  sich, 
so  von  Hodenberg,  seit  Mitte  des  1960er  Jahre  als  eine  Integration  über  Kon- 
flikt und  Streit  innerhalb  einer  medialen  und  bürgerlichen  Öffentlichkeit  abge- 
zeichnet.29 Hodenberg  übersieht  allerdings,  dass  kritischer  und  investigativer 
Journalismus,  wie  ihn  die  politischen  Fernsehmagazine  ab  Mitte  der  1960er 
Jahre  vertraten,  noch  lange  nicht  auf  die  Zustimmung  der  Rundfunkräte  und 
Programmausschüsse  zählen  konnte  und  sich  diese  Präsentationsformen  nur  in 
bestimmten  Teilen  eines  Rundfunk-  und  Fernsehprogramms  tatsächlich  durch- 
setzten. Die  SFB-Hörfunksendungen  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  wiesen  An- 
sätze für  eine  solche  konfliktorientierte  Integration  auf.  Sie  beschritten  diesen 
Weg  gegen  die  Beschränkungen  und  Reglementierungen  innerhalb  der  Rund- 
funkanstalt und  gegen  Vorwürfe,  es  gäbe  »linke«  und  »radikale«  Tendenzen  in 
der  Jugendredaktion. 

»Modernisierung«  und  »Liberalisierung«  - wie  sie  Ulrich  Herbert  für  die 
Beschreibung  der  Nachkriegsjahrzehnte  definiert  hat  - waren  das  Ergebnis 
politischer  und  kultureller  Auseinandersetzungen  und  somit  das  Produkt  bear- 
beiteter gesellschaftlicher  Erfahrungen.20  Auseinandersetzungen  um  Moderni- 
sierung und  Liberalisierung  in  diesem  Sinne  fanden  auch  in  den  Gremien  der 


29  Christina  von  Hodenberg:  Konsens  und  Krise.  Eine  Geschichte  der  westdeutschen  Medienöffent- 
lichkeit  1945-1973,  Göttingen:  Wallstein  2006,  S.  459. 

30  Ulrich  Herbert:  Liberalisierung  als  Lernprozess.  Die  Bundesrepublik  in  der  deutschen  Geschich- 
te - eine  Skizze,  in:  Ders.  (Hg.):  Wandlungsprozesse  in  Westdeutschland.  Belastung,  Integration,  Libera- 
lisierung 1945-1980  (=  Moderne  Zeit,  Neue  Forschungen  zur  Gesellschafts-  und  Kulturgeschichte  des  19. 
und  20.  Jahrhunderts;  1),  Göttingen:  Wallstein  2002,  S.  7-49,  S.  9. 


31 


Rundfunkanstalten  und  bei  der  Herstellung  von  Medieninhalten  in  der  Bundes- 
republik statt.  Autoritäre,  antikommunistische  und  konservative  sozialmorali- 
sche Dispositionen  blieben  dort  weiterhin  feststellbar  und  büßten  gerade  beim 
Sender  Freies  Berlin  nur  schleppend  an  Reichweite  ein.  Demonstrierende  Stu- 
denten und  lärmende  Beatfans  mit  langen  Haaren  forderten  die  »Abwehrfähig- 
keiten« des  freiheitlich-demokratischen  Westberlin  heraus. 

Ähnliche  Erscheinungen  von  Freizügigkeit  in  der  DDR  der  1960er  Jahre 
forderten  auch  die  Abwehraufgaben  sozialistischer  Erziehungs-  und  Kulturpo- 
litik heraus.  Die  im  Staatlichen  Rundfunkkomitee  (SRK)  der  DDR  zusammen- 
gefassten Sender  Radio  DDR,  Berliner  Rundfunk,  Deutschlandsender  un d Deutscher 
Fernsehfunk  waren  wichtige  Produzenten  parteioffizieller  und  medial  vermittel- 
ter Deutungen.  Das  SRK  war  zwar  nominell  dem  Ministerrat  der  DDR  unter- 
stellt, wurde  aber  von  der  Abteilung  Agitation  des  Zentralkomitees  der  SED 
und  über  die  Agitationskommission  des  Politbüros  angeleitet.  Gunter  Holzwei- 
ßig hat  an  diesen  Mechanismen  deutlich  gemacht,  wie  die  Staatspartei  die  Mas- 
senmedien beherrschte  und  wie  wichtig  die  »verinnerlichte  Selbstzensur«31  als 
Arbeitsgerät  im  sozialistischen  Rundfunk  war.  Heide  Riedel  betont  demgegen- 
über stärker,  dass  auch  der  angeleitete  Staatsrundfunk  sich  mit  seinen  Medien- 
produkten an  den  Nutzungserwartungen  ausrichtete.3“  Eine  solche  Vorgehens- 
weise zeigt  Monika  Pater  an  den  Unterhaltungsshows  im  DDR-Hörfunk  und  - 
Fernsehen.’3 


31  Gunter  Holzweißig:  Die  schärfste  Waffe  der  Partei.  Eine  Mediengeschichte  der  DDR,  Köln/ 
Weimar/  Wien:  Böhlau  2002,  S.  1.  Siehe  ferner:  Gunter  Holzweißig:  Zensur  ohne  Zensor,  Bonn:  Bouvier 
1997.  Ders.:  Massenmedien  in  der  DDR,  Berlin:  Holzapfel  1983.  Ders.:  Massenmedien  unter  Parteiauf- 
sicht. Lenkungsmechanismen  vor  der  Wende  in  der  DDR,  in:  Rundfunk  und  Fernsehen,  38.  Jg.  (1990)  H. 
3,  S.  365-376.  Ders.:  Medienlenkung  in  der  SBZ/  DDR.  Zur  Tätigkeit  der  ZK-Abteilung  Agitation  und 
der  Agitationskommission  beim  Politbüro  des  SED,  in:  Publizistik,  39.  Jg.  (1994)  H.  1,  S.  58-72.  Ebenso: 
Ernst  Richert/  Carola  Stern:  Agitation  und  Propaganda.  Das  System  der  publizistischen  Massenführung 
in  der  Sowjetzone,  Berlin:  F.  Vahlen  1958.  Karolus  H.  Heil:  Das  Fernsehen  in  der  Sowjetischen  Besat- 
zungszone Deutschlands  1953-1963,  Bonn/  Berlin:  Bundesministerium  für  Gesamtdeutsche  Fragen  1967. 
Paul  Roth:  Die  kommandierte  öffentliche  Meinung.  Sowjetische  Medienpolitik,  Stuttgart:  Seewald  1982. 

32  Heide  Riedel:  Lieber  Rundfunk.  75  Jahre  Hörergeschichten,  Berlin:  Vistas  1999,  S.  294.  Dies. 
(Hg.):  Mit  uns  zieht  die  neue  Zeit.  40  Jahre  DDR-Medien,  Berlin:  Vistas  1994.  Dies.:  Hörfunk  und  Fern- 
sehen in  der  DDR.  Funktion,  Struktur  und  Programm  des  Rundfunks  in  der  DDR,  Köln:  Literarischer 
Verlag  Braun  1977. 

Monika  Pater:  Rundfunkangebote  zwischen  Humor  und  Erziehung  zum  sozialistischen  Men- 
schen, in:  Inge  Marszolek/  Adelheid  von  Saldern  (Hg.):  Zuhören  und  Gehörtwerden,  1998,  S.  171-258. 


32 


Jugendstudio  DT  64  war  als  Hörfunkprogramm  für  Jugendliche  und  junge 
Erwachsene  ein  Medienprodukt,  das  sozialistische  Erziehung  und  humanisti- 
sche Bildung  mit  populären  Präsentationsformen  verknüpfte.  Bei  diesen 
Gestaltungsweisen  verflüssigten  sich  aber  zusehends  die  Grenzen,  an  denen  die 
Organisation  und  Mobilisierung  von  Meinungen  von  den  sprachlichen  und 
musikalischen  Adaptionen  klar  zu  trennen  waren.  Diese  Konkurrenz  mit  dem 
Westen  um  die  attraktiveren  Programme  und  damit  einhergehend  die  Mobili- 
sierung von  Zuhörern,  war  ein  weiterer  Bezugsrahmen.-’4 

Gerade  in  der  Vorbereitung  des  1 1 . Plenums  des  ZK  der  SED  und  bei  der 
anschließenden  Diskussion  im  Dezember  1965  äußerten  von  verschiedenen 
jugendkulturellen  Erscheinungen  und  »Vorkommnissen«  höchst  alarmierte 
Entscheidungsträger  und  Meinungsführer  der  Partei  ein  Unbehagen  gegen- 
über der  seit  1963  umgesetzten  sozialistischen  Jugend-  und  Kulturpolitik.  Die 
damit  verbundenen  Ängste  und  Befürchtungen  wurden  an  den  DEFA-Filmen 
»Das  Kaninchen  bin  ich«  oder  »Denk  bloß  nicht  ich  heule«,  an  Jugendstudio 
DT  64  und  anderen  Hörfunk-  und  Fernsehprogrammen  des  SRK  abgearbeitet. 
Die  Ablehnung  der  als  »amerikanisch«  bezeichneten  Einflüsse  war  dabei  eine 
Technik  »negativer  Integration«,  die  an  diesen  Differenzen  Vorstellungen  von 
den  Funktionen  und  Aufgaben  des  sozialistischen  Rundfunks  erzeugte.  Die 
Nachwirkung  des  1 1 . Plenums  auf  den  Rundfunk  ist  bei  weitem  nicht  so  stark 
und  dauerhaft,  wie  dies  Günter  Agde  für  die  Produktionen  der  DEFA-Filmstu- 
dios,  Michael  Rauhut  für  die  Reglementierungen  der  Tanzkapellen  und  Peter 
Hoff  für  den  Fernsehfunk  annehmen.3-’  Die  von  Axel  Schildt  skizzierte  Inter- 
pretation, dass  das  »Kahlschlag«-Plenum  die  ihm  zugesprochene  Bedeutung  als 
kulturpolitische  Zäsur  nicht  einlöste,36  kann  durch  die  Untersuchung  der  Aus- 


34  Klaus  Arnold/  Christoph  Classen:  Radio  in  der  DDR.  Einleitung,  in:  Dies.  (Hg.):  Zwischen  Pop 
und  Propaganda.  Radio  in  der  DDR,  Berlin:  Ch.  Links  2004,  S.  13-27,  S.  14. 

35  Günter  Agde  (Hg.):  Kahlschlag.  Das  11.  Plenum  des  ZK  der  SED  1965.  Studien  und  Dokumen- 
te, Berlin:  Aufbau  Verlag  1991.  Darin:  Michael  Rauhut:  DDR-Beatmusik  zwischen  Engagement  und 
Repression,  S.  52-63,  sowie:  Peter  Hoff:  Das  11.  Plenum  und  der  Fernsehfunk,  S.  105-116. 

36  Axel  Schildt:  Zwei  Staaten  - eine  Hörfunk-  und  Fernsehnation.  Überlegungen  zur  Bedeutung  der 
elektronischen  Massenmedien  in  der  Geschichte  der  Kommunikation  zwischen  BRD  und  DDR,  in:  Arnd 
Bauerkämper/  Martin  Sabrow/  Bernd  Stöver  (Hg.):  Doppelte  Zeitgeschichte.  Deutsch-Deutsche  Bezie- 
hungen 1945-1990,  Bonn:  Dietz  1998,  S.  58-71,  S.  65. 


33 


Wirkungen  auf  den  DDR-Rundfunk  bekräftigt  werden.  Unterhalb  der  Ausein- 
andersetzung um  die  wirtschafts-  und  jugendpolitischen  Reformen  konkurrier- 
te die  Kulturabteilung  des  ZK  mit  der  Abteilung  Agitation  um  Zugriffsrechte 
auf  die  Musikpolitik  des  DDR-Rundfunks.  Trotz  des  erfolgreichen  Einbringens 
eigener  Positionen  in  formale  Beschlüsse  gelang  es  der  ZK-Abteilung  Kultur 
nicht,  sich  gegen  die  Agitations-Abteilung  durchzusetzen. 

Inge  Marszolek  und  Adelheid  von  Saldern  weisen  darauf  hin,  dass  massen- 
medial versendete  Aussagen  und  Bilder  Mehrdeutigkeiten  enthalten  und  in 
unterschiedlichen  Nutzungskontexten  verschiedene  Gebrauchswerte  besitzend 7 
Das  kann  auch  für  die  in  Rundfunk  und  Fernsehen  eingesetzte  Musik  gelten. 
Die  akustische  Komponente  des  Kalten  Krieges  ist  bislang  für  die  sozialisti- 
schen Massenmedien  noch  nicht  ausreichend  in  den  Blick  genommen  wor- 
den.38 Für  die  Massenmedien  der  Bundesrepublik  und  für  die  Mediensysteme 
Westeuropas  blieb  dieser  Aspekt  bislang  ebenso  vernachlässigt. 


37  Inge  Marszolek/  Adelheid  von  Saldern  (Hg.):  Radiozeiten.  Herrschaft,  Alltag,  Gesellschaft  (1924- 
1960),  Potsdam:  Verlag  für  Berlin-Brandenburg  1999.  Theo  Mäusli:  Radio.  Nicht  bloss  ein  Apparat,  der 
tönt,  in:  Ders.  (Hg.):  Schallwellen.  Zur  Sozialgeschichte  des  Radios,  Zürich:  Chronos  1996,  S.  55-75. 
Peter  Jelavich:  Berlin  Alexanderplatz.  Radio,  Film,  and  the  Death  of  Weimar  Culture  (=  Weimar  and  now; 
37),  Berkeley:  University  of  California  Press  2006.  Florian  Cebulla:  Rundfunk  und  ländliche  Gesellschaft 
1924-1945  (=  Kritische  Studien  zur  Geschichtswissenschaft;  164),  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht 

2004.  Clas  Dammann:  Stimme  aus  dem  Äther  - Fenster  zur  Welt.  Die  Anfangsjahre  von  Radio  und  Fern- 
sehen in  Deutschland  (=  Dissertation;  Humboldt-Universität  zu  Berlin),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau 

2005.  Siehe  ferner  zu  Frauenbildern  im  deutschen  Rundfunk:  Kate  Lacey:  Feminine  Frequencies.  Gender, 
German  Radio,  and  the  Republic  Sphere,  1923-1945,  Ann  Arbor:  University  of  Michigan  Press  1996. 
Alexander  W.  Badenoch:  Time  Consuming.  Women’s  Radio  and  the  Reconstruction  of  National  Narrati- 
ves in  Western  Germany  1945-1948,  in:  German  History,  25.  Jg.  (2007)  H.  1,  S.  46-71. 

David  G.  Tompkins:  Musik  zur  Schaffung  des  neuen  sozialistischen  Menschen.  Offizielle  Musik- 
politik des  Zentralkomitees  der  SED  in  der  DDR  in  den  50er  Jahren,  in:  Tillmann  Bendikowski/  Sabine 
Gillmann/  Christian  Jansen/  Markus  Leniger/  Dirk  Pöppmann  (Hg.):  Die  Macht  der  Töne.  Musik  als 
Mittel  politischer  Identitätsfindung  im  20.  Jahrhundert,  Münster:  Westfälisches  Dampfboot  2003,  S.  1 05- 
113. 

Zur  E-Musik:  Elizabeth  Janik:  Recomposing  German  Music.  Politics  and  Musical  Tradition  in  Cold 
War  Berlin,  Leiden/  Boston:  Brill  2005.  Ferner:  Toby  Thacker:  Music  after  Hitler,  1945-1955,  Aldershot: 
Ashgate  2007.  Michael  Berg:  Zwischen  Macht  und  Freiheit.  Neue  Musik  in  der  DDR  (=  KlangZeiten: 
Musik,  Politik  und  Gesellschaft;  1),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2004.  Maren  Koester:  Musik-Zeit- 
Geschehen.  Zu  den  Musikverhältnissen  in  der  SBZ/  DDR  1945  bis  1952  (=  Dissertation;  Universität 
Rostock),  Saarbrücken:  Pfau  2002.  Lars  Klingberg:  Politisch  fest  in  unseren  Händen.  Musikalische  und 
musikwissenschaftliche  Gesellschaften  in  der  DDR.  Dokumente  und  Analysen  (=  Dissertation;  Universi- 
tät Rostock),  Kassel:  Bärenreiter  1997.  Für  das  DDR-Fernsehen:  Uwe  Breitenborn:  Mattscheibenblues, 


34 


Mediengeschichte  kann  Zeitgeschichte  über  audiovisuelle  Narrative  und 
deren  Produktionsbedingungen  erzählen.  »Mitlebende«  auch  als  »Mithören- 
de« und  »Mitsehende«  zu  denken,  nennt  Thomas  Lindenberger  als  Aufgabe, 
um  sowohl  gelebte  Erfahrungen  und  Erzählungen  als  auch  deren  auf  Medien- 
formate reduzierte  Darstellungen  sichtbar  zu  machen.39 

Die  alltägliche  Gegenwart  der  Audiovision  hatte  sich  über  Klänge  von 
Schallplatten  und  Radio,  Zeitungs-  und  Illustriertenfotos,  bewegte  (Ton-)Bilder 
in  Spielfilmen  und  im  Fernsehen  in  die  konsumierten  Wirklichkeitsangebote, 
aber  auch  in  die  Medienhandlungen  aktiver  Rezipienten  eingraviert.  Kamera- 
einstellungen und  politische  Kommentierungen  bilden  die  erzieherische  Seite 
von  »Aufklärung«.  Das  flüchtige  Konsumieren  von  Musik  und  Sound  im 
Radio,  das  Mitschneiden  und  die  körperliche  Erfahrung  von  Klang  auf  Live- 
konzerten macht  die  selbst-erziehende  Ebene  aus.  Durch  Vervielfältigung  blieb 
Sound  dauerhaft  verfügbar.  Er  erfüllte  damit  auch  die  Funktion,  ein  »performa- 
tives  Geschehen «40  klanglich  zu  speichern  und  individuelle  Bilderfolgen  damit  zu 
verknüpfen.  Wie  eine  Radiostimme  klingt  und  welchen  Resonanzraum  sie  aus- 
füllt, ist  bislang  zu  Gunsten  des  geschrieben  Textes  eines  Rundfunkkommentars 
in  den  Hintergrund  gerückt.  Das  flüchtige  Wort  und  der  verklungene  Song 
versendeten  sich,  trainierten  aber  die  Kenntnis  über  die  jeweiligen  Bezugnah- 
men und  die  gelegten  Wahrnehmungsspuren.41 


in:  Michael  Rauhut/  Thomas  Kochan  (Hg.):  Bye,  Bye,  Lübben  City.  Bluesfreaks,  Tramps  und  Hippies  in 
der  DDR,  Berlin:  Schwarzkopf  & Schwarzkopf  2004,  S.  413-424.  Uwe  Breitenborn:  Wie  lachte  der  Bär? 
Systematik,  Funktionalität  und  thematische  Segmentierung  von  unterhaltenden  nonfiktionalen  Pro- 
grammformen im  Deutschen  Fernsehfunk  bis  1969  (=  Berliner  Beiträge  zur  Mediengeschichte;  1),  Berlin: 
Weißensee  Verlag  2003. 

39  Thomas  Lindenberger:  Vergangenes  Hören  und  Sehen.  Zeitgeschichte  und  ihre  Herausforde- 
rung durch  die  audiovisuellen  Medien,  in:  Zeithistorische  Forschungen/  Studies  in  Contemporary  Histo- 
ry,  Online-Ausgabe,  1.  Jg.  (2004)  H.  1,  S.  5.  URL:  http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/ 
40208 148/default.aspx  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

40  Knut  Hickethier:  Das  Fernsehen  - als  Modell  für  die  Medientheorie  in  der  digitalen  Gesellschaft, 
in:  Peter  Gendolla/  Peter  Ludes/  Volker  Roloff  (Hg.):  Bildschirm  - Medien  - Theorien,  München:  Wil- 
helm Fink  2002,  S.  119-131,  S.  127. 

41  Bernd  Weisbrod:  Öffentlichkeit  als  politischer  Prozess.  Dimensionen  der  politischen  Medialisie- 
rung  in  der  Geschichte  der  Bundesrepublik,  in:  Ders.  (Hg.):  Die  Politik  der  Öffentlichkeit  - Die  Öffent- 
lichkeit der  Politik.  Politische  Medialisierung  in  der  Geschichte  der  Bundesrepublik  (=  Zeitgeschichtlicher 
Arbeitskreis  Niedersachsens;  21),  Göttingen:  Wallstein  2003,  S.  11-25,  S.  19. 


35 


Der  Jugendfunk  in  Berlin  führte  neue  Darstellungsweisen  der  bisherigen 
Symbolpolitiken  des  Kalten  Krieges  ein  und  löste  dadurch  einen  Medialisie- 
rungsschub  aus.4’  Im  Zuge  dessen  verstärkten  sich  innerhalb  der  Anordnung 
des  Kalten  Krieges  mediale  und  jugendkulturelle  Dynamiken,  die  in  der  Folge 
kaum  mehr  zu  kontrollieren  waren.  Jetzt  gilt  es,  fordern  zumindest  Inge  Mars- 
zolek  und  Adelheid  von  Saldern,  »Medientexte  in  ihrer  Polyvalenz  zu  ent- 
schlüsseln, mehrere  Lesarten  zuzulassen.«43  Dieses  Verfahren  verlange,  »das 
Medium  als  Gerät  und  Produktionsform«  zu  betrachten  sowie  die  medialen 
Angebote  mit  ihren  Rezeptions-  und  Umgangsweisen  zu  verzahnen.  Daran 
werden  generationen-  und  geschlechtsspezifische  Verschiebungen  deutlich.  Die 
diktatorischen  Herrschaftsansprüche  der  SED,  die  Öffentlichkeit  in  ihrem 
Sinne  ideologisch  und  propagandistisch  zu  formen,  fanden  in  der  kaum  ein- 
schränkbaren  Verfügbarkeit  von  Radiowellen  ihre  technische  und  handlungsbe- 
zogene Begrenzung.44 

1.4  Musikpolitik,  Rundfunk  und  Sound.  Herrschaftsverhältnisse  des  Klanges  in  den 
1 960er  Jahren. 

Der  Sound  des  Rundfunks  und  der  Sound  der  Musik  drücken  soziale  Bezie- 
hungen aus,  in  denen  sich  wiederum  Herrschaftsverhältnisse,  aber  auch  die 
Aneignungsweisen  der  Konsumenten  abbilden.  Die  Musikpolitik  des  Staatli- 
chen Rundfunkkomitees  der  DDR  war  im  Bereich  Ernste  Musik  und  Tanzmu- 
sik das  Ergebnis  von  Aushandlungen  zwischen  den  kulturpolitischen  Anforde- 
rungen der  SED  und  den  Vorstellungen  von  Musikredakteuren,  Hörfunkkon- 
sumenten an  die  musikalischen  Entwicklungen  von  Ernster  Musik  im  Sozialis- 


42  Frank  Bösch/  Norbert  Frei:  Die  Ambivalenz  der  Medialisierung.  Eine  Einführung,  in:  Dies. 
(Hg.):  Medialisierung  und  Demokratie  im  20.  Jahrhundert  (=  Beiträge  zur  Geschichte  des  20.  Jahrhun- 
derts; 5),  Göttingen:  Wallstein  2006,  S.  7-24,  S.  10. 

43  Inge  Marszolek/  Adelheid  von  Saldern:  Massenmedien  im  Kontext  von  Herrschaft,  Alltag  und 
Gesellschaft.  Eine  Herausforderung  an  die  Geschichtsschreibung,  in:  Dies.  (Hg.):  Radiozeiten.  Herr- 
schaft, Alltag,  Gesellschaft  (1924-1960),  Potsdam:  Verlag  für  Berlin-Brandenburg  1999,  S.  11-38,  S.  15. 

44  Ebd.,  S.  15. 


36 


mus  heranführen  zu  können.  Es  ging  dabei  auch  darum,  die  ursprünglich  bür- 
gerliche deutsche  Musikkultur  für  breite  Bevölkerungsschichten  zu  öffnen.  Im 
Idealfall  sollte  über  die  geschmackliche  Erziehung  eine  ästhetische  Emanzipati- 
on der  Konsumenten  erreicht  werden.  Im  Bereich  der  Unterhaltungsmusik 
ging  es  um  Popularität  und  Attraktivität,  die  in  erster  Linie  über  bekannte  Ope- 
rettenmelodien und  Schlager  der  1920er  Jahre  und  in  zweiter  Linie  über  inter- 
nationale Swing-  und  Jazzstandards  erzeugt  werden  sollten.  Der  Gegensatz  von 
Hoch-  und  Popularkultur  bildete  sich  auch  im  sozialistischen  Rundfunk  ab, 
allerdings  wurde  dieser  durch  die  verschiedenen  kulturpolitischen  Interessenla- 
gen zusätzlich  politisiert.  Da  die  Hörfunkkonsumenten  der  verschiedenen 
Altersgruppen  immer  alternative  Auswahlmöglichkeiten  bei  den  Westsendern 
hatten,  erzeugte  auch  diese  Seite  einen  Anpassungsdruck.  Die  Gestaltung  von 
Musikprogrammen  im  DDR-Rundfunk  war  das  kompromisshafte  Ergebnis 
hochgradig  verdichteter  Herrschafts-  und  Unterstellungsverhältnisse,  die  sich 
nicht  durchgängig  als  vertikale  Asymmetrien  beschreiben  lassen. 

Wahlentscheidungen  über  die  Gebrauchswerte  von  Musik  besaßen  die 
Konsumenten  in  Westberlin  in  gleichem  Maße.  Und  es  wäre  lediglich  eine  ver- 
kürzte Perspektive,  nur  die  Dynamiken  von  Medienverwendungen  bei  Ostber- 
liner  Hörern  zu  betrachten  und  nur  sie  als  bewegliche  Doppelnutzer  von  Rund- 
funk- und  Fernsehprogrammen  zu  bestimmen.  Das  bedeutet  für  den  Untersu- 
chungszeitraum - auch  wenn  man  diese  Fließrichtung  hin  zum  Ostprogramm 
als  schwächer  ansetzt  - dass  allein  eine  solche  Möglichkeit  die  Westberliner 
Rundfunkanstalten  herausforderte  und  zur  Erzeugung  attraktiver  Musikpro- 
gramme für  die  Mehrheit  der  Berliner  Rundfunkhörer  veranlasste.  Musicalme- 
lodien, Filmmusiken,  Swing  und  Big  Band-Jazz  waren  als  Klänge  beim  RIAS 
schneller  und  beim  SFB  zögerlicher  eingearbeitet  worden.  Anglo-amerikani- 
sche  Popmusik  war  im  Gegensatz  dazu  bis  weit  in  die  1960er  Jahre  eine  Min- 
derheitenmusik. Ein  »ausgewogenes«  Musikprogramm  hieß  auch  in  den  West- 
berliner Rundfunkanstalten  Beat-,  Soul-  und  Rockmusik  einzugrenzen,  diese 
klangliche  Farbe  höchstens  auf  den  als  unwichtig  betrachteten  Sendeplätzen  am 
Rand  des  Wochenprogramms  einzusetzen.  Da  aber  alle  Radiosendungen  von 
Sender  Freies  Berlin , RIAS  und  des  (Ost )-Berliner  Rundfunks  im  Wettbewerb  um 
dieselben  Hörer  standen  und  diese  wiederum  mit  flexiblen  Nutzungsweisen 
agierten,  erzeugten  die  konkurrierenden  Programmanbieter  gegenseitig  Verän- 


37 


derungsdruck,  der  Profilierungen  und  Nachjustierungen  verlangte.4"’  Die 
mediale  Wettbewerbsanordnung  mit  konfrontativer  ideologischer  Ausrichtung 
in  Berlin  wurde  aber  überlagert  von  den  Erwartungen,  die  das  Aufkommen 
einer  transnationalen  Popkultur  mit  sich  brachte,  der  Konkurrenz-  und  Anpas- 
sungsdruck dadurch  auf  beiden  Seiten  verschärft. 

Popmusik  forderte  die  Rundfunkanstalten  heraus,  da  die  in  den  Program- 
men bis  dahin  nur  unzureichend  abgebildeten  jungen  Hörer  diesen  Klang  und 
die  damit  verbundenen  Zeichensätze  erschlossen  und  dadurch  ein  neues  Terri- 
torium kultureller  Materialien  und  Verwendungen  für  sich  besetzten.  Jugendli- 
che Teilkulturen  in  beiden  Hälften  Berlins  waren  demnach  fähig,  den  Musik- 
und  Kleidungsstücken  und  öffentlichen  Räumen,  in  denen  sie  abgespielt  und 
getragen  wurden,  weitere  Bedeutungen  einzuschreiben.  Diese  enthielten  die 
Konsumprodukte  als  solche  nicht  aus  sich  heraus.  Die  Taktiken  der  Abwei- 
chung waren  produktiv  gegen  mehr  oder  minder  starke  repressiv-erzieherische 
Umklammerungen  einsetzbar. 

Die  kontrastierende  Geschichtsschreibung  der  Beziehungen  im  Kalten  Krieg 
hat  die  akustische  Dimension  bislang  vernachlässigt,  obwohl  sie  sich  gerade  als 
Herrschaftstechnik  in  den  Repräsentationen  von  Informationspolitiken,  Trup- 
penaufmärschen und  Jahrestagen  entfaltete.46 

1.5  Akustische  Geschichtsschreibung  - Vom  Geräusch  zur  Soundscape 

Die  akustische  Dimension  von  Rundfunk-  und  Fernsehproduktionen  ist  in 
der  medienhistorischen  Forschung  bisher  nicht  ausreichend  zur  Kenntnis 
genommen  worden.  Ulf  Scharlau  und  Petra  Wittig-Nöthen  nähern  sich  in 


45  Darin  drückte  sich  ein  asymmetrisches  Beziehungsverhältnis  aus.  Siehe  Christoph  Kleßmann: 
Zwei  Staaten,  eine  Nation.  Deutsche  Geschichte  1955-1970  (=  Schriftenreihe  der  Bundeszentrale  für  poli- 
tische Bildung;  265),  Bonn:  Bundeszentrale  für  politische  Bildung  1988.  Ders.:  Die  doppelte  Staatsgrün- 
dung. Deutsche  Geschichte  1945-1955,  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht  1991. 

Die  Bezeichnung  »Verflechtung  in  Abgrenzung«  greift  ebenso.  Siehe:  Arnd  Bauerkämper/  Martin 
Sabrow/  Bernd  Stöver:  Die  doppelte  Zeitgeschichte,  Einleitung,  in:  Dies.  (Hg.):  Doppelte  Zeitgeschichte. 
Deutsch-Deutsche  Beziehungen  1945-1990,  Bonn:  Dietz  1998,  S.  9-16,  S.  15. 

Bernd  Stöver:  Der  Kalte  Krieg  1947-1991.  Geschichte  eines  radikalen  Zeitalters,  München:  Beck 
2007.  Ders.:  Die  Befreiung  vom  Kommunismus.  Amerikanische  Liberation  Policy  im  Kalten  Krieg  1947- 
1991  (=  Zeithistorische  Studien;  22),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2002. 


38 


ihrem  Sammelband  diesem  Thema,  Kathrin  Fahlenbrach  und  Reinhold  Viehoff 
haben  diesen  Punkt  bei  ihrer  Betrachtung  des  Beat-Club  von  Radio  Bremen 
immerhin  am  Rande  gestreift,  während  Detlef  Siegfried  hier  stärker  institutio- 
nengeschichtlich vorgegangen  ist.47  Die  Film  Studies  und  die  Textanalyse  von 
Hörspielproduktionen  haben  sich  ebenfalls  diesem  akustischen  Zugang  geöff- 
net.48 Deshalb  verlangt  Harro  Segeberg  zu  Recht,  Medien  »nicht  länger  von 
ihren  Bildobjekten,  sondern  mindestens  von  ihren  Klangobjekten  her«49  aufzu- 
schlüsseln. Damit  sind  auch  das  Sounddesign  in  Filmen,  die  Klangfarben  von 
Rundfunksendern  und  die  Corporate  Sounds  der  Musikprogramme  als  Tonspu- 
ren zu  entziffern,  die  in  Relation  auf  eine  Produktionsumgebung  und  bestimm- 
te Gemeinschaft  stiftende  Bezüge  standen. 


47  Ulf  Scharlau/  Petra  Witting-Nöthen  (Hg.):  »Wenn  die  Jazzband  spielt«.  Von  Schlager,  Swing  und 
Operette.  Zur  Geschichte  der  Leichten  Musik  im  deutschen  Rundfunk  (=  Veröffentlichungen  des  Deut- 
schen Rundfunkarchivs;  41),  Potsdam:  Verlag  für  Berlin-Brandenburg  2006.  Kathrin  Fahlenbrach/  Rein- 
hold Viehoff:  Die  Dynamisierung  der  visuellen  Ästhetik  des  Fernsehens.  Am  Beispiel  der  medialen  Insze- 
nierung von  Jugendkultur  im  Beat-Club,  in:  Monika  Estermann/  Edgar  Lersch  (Hg.):  Buch,  Buchhandel 
und  Rundfunk.  1968  und  die  Folgen  (=  Mediengeschichtliche  Veröffentlichungen;  3),  Wiesbaden:  Harras- 
sowitz  Verlag  2003,  S.  110-139.  Detlef  Siegfried:  Time  is  on  my  side.  Konsum  und  Politik  in  der  westdeut- 
schen Jugendkultur  der  60er  Jahre  (=  Hamburger  Beiträge  zur  Sozial-  und  Zeitgeschichte;  41),  Göttingen: 
Wallstein  2006,  S.  332-354.  Gerhard  Augustin:  Die  Beat-Jahre.  Musik  in  Deutschland  - Die  Sechziger 
Jahre,  München:  Goldmann  1987.  Werner  Faulstich  (Hg.):  Die  Kultur  der  60er  Jahre.  Kulturgeschichte 
des  20.  Jahrhunderts,  München:  Fink  2003. 

48  Zu  Film:  Ian  Inglis  (Hg.):  Populär  Music  and  Film,  London/  New  York:  Wallflower  2003. 

Zu  Klang/  Technik/  Aufführung:  Lothar  Heinle:  Anthem  & Machine  Guns.  Jimi  Hendrix  und  der 
Krieg,  in:  Annemarie  Firme/  Ramona  Hocker  (Hg.):  Von  Schlachthymnen  und  Protestsongs.  Zur  Kultur- 
geschichte des  Verhältnisses  von  Musik  und  Krieg,  Bielefeld:  transcript  2006,  S.  241-261.  Julia  Kurseil: 
Musik  der  Rede.  Geräuschnotationen  in  der  russischen  Avantgarde,  in:  Anne  Thurmann-Jajes/  Sabine 
Breitsameter/  Winfried  Pauleit  (Hg.):  Sound  Art.  Zwischen  Avantgarde  und  Popkultur,  Köln:  Salon  Ver- 
lag 2006,  S.  51-60. 

Zu  Hörspiel  und  Stimme:  Justus  Fetscher:  Radioaktivität.  Atomgefahr  und  Sendebewußtsein  im 
Rundfunk  der  1950er  Jahre,  in:  Navigationen,  (hrsg.  v.  Nicola  Glaubitz/ Andreas  Käuser:  Medieninnova- 
tionen und  Medienkonzepte  1950/  2000)  Zeitschrift  für  Medien-  und  Kulturwissenschaften,  6.  Jg.  (2006) 
H.  1,  S.  143-157.  Hans-Ulrich  Wagner:  Sounds  like  the  Fifties.  Zur  Klangarchäologie  der  Stimme  im 
westdeutschen  Rundfunk  der  Nachkriegszeit,  in:  Harro  Segeberg/  Frank  Schätzlein  (Hg.):  Sound.  Zur 
Technologie  und  Ästhetik  des  Akustischen  in  den  Medien  (=  Schriftenreihe  der  Gesellschaft  für  Medien- 
wissenschaft (GfM);  12),  Marburg:  Schüren  2005,  S.  266-284.  Daniel  Gethmann:  Technologie  der  Verein- 
zelung. Das  Sprechen  am  Mikrophon  im  frühen  Rundfunk,  in:  Harro  Segeberg/  Frank  Schätzlein  (Hg.): 
Sound,  2005,  S.  249-265. 

49  Harro  Segeberg:  Der  Sound  und  die  Medien.  Oder:  Warum  sich  die  Medienwissenschaft  für  den 
Ton  interessieren  sollte,  in:  Harro  Segeberg/  Frank  Schätzlein  (Hg.):  Sound,  2005,  S.  9-22,  S.  10. 


39 


Sound  ist  die  Gesamtheit  eines  Klanges,  der  als  Schwingung  im  Raum  ist, 
definiert  Edda  Holl.  Es  ist  eine  Klangdimension,  die  erst  durch  die  neuen  aku- 
stischen Speichermedien  wie  Tonband  und  Schallplatte  vermittelbar  wird  und 
sich  semantischen  Festschreibungen  entzieht.50  Um  Klänge  als  Musik  zu  be- 
greifen, muss  zuerst  erlernt  werden,  wie  diese  zu  hören  seien,  schreibt  Holl.  Die 
Bedeutung  und  Aussage  von  Musik  entstehe  in  einem  sozialen  Vorgang,  so 
Simon  Frith,  der  von  den  Hörgelegenheiten  und  -Situationen  aus  zu  fassen  sei. 
Denn:  Die  Konsumenten  von  Musik  und  Lärm  passen  Hörweisen  - modes  of 
listening  - stets  ihren  Umgebungen  an.51 

Sound  umfasst  zudem  die  Produktion,  die  Verbreitung  und  die  Aufführung 
von  Klang  als  eine  unterhaltungsindustrielle  Ware,  die  auf  Tonträgern  als  Spei- 
chermedien kaufbar  ist.  Musik,  die  in  Rundfunk  und  Fernsehen  eingesetzt  wird, 
ist  auf  eine  Nicht-Konservierung  durch  das  gleichzeitige  Versenden  ausgelegt. 
Allerdings  speichert  das  Klangbild  eines  Senders  diese  flüchtigen  Klänge  mit 
wachsender  Häufigkeit  der  Wiederholungen.  Durch  den  Konsum  dieser  Er- 
zeugnisse in  einer  Aneinanderreihung  auditiver  Handlungen  von  Individuen 
und  Gruppen  erhält  die  gespeicherte  akustische  Information  zusätzliche  Inhal- 
te und  Bedeutungen,  die  sich  auf  die  persönlichen  Kontexte  und  Umwelten  der 
Verwendungen  beziehen.52  Unzählige  Sounds,  beschreibt  Mark  Slobin,  live 
erfahrene  oder  von  Tonträgern  abgespielte,  sind  an  Ereignisse  und  emotionale 
Bindungen  geknüpft,  die  dann  Erinnerungen  auslösen.55 

Sound  besitzt  gleichsam  eine  alltagskulturelle  Dimension,  die  auf  verdeckte 
und  hervortretende  Herrschaftsbeziehungen  verweist.  Die  Wiedererzeugung 
von  Klängen  durch  Radiogeräte  oder  Schallplattenspieler,  die  Wiederauffüh- 
rung an  Treffpunkten  im  öffentlichen  Raum,  in  Bandprobekellern  und  auf 


50  Edda  Holl:  Die  Konstellation  Pop.  Theorie  eines  kulturellen  Phänomens  der  60er  Jahre  (=  Me- 
dien  und  Theater;  4),  Hildesheim:  Universität  Hildesheim  1996,  S.  121. 

51  Simon  Frith:  The  Meaning  of  Music,  in:  Ders.:  Performing  Rites.  On  the  Value  of  Populär  Music, 
Oxford:  Oxford  University  Press  1996,  S.  249-268,  S.  250. 

52  Chris  Kennett:  Is  Anybody  Listening,  in:  Allan  F.  Moore  (Hg.):  Analyzing  Populär  Music,  Cam- 
bridge: Cambridge  University  Press  2003,  S.  196-217,  S.  196.  Kennetts  »cultural-acoustic  model«  führt 
die  persönlichen,  situativen  und  intentionalen  Komponenten  des  Hörens  und  Anhörens  von  Musik 
zusammen. 

53  Mark  Slobin:  Subcultural  Sounds.  The  Micromusic  of  the  West,  Hanover/  London:  Wesleyan 
University  Press  1993,  ix. 


4° 


Livekonzerten  sowie  die  ereignisbezogene  körperlich-emotionale  Erfahrung 
von  Klängen  sind  Bausteine  für  individuelle  und  teil-kulturelle  Bearbeitungen 
von  akustischen  Materialien.54  Die  technischen  und  sprachlichen  Aneignungen 
von  Sound  sind  kommunikative  Praktiken,  über  die  selektive  Einfügungen  und 
Ausschließungen  hergesteht  werden.  Auf  diese  Weise  entsteht,  so  drückt  es  Ulf 
Elannerz  aus,  kulturelle  Diversität  und  Widerständigkeit.55 

Sound  ist  eine  akustische  Topograße,  in  der  an  kreativen  Gegenüberstellun- 
gen Differenzen  sichtbar  zu  machen  sind.  Gegenhegemoniale  Akte  der  Über- 
schreibung schaffen  neue  Verständnisse  von  der  Verwendung  ästhetischer 
Materialien.  Diese  Elandlungen  hnden  in  einem  Raum,  einer  Landschaft,  ihren 
Nachhall,  in  dem  sie  auf  vorhandene  Sounds 56  sowie  deren  gesellschaftliche 
Bedingungen  in  Produktion  und  Konsumtion  treffen. 

Mit  dem  Begriff  soundscape  unterscheidet  Murray  R.  Schäfer  die  akustischen 
Erscheinungen  in  ländlichen  und  städtischen  Umwelten.57  Sind  Stimmen, 
Klänge  und  Geräusche  aus  sich  heraus  hörbar,  ordnet  Schäfer  sie  einem  »hi-fi«- 
Bereich  zu.  Weil  Töne  in  urbanen  Räumen  verstärkt  werden  müssen,  um 
bemerkt  zu  werden,  herrscht  dort  eine  »lo-fi«-Anordnung.  Sound  bezeichnet 
bei  Schäfer  somit  einen  Zustand  von  Umwelt,  der  sich  aus  einer  Folge  von 
Momentaufnahmen  ergibt.  Die  Geräuschkulisse  besitzt  eine  technische,  akusti- 
sche und  psychische  Tiefenstruktur,  die  mit  natürlichen,  manuellen,  mechani- 
schen, elektrischen  und  elektronischen  Herstellungsweisen  von  Klängen  und 


54  Fredric  Jameson:  Signatures  of  the  Visible,  New  York  1990,  S.  20.  Kodwo  Eshun:  Heller  als  die 
Sonne.  Abenteuer  in  der  Sonic  Fiction,  Berlin:  ID-Verlag  1999,  S.  343.  Johan  Sundberg:  The  Science  of 
Musical  Sounds,  San  Diego/  New  York/  Boston  et  al.:  Academic  Press  1991.  »Sound  and  sound  sequences 
[...]  also  act  as  small  trucks  loaded  with  associations  that  drive  into  the  listeners’  heads  and  unload  their 
cargo.«  S.  219.  Simon  Frith:  The  Meaning  ofMusic,  1996,  S.  249-268,  S.  249. 

55  Ulf  Hannerz:  Transnational  Connections.  Culture,  people,  places,  London:  Routledge  1996,  S.  60. 

56  Allan  F.  Moore:  Introduction,  in:  Ders.  (Hg.):  Analyzing  Populär  Music,  Cambridge:  Cambridge 
University  Press  2003,  S.  1-15,  S.  8. 

57  Murray  R.  Schäfer:  The  Music  of  the  Environment,  in:  Cultures,  1.  Jg.  (1973)  H.  1,  S.  15-52,  S. 
24.  Ebenso:  Ders.:  The  Tuning  of  the  World,  New  York:  Knopf  1977.  Ders.:  European  sound  diary,  Van- 
couver:  A.R.C.  Publications  1977.  In  Anlehnung  daran:  Helmut  Rösing:  Soundscape  - Urbanität  und 
Musik  (1999),  in:  Ders.  (Hg.):  Das  klingt  so  schön  hässlich.  Gedanken  zum  Bezugssystem  Musik  (=  Arbeits- 
kreis Studium  Populäre  Musik,  texte  zur  populären  musik;  2),  Bielefeld:  transcript  2005,  S.  181-194. 


41 


Geräuschen  verbunden  ist.58  Schäfers  soundscape  fehlt  bislang  die  Dimension 
von  Herrschaftsverhältnissen,  die  sich  an  den  konfliktiven  Aushandlungen  aku- 
stischer Bestandteile  von  lebensweltlichen  Umgebungen  zeigen.  Diese  Ergän- 
zung leistet  die  hier  vorgelegte  Studie. 

Geräuschkulissen  sind  Klanglandschaften,  in  denen  sich  akustische  Mate- 
rialien und  deren  Handhabungen  auf  historische  und  gegenwärtige,  nationale 
und  transnationale  Verortungen  und  Verflechtungen  beziehen.  Sound  als  Un- 
tersuchungsgegenstand der  deutsch-deutschen  und  der  europäischen  Zeitge- 
schichte ermöglicht  es,  besonders  für  die  Zeit  nach  1945  grenzüberschreitende 
Kulturtransfers  als  Kreuzungsverhältnisse  mit  den  alltäglichen  Verwendungen 
kenntlich  zu  machen.  An  den  jeweiligen  Politisierungen  und  Hybridisierungen 
kultureller  Materialien  sind  Aussagen  über  innergesellschaftliche  Beweglichkei- 
ten und  Verhärtungen  in  den  europäischen  Nachkriegsgesellschaften  zu  treffen. 

Schäfers  Ansatz  ist  bei  der  Analyse  literarischer  Beschreibung  akustischer 
Zeichnungen  städtischer  Räume  sowie  als  Aspekt  technischer  und  architektoni- 
scher Modernisierung  und  der  diskursiven  Beherrschung  von  Lärm  von  John 
Picker,  Emily  Thompson,  Adrian  Rifkin  und  Philipp  Schweighauser  verwendet 
worden.59  Offizielle  Musikpolitik  im  Rundfunk  sowie  die  diskursive  Asthetisie- 
rung  von  Lärm  als  Effekt  des  technischen  Fortschritts  bezeichnet  Rossitza 
Guentcheva  als  Instrumente,  die  Kontrolle  von  Klängen  und  Verwendungen  zu 


58  Auf  die  Relevanz  eines  solchen  Zugangs  verweist  der  2006  an  der  Universität  der  Künste  Berlin 
eingerichtete  Studiengang  Sound  Studies  - Akustische  Kommunikation.  URL:  http://www.udk-berlin. 
de/sites/soundstudies/content/index_ger.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Siehe:  Duncan  R.  Luce:  Sound 
& Hearing.  A Conceptual  Introduction,  New  Jersey/  London:  Lawrence  Erlbaum  Ass.  Publishers  1993. 
Robert  G.  Crowder:  Auditory  Memory,  in:  Stephen  McAdams/  Emmanuel  Brigand  (Hg.):  Thinking  in 
Sound.  The  Cognitive  Psychology  of  Human  Audition,  Oxford:  Clarendon  Press  1993,  S.  113-145. 

59  John  M.  Picker:  Victorian  Soundscape,  Oxford/  New  York:  University  Press  2003.  Emily  Thomp- 
son: The  Soundscape  of  Modernity.  Architectural  Acoustics  and  the  Culture  of  Listening  in  America, 
1900-1933,  Cambridge,  Massachusetts/  London:  The  MIT  Press  2002.  Adrian  Rifkin:  Street  Noises. 
Parisian  Pleasures  1900-40,  Manchester/  New  York:  Manchester  University  Press  1993.  Philipp  Schweig- 
hauser: The  Noises  of  American  Literature  1890-1985.  Towards  a History  of  Literary  Acoustics,  Miami/ 
Tampa:  University  of  Florida  Press  2006.  Ferner  zur  Akustik:  Helmut  Lethen:  Geräusche  jenseits  des 
Textarchivs.  Ernst  Jünger  und  die  Umgehung  des  Traumas  in:  Nicola  Gess/  Florian  Schreiner/  Manuela 
K.  Schulz  (Hg.):  Hörstürze.  Akustik  und  Gewalt  im  20.  Jahrhundert,  Würzburg:  Königshausen  & Neu- 
mann 2005,  S.  33-52.  Katja  Stopka:  Semantik  des  Rauschens.  Uber  ein  akustisches  Phänomen  in  der 
deutschsprachigen  Literatur  (=  Forum  Kulturwissenschaften;  2),  München:  Martin  Meidenbauer  2005. 


42 


erlangen  und  zu  benutzen.60  Sie  lehnt  sich  dabei  an  Jacques  Attalis  Überlegun- 
gen an,  der  »jede  Musik,  jede  Anordnung  von  Klängen«  als  Werkzeug  betrach- 
tet, mit  dem  Gemeinschaften  geschaffen  und  gefestigt  werden.61  Er  entwickelt 
diese  Gedanken  in  einer  Betrachtung  des  klassischen  Musikschaffens  der 
UdSSR  und  der  sozialistischen  Staaten.  Anhören,  Zensieren,  Aufnehmen  und 
Überwachen  nennt  Attali  Machtmittel,  deren  Technologien  die  Ordnung, 
Übertragung  und  Beherrschung  des  Lärms  ermöglichen.  Dagegen  zeige  sub- 
versiver Lärm  auf  vorhandene  kulturelle  Autonomien  und  Randständigkeiten. 
Die  Lärmkontrolle,  die  Aussonderung  fremder  Klänge,  die  Ablehnung  des 
Anormalen  würden  wichtige  politische  Aspekte  bilden,  die  kulturelle  Hegemo- 
nien ausdrücken  würden.  Es  seien  zugleich  auch  Strategien  der  Unterdrückung 
die  Herrschaftsverhältnisse  bekräftigen  würden. 

Die  Untersuchung  von  s-f-beat,  RIAS-Treffpunkt  und  Jugendstudio  DT  64 
verdeutlicht,  dass  die  Versuche  der  ästhetischen  Vereinheitlichung  in  einer 
heterogenen  Anordnung  mit  vielfältigen  kulturellen  Einflüssen  und  alternati- 
ven massenmedialen  Angeboten  nur  von  begrenzter  Reichweite  waren.  Aber 
dennoch  werden  Formen  von  Beweglichkeit  im  sozialistischen  Rundfunk  sicht- 
bar, die  wiederum  kulturpolitische  Beharrungen  und  Disziplinierungen  auslö- 
sen,  aber  auch  auf  die  Westberliner  Konkurrenz  ausstrahlten.  Letztlich  ent- 
schieden aber  nicht  Musikpolitiker  über  die  individuellen  Klangbilder,  sondern 
die  Hörfunknutzer  selbst.  Gerade  diese  Selbstbestimmung  schuf  emotionale 
Bindungen  von  gleich  bleibender  Intensität.62  Jazzmusik  und  später  Popmusik 


60  Rossitza  Guentcheva:  Sound  and  Noise  in  Socialist  Bulgaria,  in:  John  R.  Lampe/  Mark  Mazower 
(Hg.):  Ideologies  and  National  Identities.  The  case  of  20th  Century  Southeastern  Europe,  Budapest/  New 
York:  Central  European  University  Press  2004,  S.  211-234. 

61  Jacques  Attali:  Bruits.  Essai  sur  l’economie  politique  de  la  musique,  Paris:  Presses  Universitaires  de 
France  1977,  S.  16. 

Helmut  Rösing:  Die  Funktion  von  Musikim  Rundfunk.  Grundlagen  und  Auswirkungen,  in:  Ders. 
(Hg.):  Das  klingt  so  schön  hässlich,  2005,  S.  59-72,  S.  70.  Michael  Grossbach/  Eckart  Altenmüller:  Musik 
und  Emotion  - zu  Wirkung  und  Wirkort  von  Musik,  in:  Bendikowski  et  al.  (Hg.):  Die  Macht  der  Töne, 
2003,  S.  13-22,  S.  20.  Ferner  zur  Akustik:  Helmut  Lethen:  Geräusche  jenseits  des  Textarchivs.  Ernst  Jün- 
ger und  die  Umgehung  des  Traumas  in:  Nicola  Gess/  Florian  Schreiner/  Manuela  K.  Schulz  (Hg.):  Hör- 
stürze. Akustik  und  Gewalt  im  20.  Jahrhundert,  Würzburg:  Königshausen  & Neumann  2005,  S.  33-52. 
Katja  Stopka:  Semantik  des  Rauschens.  Über  ein  akustisches  Phänomen  in  der  deutschsprachigen  Litera- 
tur (=  Forum  Kulturwissenschaften;  2),  München:  Martin  Meidenbauer  2005. 


43 


verschoben  diese  Anordnungen  sowohl  im  öffentlich-rechtlichen  als  auch  im 
sozialistischen  Rundfunk.  Diese  neuen  musikalischen  Klänge  waren  zunächst 
Lärmquellen,  die  störende  Überlagerungen  zu  den  gewohnten  akustischen 
Gestaltungen  der  Hörfunkprogramme  erzeugten.  Wenn  das  Hören  eine  ab- 
sichtsvolle Handlung  ist,  die  für  Roland  Barthes  den  Zweck  verfolgt,  klangliche 
Information  aufzunehmen,  sich  gerade  darüber  auch  einen  Raum  anzueignen, 
in  dem  man  sich  bewegt,  dann  verletzte  eine  Folge  akustischer  Schwingungen 
die  Hörfähigkeit,  wenn  diese  Töne  und  Geräusche  vorher  als  Nicht-Informati- 
on ausgehandelt  wurden63.  Dem  andächtigen  Zuhören  - ecoute  consciente  - 
und  dem  aufmerksamen  Hören  - ecoute  alerte  - stellt  Barthes  eine  akustische 
Wahrnehmungsweise  gegenüber,  die  er  »ecoute  panique <<64  nennt.  Sie  ist  ge- 
genüber Beeinträchtigungen  der  häuslichen  und  somit  der  individuellen  Klang- 
regime hoch  empfindlich.  Das  Hören  ist  bei  Barthes  ein  physischer  Prozess  und 
eine  soziale  Praxis.  Die  Entzifferung  der  gehörten  Zeichen  folge  bestimmten 
Codes,  also  erlernten  kulturellen  Verfahren  der  Verständigung.  Die  klangliche 
Information  werde  zwischen  den  Menschen  nochmals  besprochen,  um  die 
Bedeutung  herauszulösen  und  bejahend-affirmative  oder  abweichend-subversi- 
ve Formen  der  Verwendung  zu  bezeichnen.  An  diesen  Markierungen  von  Diffe- 
renz, die  in  sprachliche,  hörbare  und  tragbare  Zeichen  eingeschrieben  werden, 
drückten  jugendliche  Konsumenten  Ansprüche  aus,  an  einer  sich  ausbildenden, 
grenzüberschreitenden  (pop-)kulturellen  Sphäre  teilzuhaben.  In  dieser  waren 
die  in  freiheitlich-kapitalistischen  und  sozialistischen  Gesellschaften  vorhande- 
nen Begrenzungen  aufgehoben.  Subversives  Handeln  ist  geprägt  von  Eigen- 
ständigkeit, Eigenwilligkeit  und  dem  Willen,  dem  Erziehungsstaat  das  » Eige- 
ne« abzuringen. 


63  Roland  Barthes:  Ecoute,  in:  Ders.:  CEvre  completes,  Bd.  3,  1974-1980,  Paris:  Editions  du  Seuil 
1995,  S.  727-736,  S.  728. 

64  Ebd.,  S.  735. 


44 


1.6  Eigen-Sinn  und  das  Verfahren  Pop.  Antidisziplinen  und  Amerikanisier ungen 


Der  von  Alf  Lüdtke  geformte  Begriff  Eigen-Sinn  bezeichnet  individuelles 
und  gemeinschaftliches  Handeln  von  »unten«  in  ungleichen  Herrschaftsbezie- 
hungen. Thomas  Lindenberger  erweiterte  ihn:  Haltungen  und  Aktionsformen 
bei  der  dabei  geleisteten  Sinnproduktion  seien  mehrdeutig  und  nicht  explizit 
mit  einem  negativen  Bezug  zur  Herrschaft  versehen.  »Eigen-Sinn  kann  in 
Widerstand  gegen  Vereinnahmungen  und  Aktivierungsversuche  >von  oben<  in 
den  alltäglichen  Beziehungen«65  münden.  Diese  Erscheinung,  so  Lindenber- 
ger, sei  auch  in  der  gezielten  Nutzung  herrschaftskonformer  Handlungsweisen 
zu  erkennen,  die  der  offiziellen  Ideologie  Gegendeutungen  anheften.  Linden- 
berger beschreibt  Herrschaft  als  soziale  Praxis,  als  relationale  wechselseitige 
Abhängigkeit  der  Herrschenden  und  Beherrschten.66  In  diesen  Unterstellungs- 
verhältnissen sind  Machtressourcen  zwar  unterschiedlich  verteilt,  aber  da  die 
Objekte  der  Herrschaft  die  informellen  Regeln  erlernt  haben  und  sie  diese 
jeweils  auf  die  offiziellen  Herrschafts-»Texte«  beziehen,  verbleiben  bei  ihnen 
dennoch  begrenzte  Einflussmöglichkeiten  und  Machtpotenziale.  Disziplinie- 
rungen, Repressionen  und  die  Einforderungen  von  Loyalität  kennzeichnen 
diese  Beziehungen  genauso  wie  staatliche  und  parteiliche  Anstrengungen,  die 
soziale  Fürsorge,  Sicherheit,  Aufstiegs-  und  Bildungschancen  bereithalten. 
Diese  jeweiligen  Begrenzungen  auszuloten,  ist  dabei  eine  Technik  der  Herr- 
schaftsunterworfenen, zeitlich  und  räumlich  geltende  Kompromisse  zu  erzeu- 
gen, auch  wenn  sich  in  diesen  die  ungleiche  Machtverteilung  erneut  zeigt  und 
reproduziert.  Aber  ohne  diese  verinnerlichten  Haltungen,  Selbsttechniken  und 
Zugeständnisse  könnte  es  keine  Herrschaftsbeziehungen  geben.67 

In  einer  Fürsorge-Diktatur68,  wie  Konrad  H.  Jarausch  die  DDR  be- 


65  Thomas  Lindenberger:  Die  Diktatur  der  Grenzen.  Zur  Einleitung,  in:  Ders.  (Hg.):  Herrschaft  und 
Eigen-Sinn  in  der  Diktatur.  Studien  zur  Gesellschaftsgeschichte  der  DDR  (=  Zeithistorische  Studien;  12), 
Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  1999,  S.  13-44,  S.  24. 

66  Ebd.,  S.  22. 

67  Thomas  Lindenberger:  Volkspolizei.  Herrschaftspraxis  und  öffendiche  Ordnung  im  SED-Staat 
1952-1968  (=  Zeithistorische  Studien;  27),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2003,  S.  17. 

68  Konrad  H.  Jarausch:  Dictatorship  as  Experience.  Towards  a Socio-Cultural  History  of  the  GDR, 
New  York:  Berghahn  Books  1999.  Michael  Geyer/  Konrad  H.  Jarausch:  Shattered  Past.  Reconstructing 
German  Histories,  Princeton,  NJ:  Princeton  University  Press  2003. 


45 


schreibt,  ist  die  Jugend-  und  Erziehungspolitik  ein  wichtiges  und  umkämpftes 
Feld,  um  Loyalitäten  zu  erzeugen.  Auch  dann,  wenn  diese  - so  zeigen  es  Moni- 
ka Kaiser,  Peter  Skyba  und  Dorothee  Wierling  - über  Ausschlussmechanismen 
hergestellt  werden.69  In  den  1960er  Jahren  ist  die  Jugendpolitik  der  SED  als 
eine  relativ  bewegliche  Ansammlung  verschiedener  politischer  und  kultureller 
Aushandlungen  zu  beschreiben.  Das  bildete  sich  auch  im  Angebot  der  staatli- 
chen Massenmedien  - besonders  bei  Jugendstudio  DT  64  - ab. 

Ein  Verständnis  von  Herrschaft  als  gesellschaftliches  Produkt  von  Hand- 
lungen, Vorstellungen  und  deren  Durchsetzungen  bezieht  sich  auf  den  Erhalt 
und  die  Sicherung  von  »Ordnung«.  Sie  reklamiert  den  Anspruch,  Lebenswel- 
ten zu  kontrollieren  und  individuelle  Umgangsweisen  mit  dem  öffentlichen 
Raum  zu  unterbinden.  Michel  de  Certeau  erkennt  einen  Widerspruch  »zwi- 
schen dem  Modus  einer  kollektiven  Verwaltung  und  dem  individuellen  Modus 
einer  Wiederaneignung«70  von  städtischem  und  kulturellem  Raum.  Diese  Ter- 
rains werden  gegen  gesellschaftliche  Minderheiten  produziert.  Sie  können 
durch  die  Nichteinhaltung  der  Begrenzungen  bis  zu  einem  gewissen  Grad 
zurückerobert  werden.  Für  de  Certeau  verweben  sich  diese  Handlungsweisen 
zu  einem  Geflecht  aus  Antidisziplinen,71  die  im  Einflussbereich  staatlicher  und 
gesellschaftlicher  Herrschaft  stattfinden.  Das  zeigt  auf  die  »vielgestaltigen,  resi- 
stenten, listigen  und  hartnäckigen  Vorgehensweisen«,  mit  denen  sich  Gruppen 


69  Dorothee  Wierling:  Die  Jugend  als  innerer  Feind.  Konflikte  in  der  Erziehungsdiktatur  der  sechzi- 
ger  Jahre,  in:  Hartmut  Kaelble/  Jürgen  Kocka/  Helmut  Zwahr  (Hg.):  Sozialgeschichte  der  DDR,  Stuttgart: 
Klett  & Cotta  1994,  S.  404-425.  Ulrike  Schuster:  Die  SED-Jugendkommuniques  von  1961  und  1963, 
Anmerkungen  zur  ostdeutschen  Jugendpolitik  vor  und  nach  dem  Mauerbau,  in:  Jahrbuch  für  zeitgeschicht- 
liche Jugendforschung  1994/  1995,  hrsg.  v.  Institut  für  zeitgeschichtliche  Jugendforschung,  Berlin  1995,  S. 
58-75.  Monika  Kaiser:  Machtwechsel  von  Ulbricht  zu  Honecker.  Funktionsmechanismen  der  SED-Dikta- 
tur  in  Konfliktsituationen  1962  bis  1972  (=  Zeithistorische  Forschungen;  10),  Berlin:  Akademie  Verlag 
1997.  Peter  Skyba:  Vom  Hoffnungsträger  zum  Sicherheitsrisiko.  Jugend  in  der  DDR  und  Jugendpolitik  der 
SED  1949-1961  (=  Schriften  des  Hannah-Arendt-Instituts  für  Totalitarismusforschung;  10),  Köln/  Wei- 
mar/ Wien:  Böhlau  2000.  Marc-Dietrich  Ohse:  Jugend  nach  dem  Mauerbau.  Anpassung,  Protest  und 
Eigensinn  (DDR  1961-1974),  Berlin:  Ch.  Links  Verlag  2003.  Dorothee  Wierling:  Geboren  im  Jahr  Eins. 
Der  Jahrgang  1949  in  der  DDR.  Versuch  einer  Kollektivbiographie,  Berlin:  Ch.  Links  2002.  Christian 
Sachse:  Die  Jugendpolitik  der  SED  Anfang  der  sechziger  Jahre.  Zur  historischen  Einordnung  der  Jugend- 
kommuniques, in:  Zeitschrift  des  Forschungsverbundes  SED-Staat  (2006)  H.  19,  S.  27-40. 

70  Michel  de  Certeau:  Kunst  des  Handelns,  Berlin:  Merve  Verlag  1988,  S.  187. 

71  Ebd.,  S.  16. 


4 6 


vmd  Individuen  gegen  Überwachungen  zur  Wehr  setzen.  Wenn  sich  diese  Tak- 
tiken zu  Aktionsformen  verdichten,  verfestigen  sie  abweichendes  Verhalten  zu 
partieller  Widerständigkeit  und  formen  darüber  hinaus  gegenkulturelle  Strö- 
mungen. Darauf  sind  Kaspar  Maase,  Detlef  Siegfried,  Uta  G.  Poiger,  Dorothee 
Wierling,  Marc-Dietrich  Ohse,  Michael  Rauhut,  Mark  Fenemore,  Wiebke 
Janssen  und  Yvonne  Liebing  in  ihren  Arbeiten  zur  Jugendkultur  der  1950er 
Jahre  in  Deutschland  und  den  jugendkulturellen  Entwicklungen  in  der  DDR 
der  1960er  Jahre  eingegangen.72  Am  Rowdytum  als  Feindbildkonstruktion  ver- 
anschaulichen Thomas  Lindenberger  und  Sven  Korzilius  Beherrschungs-  und 
Konflikttechniken,  die  an  verschiedene  Sicherheits-  und  Fürsorgediskurse  an- 
schließen.73 

Ästhetische  Akte  oppositionellen  Handelns  - hier  bezeichnet  als  symboli- 
sche Devianz  - legten  Übergänge  zu  unterschiedlich  stark  institutionalisierten 
Verhaltensweisen  oppositioneller  und  daher  politischer  Betätigung.  Die  Zwangs- 


72  Kaspar  Maase:  Bravo  Amerika.  Erkundungen  zur  Jugendkultur  der  Bundesrepublik  in  den  fünfzi- 
ger  Jahren,  Hamburg:  Junius  Verlag  1992.  Detlef  Siegfried:  Time  is  on  my  Side,  2006.  Uta  G.  Poiger:  Jazz, 
Rock  and  Rebels.  Cold  War  Politics  and  American  Culture  in  a Divided  Germany,  Berkeley/  Los  Angeles/ 
London:  University  of  California  Press  2000.  Wiebke  Janssen:  Halbstarke  in  der  DDR.  Verfolgung  und 
Kriminalisierung  einer  Jugendkultur.  Berlin:  Christoph  Links  Verlag,  2010.  Dorothee  Wierling:  Jugend  als 
innerer  Feind,  in:  Hartmut  Kaelble/  Jürgen  Kocka/  Helmut  Zwahr  (Hg.):  Sozialgeschichte  der  DDR,  1994. 
Marc-Dietrich  Ohse:  Jugend  nach  dem  Mauerbau,  2003.  Michael  Rauhut:  Beat  in  der  Grauzone.  DDR- 
Rock  1964  bis  1972  - Politik  und  Alltag,  Berlin:  Basisdruck  1993.  Yvonne  Liebing:  All  you  need  is  beat. 
Jugendsubkultur  in  Leipzig  1957-1969,  Leipzig:  Forum  Verlag  2005.  Wiebke  Janssen:  »Halbstarke«  in  der 
DDR  - Der  ideologische  Kampf  der  SED  gegen  die  »amerikanische  Lebensweise«,  in:  Heiner  Timrner- 
mann  (Hg.):  Die  DDR  zwischen  Mauerbau  und  Mauerfall,  Münster:  LIT  2003,  S.  180-193.  Rebecca  Men- 
zel: Jeans  in  der  DDR.  Vom  tieferen  Sinn  einer  Freizeithose,  Berlin:  Ch.  Links  2004.  Mark  Fenemore: 
Nonconformity  on  the  Borders  of  Dicta torship.  Youth  Subcultures  in  the  GDR  (1949-1965)  (=  Dissertati- 
on; University  College  London),  London  2002.  Ders.:  Sex,  Thugs  and  Rock’n’Roll.  Teenage  Rebels  in 
Cold- War  East  Germany,  New  York:  Berghahn  Books  2007.  Siehe  zur  Einführung:  Will  Bücher/  Klaus 
Pohl:  Schock  und  Schöpfung.  Jugendästhetik  im  20.  Jahrhundert  (hrsg.  v.  Deutscher  Werkbund  e.V.  und 
Württembergischer  Kunstverein  Stuttgart),  Darmstadt/  Neuwied:  Luchterhand  1986.  Ebenso:  Pop  in  Ost 
und  West.  Populäre  Kultur  zwischen  Ästhetik  und  Politik  (hrsg.  v.  Arpäd  von  Klimö/  Jürgen  Danyel),  2006, 
URL:  http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Pop-Inhalt  [Letzter  Zugriff  5.9.2010]. 

73  Thomas  Lindenberger:  Volkspolizei,  2003,  S.  397-448  Kapitel  9,  Rowdytum.  Ders.:  Der  Feind 
tanzt  mit.  Rockmusik  und  Jugenddelinquenz  in  DEFA-Filmen  (1957  - 1963  - 1968),  in:  Silke  Satjukow/ 
Rainer  Gries  (Hg.):  Unsere  Feinde.  Konstruktionen  des  »Anderen«  im  Sozialismus,  Leipzig:  Leipziger 
Universitätsverlag  2004,  S.  197-2 14.  Sven  Korzilius:  »Asoziale«  und  »Parasiten«  im  Recht  der  SBZ/  DDR. 
Arbeiten  zur  Geschichte  des  Rechts  der  DDR,  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2005. 


47 


läufigkeit  einer  solchen  Entwicklung  ist  bislang  in  den  Forschungen  zur  DDR- 
Opposition  betont  worden.74  Henning  Pietzsch  zeigt  dies  für  das  klar  abgrenz- 
bare  kirchliche  Milieu  im  Jena  der  1970er  Jahre.75  Thomas  Klein  stärkt  dage- 
gen die  Beweglichkeit  dieser  Verflechtungen  für  Berlin.  Peter  Wurschi  betont 
die  diffusen  Übergänge  von  alltäglichen  Praxen  der  Abweichung  zur  Politisie- 
rung durch  die  Einheitspartei  und  die  Repressionsorgane  und  die  Entstehung 
oppositioneller  Gruppen.76 

Neben  dem  Eigen-Sinn  ist  die  Subversion  von  Herrschaftsverhältnissen, 
hegemonialen  Bildern,  Klängen  und  Botschaften  sowie  unterhaltungsindu- 
strieller Produkte  eine  zweite  Technik  der  Antidisziplin.  Über  die  an  der  Sinn- 
entstellung entstehende  Differenz  zur  ursprünglichen  Erzählung  - also  der 
Besetzung  einer  Deutung  - werden  darin  enthaltene  soziale  Beziehungen  mit 
den  möglichen  Veränderungen  verknüpft. 

Pop  - um  an  dieser  Stelle  einen  ergänzenden  methodischen  Zugang  einzu- 
führen - ist  eine  Ansammlung  von  Abgrenzungshandlungen,  die  sich  gegen  den 


74  Dietrich  Staritz:  Geschichte  der  DDR  1949-1985,  Frankfurt:  Suhrkamp  1985.  Detlef  Pollack/ 
Dieter  Rink:  Opposition  und  Widerstand,  Protest  und  Verweigerung  in  den  70er  und  80er  Jahren.  Zur 
Abgrenzung  eines  Phänomens,  in:  Dies.  (Hg.):  Zwischen  Verweigerung  und  Opposition.  Politischer  Pro- 
test in  der  DDR  1970-1980,  Frankfurt/  M.:  Campus  1997,  S.  7-13.  Stefan  Wolle:  Die  heile  Welt  der  Dikta- 
tur. Alltag  und  Herrschaft  in  der  DDR  1971-1989,  Berlin:  Ch.  Links  1998.  Eberhard  Kuhrt:  Opposition  in 
der  DDR  von  den  70er  Jahren  bis  zum  Zusammenbruch  der  SED-Herrschaft  (=  Am  Ende  des  realen  Sozia- 
lismus; 3),  Opladen:  Leske  + Budrich  1999.  Erhardt  Neubert/  Bernd  Faulenbach  (Hg.):  Macht,  Ohnmacht, 
Gegenmacht.  Grundfragen  zur  politischen  Gegnerschaft  in  der  DDR,  Bremen:  Edition  Tremmen  2001. 
Rainer  Eppelmann/  Bernd  Faulenbach  et  al.:  Bilanz  und  Perspektiven  der  DDR-Forschung,  Paderborn/ 
München/  Wien/  Zürich:  Verlag  Ferdinand  Schöningh  2003.  Rainer  Eckert:  Flucht  oder  Opposition  - 
Zwei  Seiten  des  politischen  Protestes,  in:  Uwe  Schwabe/  Rainer  Eckert  (Hg.):  Von  Deutschland  Ost  nach 
Deutschland  West.  Oppositionelle  oder  Verräter?  Leipzig:  Forum  Verlag,  2 00 3,  S.  7-10. 

75  Henning  Pietzsch:  Opposition  und  Widerstand.  Geschichte  der  kirchlichen  Jugendarbeit  »Offene 
Arbeit«  Jena.  1970-1989  (=  Dissertation;  Humboldt-Universität  zu  Berlin),  Berlin  2004.  Wenig  später  er- 
schienen als:  Ders.:  Jugend  zwischen  Kirche  und  Staat.  Geschichte  der  kirchlichen  Jugendarbeit  in  Jena 
1970-1989,  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2005. 

Thomas  Klein:  Frieden  und  Gerechtigkeit.  Die  Politisierung  der  Unabhängigen  Friedensbewe- 
gung in  Ost-Berlin  während  der  80er  Jahre  (=  Zeithistorische  Studien;  38),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau 
2006.  Peter  Wurschi:  Entwicklung,  Bedeutung  und  Wirkung  jugendlicher  Subkulturen  im  Bezirk  Suhl  von 
1952-1989  im  Kontext  der  staatlichen  Jugendpolitik  und  Herrschaftssicherung  (=  Dissertation;  Universität 
Leipzig),  2005.  [Dank  an  Herrn  Wurschi  für  eine  pdf-Fassung  seiner  Forschungsarbeit].  Erschienen  als: 
Ders.:  Rennsteigbeat.  Jugendliche  Subkulturen  im  Thüringer  Raum  1952-1989,  Köln/  Weimar/  Wien: 
Böhlau  2007.  Sigrid  Meuschel:  Legitimation  und  Parteiherrschaft : zum  Paradox  von  Stabilität  und  Revo- 
lution in  der  DDR  1945-1989,  Frankfurt/M.:  Suhrkamp  1992. [ 

4s 


vmd  am  bestehenden  Hochkultur-/Popularkultur-Gegensatz  ausrichtet.77  Aller- 
dings - so  heben  David  Muggleton  und  Rupert  Weinzierl  hervor  - ist  die  kom- 
plexe und  bewegliche  Anordnung  von  zeitgenössischen  Jugendkulturen  längst 
nicht  mehr  in  eine  Rahmung  einzufugen,  die  auf  Klassengegensätze  fußt  und 
lediglich  lineare  Entwicklungen  in  einer  hegemonial-gegenhegemonialen  Kon- 
stellation zulässt.78 

Ursprünglich  bezeichnet  Pop  Stilrichungen  der  modernen  Kirnst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  20.  Jahrhunderts,  die  durch  Asthetisierung  alltagskultureller 
Gegenstände  und  Handlungsweisen  den  darin  enthaltenen  Warencharakter 
und  dessen  Verkehrsformen  beschreiben.79 

Die  hier  angestrebte  Darstellung  des  Zusammenwirkens  und  Zusammen- 
fließens  von  Massenmedien,  Pop-  und  Jugendkultur  fragt  danach,  inwieweit  die 
Postmoderne  bereits  in  den  1960er  Jahren  eingesetzt  hat  und  dort  die  entschei- 
denden Weichenstellungen  für  die  stilistischen  Pluralisierungen  der  Gegenwart 
zu  finden  sind.  David  Muggleton  will  diese  Techniken  erst  als  solche  in  den  frü- 
hen 1980er  Jahren  erkennen.80 

Pop  als  Kulturtechnik  fügt  an  die  Relation  Hochkultur/Popularkultur  neue 
Gehalte  an,  die  sich  aus  vergangenen  und  transnationalen  Einflüssen  und  Ent- 
stehungskontexten speisen.  Damit  wird  eine  temporäre  Aushandlung  kulturel- 
ler Verfasstheit  einer  Gesellschaft  aus  anderen  Blickrichtungen  beleuchtet.  Pop 
hat  die  Funktion,  eine  gesellschaftlich  produzierte  Verständigung  über  Ästhetik 
und  Verhaltensweisen  zu  bezeichnen,81  um  die  enthaltenen  Begrenzungen  und 
Machtverhältnisse  sichtbar  zu  machen.  Gabriele  Klein  bestimmt  Pop  als  perfor- 


77  Stuart  Hall/  John  Clarke/  Tony  Jefferson/  Brian  Roberts:  Subcultures,  Cultures  and  Class.  A Theo- 
retical  OverView,  in:  Stuart  Hall/  Tony  Jefferson  (Hg.):  Resistance  Through  Rituals.  Youth  Subcultures  in 
Post- War  Britain,  London:  Hutchinson  1976,  S.  9-79. 

78  David  Muggleton/  Rupert  Weinzierl:  What  is  Post-Subcultural  Studies  Anyway?  in:  Dies.  (Hg.): 
The  Post-Subcultures  Reader,  Oxford/  NewYork:  Berg  2004,  S.  3-23,  S.  6.  (Vgl.  Rupert  Weinzierl:  »Fight 
the  Power!«.  Eine  Geheimgeschichte  der  Popkultur  und  die  Formierung  neuer  Substreams,  Wien:  Passa- 
gen 2000). 

Dick  Hebdige:  In  Poor  Taste.  Notes  on  Pop,  in:  Ders.:  Hiding  in  the  Light.  On  Images  and 
Things,  London/ New  York  1988/  1994,  S.  116-146. 

David  Muggleton:  Inside  Subculture.  The  Postmodern  Meaning  of  Style,  New  York/  London: 
Berg  2002. 

81  Roland  Barthes:  Mythen  des  Alltags,  Frankfurt/  M.:  Suhrkamp  1964,  S.  85. 


49 


matives  Verfahren  der  Aufführung,  Darbietung  und  Selbstinszenierung.82  Die 
damit  verbunden  Praktiken  überführen  globale  Einflüsse  in  lokale  Aufnahme- 
kontexte mittels  selektiver  Einarbeitungen.  Dieses  Verständnis  orientiert  sich 
an  der  Beschreibung  von  Kreolisierungen,  die  Ulf  Hannerz  mit  den  kreativen 
Fähigkeiten  von  Menschen  und  Gruppen  zu  kulturellen  Innovationen  und 
Umdeutungen  verbindet.  Zentrums-  und  Rand-Konstellationen  werden  von 
den  Rändern  her  in  Bewegung  versetzt.82 

Pop  entsteht,  so  Edda  Holl,  wenn  Produktion  und  Rezeption  zusammenfal- 
len, wenn  in  einer  »simultanen  Kollektivrezeption«  der  Konsument  »eine  zer- 
streute und  gleichzeitig  testende  Haltung«  einnimmt.84  Motivwahl,  Werk, 
Wahrnehmung  und  Rezeption  sind  Faktoren  in  der  Konstellation  Pop.83  Nach 
Richard  Middleton  entstehen  die  Bedeutungen  von  Musik  in  der  Unterschei- 
dung und  der  Bezugnahme  auf  nicht  gespielte  und  abwesende  Klänge.  Das 
Populäre  wird  demnach  begrenzt  durch  das,  was  nicht  dazu  gezählt  wird,  und 
durch  das  Alternative,  das  sich  davon  ebenfalls  abzusetzen  versucht.86 


82  Gabriele  Klein:  Image,  Body  and  Performativity.  The  Constitution  of  Subcultural  Practice  in  the 
Globalized  World  of  Pop,  in:  David  Muggleton/  Rupert  Weinzierl  (Hg.):  The  Post-Subcultures  Reader, 
2004,  S.  41-49,  S.  48.  Ferner:  Jochen  Bonz  (Hg.):  Sound  Signatures.  Pop-Splitter,  Frankfurt  am  Main: 
Edition  Suhrkamp  2001.  Christoph  Jacke:  Medien(sub)kultur,  Geschichten  - Diskurse  - Entwürfe  (=  Cul- 
tural  Studies;  9),  Bielefeld:  transcript  2004.  Christoph  Jacke/  Eva  Kimminich/  Siegfried  J.  Schmidt  (Hg.): 
Kulturschutt.  Über  das  Recycling  von  Theorien  und  Kulturen  (=  Cultural  Studies;  16),  Bielefeld:  tran- 
script 2006.  Christian  Bielefeldt/  Udo  Dahmen/  Rolf  Großmann  (Hg.):  PopMusicology.  Perspektiven  der 
Popmusikwissenschaft,  Bielefeld:  Transcript  2007.  Thomas  Böhm:  Hey!  Stop!  What’s  that  Sound?  Beob- 
achtungen zu  Herkunft  und  Bedeutung  der  Klänge  in  der  Popmusik,  in:  Thomas  Phelps/  Ralf  von  Appen 
(Hg.):  Pop  Sounds.  Klangtexturen  in  der  Pop-  und  Rockmusik  (=  texte  zur  populären  musik;  1),  Bielefeld: 
transcript  2003,  S.  31-48. 

83  Ulf  Hannerz:  Transnational  Connections.  Culture,  People,  Places,  London:  Routledge  1996,  S.  67. 

84  Edda  Holl:  Die  Konstellation  Pop,  1996,  S.  59. 

85  Ebd.,  S.  252. 

86  Richard  Middleton:  Introduction,  in:  Ders.  (Hg.):  Reading  Pop.  Approaches  to  Textual  Analysis  in 
Populär  Music,  Oxford:  Oxford  University  Press  2000,  S.  1-19,  S.  13.  John  Fiske:  The  Populär  Economy, 
in:  John  Storey  (Hg.):  Cultural  Theory  and  Populär  Culture.  A Reader,  New  York/  London:  Harvester 
Wheatersheat  1994,  S.  495-512.  Siehe  ferner:  Iain  Chambers:  Populär  Culture.  The  Metropolitan  Expe- 
rience,  London/  New  York:  Routledge  1986.  Andrew  Ross/  Tricia  Rose  (Hg.):  Microphone  Fiends:  Youth 
Music  and  Youth  Culture,  London:  Routledge  1994.  David  Rowe:  Populär  Cultures.  Rock  Music,  Sport 
and  the  Politics  of  Pleasure,  London:  Sage  1995.  Sarah  Thornton:  Club  Cultures.  Music,  Media  and  Sub- 
cultural Capital.  Hanover/  London:  University  Press  of  New  England  1996.  Thomas  Swiss/  John  Sloop/ 
Andrew  Herman  (Hg.):  Mapping  the  Beat.  Populär  Music  and  Contemporary  Theory,  Maiden,  Mass.: 


5° 


Auf  die  Übermittlungsrollen  von  Popjournalismus  und  die  langwierigen 
Prägekräfte  dieser  Beschreibungen  geht  Wolfgang  Rumpf  in  einer  eher  aufzäh- 
lenden Betrachtung  ein.87 

Die  Unterhaltungsprogramme  der  audiovisuellen  Massenmedien  in  Berlin, 
besonders  die  Jugendhörfunkprogramme  s-f-beat,  RIAS -Treffpunkt  und  Jugend- 
studio DT  64  bildeten  Bedeutungsstrukturen  ab,  versorgten  die  Konsumenten 
aber  zugleich  mit  neuen  akustischen  und  ästhetischen  Vorlagen.  Die  Jugend- 
sendungen erzeugten  virtuelle  »Orte«  unterschiedlicher  emanzipativer  Kritik- 
fähigkeit, an  denen  die  Chancen  freiheitlicher  Willensbildung  und  die  Rah- 
mungen sozialistischer  Moral  immer  wieder  umgeschrieben  wurden.  Sie 
bekräftigten  »Räume«  des  Sagbaren/  Nicht-Sagbaren  und  des  Hörbaren/ 
Nicht-Hörbaren.  Die  so  markierten  Grenzlinien  blieben  aufgrund  der  Verfüg- 
barkeit von  Alternativen  instabil.  Über  den  Popsong  als  Ausgangspunkt  einer 
dichten  Beschreibung88,  dessen  Präsentation  und  Einbettung  in  einer  Sendung, 
die  Aushandlung  von  Musikfarben  in  den  Rundfunksendern  gelingt  es,  die 
Konkurrenz  der  Medienangebote  in  Berlin  und  die  identitätsstiftenden  Menta- 
litäten und  Frontlinien  des  Kalten  Krieges  zu  verbinden. 

1. 7 Cold  War  Liberais  und  Cold  War  Conservatives.  Kalter  Krieg  und  Jugendkultur 

Cold  War  Liberais  - wie  sie  Robert  J.  Corber  skizziert  - erlangten  im  Verlauf  der 
1950er  Jahre  die  Deutungshoheit  darüber,  was  den  Bürger  im  Amerika  der 
unmittelbaren  Nachkriegszeit  als  soziales  Konstrukt  ausmacht.  Sie  benutzten 
die  medial  inszenierten  Ausschließungen  von  Kommunisten  und  Gewerkschaf- 
tern in  der  McCarthy-Ara,  um  die  Vorstellung  von  einer  freien  Gesellschaft  zu 


Blackwell  1998.  Andy  Bennett:  Populär  Music  and  Youth  Culture.  Music,  Identity  and  Place,  Houndsmill 
Basingstoke/  London:  Palgrave  Macmillan  2000. 

87  Wolfgang  Rumpf:  Pop  & Kritik.  Medien  und  Popkultur.  Rock’n’Roll,  Beat,  Rock,  Punk.  Elvis 
Presley,  Beatles/  Stones,  Queen/  Sex  Pistols  in  Spiegel,  Stern  & Sounds  (=  Beiträge  zur  Medienästhetik 
und  Mediengeschichte;  20),  Münster:  LIT  2004. 

88  Clifford  Geertz:  Dichte  Beschreibung.  Bemerkungen  zu  einer  deutenden  Theorie  der  Kultur,  in: 
Ders.:  Dichte  Beschreibung.  Beiträge  zum  Verstehen  kultureller  System,  Frankfurt/M.:  Suhrkamp  1987,  S.  25. 


51 


bekräftigen  und  diese  nun  auch  sozialen  Aufsteigern  aus  der  African-American 
Community  zu  öffnen.89 

Cold  War  Culture  bezieht  sich  auf  die  Neuformulierung  von  Geschlechter- 
rollen und  der  Minderheitendiskurse  in  der  amerikanischen  Nachkriegsgesell- 
schaft. Dabei  geht  es  um  Verhältnisse  von  Integration,  Migration  und  Techni- 
ken der  Exklusion  an  der  Ho?ne  Front  eines  virtuellen  Kalten  Krieges  der  Worte 
und  Imaginationen.90  Diese  Verhältnisse  treten  unter  anderem  am  Beispiel 
populärer  Bild-  und  Textmaterialien  wie  Comics,  Zeitschriften  und  billig  pro- 
duzierten Unterhaltungsfilmen  hervor.  An  den  Verläufen  dieses  medialisierten 
Krieges,  in  dem  Berlin  eine  Grenzstation  war,  verschoben  sich  die  Handlungs- 
weisen der  amerikanischen  und  britischen  Kulturdiplomatie  dahin,  die  massen- 
hafte Verbreitung  von  Informationen  und  kulturellen  Produkten  mittels  orts- 
unabhängiger Kommunikationstechniken  zu  fördern.91  Die  Bereitschah  und 
Fähigkeit,  Konsumenten  mit  politischen  Werbebotschaften  anzusprechen,  ist 
in  den  1950er  Jahren  nicht  von  der  Konfrontation  der  Systemauseinanderset- 
zung zu  lösen.  Dabei  ist  anzunehmen,  dass  in  der  geteilten  Stadt  Berlin  eine 
spezielle  Kodierung  dieser  Maßnahmen  und  Vermittlungsformen  erfolgte,  die 
eine  ortsgebundene  Erkennbarkeit  - eine  Berlin  Cold  War  Culture  - als  rhetori- 
sches und  bildliches  Signet  ausprägte. 

Uta  G.  Poiger  erkennt  in  ihrer  Studie,  dass  Teile  der  politischen  und  kultu- 
rellen Elite  in  Westdeutschland  parteiübergreifend  die  Bedeutung  populärer 
Formen  amerikanischer  Kultur  erkannten  und  als  Waffe  des  Kalten  Krieges 
einsetzten,  um  die  westdeutschen  und  Westberliner  Heranwachsenden  einzu- 


89  Robert  J.  Corber:  In  the  Name  of  National  Security.  Hitchcock,  Homophobia,  and  the  Political 
Construction  of  Gender  in  Postwar  America,  Durham:  Duke  University  Press  1993,  S.  1-18,  S.  3. 

90  Patrick  Major/  Rana  Mitten  East  is  East  and  West  is  West?  Towards  a Comparative  Socio-Cultu- 
ral  History  of  the  Cold  War,  in:  Dies.  (Hg.):  Across  the  Blocs:  Cold  War  Cultural  and  Social  History,  Lon- 
don/ Portland:  Frank  Cass  2004,  S.  1-22,  S.  8.  Peter  J.  Kuznick/ James  Gilbert:  U.S.  Culture  and  the  Cold 
War,  in:  Dies.  (Hg.):  Rethinking  Cold  War  Culture,  Washington/  London:  Smithonian  2001,  S.  7.  Dou- 
glas Field  (Hg.):  American  Cold  War  Culture,  Edingburgh:  Edingburgh  University  Press  2005.  Alan 
Nadel:  Television.  Cold  War  Television  and  the  Technology  of  Brainwashing,  in:  Ders.  (Hg.):  American 
Cold  War  Culture,  2005,  S.  146-162. 

91  Walter  L.  Hixson:  Parting  the  Curtain.  Propaganda,  Culture  and  the  Cold  War,  1945  -1961,  New 
York:  St.  Martin’s  Griffin  1997,  S.  232.  Siehe  auch:  S.  29-56  (Reviving  The  Voice:  The  Radio  Cold  War 
Begins). 


52 


binden  und  das  kommunistische  »Andere«  als  Negativfolie  davon  abzusetzen.92 
Ein  zweites  Ziel  sei  es  gewesen,  so  Poiger,  für  die  Jugendlichen  in  der  SBZ/ 
DDR  eine  alternative  Zeichenwelt  zu  erzeugen,  die  die  auf  sie  einwirkenden 
politischen  und  erzieherischen  Sozialisationen  schwächen  sollte.  Dabei  sei  es 
nicht  zuletzt  um  die  Neuanordnung  von  Bedeutungen  in  alltäglichen  Konsu- 
makten gegangen. 9j  Diese  bezog  sich  gerade  auf  die  ausschließenden  Mecha- 
nismen in  der  deutschen  Popularkultur,  die  in  der  NS-Zeit  Klänge,  Körperhal- 
tungen, Präsentations-  und  Konsumweisen  entlang  rassistischer  Aufladungen 
politisierte.  Darauf  ist  Michael  Kater  ausführlich  eingegangen  und  veran- 
schaulicht gebrochene  und  hybridisierte  Amerikanisierungseffekte  in  der  NS- 
Diktatur.94 

Cold  War  Liberalism  - so  wie  ihn  Uta  Poiger  als  Beschreibung  für  die  späten 
1950er  Jahre  in  beiden  Teilen  Deutschlands  verwendet  - ist  deshalb  erklärungs- 
stark, weil  er  die  unterschiedlichen  Entwicklungen  hin  zu  einem  sozialistischen 
Cold  War  Conservatism  markiert.  Diese  Sichtweise  drängt  allerdings  in  den  Hin- 
tergrund, dass  diese  Konstellation  spätestens  1963  von  neuem  in  Bewegung 
gerät.  Nicht  wenige  Liberais,  die  noch  für  Jazz  sein  konnten,  waren  auch  in  der 
»liberalen«  Bundesrepublik  der  1960er  Jahre  angesichts  von  Beatmusik  und 
langen  Haaren  zu  Conservatives  geworden.  Gerade  in  Bezug  auf  eine  Auflösung 
und  Entgrenzung  von  Geschlechterverhältnissen-  und  rollen95  verhält  sich 
diese,  in  die  politischen  Koordinaten  des  Kalten  Krieges  eingefügte  Freiheit- 


92  Uta  G.  Poiger:  Jazz,  2000,  S.  7.  Americanization  and  Anti-Americanism.  The  German-Encounter 
with  American  Culture  after  1945,  New  York/  Oxford:  Berghahn  Books  2005,  S.  221-237.  Arnd  Bauer- 
kämper/  Konrad  H.  Jarausch/  Marcus  Payk  (Hg.):  Demokratiewunder.  Transatlantische  Mittler  und  die 
kulturelle  Öffnung  Westdeutschlands  1945-1970,  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht  2005. 

93  Ebd.,  S.  1 1.  Siehe  auch:  Heide  Fehrenbach/  Uta  G.  Poiger:  Introduction,  in:  Dies.  (Hg.):  Trans- 
actions, Transgressions,  Transformations.  American  Culture  in  Western  Europe  and  Japan,  New  York/ 
Oxford:  Berghahn  Books  2000,  xiii-xl,  xxix. 

94  Michael  H.  Kater:  Different  Drummers.  Jazz  in  the  Culture  of  Nazi  Germany,  New  York/  Oxford: 
Oxford  University  Press  1992,  S.  202-21 1.  Jürgen  Schwab:  Der  Frankfurt  Sound.  Eine  Stadt  und  ihre  Jazz- 
geschichte(n),  Frankfurt:  Societäts-Verlag  2005.  Andreas  Müller/  Richard  Ortmann/  Uta  C.  Schmidt  (Hg.): 
Jazz  in  Dortmund.  Hot  - Modern  - Free  - New,  Essen:  Klartext  2004.  Rainer  Bratfisch:  Freie  Töne.  Die 
Jazzszene  in  der  DDR,  Berlin:  Ch.  Links  2005.  Werner  Josh  Sellhorn:  Jazz  - DDR  - Fakten.  Interpreten, 
Discographien,  Fotos,  CD,  Berlin:  Neunplusl  2005. 

95  Dagmar  Herzog:  Die  Politisierung  der  Lust.  Sexualität  in  der  deutschen  Geschichte  des  20.  Jahr- 
hunderts, München:  Siedler  2005. 


53 


lichkeit  zögerlich  und  setzt  auf  Disziplinierung  durch  Einhegung.  Die  klaren 
Zuschreibungen  für  eine  konservative  sozialistische  und  nationalkulturell  aus- 
gerichtete Musikpolitik  im  DDR-Rundfunk  greifen  ab  dem  Punkt  nicht  mehr, 
an  welchem  jenseits  der  sozialistischen  Abgrenzungsrhetorik  Strategien  der 
Einarbeitung  und  des  Umformens  deutlich  werden.  Sie  sind  nicht  mehr  nur 
ausschließlich  als  starr  und  unbeweglich  zu  bezeichnen.  Somit  fächert  sich  die 
Einarbeitungsfähigkeit  des  sozialistischen  Mediensystems  der  DDR  in  ver- 
schiedene Geschwindigkeiten  auf.  Bezogen  auf  die  sich  ausdifferenzierenden, 
aber  weiterhin  interagierenden  Stränge  sozialistischer  Musikpolitik  können 
Cold  War  Conservatives  nicht  nur  Liberal  Socialists  gegenübergestellt  werden, 
sondern  es  müssen  auch  Umgangsweisen  betont  werden,  die  als  - um  einen 
neuen  Begriff  einzuführen  - Cold  War  Pragmatism  zu  charakterisieren  sind. 

In  den  Veränderungen  in  den  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkprogram- 
men in  der  Bundesrepublik  der  1960er  Jahre  sieht  Konrad  Dussel  eher  eine 
»Verwestlichung«  als  eine  »Amerikanisierung«.  Dussel  betont  nationalisieren- 
de Einarbeitungen  gegenüber  dem  Druck,  den  die  Dynamik  der  internationali- 
sierten Medienformate  und  ihrer  Präsentationsweisen  aus  sich  selbst  erzeug- 
ten.96 Darunter  versteht  er  in  erster  Linie  eine  Kommerzialisierung  der  Rund- 
funklandschaft. 

Die  Gesamtheit  audiovisueller  Erzeugnisse  der  amerikanischen  Unterhal- 
tungsindustrie verwandten  proletarische  Jugendliche  in  den  1950er  Jahren  in 
westdeutschen  Städten  zur  »Selbstamerikanisierung«.  Damit  beschreibt  Kaspar 
Maase  einen  Informalisierungsprozess,  »in  dessen  Verlauf  die  herrschenden 
Verhaltensstandards  elastischer,  mannigfaltiger  und  differenzierter  werden.«97 


96  Konrad  Dussel:  Rundfunkgeschichte  - Mediengeschichte  - Zeitgeschichte.  Der  Rundfunk  und 
die  Entwicklung  der  westdeutschen  Gesellschaft,  in:  Inge  Marszolek/  Adelheid  von  Saldern  (Hg.):  Radio- 
zeiten, 1999,  S.  39-56,  S.  43.  Siehe:  Wolfgang  Hagen:  Das  Radio.  Zur  Geschichte  und  Theorie  des  Hör- 
funks - Deutschland/  USA,  München:  Wilhelm  Fink  Verlag  2005. 

Zum  >nation-building<  über  den  Rundfunk  in  den  USA:  Michele  Hilmes:  Radio  Voices.  American 
Broadcasting,  1922-1952,  Minneapolis/  London:  University  of  Minnesota  Press  1997.  Hans-Jürgen  Krug: 
Radiolandschaften.  Beiträge  zur  Geschichte  und  Entwicklung  des  Hörfunks  (=  Hamburger  Beiträge  zur 
Germanistik;  3),  Frankfurt/  M.:  Lang  2002 

97  Kaspar  Maase:  BRAVO  Amerika,  1992,  S.  204.  Siehe  auch:  Thomas  Grotum:  Die  Halbstarken.  Zur 
Geschichte  einer  Jugendkultur  der  50er  Jahre,  Frankfurt/  M.:  Campus  1994.  Kaspar  Maase:  »Halbstarke« 
and  Hegemony.  Meanings  of  American  Mass  Culture  in  the  Federal  Republic  of  Germany  during  the  1950s, 


54 


Die  als  »Halbstarke«  bezeichneten  Cliquen  von  Jugendlichen  bedienten  sich 
als  Trendsetter  aktiv  aus  diesen  Repertoires  der  Zeichen,  Klänge  und  Körper- 
bilder.98 Das  war  kein  Privileg  jugendkultureller  Selbstdarstellung  in  westeuro- 
päischen Gesellschaften,  sondern  fand  gleichzeitig  auch  in  den  Ländern  des 
Ostblocks  statt.99  Das  deutet  daraufhin,  dass  auch  dort  generationenbezogene 
Umwidmungen  popkultureller  und  medialer  Angebote  stattfanden.  Wenn 
generationelle  Lagerungen  als  Ergebnis  einer  öffentlichen  und  teilkulturellen 
Verständigung  über  Fremd-  und  Selbstbeschreibungen  erzeugt  würden  - 
erweitert  Rainer  Gries  das  Generationen-Konzept  Karl  Mannheims  - dann 
könnten  diese  Funktion  auch  kulturindustrielle  Produkte  wie  Popsingles,  Lang- 
spielplatten, Starschnitte,  Kriegs-  und  Demonstrationsbilder  und  prägende 
Medienformate  leisten.100  Durch  die  grenz-  und  systemüberschreitende  Ver- 


in:  Rob  Kroes/  Robert  W.  Rydell/  Doeko  F.  J Bosscher  (Hg.):  Cultural  Transmissions  and  Receptions. 
American  Mass  Culture  in  Europe,  Amsterdam  1993,  S.  152-170.  Winfried  Fluck:  »Amerikanisiemng«  der 
Kultur,  in:  Harald  Wenzel  (Hg.):  Die  Amerikanisierung  des  Medienalltags,  Frankfurt/  M.:  Campus  Verlag 
1998,  S.  13-52,  S.  49.  Ders.:  The  Americanization  of  German  Culture?  The  Strange,  Paradoxical  Ways  of 
Modernity,  in:  Agnes  C.  Mueller  (Hg.):  German  Pop  Culture,  How  »American«  is  it?  Ann  Arbor:  Univer- 
sity  of  Michigan  Press  2004,  S.  19-39.  Ders.:  California  Blue:  Americanization  as  Self-Americanization,  in: 
Alexander  Stephan  (Hg.):  Americanization  and  Anti-Americanism.  The  German-Encounter  with  American 
Culture  after  1945,  New  York/  Oxford:  Berghahn  Books  2005,  S.  221-237. 

Zur  gegenteiligen  Entwicklung:  Kaspar  Maase:  Entamerikanisierung  des  Amerikanischen?  Eine  Lo- 
kalstudie zur  Nutzung  von  Kulturimporten  in  Tübingen,  in:  Alexander  Stephan/  Jochen  Vogt  (Hg.):  Ame- 
rica on  my  mind.  Zur  Amerikanisierung  der  deutschen  Kultur  seit  1945,  München:  Wilhelm  Fink  2006,  S. 
237-255. 

98  Volker  Schütz:  Abendland  und  Rock’n’Roll  - Körpererfahrung  zwischen  den  Kulturen,  in:  Annet- 
te Kreutziger-Herr/ Manfred  Strack  (Hg.):  Aus  der  Neuen  Welt.  Streifzüge  durch  die  amerikanische  Musik 
des  20.  Jahrhunderts  (=  Nordamerika-Studien;  8),  Münster:  LIT  1997,  S.  315-328,  S.  315.  Thomas  Meder: 
May  you  stay  forever  young.  Der  Rock’n’Roll-Körper,  in:  Bernd  Kiefer/  Marcus  Stiglegger  (Hg.):  Pop  & 
Kino.  Von  Elvis  zu  Eminem,  Mainz:  Bender  2004,  S.  9-17.  Charlie  Gillett:  The  Sound  of  the  City.  The  Rise 
of  Rock'n'Roll,  New  York:  Laurel  1973.  Ansätze  für  eine  Körpergeschichte  von  Jugendkulturen:  Ulf 
Preuss-Lausitz:  Vom  gepanzerten  zum  sinnstiftenden  Körper,  in:  Ders.  (Hg.):  Kriegskinder,  Konsumkin- 
der, Krisenkinder.  Zur  Sozialisationsgeschichte  seit  dem  Zweiten  Weltkrieg,  Weinheim/  Basel:  Juventa 
1983,  S.  89-106. 

99  Guenther  Kaiser:  Randalierende  Jugend,  Heidelberg:  Quelle  & Meyer  1959.  Mark  Allen  Svede: 
All  You  Need  is  Lovebeads.  Latvia’s  Hippies  Undress  for  Success,  in:  Susan  E.  Reid/  David  Crowley  (Hg.): 
Style  and  Socialism.  Modernity  and  Material  Culture  in  Post- War  Eastern  Europe,  Oxford/  New  York: 
Berg  2000,  S.  189-208. 

100  Rainer  Gries:  Das  generationengeschichtliche  Paradigma  in  der  Kommunikationshistorie.  Ein 
kursorischer  Überblick,  in:  medien  & zeit,  21.  Jg.  (2006)  H.  3,  S.  4-20,  S.  12. 


55 


fügbarkeit  akustischer  und  visueller  Kulturmaterialien  sowie  der  gleichzeitigen 
Ausbildung  ähnlicher  Verwendungs-  und  Aufführungsweisen  von  Empfangs-, 
Kopier-  und  Abspielgeräten  werden  meiner  Meinung  nach  - um  einen  weiteren 
Begriff  einzuführen  - Soundgenerationen  beschreibbar. 

1.8  Der  Rundfunk  als  selektiver  Verstärker  gesellschaftlicher  Aufbrüche  in  den 
1960er  Jahren  in  beiden  Teilen  Deutschlands 

Die  Geschichte  der  1960er  Jahre  in  Berlin  am  Beispiel  des  Rundfunks  zu 
schreiben,  verlangt  die  Zustände  zunehmender  Teilung,  die  Asymmetrien  blei- 
bender Verflechtung  der  wirtschaftlichen  Entwicklung,  kultureller  Modernisie- 
rung und  die  innergesellschaftlichen  Befriedungen  durch  Stabilität  und  Herr- 
schaft zu  berücksichtigen.  So  formuliert  es  Konrad  H.  Jarausch  in  seinen  Über- 
legungen zu  einer  integrierten  deutschen  Nachkriegsgeschichte.101  Dies  ist 
auch  an  der  besorgten  Jugendpolitik  des  Westberliner  Senats  zu  erkennen  und  mit 
verschiedenen  Deformationen  auch  an  den  Bemühungen  des  Ostberliner  Magi- 
strats und  der  SED-Bezirksleitung. 

Da  Freizeit  seit  den  späten  1950er  Jahren  in  beträchtlichem  Ausmaß  mit 
massenmedialem  Konsum  ausgefüllte  Zeit  gewesen  sei  - so  Axel  Schildt  - hätte 
sich  an  den  vorgegebenen  Zeitstrukturen  eine  »neue  spezifische  Gemeinkul- 
tur« des  Vergnügens  gebildet.102  Darin  waren  verschiedene  Umarbeitungen 
von  »Amerikanisierungen«101  enthalten,  die  die  bundesrepublikanische  Nach- 


101  Konrad  H Jarausch:  »Die  Teile  als  Ganzes  erkennen«.  Zur  Integration  der  beiden  deutschen 
Nachkriegsgeschichten,  in:  Zeithistorische  Forschungen,  1.  Jg.  (2004)  H.  1,  S.  10-30,  besonders  S.  16-19. 
URL:  http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208146/default.aspx  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

102  Axel  Schildt:  Materieller  Wohlstand  - pragmatische  Politik  - kulturelle  Umbrüche.  Die  60er 
Jahre  in  der  Bundesrepublik,  in:  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried/  Karl  Lammers  (Hg.):  Dynamische  Zeiten. 
Die  60er  Jahre  in  den  beiden  Gesellschaften  (=  Hamburger  Beiträge  zur  Sozial-  und  Zeitgeschichte;  37), 
Hamburg:  Christians  2000,  S.  21-53,  S.  35. 

103  Rob  Kroes:  Americanisation.  What  are  we  talking  about?,  in:  Rob  Kroes/  Robert  W.  Rydell/ 
Doeko  F.  J.  Bosscher  (Hg.):  Cultural  Transmissions  and  Receptions,  1993,  S.  302-318,  S.  303.  Anselm 
Doering-Manteuffel:  Wie  westlich  sind  die  Deutschen?  Amerikanisierung  und  Westernisierung  im  20. 
Jahrhundert,  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht  1999.  Heinz  Bude/  Bernd  Greiner  (Hg.):  Westbin- 
dungen. Amerika  in  der  Bundesrepublik,  Hamburg:  Hamburger  Edition  1999.  Heide  Fehrenbach/  Uta  G. 
Poiger  (Hg.):  Transactions,  Transgressions,  Transformations.  American  Culture  in  Western  Europe  and 


56 


kriegsgesellschaft  - und  gerade  die  darin  Heranwachsenden  - beeinflusst  hat- 
ten. In  diesem  Zusammenhang  ist  auch  in  der  DDR  eine  Überlagerung  positi- 
ver und  negativer  Amerikanismen  auszumachen.  Die  proletarische  und  bürger- 
liche Konsumkultur  war  - auch  in  der  DDR  - zunächst  eine  ästhetische  Sozia- 
lisationsinstanz. Die  Zugangsschranken  zur  Konsumkultur  öffneten  sich  im 
Zuge  der  wachsenden  finanziellen  Verfügungsmittel  junger  Menschen. 

In  den  1960er  Jahren  dynamisierten  sich  in  beiden  deutschen  Staaten  ange- 
legte Trends,  die  sich  durchaus  ähnelten.  Allerdings  liberalisierte  und  demokra- 
tisierte sich  die  Bundesrepublik  in  einer  kontroversen  Debatte,  wohingegen  die 
SED  im  Osten  eine  solche  Entwicklung  abblockte.  Dennoch  waren  auch  dort 
sowohl  die  kulturellen  Merkmale  einer  modernen  Industriegesellschaft  ver- 
stärkt aufzufinden.104  Beispielsweise  enthielt  die  Werbung  für  die  »sozialisti- 
sche Gesellschaft«  neben  dem  Ausbau  des  Bildungssystems  und  den  damit  ver- 
bundenen sozialen  Aufstiegschancen  auch  das  in  den  Jugendkommuniques  aus- 
gedrückte Versprechen,  im  Stil  und  Umgang  den  Jugendlichen  entgegen  zu 
kommen.103  Diese  Akzentverschiebung  in  der  Jugendpolitik  wurde  zwar  nie  in 
dieser  Form  tatsächlich  umgesetzt,  aber  diese  Kommuniques  rahmten  die 
Redeweisen  von  und  über  die  SED-Jugendpolitik. 

In  der  Bundesrepublik  - so  schreibt  Arnold  Sywottek  - markiere  das  Jahr 
1957  einen  Paradigmenwechsel,  ab  dem  Umgangsweisen  mit  politischer  und 


Japan,  New  York/  Oxford:  Berghahn  2000.  Victoria  de  Grazia:  Irresistible  Empire.  Americas  Advance 
through  Twentieth-Century  Europe,  Cambridge,  Mass.:  Harvard  Univ.  Press  2005.  Frank  Becker/  Elke 
Reinhardt-Becker:  Amerikabild  und  „Amerikanisierung«  im  Deutschland  des  20.  Jahrhunderts  - ein  Über- 
blick, in:  Frank  Becker/  Elke  Reinhardt-Becker  (Hg.):  Mythos  USA.  „Amerikanisierung«  in  Deutschland 
seit  1900,  Frankfurt/  M.:  Campus-Verlag  2006,  S.  9-18.  Angelika  Linke/  Jakob  Tanner  (Hg.):  Attraktion 
und  Abwehr.  Die  Amerikanisierung  der  Alltagskultur  in  Europa  (=  Alltag  & Kultur;  1 1),  Köln/  Wien/  Wei- 
mar: Böhlau  2006.  Christian  Schwaabe:  Antiamerikanismus.  Wandlungen  eines  Feindbildes,  München: 
Fink  2003.  Jan  C.  Behrends/  Arpad  von  Klimö/  Patrice  G.  Poutrus  (Hg.):  Antiamerikanismus  im  20.  Jahr- 
hundert. Studien  zu  Ost-  und  Westeuropa  (=  Politik-  und  Gesellschaftsgeschichte;  68)  Bonn:  Dietz  2005. 

104  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried/  Karl  Lammers:  Einleitung,  in:  Dies.  (Hg.):  Dynamische  Zeiten, 
2000,  S.  1 1-20,  S.  15.  Siehe  auch:  Christina  von  Hodenberg/  Detlef  Siegfried:  Reform  und  Revolte.  1968 
und  die  langen  Sechziger  Jahre  in  der  Geschichte  der  Bundesrepublik,  in:  Dies.  (Hg.):  Wo  „1968«  liegt. 
Reform  und  Revolte  in  der  Geschichte  der  Bundesrepublik,  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht  2006, 
S.  7-10. 

105  Arnold  Sywottek:  Gewalt  - Reform  - Arrangement.  Die  DDR  in  den  60er  Jahren,  in:  Axel 
Schildt/  Detlef  Siegfried/  Karl  Lammers  (Hg.):  Dynamische  Zeiten,  2000,  S.  54-76,  S.  55. 


57 


gesellschaftlicher  Pluralität  nicht  mehr  eindeutig  auf  die  Weimarer  Zeit  und  das 
Kaiserreich  zurückzubinden  seien.106  Amerikanisierung  und  konservative  Res- 
tauration hätten  sich  beim  wirtschaftlichen  Wiederaufbau  verbunden,  so 
Sywottek.  Amerikanische  Populärkultur  habe  dagegen  die  neue  bundesdeutsche 
»Gemütlichkeit«  herausgefordert.  Insofern  habe  diese  Populärkultur  als  unzivi- 
lisiert abgewiesen  werden  müssen,  um  sie  implizit  als  »undeutsch«  zu  brand- 
marken. Die  Vorstellung  von  Massenkultur  als  proletarischer  Gefahr  für  die 
bürgerlichen  Distinktionsregeln  rückten  in  den  Hintergrund.  Der  verführte 
Konsument  war  nun  ein  gefährdetes  Subjekt  in  dieser  neuen  Warenwelt. 
Besonders  Jugendliche  waren  vor  diesen  Verlockungen  zu  schützen  und  zu 
bewahren.  Allerdings  gebrauchten  diese  Käufer  wesentlich  selbstverständlicher 
als  die  ältere  Generation  bereitgestellte  Warenensembles.  Motorräder,  Koffer- 
radios, Schallplattenspieler,  Pop-Singles,  Kino-  und  Konzertbesuche  und  der 
selbst  bestimmte  Verbrauch  von  Freizeit  waren  die  Accessoires  dieser  Akte  der 
Vergnügung.107  Die  Einarbeitungen  der  als  »amerikanisch«  bezeichneten  kul- 
turellen und  politischen  Symbole  schufen  Raum  für  Differenz  und  dadurch 
wiederum  Gelegenheiten,  Protest  auszudrücken,  ohne  jedoch  den  entstehen- 
den demokratischen  Konsens  zu  gefährden.  Dadurch  stärkte  sich  in  einigen  ge- 
sellschaftlichen Milieus  die  Fähigkeit  des  Zulassens,  ohne  den  konservativen 
Wertehaushalt  der  jungen  Bundesrepublik  aufzulösen.108 


106  Arnold  Sywottek:  Wege  in  die  50er  Jahre,  in:  Axel  Schildt/  Arnold  Sywottek  (Hg.):  Modemisie- 
rung  im  Wiederaufbau,  1998,  S.  13-39,  S.  16.  Siehe  auch:  Axel  Schildt:  Moderne  Zeiten.  Freizeit,  Massen- 
medien und  »Zeitgeist«  in  der  Bundesrepublik  der  50er  Jahre  (=  Hamburger  Beiträge  zur  Sozial-  und  Zeit- 
geschichte; 31),  Hamburg:  Christians  1995. 

107  Detlef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  26.  Siehe  auch:  Arthur  Marwick:  The  Sixties.  Cultural  Revolution  in 
Britain,  France,  Italy  and  the  United  States,  1958-1974,  Oxford/  New  York:  Oxford  University  Press  1998. 

108  Diethelm  Prowe:  The  »Miracle«  of  the  Political-Cultural  Shift.  Democratization  between  Ame- 
ricanization  and  conservative  Reintegration,  in:  Hanna  Schissler  (Hg.):  The  Miracle  Years.  A Cultural 
History  ofWest  Germany  1949-1968,  Princeton/  Oxford:  Princeton  University  Press  2001,  S.  451-458,  S. 
457.  Matthias  Frese/ Julia  Paulus/  Karl  Teppe  (Hg.):  Demokratisierung  und  gesellschaftlicher  Aufbruch. 
Die  sechziger  Jahre  als  Wendezeit  der  Bundesrepublik  (=  Forschungen  zur  Regionalgeschichte;  44), 
Paderborn:  Schöningh  2003.  Edgar  Wolfrum:  Die  60er  Jahre.  Eine  dynamische  Gesellschaft,  Darmstadt: 
Primus  Verlag  2006. 


58 


1.9  Transnationale  Popkultur  als  Generationsereignis 


Der  Genuss  von  Beat-  und  Rockmusik  war  ein  Bindemittel  für  eine  sozial  über- 
greifende Jugendkultur,  die  die  bestehenden  Politisierungsmomente  ab  1963  zu 
einem  umfassenden  Aufbruchklima  anlagerte.  In  diesen  von  1964  bis  1969  rei- 
chenden High-Sixties  zieht  Siegfried  eine  von  1967  bis  1969  dauernde  »eigen- 
ständige Transformationsphase«  ein.  In  dieser  habe  der  kulturell  getragene, 
aber  politisch  imprägnierte  Nonkonformismus  die  verschiedenen  »Aufbruch- 
bewegungen zum  kontrovers  verhandelten  Erneuerungsschub  der  Gegenkultur 
verschmolzen.« 109 

Die  Jugend-  und  Studentenrevolten  am  Ende  der  Sechziger  Jahre  - unter 
der  Chiffre  1968  110  subsumiert  - werden  aus  den  unterschiedlichen  Blickwin- 
keln als  politische  Bewegung  gelesen.  In  der  wissenschaftlichen  Darstellung  von 
>1968<  wird  der  politisch-theoretische  Aspekt  dieser  Bewegungen  stärker  ge- 
macht als  deren  Prägekraft  auf  Lebensstile.  Die  Erzählung  der  Gewalthaftigkeit 
und  des  revolutionären  Scheiterns  dieser  als  Bewegung  benannten  Vielheit  von 
Strömungen  überlagerte  bislang  deren  popkulturelle  und  konsumbezogenen 


109  Detlef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  30. 

Ingrid  Gilcher-Holtey:  »1968«  - Eine  versäumte  Kontroverse?,  in:  Martin  Sabrow/  Ralph  Jes- 
sen / Klaus  Große-Kracht  (Hg.):  Zeitgeschichte  als  Streitgeschichte.  Große  Kontroversen  nach  1945, 
München:  C.H.  Beck  2003,  S.  58-73.  Dieter  Rucht:  Die  Ereignisse  von  1968  als  soziale  Bewegung. 
Methodologische  Überlegungen  und  einige  empirische  Befunde,  in:  Ingrid  Gilcher-Holtey  (Hg.):  1968. 
Vom  Ereignis  zum  Gegenstand  der  Geschichtswissenschaft,  Göttingen:  Vandenhoeck  & Ruprecht  1998, 
S.  116-130.  Bernd  Sösemann:  Die  68er  Bewegung  und  die  Massenmedien,  in:  Jürgen  Wilke  (Hg.): 
Mediengeschichte  der  Bundesrepublik  Deutschland,  Bonn:  Bundeszentrale  für  politische  Bildung  1999,  S. 
672-679.  Den  transatlantischen  Transfer  von  Protestformen  stark  machend:  Wolfgang  Kraushaar:  1968 
als  Mythos,  Chiffre  und  Zäsur,  Hamburg:  Hamburger  Edition  2000,  S.  53-80.  Ders.:  1968  und  die  RAE 
Ein  umstrittenes  Beziehungsgeflecht,  in:  Vorgänge,  44.  Jg.  (2005)  H.  3-4,  S.  208-220.  URL:  http:// 
www.zeitgeschichte-online.de/zol/portals/_rainbow/documents/pdf/raf/vorg_kraushaar.pdf  [Letzter  Zu- 
griff: 5.9.2010].  Wolfgang  Kraushaar/  Karin  Wieland/  Jan  Philipp  Reemtsma  (Hg.):  Rudi  Dutschke, 
Andreas  Baader  und  die  RAF,  Hamburg:  Hamburger  Edition  2005.  Jan-Werner  Müller:  1968  as  Event, 
Milieu  and  Ideology,  in:  Ders.  (Hg.):  German  Ideologies  since  1945.  Studies  in  the  Political  Thought  and 
Culture  of  the  Bonn  Republic,  Houndsmills  Basingstoke/  London:  Palgrave  Macmillan  2003,  S.  117-143. 
Nick  Thomas:  Protest  Movements  in  1960s  West  Germany.  A Social  History  of  Dissent  and  Democracy, 
Oxford:  Berg  2004. 


59 


Impulse. 1 1 1 Als  die  Kinder  der  westdeutschen  Mittelschicht  die  Straßen  und  die 
Fernsehbilder  besetzten,  war  eine  neue  Qualität  erreicht,  die  einen  bislang 
schwelenden  Widerspruch  visuell  und  habituell  ausdrückte.  Dagegen  waren 
motorradfahrende  Halbstarke  eine  nicht  zu  vermeidende  und  letztlich  harmlo- 
se und  randständige  Zeiterscheinung  der  späten  1950er  Jahre  gewesen.112 

An  der  Medialisierung  von  1968  verhandelten  die  kulturellen  und  politi- 
schen Eliten,  die  die  bundesdeutsche  Cold  War  Culture  geformt  hatten,  mit  den 
zeit-  und  konsumkritischen  und  öffentlichkeitsaffinen  neuen  Medieneliten  den 
gesellschaftlichen  Werte-  und  Bilderhaushalt.  Das  »studentische  Fremde«  aus 
der  bürgerlichen  Mitte  war  nicht  mehr  nur  mit  den  Instrumenten  und  Modi  zu 
bekämpfen,  die  hinsichtlich  der  Ängste  vor  kommunistischer  Unterwanderung 
und  ideologischer  »Verseuchung«  funktioniert  hatten.  Das  »proletarische  An- 
dere« - das  Angstbild  der  »Halbstarken«  - war  im  Gegensatz  zu  den  revoltie- 
renden Akademikern  von  der  bürgerlichen  Mehrheitskultur  eingemeindet  wor- 
den. 

Siegfried  kennzeichnet  die  Jahre  1969  bis  1973  als  Zeitraum  eines  Wechsel- 
verhältnisses von  Differenzierungen  und  Neuformierungen.  Mit  den  verbesser- 
ten konsumtiven  Möglichkeiten  hätten  sich  die  Formen  politischer  Radikalisie- 
rung verändert.  Diese  ästhetische  Radikalisierung  hätte  sich  auf  akustische 
Erlebnisräume  und  andere  Körpertechniken-  und  bearbeitungen  erstreckt,  so 
Siegfried.  Spätestens  ab  1963  hätten  Konsumkultur  und  Nonkonformismus111 
in  der  Bundesrepublik  sich  gegenseitig  verstärkt. 

Diesen  Gedanken  übertrage  ich  auf  die  alltäglichen  Handlungsweisen  von 
DDR-Jugendlichen  im  gleichen  Zeitraum.  Medienkompetenzen,  Aneignungs- 
akte und  popkulturelle  Bedeutungsaufladungen  sind  im  sozialistischen  Teil 
Deutschlands  mit  den  entsprechenden  Bezügen  zur  gesellschaftlichen  Umwelt 
feststellbar.  Das  Konsumversprechen  und  dessen  freizeitkulturelle  Auslegungen 


111  Detlef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  429-520.  Sven  Reichardt:  »Wärme«  als  Modus  sozialen  Verhal- 
tens?  Linksalternative  Milieus  vom  Ende  der  1960er  bis  Anfang  der  1980er  Jahre,  in:  Vorgänge,  44.  Jg. 
(2005)  H.  3-4,  2005,  S.  175-187. 

112  Hanna  Schissler:  Rebels  in  Search  of  a Cause,  in:  Dies.  (Hg.):  The  Miracle  Years,  2001,  S.  459-467, 
S.  461. 

113  Dedef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  17.  Siehe  Kapitel  3:  All  the  Young  Dudes.  1963-1967,  S.  299-428. 


6o 


bildeten  ebenso  die  Herrschaftsbeziehungen  und  Abhängigkeitsverhältnisse  ab. 
»Sozialistische  Errungenschaften«  enthielten  zugleich  die  alltäglichen  Erfah- 
rungen von  unberechenbarer  Verfügbarkeit  und  den  damit  verbundenen  Vertei- 
lungsdefiziten. 1 14 

2.  Besorgte  Jugendpolitiken  und  Jugendkulturen  im  Berlin  der  1960er  Jahre 

Jugendpolitik  war  in  der  getrennten  und  später  geteilten  Stadt  Berlin  ein  Politik- 
feld  der  Konkurrenz  und  des  Wettbewerbs.115  Bei  der  Jugendfürsorge  ging  es 
sowohl  in  Ost-  als  auch  in  Westberlin  darum,  die  Heranwachsenden  vor  ideolo- 
gischer Verführung  zu  bewahren.  Die  »Straße«  und  die  »Gosse«  waren  in  dieser 
Wahrnehmung  Negativchiffren.  Dagegen  setzten  die  »besorgten«  Jugendpoliti- 
ken  in  beiden  Teilen  Berlins  Betreuungs-,  Erziehungs-  und  Freizeitangebote. 
Die  Westberliner  Senatsverwaltung  für  Jugend  und  Sport  nahm  verschiedene 
jugendpolitische  Ideen  an,  die  andere  Kommunen  in  Westdeutschland  bereits 
erfolgreich  eingeführt  hatten.  Die  Ostberliner  Magistratsverwaltung  versuchte 
mit  der  Berliner  SED-Bezirksverwaltung  die  Vorgaben  der  ZK-Abteilung 
Jugend  mit  der  »Wirklichkeit«  in  Übereinstimmung  zu  bringen. 

Peter  Wicke  beschreibt  Rockmusik  als  einen  durch  Klänge,  Tanzformen, 
Medienbilder  und  Kleidungsstile  erzeugten  »sozialen  Raum  für  kulturelle  Akti- 


114  Patrice  G.  Poutrus:  Die  Erfindung  des  Goldbroilers.  Über  den  Zusammenhang  zwischen  Herr- 
Schaftssicherung  und  Konsumentwicklung  in  der  DDR  (=  Zeithistorische  Studien;  19),  Köln/  Weimar/ 
Wien:  Böhlau  2002.  Judd  Stitziel:  On  the  Seam  between  Socialism  and  Capitalism.  East  German  Fashion 
Shows,  in:  David  F.  Crew  (Hg.):  Consuming  Germany  in  the  Cold  War,  Oxford:  Berg  2003,  S.  51-85.  Ina 
Merkel:  Utopie  und  Bedürfnis.  Die  Geschichte  der  Konsumkultur  in  der  DDR  (=  Alltag  und  Kultur;  6), 
Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  1999.  Siehe  wirtschaftsgeschichtlich:  Jörg  Roesler:  Zwischen  Plan  und 
Markt.  Die  Wirtschaftsreform  in  der  DDR  zwischen  1963  und  1970,  Berlin:  Haufe  1991.  Andre  Steiner: 
Von  Plan  zu  Plan.  Eine  Wirtschaftsgeschichte  der  DDR,  München:  Deutsche  Verlags-Anstalt  2004.  Ders.: 
Die  DDR- Wirtschaftsreform  der  sechziger  Jahre.  Konflikt  zwischen  Effizienz-  und  Machtkalkül,  Berlin: 
Akademie-Verlag  1999.  Philipp  Heldmann:  Herrschaft,  Wirtschaft,  Anoraks.  Konsumpolitik  in  der  DDR 
der  sechziger  Jahre  (=  Kritische  Studien  zur  Geschichtswissenschaft;  163),  Göttingen:  Vandenhoeck  & 
Ruprecht  2004.  Jennifer  Schevardo:  Vom  Wert  des  Notwendigen.  Preispolitik  und  Lebensstandard  in  der 
DDR  der  fünfziger  Jahre,  Stuttgart:  Franz  Steiner  Verlag  2006. 

115  Zur  Konkurrenzsituation  im  Politikfeld  Gesundheit  und  medizinische  Grundversorgung  siehe  die 
Dissertation  von  Melanie  Arndt:  Berliner  Gesundheitspolitik  von  1949  bis  1961  (=  Dissertation;  Humboldt 
Universität  zu  Berlin),  2008. 


6 1 


vitäten  verschiedenster  Art.«116  Dabei  werden  kulturelle  Produkte  und  Bedeu- 
tungen aus  unterschiedlichen  gesellschaftlichen  und  kulturellen  Ursprüngen 
miteinander  in  Beziehung  gesetzt  und  zu  neuen  Zeichen  und  Symbolen  umge- 
schrieben. Beispielsweise  waren  Fliegerjacken  und  Parkas  ursprünglich  soldati- 
sche Schutzbekleidungen.  Sie  wurden  zu  Rock’n’Roll-Mänteln  und  »Kutten«. 
Durch  die  Verwendung  von  Textilien,  die  die  amerikanischen  und  britischen 
Truppen  trugen,  ließ  sich  ein  ästhetischer  Gegenentwurf  zur  Kriegsniederlage 
der  Väter,  zur  deutsch-sowjetischen  Freundschaft  und  den  damals  gegenwärti- 
gen gesellschaftlichen  Uniformierungen  herstellen.  Auch  in  Westberlin  hatte 
das  Umfunktionieren  von  Armeekleidung  zur  stilistischen  Aussage  eine  zusätz- 
liche Bedeutung  in  der  ästhetischen  Auseinandersetzung  um  das  Soldatische 
und  Männliche  im  zivilen  Kalten  Krieg  des  Redens  und  des  Ausklammerns  von 
Köperlichkeiten,  Selbst-  und  Fremdbeschreibungen. 

Männliche  und  weibliche  Arbeiterjugendliche  begannen  bereits  in  den 
1950er  Jahren,  bestehende  Geschlechterzuschreibungen  zu  überzeichnen.  Kör- 
perlichkeit, Klänge  und  Lebensstile  informalisierten  sich.  Durch  Swing,  Jazz 
und  Rock’n’Roll  wurden  junge  Nachkriegsdeutsche  »lässig«.  Sie  zivilisierten 
sich  in  der  kreativen  Verarbeitung  amerikanischer  Zeichensätze 117  oder  zumin- 
dest denjenigen,  die  Jugendliche  dafür  hielten.  Nicht  nur  die  deutschen,  auch 
die  Jugendgenerationen  anderer  europäischer  Länder  verhandelten  bis  in  die 
1960er  und  darüber  hinaus  über  ausgewählte,  abgelehnte  und  umkodierte  Ame- 
rikanisierungen118  ihre  jeweiligen  Positionen  gegenüber  den  erwachsenen 


116  Peter  Wicke:  Rockmusik.  Zur  Ästhetik  und  Soziologie  eines  Massenmediums,  Leipzig:  Reclam 
1987,  S.  11 

117  Kaspar  Maase:  BRAVO  Amerika,  1992,  S.  18. 

Zu  Jazz-  und  Soldatenclubs:  Wolfram  Knauer:  Jazz,  GI's  und  German  Fräuleins.  Einige  Anmerkungen 
zur  deutsch-amerikanischen  Beziehung  im  musikalischen  Nachkriegsdeutschland,  in:  PopScriptum  8 - Afro- 
amerikanische Musik  in  Deutschland,  hrsg.  v.  Forschungszentrum  Populäre  Musik  der  Humboldt-Universität 
zu  Berlin,  2006.  URL:  http://www2.hu-berlin.de/fpm/popscrip/themen/pst08/Knauer.htm.  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010], 

Winfried  Fluck:  California  Blue.  Americanization  as  Self-Americanization,  in:  Alexander  Stephan 
(Hg.):  Americanization  and  Anti-Americanism,  2005,  S.  221-237.  Siehe  auch:  Rob  Kroes:  Americanisation. 
What  are  talking  about?,  in:  Rob  Kroes  et  al.  (Hg.):  Cultural  Transmissions  and  Receptions,  1993,  S.  302-318. 

Siehe  zu  Frankreich:  Dietmar  Hüser:  RAPublikanische  Synthese.  Eine  französische  Zeitgeschichte 
populärer  Musik  und  politischer  Kultur,  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  2004. 


Ö2 


Mehrheitsgesellschaften.  Diese  eigenen  Deutungen  von  sich  und  der  gesell- 
schaftlichen Umwelt  erkämpften  Jugendkulturen  immer  wieder  von  neuem. 
Dabei  handelten  sie  auch  jeweils  die  Geschlechterzuschreibungen  neu  aus.119 

Während  sich  in  der  Bundesrepublik  verschiedene  Liberalisierungsschübe 
in  den  1960er  Jahren  endgültig  Bahn  brachen  und  sich  gerade  in  einem  Umfeld 
konservativer  Werthaltungen  verstärkten,  blieben  in  der  DDR  konservative 
Züge  weiterhin  prägend.  Unter  Bezugnahme  auf  die  deutsche  Arbeiterbewe- 
gung wurden  Weiblichkeit,  Männlichkeit  und  die  Darstellungen  jugendlicher 
Performanz  in  der  sozialistischen  Öffentlichkeit  klar  von  den  diskursiven  Bil- 
dern einer  leistungsbereiten  sozialistischen  Jugend  getrennt.120 

Die  SED  verwob  ihre  Vorstellung  einer  proletarischen  Körperpolitik  mit 
den  Versuchen  einer  kulturellen  Abgrenzung  von  der  »amerikanisierten«  Bun- 
desrepublik. Das  bedeutete  aber  auch  - und  dieser  Aspekt  ist  bislang  unberück- 
sichtigt geblieben  - dass  die  SED  ihre  eigenen  Amerikanisierungen  anbot.  Für 
die  SED  scheint  es  vereinbar  gewesen  zu  sein,  einerseits  am  Beispiel  der  afro- 
amerikanischen Minderheit  die  Gesellschaftsverhältnisse  in  den  Vereinigten 
Staaten  als  ein  Apartheid-Regime  zu  kritisieren,  zum  anderen  aber  an  Jazz, 


119  Rob  Kroes:  American  Mass  Culture  and  European  Youth  Culture,  in:  Axel  Schildt/  Detlef  Sieg- 
fried  (Hg.):  Between  Marx  and  Coca-Cola.  Youth  Cultures  in  Changing  European  Societies.  1960-1980, 
New  York/  Oxford:  Berghahn  Books  2006,  S.  82-105. 

Dänemark-.  Steven  L.B.  Jensen:  »Youth  Enacts  Society  and  Somebody  makes  a Coup«.  The  Danish 
Student  Movement  between  Political  and  Lifestyle  Radicalism,  in:  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried  (Hg.): 
Between  Marx  and  Coca-Cola,  2006,  S.  224-238. 

Niederlande-.  Mel  van  Eiteren:  Sounds  from  America  in  Holland.  The  Counter-Culture  of  the  »Six- 
ties«,  in:  Rob  Kroes  et  al.  (Hg.):  Cultural  Transmissions  and  Receptions,  1993,  S.  171-197.  Gerhard  A. 
Pfeffer:  Im  Heimatland  der  Provos,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit, 
15.  Jg.  (1967)  H.  11,  S.  489-499.  G.E.L  Boon  von  Ochssee:  Das  Phänomen  der  Provos,  in:  deutsche 
jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  16.  Jg.  (1968)  H.  2,  S.  61-68. 

Frankreich-.  Chris  Warne:  The  Youth  Question.  Generations,  Stability  and  Social  Change  in  France 
since  1945,  in:  Carl  Levy/  Mark  Roseman  (Hg.):  Three  Postwar  Eras  in  Comparison.  Western  Europe 
1918-1945-1989,  Houndmills  Basingstoke:  Palgrave  Macmillian  2002,  S.  216-234. 

Großbritannien:  Roger  Hutchinson:  High  Sixties.  The  Summer  of  Riot  & Love,  Edinburgh:  Main- 
stream Publishing  1992.  Mit  Blick  auf  die  »Bank  Holiday-Riots«  1964  und  1965  in  den  Seebädern  Clac- 
ton-on-Sea,  Margate,  Brighton  and  Hastings  siehe  besonders  S.  34-55. 

120  Peter  Gaulitz:  Harter  Beat  und  weiche  Kissen,  in:  Eulenspiegel,  12.  Jg.  (1965)  Nr.  42,  S.  8-9  und  S.  14. 


Boogie  und  Rock’n’Roll  eigene  rassistische  Zuschreibungen  zu  bekräftigen.121 

Im  Westeuropa  der  »langen  60er  Jahre«  - so  die  bisherige  Narration  über 
diese  »Sattelzeit  einer  politischen  und  kulturellen  Pluralisierung« 122  - blieben 
die  verschiedenen  sich  subkulturell  begreifenden  Bewegungen  in  die  Mehr- 
heitsgesellschaften eingefugt.  Die  diskursiv  hergestellte  »Angst«  vor  einer 
abgekoppelten  Gegengesellschaft  in  der  freiheitlichen  Demokratie  war  viel- 
mehr eine  Technik  zur  Bekräftigung  der  vom  Kalten  Krieg  geprägten  Abwehr- 
bereitschaft. Jedoch  durchdrangen  Subkulturen  den  Mainstream  und  veränder- 
ten ihn  dadurch.123  Die  Subkulturen  stellten  durch  ihre  Konsumweisen  die 
bestehenden  und  fest  gefügten  Grenzziehungen  über  die  »Nichtzulässigkeit« 
kultureller  Einflüsse  in  Frage.124  Die  transnationalen  Medien-  und  Unterhal- 
tungsprodukte ließen  aber  auch  selektive,  durchaus  renationalisierende  Einfü- 
gungen zu.125 

Die  jugendpolitischen  Akteure  in  West-  und  Ostberlin  bemühten  sich,  die 
durch  die  verfügbaren  Konsumprodukte  und  ihre  Verwendungen  erzeugten 
popkulturellen  Oberflächenreize  aufzulösen.  Das  vollzog  sich  auf  westlicher 
Seite  in  einer  begrenzenden,  aber  zulassenden  und  auf  östlicher  Seite  in  einer 
administrierenden , und  dem  Anspruch  nach  disziplinierenden  Richtung.  Dabei 
verliefen  in  der  DDR  Beweglichkeit  und  Beharrung  weithin  parallel.  Es  ging 
immer  auch  um  Mobilisierung,  Anziehungskraft  und  Bindungen.  Die  Jugend- 
kommuniques der  SED  vom  Februar  1961  und  vom  September  1963  verlang- 
ten Leistung  für  den  sozialistischen  Aufbau  und  gewährten  dafür  Freiräume. 
Die  Intentionen  der  SED-Verlautbarungen  konkurrierten  mit  den  Auslegun- 


121  Uta  G.  Poiger:  American  Music,  Cold  War  Liberalism,  and  German  Identity,  in:  Heide  Fehren- 
bach/  Uta  G.  Poiger  (Hg.):  Transactions,  Transgressions,  Transformations,  2000,  S.  127-147,  S.  130. 

122  Detlef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  10. 

123  Arthur  Marwick:  The  Sixties,  1998,  S.  13. 

Heide  Fehrenbach/  Uta  G.  Poiger:  Introduction,  in:  Dies.  (Hg.):  Transactions,  Transgressions, 
Transformations,  2000,  xiii-xl,  xxix.  Ulf  Hannerz:  Networks  of  Americanization,  in:  Rolf  Lunden/  Erik 
Psard  (Hg.):  Networks  of  Americanization.  Aspects  of  the  American  Influence  in  Sweden,  Uppsala:  Acta 
Universitatis  Upsaliensis  1992,  S.  9-19,  S.  1.  (Vgl.  Pierre  Bourdieu:  Zur  Soziologie  der  symbolischen  For- 
men, Frankfurt/  Main:  Suhrkamp  1991.  Ders.:  Die  feinen  Unterschiede.  Kritik  der  gesellschaftlichen 
Urteilskraft,  Frankfurt/  Main:  Suhrkamp  1992). 

125  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried:  Youth,  Consumption,  and  Politics  in  the  Age  of  Radical  Change, 
in:  Dies.  (Hg.):  BetweenMarx  and  Coca-Cola,  2006,  S.  1-35,  insbesondere  S.  11  und  S.  28. 


64 


gen  der  jugendlichen  Politikkonsumenten,  die  den  Tonfall  der  Einheitspartei  an 
der  alltäglich  »konsumierbaren«  Wirklichkeit  bestehender  Arbeits-  und  Lehr- 
verhältnisse in  DDR-Betrieben  und  Schulen  überprüften.  Diese  Abgleiche  zwi- 
schen Rhetorik  und  Realität  verliefen  in  der  DDR  oftmals  nur  in  Teilen  erfolg- 
reich. Aber  auch  im  »freien  Teil  Berlins«  gab  es  Ernüchterungen,  wenn  die  ver- 
sprochenen Chancen  mit  den  tatsächlichen  Freiräumen  nicht  nur  positive 
Bezugspunkte  ergaben.  Der  repressive  Charakter  der  Nachkriegsgesellschah 
war  noch  eine  deutliche  Wegstrecke  davon  entfernt,  sich  in  einer  allgemeinen 
Liberalisierung  aufzulösen. 

2. 1 Die  BRD  und  ihre  sich  »liberalisierenden«  Teilkulturen 

Erziehungsexperten  und  Jugendpfleger  in  der  Bundesrepublik  und  in  Westber- 
lin versuchten,  die  Kommunikationsweisen  der  jugendlichen  Teilkulturen  zu 
verstehen.  Zentral  für  den  westlichen  Diskurs  über  Jugend  waren  die  Kenn- 
zeichnungen der  verschiedenen  Subkulturen  und  das  Gegenbild  einer  unfreien 
DDR-Jugend.  So  leuchtete  eigene  freiheitlich-demokratische  Liberalität  um  so 
heller. 

Den  Konsum  zu  politisieren  war  dabei  ein  Weg,  den  sozio-kulturellen 
Umbruch  der  1960er  Jahre  mit  neuen  Bedeutungen  zu  versehen  und  die  gesell- 
schaftliche Entwicklung  nicht  nur  als  fortschreitende  Verbesserung  zu  betrach- 
ten. Politische  Positionen  durch  Megafone,  Plakate  oder  Spaßaktionen  zu  ver- 
künden, war  Kennzeichen  der  semiotischen  Guerilla126  im  städtischen  Raum. 
Diese  Handlungen  wurden  von  Staat  und  Mehrheitsgesellschaft  bereits  als 
gewalttätig  aufgefasst.  Die  Auslieferung  der  Bild- Zeitung  zu  stoppen  oder 
Kaufhäuser  anzuzünden  waren  radikalere  Varianten.  Diesen  Weg  beschritt  nur 
eine  Minderheit.  Sie  wandelte  sich  aus  losen  Zusammenhängen  zur  bewaffne- 
ten Stadtguerilla,  zur  »Bewegung  2.  Juni«,  zur  »Roten  Armee  Fraktion«. 

Auf  der  administrativen  Seite  löste  sich  die  westdeutsche  Jugendpflege 
zögernd  aus  den  Denkhorizonten  der  1920er  und  1930er  Jahre.  Sie  eignete  sich 
aber  zunehmend  die  jugendsoziologischen  Erkenntnisse  aus  der  anglo-amerika- 


126  Umberto  Eco:  Für  eine  semiologische  Guerilla,  in:  Ders.:  Über  Gott  und  die  Welt.  Essays  und 
Glossen,  München:  Hanser  1985,  S.  146-156. 


nischen  Debatte  der  1940er  Jahre  an  und  setzte  diese  Kenntnisse  in  der  »eman- 
zipatorischen  Jugendhilfe«1-7  in  Häusern  der  Offenen  Tür  um.  Bestehende 
NS-Denktraditionen  wurden  ausgeblendet.  Den  repressiven  Formen  standen 
nun  verstärkt  Erziehungsansätze  gegenüber,  die  auf  Kommunikation,  Integrati- 
on und  Zustimmung  abzielten.  Gegen  gesellschaftliche  Normen  zu  verstoßen 
blieb  aber  weiterhin  ein  Leichtes  und  nicht  weniger  konfliktträchtig.  Die  mora- 
lisierende Entrüstung  angesichts  »ungezügelten  Benehmens«  und  die  Angst 
um  die  Zukunft  der  »Nation«  - wie  sie  die  zeitgenössische  mediale  Vermittlung 
der  Popkultur  der  1960er  Jahre  einschrieb  - übte  auf  die  junge  Generation 
einen  magnetischen  Reiz  aus.1-8  Eine  solche  Furcht  wurde  zumeist  von 
bestimmten,  den  immer  den  gleichen  Medien  verbreitet.  »Schlechte«  Nach- 
richten über  den  Zustand  der  »Jugend«  verkauften  sich  besser. 

Die  Einfügungsverfahren  teil-kultureller  Impulse  durchschritten  - so  Die- 
ter Baacke  - zunächst  eine  Phase  der  »entrüsteten  Ablehnung«.  Dann  folgten 
Erklärungsmuster,  die  hegemoniale  Integrationsbemühungen  auslösten,  bis 
»gelenkte  Veranstaltungen«  Duldungen  herstellten.1-9  Der  »Boom«  im  Wirt- 
schaftswunderland Bundesrepublik  hatte  die  Loyalitäten  der  Milieus  zur  neuen 
staatlichen  Ordnung  West  gefestigt.  Die  bürgerliche  Kultur  hatte  dabei  aber 
ihre  »sozialen  Trennlinien  nach  unten«110  zusehends  eingebüßt.  In  die  ver- 
schwimmenden Milieugrenzen  fielen  die  sektoralen  Umbrüche  in  der  Jugend- 
politik, der  Jugendfürsorge  und  der  unterhaltungsindustriellen  Konsumgüter- 
produktion der  1960er  Jahre. 

Auf  den  Durchbruch  der  von  der  britischen  Popkultur  inspirierten  Mode, 
der  etwa  1965  in  der  Bundesrepublik  einsetzte,  folgte  bald  darauf  der  Hippie- 
Stil.  Das  verdeutlichte,  dass  der  ästhetische  Zeitgeist  keine  verbindlichen  Mo- 


127  Julia  Ubbelohde:  Der  Umgang  mit  jugendlichen  Normverstößen,  in:  Ulrich  Herbert  (Hg.): 
Wandlungsprozesse  in  Westdeutschland,  2002,  S.  402-435,  S.  429. 

128  Arthur  Marwick:  Youth  Culture  and  Cultural  Revolution,  in:  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried  (Hg.): 
Between  Marx  and  Coca-Cola,  2006,  S.  39-58,  S.  54. 

129  Dieter  Baacke:  Beat  - Die  sprachlose  Opposition,  München:  Juventa  Verlag  1968,  S.  56. 

130  Gerold  Ambrosius/  Hartmut  Kaelble:  Einleitung.  Gesellschaftliche  und  wirtschaftliche  Folgen 
des  Booms  der  1950er  und  1960er  Jahre,  in:  Hartmut  Kaelble  (Hg.):  Der  Boom  1948-1973.  Gesellschaft- 
liche und  wirtschaftliche  Folgen  in  der  Bundesrepublik  Deutschland  und  in  Europa,  Opladen:  Westdeut- 
scher Verlag  1992,  S.  7-32,  S.  22. 


66 


delle  mehr  vorschrieb,  sondern  die  Kombinationsfähigkeit  gegensätzlicher  Zei- 
chen das  Spiel  mit  selbst  gebastelten  Identitäten  erweiterte.131  Körper,  Bilder 
und  Klänge  waren  nun  Werkzeuge,  die  aus  der  Popkultur  herausgelöst  wurden, 
um  die  Oberflächen  der  gesellschaftlichen  Bedeutungen  und  deren  Resonanzen 
zu  erkunden.133  Die  Konsum-  und  Unterhaltungsindustrie  zeigte  sich  jedoch 
durchaus  in  der  Lage,  diese  Stile  aufzugreifen,  sie  zu  verbreiten  und  für  neue 
Zielgruppen  benutzbar  zu  machen.1’3  Die  politischen  und  kulturellen  Absetz- 
bewegungen, die  zwischen  Studierenden,  bürgerlich-kritischen  Intellektuellen 
und  den  Cold  War  Liberais  des  Wirtschaftswunders  erkennbar  wurden,  erzeug- 
ten durch  diese  Reibungen  alternative  Vorstellungen  einer  neuen  Bürgerschaft- 
lichkeit.  In  deren  Zentrum  stand  die  Beteiligung  an  Entscheidungen.  Popkultur 
und  die  darin  enthaltenen  Verwendungen  neuer  Medientechniken  und  neuer 
Symbole  kennzeichneten  verschiedene  musikalische,  modische  und  stilistische 
Übergangsbereiche  in  die  Mehrheitsgesellschaft  der  Bundesrepublik.  Die  in  der 
Nachkriegszeit  geborenen  Jugendlichen  (und  die  Situation  in  der  DDR  unter- 
schied sich  hiervon  nur  imwesentlich)  steuerten  die  Hybridisierungen  kulturel- 
ler Materialien  und  Zeichen,  indem  sie  sie  in  den  »fluid  borderlands«,  den 
beweglichen  Übergangsbereichen  selbst  erzeugter  Identitäten,  benutzten.1’4 

2.1.1  Jugendkulturen  der  1960er  Jahre.  Individualisierung  und  Liberalisierung 
in  der  Bundesrepublik 

»Ich  schwärme  für  Rock’n’Roll.  Damit  sind  meine  Eltern  aber  gar  nicht  einver- 
standen. Wenn  im  Radio  irgendwelche  heiße  Musik  ertönt,  so  wird  es  abge- 
stellt. Das  finde  ich  gemein«,135  beschwerte  sich  ein  fünfzehnjähriger  westdeut- 


Dieter  Baacke:  Beat,  1968,  S.  58. 

132  Anja  Schwanhäußer:  Stilrevolte  Underground.  Die  Alternativkultur  als  Agent  der  Postmoderne  (= 
Berliner  Ethnografische  Studien,  hrsg.  v.  Gesellschaft  für  Ethnografie),  Münster:  LIT  2002,  S.  61. 

133  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried:  Youth,  Consumption,  and  Politics  in  the  Age  of  Radical  Change, 
in:  Dies.  (Hg.):  Between  Marx  and  Coca-Cola,  2006,  S.  2. 

134  Vered  Amit-Talai:  The  »Multi«  Cultural  of  Youth,  in:  Vered  Amit-Talai / Helena  Wulff  (Hg.): 
Youth  Cultures.  A Cross-Cultural  Perspective,  London/  New  York:  Routledge  1995,  S.  223-233,  S.  229. 

135  Hermann  Bertiein:  Das  Selbstverständnis  der  Jugend  heute.  Eine  empirische  Untersuchung  über 
ihre  geistigen  Probleme,  ihre  Leitbilder  und  ihr  Verhältnis  zu  den  Erwachsenen,  Hannover/  Berlin/ 
Darmstadt/  Dortmund:  Hermann  Schroedel  Verlag  1960,  S.  247. 


6? 


scher  Schlosserlehrling  und  Berufsschüler  1957.  Zehn  Jahre  später  hätte  es 
wohl  geheißen,  er  solle  wenigstens  nach  draußen  gehen.  Und  anno  1973  hätte 
dieser  Berufsschüler  die  Zimmertür  zugeschlossen,  die  Stereoanlage  aufge- 
dreht, und  eventuell  die  Kopfhörer  aufgesetzt. 

Das  Bild  des  Teenagers  als  Teil  einer  konsumorientierten  Avantgarde  sollte 
alsbald  die  Angst  vor  dem  Rock’n’Roll  und  den  dazugehörenden  Verhaltens- 
weisen besänftigen.1’6  Conny  Froboess  und  Peter  Kraus  wiesen  als  Ikonen  bür- 
gerlicher Verarbeitung  von  Rock  auf  die  Verwertbarkeit  und  die  wachsende 
konsumtive  Marktmacht  von  Jugendlichen  für  die  Unterhaltungsindustrie  hin. 
»Der  Starklub«  (heute  wäre  es  wohl  eine  Facebook-Community)  sei  keine 
»zwanglose  Vereinigung  junger  Leute«,  kritisierte  Hans  Heigert  1959.  Er  habe 
die  Aufgabe  »durch  dick  und  dünn  mit  seinem  Idol«  zu  gehen.137  Diese  bis 
dahin  »vergessenen  Verbraucher«  von  heute  und  von  morgen  mit  ihren  bislang 
nicht  abgeschöpften  Freizeitbudgets 138  waren  als  neue  Käuferschicht  zu  er- 
schließen. Auf  »Stars«  fokussiertes  Marketing  brachte  die  Produkte  näher  an 
die  jugendlichen  Konsumenten.  Jean  Amery  nennt  das  »Connyformismus«  und 
fordert  bundesrepublikanische  Lehrer  dazu  auf,  Starklubs  zu  tolerieren.  Bei 
»Conny«  sei  die  weibliche  Jugend  so  gut  aufgehoben  wie  in  einer  Klosterschule: 
»kein  Whiskeygeruch,  kein  Zigarettendampf,  kein  neumodischer  Unfug.«  Das 
hierüber  transportierte  Frauenbild  sei  demnach  »beste  Vorkriegsware  in  sterili- 
sierter Nachkriegs-Krmststoff- Verpackung.«139 

Eine  erkennbare  stilistische  »Wendigkeit  im  Jugendalter«  bedeute  auch,  so 
Hermann  Bertiein  1960,  dass  von  außen  kommende  Anreize  und  Hindernisse 
differenziert  und  angepasst  beantwortet  werden,  um  »möglichst  lange  Eigen- 
spielraum zum  Experimentieren  in  Lebensrollen« 140  für  sich  freizuhalten. 


136  Dieter  Baacke:  Jugend  und  Jugendkulturen.  Darstellung  und  Deutung,  Weinheim/  München: 
Juventa  1987,  S.  43. 

137  Hans  Heigert:  Ein  neuer  Typ  wird  produziert:  der  Teenager,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für 
Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  7.  Jg.  (1959)  H.  1,  S.  117-121,  S.  119. 

138  Ruth  Münster:  Geld  in  Nietenhosen.  Jugendliche  als  junge  Verbraucher,  Stuttgart:  Forkel-Verlag 
1961.  Dorothea-Luise  Schaarmann:  Konsumverhalten  von  Jugendlichen  (=  Überblick  zur  wissenschaftli- 
chen Jugendkunde;  12),  München:  Juventa  Verlag  1965,  S.  25. 

139  Jean  Amery:  Teenager-Stars.  Idole  unserer  Zeit,  Zürich/  Stuttgart/  Wien:  Albert  Müller  Verlag 
1960,  S.  97. 

Hermann  Bertiein:  Selbstverständnis  der  Jugend,  1960,  S.  284. 


68 


Zeitgenossen  beschrieben  dies  als  »Anpassung  der  Unbelasteten«,  »Distanz  der 
Gelangweilten«,  das  »Missvergnügen  der  Unbefriedigten« 141  oder  als  die  von 
der  Erwachsenenwelt  losgelöste  Teilkultur  Jugend.142  Dieter  Baacke  merkte 
dazu  kapitalismuskritisch  an,  dass  gerade  Popkultur  eine  bequeme  Anpassung 
an  Konsumzwänge  ermögliche.  Die  Spaß -Komponente,  die  die  Teenager-Kul- 
tur auszeichne,  verhindere,  dass  die  ökonomischen  Abhängigkeiten  und  die 
manipulative  Beeinflussung  durch  Produktwerbung  in  Frage  gestellt  würden. 
Die  »sprachlose  Opposition«  der  Jugend  steige  nicht  in  die  Sprechchöre  der 
außerparlamentarischen  Studenten-  und  Schülerbewegung  ein,  so  Baacke.  Sie 
schließe  sich  nicht  den  Demonstrationszügen  an  und  bleibe  sprachlos,  weil  sie 
nicht  wisse,  wer  und  was  der  Adressat  und  die  Gegenstände  ihrer  Unzufrieden- 
heit sind.141  Ausweichen  und  die  Unfähigkeit,  sich  Diskussionen  zu  stellen, 
kennzeichnen  nach  Baacke  die  »Jugend«  der  mittleren  1960er  Jahre.  Baacke 
schätzte  politische  Widerständigkeit  als  qualitativ  höher  ein  als  kulturelle  und 
akustische  Dissidenz.  Visuelle  und  akustische  Symbole  wie  lange  Haare,  US- 
Armee-Parkas  und  laute  Musik  wären  zu  zuletzt  genannten  hinzuzuzählen. 

Jugendliche  Sozialisationen  vollzogen  sich  immer  stärker  in  Eigenregie  mit 
aktivem  Zugriff  auf  vorhandene  Medienressourcen.  In  diesem  Sinne  waren 
angepasste  und  abweichende  Jugendliche  Konsum-  und  Kulturpioniere.  Die 
zur  Verfügung  stehenden  Güter  des  täglichen  (Freizeit-)  Gebrauchs  boten 
Kombinationsmöglichkeiten,  an  denen  Individuen  eigene  Identitäten  ausbilde- 
ten, gerade  weil  das  Verständnis  über  die  Bedeutungen  teil-kulturell  begrenzt 
blieb.144 

Style  wurde  aber  nicht  nur  über  die  Kombination  von  Konsumgegenstän- 
den, sondern  auch  über  deren  Nicht-Konsum  erzeugt.  Die  sich  überlagernden 
jugendkulturellen  Strömungen  der  1960er  Jahre  schufen  (unter  anderem  bei 
Konzerten,  Demonstrationen  und  anderen  Besetzungen  des  öffentlichen  Rau- 


141  Ludwig  von  Friedeburg:  Zum  Verhältnis  von  Jugend  und  Gesellschaft,  in:  Ders.  (Hg.):  Jugend  in 
der  modernen  Gesellschaft,  Köln:  Kiepenheuer  & Witsch  1965,  S.  176-190,  S.  185. 

142  Friedrich  H.  Tenbruck:  Moderne  Jugend  als  soziale  Gruppe,  in:  Ludwig  v.  Friedeburg  (Hg.): 
Jugend,  1965,  S.  87-98. 

143  Dieter  Baacke:  Beat,  1968,  S.  29. 

144  Detlef  Siegfried:  Time,  2006,  S.  16. 


69 


mes)  Vergemeinschaftungen  durch  Ereignisse.  Die  Zeichensprachen  dieser 
Minderheiten  vermittelten  Ahnungen  eines  kulturellen  Aufbruchs,  »eines  Zu- 
wachses an  Möglichkeiten  individueller  Selbstbestimmung.«14'’  Die  Suche  nach 
neuen  Lebensstilen  in  der  Jugend  verdeutlichte  auch  die  »Sinnkrise«,  die  in  der 
organisierten  konfessionellen  und  politischen  Jugendarbeit  als  Problem  wahr- 
genommen wurde.  Das  führte  auf  den  verschiedenen  politischen  Ebenen  zu 
einer  Erweiterung  der  Jugendhilfe  hin  zu  einer  aktiven  »Freizeithilfe«.  Dabei 
boten  die  ersten  Heime  der  Offenen  Tür,  die  kirchliche  Jugendarbeit  und  die 
Jugendämter  beispielsweise  alkoholfreie  Tanzpartys  - sogenannte  »Coca-Cola- 
Bälle«  - an,  schufen  Proberäume  für  Musikgruppen  und  veranstalteten  Konzerte 
mit  Amateur-Bands.146  Orientierungssicherheit  für  die  Heranwachsenden  zu 
geben,  war  in  diesem  Verständnis  eine  erste  Abwehrmaßnahme  gegen  etwaige 
Verführungen  aller  Art.  Die  transnationale  Popkultur  als  neue  Gemeinschaft  der 
Zeichenverwendungen  aber  bot  diese  Orientierung  solchen  Jugendlichen,  die  auf 
der  Suche  nach  Neuem  waren,  bereits  an  und  bekräftigte  diese  auch  durch 
beschleunigte  Veränderung.  Die  »Nation«  als  vorgestellte  Gemeinschaft 147  ge- 
hörte den  Eltern,  Lehrern  und  Meistern,  aber  die  Kriegskindergeneration  wollte 
sich  von  deren  verbrannten  Werten  und  gescheiterten  Gewissheiten  abnabeln. 
Die  neue  Popkultur  war  eine  Gemeinschaft  der  Jungen  gegen  die  Alten. 

2.1.2  Konsumkultur  und  die  neue  Körperlichkeit  der  Jugendlichen. 

Halbstarke,  Gammler,  Hippies  und  Rocker  aus  Sicht  von  Jugendpädagogen 

Auftritte  mit  der  eigenen  Band  und  Konzertbesuche  gehören  zu  den  körperli- 
chen und  akustischen  Praktiken  jugendkultureller  Strömungen.  Von  den  beob- 
achtenden erwachsenen  »Experten«  musste  dies  zunächst  überhaupt  erst  ver- 


145  Axel  Schildt:  Von  der  Not  der  Jugend  zur  Teenager-Kultur.  Aufgewachsen  in  den  50er  Jahren,  in: 
Axel  Schildt/  Arnold  Sywottek  (Hg.):  Modernisierung  im  Wiederaufbau,  1998,  S.  335-348,  S.  335.  Tho- 
mas Großbölting:  Bundesdeutsche  Jugendkulturen  zwischen  Milieu  und  Lebensstil,  in:  Mitteilungsblatt 
des  Instituts  für  soziale  Bewegungen,  Nr.  31  (2004),  S.  59-80. 

146  Axel  Schildt:  Von  der  Not  der  Jugend,  1998,  S.  346.  Alexa  Geisthövel:  Das  Tanzlokal,  in:  Alexa 
Geisthövel/  Habbo  Knoch  (Hg.):  Orte  der  Moderne.  Erfahrungswelten  des  19.  und  20.  Jahrhunderts, 
Frankfurt/  Main:  Campus  2005,  S.  141-150. 

Die  »Nation«  als  vorgestellte  Gemeinschaft.  Benedict  Anderson:  Die  Erfindung  der  Nation.  Zur 
Karriere  eines  erfolgreichen  Konzepts,  Frankfurt/  Main:  Campus  1988. 


7° 


standen  werden.  Die  Jugendpfleger  (und  Baackes  zeitgenössische  Kommentie- 
rung ist  hierfür  ein  Paradebeispiel)  maßen  die  gesellschaftsverändernden  Po- 
tenziale zeitgenössischer  Jugendkulturen  an  ihren  eigenen  früheren  Praxen  und 
Selbstbeschreibungen.  Das  Unbehagen  akademischer  »Jugendexperten«  gegen- 
über der  Wohlstandsgesellschaft  kapitalistischer  Prägung  verzerrte  deren  Blick- 
winkel auf  konsumbewusste  Jugendkulturen. 

Johannes  Jewski  bedauerte  in  der  Zeitschrift  deutsche  jugend  im  Jahre 
1963,  dass  die  Bilder-  und  Klangwelt  einer  bundesrepublikanischen  Großstadt 
am  Ende  der  1950er  Jahre  nichts  mehr  mit  dem  Liedgut  der  deutschen  Jugend- 
bewegung zu  tun  habe.148  Die  Hamburger  Kellerklubs  Cravatty  und  Hexenkel- 
ler auf  St.  Pauli  waren  Räume,  auf  die  dies  zutraf.  Dort  hörten  Jugendliche 
Schlager,  spielten  die  Songs  nach  und  traten  bei  den  größeren  Veranstaltungen 
der  Freizeitheime  auf.  Jewski  versuchte  sich  an  einer  Typisierung  unterschiedli- 
cher Fraktionen:  »Jazzfans«,  »Jazzer«  oder  »Exis«  und  »Rocker«  oder 
»Rockies«  stünden  einander  gegenüber.  Äußerlich  werde  »auf  strenge  Unter- 
scheidung nachdrücklich  Wert  gelegt«,  so  Jewski.  »Exis«  beschrieb  er  so:  Sie 
trugen  Cäsar-Haarschnitte,  amerikanische  Soldatenmäntel,  Blue  Jeans  und  Jak- 
ken,  die  sie  »Snow-Coats«  oder  »Parkas«  nannten.  Die  jungen  Frauen  trugen 
toupierte  Haarfrisuren,  tiefbraune  bis  schwarze  Perlonstrümpfe  und  braune 
oder  blaue  Perlonmäntel.149  Für  Jewski  war  das  eine  fremde  Welt.  Die  sie  kon- 
stituierenden Zeichen  konnte  er  nicht  mehr  deuten. 

In  Westberlin  hießen  Anfang  der  1960er  Jahre  die  »hot  spots«  der  Popszene 
Grüne  Hölle , Badewanne , Casaleon  und  Cannonball  Club .l5° 

Die  Jugendpädagogen  warnten  vor  dem  Abdriften  dieser  Szenen.  Sie  be- 
schworen die  Gefahr  herauf,  diese  Gruppen  nicht  mehr  erreichen  zu  kön- 


148  Johannes  Jewski:  Volkslied,  Jazz  und  Rock’n'Roll.  Erfahrungen  aus  der  Musikarbeit  in  Freizeit- 
heimen,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  11.  Jg.  (1963)  H.  8,  S.  367- 
371,  S.  368. 

149  Ebd.,  S.  370. 

150  Hans-Jürgen  Klitsch:  Shakin’  all  over.  Die  Beatmusik  in  der  Bundesrepublik  Deutschland  1963- 
1967,  Erkrath:  High  Castle  2001,  S.  133. 


71 


nen.151  Ein  solches  »Aussteigen«  aus  der  Gesellschaft  wurde  unter  Heranwach- 
senden im  Gegensatz  dazu  als  verstörend  lustvolles  Verweisfeuerwerk  zele- 
briert, wie  es  die  Kommune  1 und  andere  Wohnzusammenhänge  dann  prak- 
tisch auslebten. 1,2  Dass  der  modische  Habitus  junger  männlicher  Besucher  von 
Berliner  Beatlokalen  und  ihr  »narzisstischer  Schönheitskult«  Geschlechterrol- 
len vermischte153,  war  auch  unter  aufgeschlossenen,  jugendbewegten  Pädago- 
gen wie  Peter  Nimmermann,  eine  gängige  Redefigur.  Mädchenhafte  Kleidung 
überschritt  eine  wichtige  visuelle  Grenze  des  männerbündischen  Selbstver- 
ständnisses. 

Eine  jugendeigene  Beat-Kultur  könne  nicht  wirksam  werden,  so  Nimmer- 
mann, da  sie  selbst  hohe  Anpassungsleistungen  verlange.  Da  der  »amorphe 
jugendliche  Protest«  keine  politische  Richtung  habe,  münde  dieser  schließlich 
und  zwangsläufig  in  den  Konformismus.  In  der  Bundesrepublik  habe  Beat 
weder  eine  soziale  Funktion  noch  eine  eigene  Kontur  im  Gegensatz  zu  den 
Armenvierteln  der  nordenglischen  Hafenstadt  Liverpool.  Beatmusik  und  ihre 
körperlichen  Attribute,  so  Dieter  Baacke,  seien  in  der  Bundesrepublik  eine  von 
Massenmedien  verbreitete  Mode  und  kein  »Untergrund«154.  »Beat«  sei  das 
Zeichen  einer  jugendkulturellen  Absetzbewegung  innerhalb  der  Gesamtkultur, 
das  von  den  als  bedrohlich  empfundenen  Anforderungen  der  Leistungsgesell- 


151  Ulrich  Bathke:  Einige  Erfahrungen  mit  Gammlern  und  einige  Reflexionen  über  sie,  in:  deutsche 
jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  14.  Jg.  (1966)  H.  3,  S.  127-131.  S.  131.  Walter 
Hollstein:  Die  Gegengesellschaft,  Bonn:  Verlag  Neue  Gesellschaft  1979,  S.  27-38.  Helmut  Fritz:  Von  der 
Flucht  und  Heimkehr  der  Hippies.  Rückblick  auf  eine  burleske  Jugendbewegung,  in:  deutsche  jugend. 
Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  16.  Jg.  (1968)  H.  1,  S.  21-30.  Dieter  Baacke:  >under- 
ground<  - Zwischen  Profit  und  Provokation,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und 
Jugendarbeit,  17.  Jg.  (1969)  H.  5,  S.  221-230.  Peter  Nimmermann:  Die  Hippies  kehren  nicht  zurück,  in: 
deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  18.  Jg.  (1970)  H.  1,  S.  21-27. 

152  Hartmut  Sander/  Ulrich  Christian:  Subkultur  Berlin  - Selbstdarstellung,  Text-,  Ton-,  Bildkom- 
mentare. Esoterik  der  Kommunen,  Rocker,  subversive  Gruppen,  Darmstadt:  März  Verlag  1969.  Günter 
Cremer:  Die  Subkultur  der  Rocker.  Erscheinungsformen  und  Selbstdarstellung  (=  Soziologische  Studien; 
7),  Pfaffenweiler:  Centaurus  Verlag  1992. 

153  Peter  Nimmermann:  Beat  und  Beatlokale  in  Berlin,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
fragen und  Jugendarbeit,  14.  Jg.  (1966)  H.  11,  S.  495-504,  S.  504. 

154  Dieter  Baacke:  Das  Phänomen  Beat  (Teil  I),  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und 
Jugendarbeit,  15.  Jg.  (1967)  H.  10,  S.  449-460,  S.  453. 


72 


Schaft  entlaste.155  Dem  »Beat«  fehle  aber  ein  politisches  Programm,  deshalb  sei 
er  keine  Jugendbewegung.  Freizeitereignisse  zu  konsumieren,  so  Baacke,  zeige 
in  dieser  Deutung  auf  die  Bereitschaft  der  Jugendlichen,  sich  manipulieren  zu 
lassen. 

Dabei  war  es  aber  gerade  der  kommerzielle  Gehalt  des  »Beat«,  der  eine 
Spur  zu  dessen  Einarbeitung  legte,  da  »Beat-Battles«  genannte  Konzertveran- 
staltungen mit  mehreren  Gruppen  die  Anziehungskraft  kommunaler  Jugend- 
heime und  somit  auch  der  offiziell  betriebenen  Jugendpolitik  steigerten.156  Die 
zeitgenössischen  Beschreibungen  von  Jugendkultur  während  ihrer  zunehmen- 
den Sichtbarkeit  im  öffentlichen  Raum  verwiesen  viel  stärker  auf  die  Wunsch- 
vorstellungen der  Autoren  hinsichtlich  einer  emanzipativ  ausgerichteten  Gegen- 
bewegung zur  vergangenheitsverdrängenden  Erwachsenengesellschaft. 

2.1.3  Subkultur  und  Ordnung.  Die  Angstprojektion  auf  Gegenkulturen  in  der 
liberalen  Demokratie 

»Jugend«  war  als  öffentliches  Problem  ein  beliebter  Gegenstand  zur  gesell- 
schaftlichen Selbstverständigung.157  Die  Aufrechterhaltung  öffentlicher  Ord- 
nung war  an  Sicherheitsbedürfnisse  und  Erziehungsverpflichtungen  gekoppelt, 
die  in  den  frühen  1960er  Jahren  auf  die  Korrektur  vorangegangener  Fehlent- 
wicklungen verwiesen.  Man  projizierte  Ängste  aus  der  Vergangenheit  auf  die 
gegenwärtige  Situation.  Mit  dem  Argument,  Gegenkulturen  der  Zeichen  und 
Aktionsformen  hätten  wesentlich  dazu  beigetragen,  die  Weimarer  Republik  von 
den  Rändern  her  aufzulösen,  scheute  man  sich  im  Westberliner  Establishment 
auch  nicht,  die  Straßenpolitik  des  SDS  mit  jener  der  Sturmabteilungen  in  den 
1930er  Jahren  gleichzusetzen.  Indem  man  das  Problem  Jugend  thematisierte, 


155  Dieter  Baacke:  Das  Phänomen  Beat  (Teil  II).  Beat  - Teilkultur  der  Jugendlichen,  in:  deutsche 
jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  15.  Jg.  (1967)  H.  12,  S.  552-560,  S.  554. 

156  Dieter  Baacke:  Das  Phänomen  Beat  (Teil  I),  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und 
Jugendarbeit,  15.  Jg.  (1967)  H.  10,  S.  449-460,  S.  450.  Siehe  Rolf-Ulrich  Kaiser,  Beatfestival  in  Reckling- 
hausen, in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  15.  Jg.  (1967)  H.  3,  S.  104-105. 

157  Jürgen  Reulecke:  Jugendprotest  - ein  Kennzeichen  des  20.  Jahrhunderts?,  in:  Dieter  Dowe  (Hg.): 
Jugendprotest  und  Generationenkonflikt  in  Europa  im  20.  Jahrhundert.  Deutschland,  England,  Frank- 
reich und  Italien  im  Vergleich,  Bonn:  Verlag  Neue  Gesellschaft  1986,  S.  1-11. 


73 


wurde  vom  Versagen  bürgerlicher  Milieus  in  der  Weimarer  Republik  abgelenkt. 
So  musste  nicht  über  eigene  Verantwortung  reflektiert  werden. 

Was  Theodore  Roszak  an  den  Jugendkulturen  der  »weißen«  Mittelschicht 
in  den  Vereinigten  Staaten  als  »counter-culture«158  konstruierte,  sog  in  der 
Bundesrepublik  zusätzliche  Bedeutungen  auf,  die  auf  Vergangenheiten  verwie- 
sen. Gegnerschaft  durch  ästhetische  Verweigerung  und  Abweichung,  durch 
Rückzug  aus  der  freiheitlich-demokratischen  Öffentlichkeit  oder  das  aggressive 
Hineindrängen  in  diese  mittels  Aktionsformen  wie  »Love-Ins«,  »Sit-Ins«  und 
»Teach-Ins«,  standen  im  Widerspruch  zum  Ideal  eines  Nutzen  maximierenden 
und  gleichsam  politisch  reflektierten  liberalen  Stadtbürgers. 

Halbstarke  vor  Lichtspielhäusern,  Spielhallen  und  Rummelplätzen  sowie 
ihre  lärmende  Mobilität  waren  in  den  1950er  Jahren  vielseitig  aufladbare  Pro- 
jektionsflächen erwachsener  Unsicherheit.159  Aber:  Das  mediale  Gefährlich- 
Reden  von  Jugendkultur  ermöglichte  es  diesen  Heranwachsenden,  mit  einfa- 
chen Aktionsformen  Aufmerksamkeit  zu  erzeugen.160 

Die  Jazzmusik  hörende  »Keller jugend«  hingegen  zog  sich  zurück,  führte 
ihre  »Sounds«  nur  an  bestimmten  Orten,  den  Kellerklubs,  auf.  Eine  »Subkultur 
des  Gammeins«161  ließ  sich  in  dieser  neu  ausgelebten  Lässigkeit  erkennen. 


158  Theodore  Roszak:  The  Making  of  a Counter  Culture.  Reflections  on  the  'Iechnocratic  Society 
and  its  Youthful  Opposition,  London:  Faber  & Faber  1970.  Siehe  darin:  Chapter  1 . Technocracy’s  Children, 
S.  1-41,  S.  41. 

159  Curt  Bondy  (Hg.):  Jugendliche  stören  die  Ordnung.  Bericht  und  Stellungnahme  zu  den  Halb- 
starkenkrawallen, München:  Juventa  1957.  Guenther  Kaiser:  Randalierende  Jugend,  Heidelberg:  Quelle 
& Mayer  1959. 

Doris  Foitzik:  Vom  Trümmerkind  zum  Teenager.  Kindheit  und  Jugend  in  der  Nachkriegszeit, 
Bremen:  Edition  Tremmen  1992.  Thomas  Grotum:  Die  Halbstarken.  Zur  Geschichte  einer  Jugendkultur 
der  50er  Jahre,  Frankfurt:  Campus  1994.  Siehe  auch:  Thomas  Großbölting:  Von  »Halbstarken«  und  »Apo- 
Aktivisten«.  Jugend,  Jugendgewalt  und  Jugenddiskurs  in  der  Bundesrepublik,  in:  Frank  Becker/  Thomas 
Großbölting/  Rudolf  Schlögl/  Armin  Owzar  (Hg.):  Politische  Gewalt  und  Moderne,  Münster:  Aschen- 
dorff 2003,  S.  301-321.  Kersting,  Franz- Werner:  Jugendliche  und  linker  Radikalismus,  in:  Dies.  (Hg.): 
Politische  Gewalt  und  Moderne,  2003,  S.  323-336.  Gerhard  Fürmetz:  Polizei,  Massenprotest  und  öffent- 
liche Ordnung.  Großeinsaätze  der  Münchner  Polizei  in  den  frühen  Fünfziger  Jahren,  in:  Christian  Groh 
(Hg.):  Öffentliche  Ordnung  in  der  Nachkriegszeit,  Ubstadt-Weiher:  verlag  regionalkultur  2002,  S.  79- 
106.  Gerhard  Fürmetz  (Hg.):  Schwabinger  Krawalle.  Protest,  Polizei  und  Öffentlichkeit  zu  Beginn  der 
60er  Jahre  (=  Villa  ten  Hompel,  Schriften;  6),  Essen:  Klartext  2006. 

161  Helmut  Kentler:  »Subkulturen«  von  Jugendlichen,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
fragen und  Jugendarbeit,  12.  Jg.  (1964)  H.  9,  S.  403-412,  S.  404. 


74 


Jazzkeller  hießen  nun  Beatkeller.  Das  »Hinabsteigen«  aus  der  städtischen  und 
bürgerlichen  Öffentlichkeit  drückte  den  Ausstieg  aus  deren  Kontrollhoheit  aus. 
Die  bundesrepublikanische  Liberalität  der  1960er  Jahre  fand  ihre  Grenzen  im 
Unverständnis  darüber,  warum  es  sich  Jugendliche  als  Gammler  und  »Provos« 
herausnahmen,  sich  gegen  die  bestehende  Ordnung  durch  ästhetische  Entstel- 
lungen aufzulehnen. 

Martin  Faltermaier,  Chefredakteur  von  deutsche  jugend,  der  Zeitschrift  des 
westdeutschen  Bundesjugendringes,  wandte  sich  entschieden  gegen  die  diszi- 
plinierende Bekämpfung  der  Gammler,  die  diese  abweichenden  Jugendlichen 
»zurück  zu  Zucht  und  Ordnung«162  zwingen  wolle.  Im  Gegensatz  zu  seinem 
Vorgänger  Heinz  Westphal,  der  dies  auf  jeden  Fall  getan  hätte,  erwähnte  Falter- 
meier die  DDR  und  die  Erziehungspraktiken  der  sozialistischen  Gesellschaft 
nicht  mehr.  Er  bezog  sich  auf  eine  Strömung  bundesrepublikanischer  Freiheit- 
lichkeit,  die  auf  aggressives  Ausschließen  statt  auf  Zulassen  und  Erlauben  setzte. 

Da  Gammler  passiv  und  gewaltlos  protestieren  würden,  so  Faltermaier, 
stelle  diese  Jugendkultur  die  gesellschaftliche  Umwelt  der  1960er  Jahre  in  der 
Bundesrepublik  grundlegend  in  Frage,  weil  diese  auf  die  »Zähmung  von  Ge- 
waltausbrüchen« ausgerichtet  sei.  Die  Halbstarken  hatten  sich  aggressiv  und 
gewalttätig  gegen  die  Reglementierungen  und  Disziplinierungen  der  öffentli- 
chen Ordnung  aufgelehnt.  Aber  dadurch  bekräftigten  sie  diese  gesellschaftli- 
chen Verhältnisse.  Sie  hielten  sich  an  die  Spielregeln  einer  durchherrschten 
Leistungsgesellschaft.  Gammler  taten  das  nicht. 

Gammler  und  Hippies  folgten  in  ihrer  Mehrheit  nicht  mehr  gewaltförmi- 
gen, ereignisorientierten  Handlungen  (einem  Action  Code),  wie  sie  sich  in  Mas- 
senaufläufen Halbstarker  vor  innerstädtischen  Filmtheatern  und  Kinos  oder  bei 
Demonstrationszügen  gezeigt  hatten.  Baacke  bezeichnete  diese  zurückwei- 
chende Verhaltensweise  als  Love-Code.  Gerade  dadurch  sei  es  möglich  gewesen, 
die  Funktionsweisen  gesellschaftlicher  Kontrolle  erfolgreich  »außer  Kraft«163 


162  Martin  Faltermaier:  Warum  sind  sie  ein  Ärgernis?  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfra- 
gen und  Jugendarbeit,  14.  Jg.  (1966)  H.  7,  S.  289-290,  S.  289. 

163  Dieter  Baacke:  Jugend  und  Subkultur,  München:  Juventa  Verlag  1972,  S.  50.  Ders.:  Subkultur 
und  Jugendarbeit,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  18.  Jg.  (1970)  H.  3, 
S.  109-118. 


75 


zu  setzen,  so  Baacke.  Die  körperliche  und  sinnliche  Erfahrung  eines  Open-Air- 
Festivals  erzeugte  Erlebnis-Solidarität.  Konzertstätten  wurden  zu  Erlebnisor- 
ten. Junge  Frauen  und  Männer,  die  andere  Regeln  und  somit  auch  Riten  des 
gesellschaftlichen  Zusammenlebens  suchten,  ohne  bestimmten  Gruppen  anzu- 
gehören, zählte  Baacke  zur  »Alternative  Culture«,  nennt  sie  »(Rand-)Siedler 
des  Untergrund« 164.  Elatte  Baacke  einige  Jahre  zuvor  die  Benutzung  der  Kon- 
sumkultur noch  als  manipulierte  Abhängigkeit  gegeißelt,  richtete  sich  seine 
Aufmerksamkeit  mm  auf  Verhaltensweisen,  die  sich  der  gleichen  Warenweh 
durch  Verweigerung  näherten.  Selbstverwaltete  Jugendzentren  und  Landkom- 
munen waren  auch  in  Kleinstädten  und  Dörfern  soziale  Räume,  um  Gegenent- 
würfe gesellschaftlichen  Zusammenlebens  zu  praktizieren.165  Allerdings  ver- 
band sich  damit  eine  Engführung  des  Gegenkulturbegriffes,  in  welchem  Sub- 
kultur nur  »als  entschiedene  Opposition  zum  bestehenden  System«166  denkbar 
war.  Dass  sich  die  besorgte,  kommunale  Jugendpolitik  durchaus  der  Jugendkul- 
tur zuwandte,  hatte  in  dieser  Perspektive  keinen  Platz. 

2.1.4  Der  Blick  in  die  »spaßfreie  Zone«  als  Vergewisserung  westlicher 
Liberalität 

Die  SBZ/  DDR  war  die  Projektionsfläche  für  die  Bundesrepublik,  um  konser- 
vative und  anti-liberale  Umgangsweisen  mit  jugendlicher  Abweichung  und  den 
dazugehörenden  Handlungsformen  zu  kennzeichnen  und  bei  den  sich  anson- 
sten fortschrittlich  inszenierenden  DDR-Sozialisten  anzulagern.  Die  Berichte 
aus  Mitteldeutschland  in  der  westdeutschen  Zeitschrift  deutsche  fügend  bekräftig- 
ten ein  Bild  von  Rückschrittlichkeit  und  den  Repressionscharakter  der  soziali- 
stischen Jugenderziehung.  Eine  so  klare  Stellungnahme  hob  sich  deutlich  von 
der  Beweglichkeit  ab,  die  die  Zeitschrift  ansonsten  auszeichnete.  Die  jugendpo- 
litischen Bemühungen  der  SED  waren  in  dieser  Perspektive  zwangsläufig  spaß- 


164  Dieter  Baacke:  Jugend  und  Subkultur,  1972,  S.  117. 

165  Rolf  Schwendter:  Theorie  der  Subkultur,  Köln:  Kiepenheuer  & Witsch  1971,  S.  272. 

166  Rolf  Schwendter:  Subkultur,  1971,  S.  11.  Walter  Hollstein:  Der  Untergrund,  Neuwied/  Berlin: 
Luchterhand  1969.  Ders.:  Die  Gegengesellschaft.  Alternative  Lebensformen,  Bonn:  Verlag  Neue  Gesell- 
schaft 1979. 


7 6 


fern,  lustfrei  und  hilflos,  weil  sie  letztlich  eine  totalitäre  Ausrichtung  hatten. 
Der  Ausruf  »Wir  wollen  keinen  Lipsi  und  keinen  Alo  Koll,  wir  wollen  lieber 
Elvis  mit  seinem  Rock’n’Roll«  zog  1959  für  fünfzehn  Jugendliche  vor  dem 
Leipziger  Bezirksgericht  empfindliche  Zuchthausstrafen  zwischen  6 Monaten 
und  viereinhalb  Jahren  nach  sich.  Die  Jugendlichen  hätten  in  den  Vororten  der 
Stadt  für  die  gewünschte  Tanzmusik  und  gegen  die  von  staatlichen  Instanzen 
demonstriert,  so  der  Bericht  aus  Mitteldeutschland .167  Der  Einpeitscher  habe 
gerufen:  »Es  lebe  Walter  Ulbricht  und  die  Sowjetzone«,  die  Meute  antwortete: 
»Pfui,  Pfui,  Pfui!  «.  Als  sie  Elvis  Presley  hochleben  ließen,  habe  es  ein  dreifaches 
»Yes,  yes,  yes!«  gegeben.  Im  gleichen  Jahr  erzürnte  sich  der  Leipziger  SED- 
Bezirkssekretär  Paul  Fröhlich  öffentlich  über  das  Ausmaß  »feindlicher  Tätig- 
keiten«. Im  Sommer  1959  habe  es  bei  Tanzveranstaltungen  im  Leipziger  Clara- 
Zetkin-Park  wiederholt  »Zusammenrottungen  und  Krawalle  von  Jugendli- 
chen« gegeben.168  Die  Heranwachsenden  hätten  Freihiftvorführungen  »fort- 
schrittlicher« Filme  gestört  und  seien  weder  von  den  Ordnungsgruppen  des 
Jugendverbandes  noch  von  den  herbeigerufenen  Einsatzkräften  der  Volkspoli- 
zei zu  bändigen  gewesen. 

Auch  Radio  Luxemburg  - so  die  Rubrik  Berichte  aus  Mitteldeutschland  in  der 
westdeutschen  Zeitschrift  deutsche  fügend  - würden  die  sozialistischen  Erzieher 
schon  als  gefährlich  ansehen.  In  diesem  Sinne  deutete  sie  eine  Äußerung  des  stell- 
vertretenden Vorsitzenden  des  Rundfunkkomitees,  Gerhart  Eisler,  auf  einem 
Jugendforum,  in  welcher  er  die  »einfachen,  aber  raffinierten  Methoden«  betont 
habe,  mit  denen  der  Luxemburger  Privatsender  Hörer  durch  Tanzmusik  gegen 
den  sozialistischen  Staat  aufhetze.169  Eisler  habe  gesagt,  die  Ost-Sender  wären 


167  Bericht  aus  Mitteldeutschland,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendar- 
beit, 7.  Jg.  (1959)  H.  12,  S.  535-536. 

168  Aus  Mitteldeutschland,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  8.Jg. 
(1960)  H.  12,  S.  542-544,  S.  543.  Siehe:  Yvonne  Liebing:  All  You  need  is  beat.  Jugendsubkultur  in  Leipzig 
1957-1968,  hrsg.  v.  Archiv  Bürgerbewegung  Leipzig  (Uwe  Schwabe/  Rainer  Eckert),  Leipzig:  Forum  Ver- 
lag 2005.  Dazu  ist  bald  auch  eine  Hallenser  Dissertation  zu  erwarten:  Wiebke  Janssen:  »Negative  Erschei- 
nungen«. Die  Jugendpolitik  der  SED  in  den  Bezirken  Halle,  Magdeburg  1958-1966.  Wiebke  Janssen: 
Halbstarke  in  der  DDR:  Verfolgung  und  Kriminalisierung  einer  Jugendkultur.  Berlin:  Christoph  Links 
Verlag,  2010. 

169  Aus  Mitteldeutschland,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  9.Jg. 
(1961)  H.  5,  S.  198-199. 


77 


»anständige  Sender«,  bei  denen  man  auch  seine  musikalischen  Bedürfnisse  be- 
friedigen könne. 

Der  langjährige  Westberliner  »Falken«-Vorsitzende  Heinz  Westphal,  von 
1958  bis  1965  Geschäftsführer  des  Bundesjugendringes,  setzte  in  seinem 
Bericht  über  das  Deutschlandtreffen  1964  in  der  DDR  die  Darbietungen  im 
Ostberliner  Walter-Ulbricht-Stadion  mit  den  »Sportpalast«-Reden  des  NS- 
Propagandaminister  Joseph  Goebbels  gleich.  Er  forderte  von  der  SED,  die 
»jungen  Menschen  frei  in  den  anderen  Teil  des  einen  Deutschland  reisen«170 
zu  lassen,  damit  dort  an  jedem  Tag  und  an  jedem  Ort  »unseres  Landes«  wirkli- 
che Deutschlandtreffen  stattlinden  könnten. 

RLdS-Chefredakteur  Hanns-Peter  Herz  berichtete  in  deutsche  jugend  über 
das  11.  Plenum  des  Zentralkomitees  der  SED:  Im  Politbüro  seien  die  Sicherun- 
gen durchgebrannt,  nachdem  im  September  1965  die  Westberliner  Waldbühne 
bei  einem  Rolling  Stones- Konzert  in  Trümmer  ging.  »Etwa  gleichzeitig«  sei  es  in 
mindestens  zwölf  FDJ-Club-Häusern  beim  Abspielen  von  »Beatle-Platten«  zu 
»großen  Tumulten«  gekommen.171  Honecker  habe  den  Generalangriff  gegen 
Leipziger,  Hallenser  und  Ostberliner  Gammler  und  Beatles- Fans  befohlen.  Eil- 
fertige Funktionäre  und  Parteimitglieder  griffen  zur  Schere  und  machten  mit 
Gammler-Frisuren  kurzen  Prozess.  Auch  diejenigen,  die  eine  kulturpolitische 
Öffnung  in  der  SED  und  der  FDJ  vorantrieben,  seien  mit  den  Gammlern 
»geschoren«  worden.  Die  SED  führte  - um  im  Bild  zu  bleiben  - die  unschuldi- 
gen jugendlichen  Beat-Lämmer  zur  Schlachtbank.  Eine  »counter-culture«  - so 
stellte  es  der  RLdS-Politik-Chef  dar  - würde  es  hinter  der  Mauer  nicht  geben. 
Dort  waren  demnach  nur  heimliche  Fluchten  in  die  westliche  Klang-  und  Zei- 
chenwelt möglich.  Diese  Hintertüren  des  Pop  böte  natürlich  sein  Rundfunk  im 
Amerikanischen  Sektor  - eine  beiläußge  Skizze  des  Selbstverständnisses  des  Sen- 
ders als  bedeutender  Akteur  in  der  medialen  Auseinandersetzung  um  Berlin. 


170  Heinz  Westphal:  Das  falsche  Aufschaukeln,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und 
Jugendarbeit,  12.  Jg.  (1962)  H.  6,  S.  241-242,  S.  242. 

Hanns-Peter  Herz:  Honecker  kritisiert  die  FDJ,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfra- 
gen und  Jugendarbeit,  14.  Jg.  (1966)  H.  1,  S.  43-44,  S.  44. 172  Sonja  Hader:  Schülerkindheit  in  Ost-Berlin. 
Sozialisation  unter  den  Bedingungen  der  Diktatur  (1945-1958)  (=  Zeithistorische  Studien;  11),  Köln/ 
Weimar/ Wien:  Böhlau  1998. 


78 


2.2  Die  DDR  und  die  jugendpolitischen  Integrationsbemühungen 

Die  SED-Jugendpolitik  der  1960er  Jahre  kann  als  eine  gebrochene  und  aufge- 
schobene Fortschreibung  von  Mobilisierungsbemührmgen  gelesen  werden.  Sie 
erscheint  in  Mischungsverhältnissen  aus  Freiräumen,  Verantwortungen  und 
Reglementierungen . 

Die  schulische  Erziehung172  und  die  angeleitete  Freizeitgestaltung  in  der 
FDJ173  waren  die  beiden  Hauptsäulen  der  parteilichen  Integrationspolitik. 
Dazu  gehörten  gerade  auch  technische  und  künstlerische  Arbeitszirkel  in  den 
staatlichen  oder  von  kulturellen  und  wissenschaftlichen  Einrichtungen  betreu- 
ten Jugendklubs.  Kirchlich  organisierte  und  nicht-organisierte  Jugendliche 
wurden  als  Negativfolien  dargestellt,  an  denen  sich  die  sozialistische  Jugendpo- 
litik  abarbeitete.174 

Die  SED  überhöhte  »Jugend«  zum  Träger  des  sozialistischen  Aufbaus,  um 
aus  dieser  (Wunsch-)Vorstellung  Teilgruppen  der  real-existierenden  DDR- 
Jugend  herauszulösen.  Diese  konnten  dann  als  eingrenzbare  Sicherheitsrisiken 
behandelt  werden.  Mittels  des  Vorwurfes,  für  westliche  Verführungen  anfällig 
zu  sein  und  sich  nur  in  kalkulierender,  nicht  in  emotionaler  Zustimmung  zur 
Parteilinie  zu  verhalten,  stellte  das  weit  reichende  Sicherheitsbedürfnis  der 
SED  jugendliche  Subkulturen  als  »innere  Feinde«175  her. 

Die  Beat-Demonstration  am  31.  Oktober  1965  auf  dem  Leipziger  Leu- 
schner-Platz  war  ein  solches  zum  Symbol  aufgeladenes  Ereignis.  Daran  bekräf- 
tigten Teile  der  SED  die  Notwendigkeit,  dauerhaft  das  auf  Disziplin  setzende 


173  Ulrich  Mahlert/  Gert-Rüdiger  Stephan:  Blaue  Hemden,  Rote  Fahnen.  Die  Geschichte  der  Frei- 
en  Deutschen  Jugend,  Opladen:  Leske  & Budrich  1996.  Michael  Walter:  Die  Freie  Deutsche  Jugend.  Ihre 
Funktionen  im  politischen  System  der  DDR  (=  Freiburger  Schriften  zur  Politikwissenschaft;  7),  Freiburg: 
Arnold  Bergstraesser  Institut  1997.  Michael  Herms:  Hinter  den  Linien,  Westarbeit  der  FDJ  1945-1956  (= 
Die  Freie  Deutsche  Jugend.  Beiträge  zur  Geschichte  einer  Massenorganisation),  Berlin:  Metropol  2001. 

174  Marc-Dietrich  Ohse:  Jugend  nach  dem  Mauerbau,  Berlin  2003.  Dorothee  Wierling:  Geboren  im 
Jahr  Eins,  Berlin  2002.  Helga  Gotschlich/  Edeltraud  Schulze  (Hg.):  Deutsche  Teilung  - deutsche  Wieder- 
vereinigung. Jugend  und  Jugendpolitik  im  Umbruch  der  Systeme  (=  Die  Freie  Deutsche  Jugend.  Beiträge 
zur  Geschichte  einer  Massenorganisation;  2),  Berlin:  Metropol  Verlag  1996. 

175  Dorothee  Wierling:  Jugend  als  innerer  Feind,  1994,  S.  411.  Siehe  auch:  Dies.:  »Negative 
Erscheinungen«.  Zu  einigen  Sprach-  und  Argumentationsmustern  in  der  Auseinandersetzung  mit  den 
Jugendsubkulturen  in  der  DDR  der  Sechziger  Jahre,  in:  WerkstattGeschichte,  5 (1993),  S.  29-37. 


79 


Verständnis  sozialistischer  Erziehung  zu  stärken.  Aufstiegswillige  Arbeiter  und 
Bauern  hatten  sich  von  den  Ritualen  und  Körperlichkeiten  proletarischer  Stra- 
ßenkultur zu  lösen,  um  Respektabilität  zu  erlangen.176  Hier  begann  die  Trenn- 
linie von  Mobilisierung  und  Beschränkung.  Aber:  Die  Jugendpolitik  der  SED 
war  von  Defiziten  und  Brüchen  viel  stärker  geprägt,  als  von  substanzieller  Kon- 
tinuität und  Durchdringung. 

Im  Frühjahr  1963  beschied  Horst  Schumann,  der  Erste  Sekretär  des  FDJ- 
Zentralrates,  dem  von  ihm  geführten  Jugendverband,  dass  er  zu  wenige  Kennt- 
nisse über  »die  Denkweise  der  jungen  Menschen« 177  habe.  Gemeinhin  redeten 
Funktionäre  die  nicht-organisierten  Jugendlichen  schlecht.  Die  FDJ  beurteile 
junge  Menschen  ausschließlich  nach  ihren  Schwächen  und  stemple  sie  »als 
hoffnungslose  Fälle«  ab.  Gerade  der  hauptstädtische  SED-Jugendverband,  so 
Schumanns  Kritik,  führe  den  Kampf  gegen  westliche  Einflüsse  unzureichend. 
Walter  Ulbricht  hatte  in  der  Jugendkommission  des  Politbüros  geäußert,  dass 
Widersprüchlichkeiten  »im  Denken  und  Handeln  der  Jugend«  solange  vorhan- 
den seien,  bis  die  Jugendlichen  den  von  der  Partei  und  ihren  Erziehungsinstan- 
zen nahe  gebrachten  sozialistischen  Standpunkt  auch  annehmen  würden.  Ernst 
werde  es,  wenn  die  Massenmedien  die  jugendpolitische  Linie  der  Partei  nicht 
ganz  unterstützen  würden.178 

Medienschelte  - im  Frühjahr  1963  traf  es  das  DDR-Fernsehen  (Deutscher 
Fernsehfunk)  - war  eine  einfache  Möglichkeit,  die  Umsetzungsdefizite  der 
SED-Jugendpolitik  an  anderen  Akteuren  zu  veranschaulichen  und  an  diese 
abzuschieben.  Der  Studentenzeitschrift  Forum  und  ihrem  Chefredakteur  Kurt 
Turba  gelänge  es  vorbildlich,  die  Jugend  mit  den  richtigen  Themen  zu  errei- 
chen, lobte  Ulbricht.  »Der  Jugend«  müssten  »verantwortliche  Aufgaben  über- 
tragen werden,  damit  sich  ihre  Initiative  in  der  ganzen  Republik  breit  entwik- 
keln«  könne.179 


176  Mark  Fenemore:  Nonconformity,  London  2002,  S.  109  und  121. 

177  LAB,  C Rep.  902,  Nr.  2117  unpag.,  [SED-Bezirksleitung  Berlin],  Abt.  Organisation  und  Kader, 
Werner  Pomian,  Information  über  einige  Probleme  der  Beratung  der  Jugendkommission  beim  Politbüro 
unter  der  Leitung  des  Genossen  Walter  Ulbricht  und  der  13.  Tagung  des  Zentralrates  der  FDJ,  Berlin 
3.4.1963,  S.  1-6,  S.  1. 

178  Ebd.,  S.  5. 

179  Ebd.,  S.  6. 


8o 


Hier  deutete  sich  die  entscheidende  jugendpolitische  Schwerpunktver- 
schiebung an,  die  Ulbricht  anregte,  verlangte  und  in  seiner  Eröffnungsrede  auf 
dem  VII.  Parlament  der  FDJ  (28.5.-1.6.1963)  den  Jugendverbandsfunktionären 
erneut  einschärfte.180  Ulbricht  machte  Turba  zum  Leiter  der  ZK- Abteilung 
Jugend.  Im  Jugendkommunique  Hausherren  von  morgen.  Der  Jugend  Vertrauen 
und  Verantwortung,  das  das  Politbüro  am  17.  September  1963  beschloss  und  vier 
Tage  später  im  Neuen  Deutschland  veröffentlichte181,  ging  es  darum,  die  Her- 
ausforderungen der  wissenschaftlich-technischen  Revolution  mit  der  Stärkung 
von  Eigenverantwortlichkeit  im  Privat-  und  Arbeitsleben  in  Bezug  zu  bringen. 

Die  neu  gebildeten  Kommissionen  für  Jugend  gingen  nun  die  Aufgabe  an, 
die  systembedingten  Blockaden  zwischen  den  Leitungsebenen  von  Partei  und 
Jugendverband  in  den  Kreisen  und  den  Betrieben  aufzulösen.  Aber  die  Behar- 
rungskräfte der  Verwaltungen  sollten  diese  Impulse  nach  einiger  Zeit  bereits 
wieder  aufsaugen. 

2.2.1  Das  wiederkehrende  Aufbegehren  der  DDR-Jugendsubkulturen  und 
die  daran  angepassten  Herrschaftstechniken 

Thomas  Lindenberger  betont,  dass  die  jugend-  und  kulturpolitische  »Liberali- 
sierung« der  Jahre  1963  bis  1965  nicht  auf  die  Überwachungs-  und  Strafverfol- 
gungspraxis durchgeschlagen  sei.  Ein  Bedrohungsszenario  durch  »kriminelle 
Gruppierungen«  ließe  sich  zwar  aus  den  von  der  Kriminalpolizei  zusammenge- 
stellten Übersichten  über  die  Entwicklung  von  Delikten  und  Verfahren  nicht 
ableiten182,  dennoch  verfeinerten  die  Ordnungs-  und  Sicherheitskräfte  in  den 
1960er  Jahren  vorbeugende  Maßnahmen,  um  wichtige  sozialistische  Festlich- 
keiten störungsfrei  zu  halten.  Sie  festigten  dadurch  ihre  enge,  und  damit 
»harte«  Auslegung  des  offiziellen  jugendpolitischen  Kurses.  Eine  detaillierte 
und  umfangreiche  kriminalistische  Problematisierung  der  Jugendcliquen  erwies 
sich  als  ein  mühsames  Unterfangen,  da  die  »relative  Flüchtigkeit«  und  die  zeit- 
lich beschränkte  Anziehungskraft  dieser  Gruppen  längere  Beobachtungen 


180  Monika  Kaiser:  Machtwechsel,  1997,  S.  134. 

181  Ebd.,  S.  149-158. 

182  Thomas  Lindenberger:  Volkspolizei,  2003,  S.  417. 


erschwerte.  Volkspolizei  und  Ministerium  für  Staatssicherheit  (MfS)  neutrali- 
sierten mit  der  »extremen  Individualisierung  ihrer  Zwangserziehungsmaßnah- 
men« das  Unruhepotenzial  jugendlicher  Subkulturen  zwar  immer  wieder.  Sie 
richteten  aber  »grundsätzlich  nichts  gegen  das  regelmäßige  Nachwachsen  des 
kollektiven  Aufbegehrens  Jugendlicher«183  aus. 

Allerdings  blieb  die  Beschwörung  der  Gefahr  des  Umsturzes  durch  den 
»Klassenfeind«  die  zwischen  Staats-  und  Parteiorganen  gültige  Sprechweise. 
Dies  war  der  ausgesprochene  Maßstab,  der  an  solche  Erscheinungsformen 
jugendlicher  Unangepasstheit  angelegt  wurde.  Das  eingrenzbare  »negative 
Milieu«  von  »Asozialen«,  Rückfalltätern  und  jugendlichen  »Rowdys«  diente 
den  SED-Hardlinern  als  Projektionsfläche,  um  die  anscheinend  »fehlgeschla- 
gene« Erzeugung  sozialistischen  Bewusstseins  auf  mangelhafte  Sozialisation 
und  Erziehung  in  Familie,  Schule  und  Betrieb  zurückzuführen.  Die  zugewiese- 
nen körperlichen  und  stilistischen  Verhaltensweisen  drückten  demnach  die 
fortbestehenden  Entwicklungswidersprüche  aus.  So  war  diese  »Problemgrup- 
pe« als  Gegenstand  der  Rechtspflege  behandelbar.184 

Diese  Ausgrenzung  aus  der  sich  selbst  als  sozialistisch  beschreibenden 
Mehrheitskultur  erfolgte  im  Unverständnis  gegenüber  den  jugendkulturellen 
Besetzungen  von  Zeichen  und  symbolhaften  Handlungen.  Der  Mainstream  wie- 
derum war  eine  selektive  und  höchst  inkonsistente  Zusammenfügung  proletari- 
scher und  noch  vorhandener  bürgerlicher  Teilkulturen  mit  unterschiedlichen 
habituellen  Prägungen,  die  die  vorhandenen  Ordnungs-  und  Sauberkeitsvor- 
stellungen der  vorangegangenen  politischen  Systeme  restriktiv  zur  Geltung 
brachten. 

James  Dean-Jacken,  Nietenhosen,  Jeans  und  Shellparkas  gehörten  zur  stili- 
stischen Außenhülle,  über  die  sich  jugendliche,  vor  allem  männliche  Minder- 
heiten abgrenzten.185  Semiotische  Erfolge  erzielten  Jugendliche  in  dem  Maße, 


183  Ebd.,  S.  442. 

184  Zur  Jugend-  und  Rechtspflege  siehe:  Sven  Korzilius:  »Asoziale«  und  »Parasiten«  im  Recht  der 
SBZ/DDR.  Randgruppen  im  Sozialismus  zwischen  Repression  und  Ausgrenzung  (=  Arbeiten  zur  Ge- 
schichte des  Rechts  der  DDR;  4),  Köln  / Weimar  / Wien:  Böhlau  2005. 

185  Mark  Fenemore:  Nonconformity,  2002,  S.  263.  Rebecca  Menzel:  Jeans  in  der  DDR,  2004. 
Michael  Suckow:  Grün  und  blau  schmückt  die  Sau.  Der  Stil  der  Szene,  in:  Michael  Rauhut/  Thomas 
Kochan  (Hg.):  Bye,  Bye  Lübben  City,  2004,  S.  24-39.  Michael  Rauhut:  Blues  in  der  DDR.  Kulturelle 


wie  sie  sich  über  Kleidung  einen  Hauch  von  Gefährlichkeit  und  Besonderheit 
zulegten.  Dazu  gehörten  »Texas-Shirts«  mit  Cowboy-Figuren,  einige  Jahre 
später  dann  spitz  zulaufende  Halbschuhe,  Cord-  und  Jeansjacken.  An  diesen 
glänzten  Messing-  und  Kupferplaketten,  auf  die  Namen  englischer  Bands 
gestanzt  waren.  Sie  waren  die  Parteiabzeichen  des  Pop,  die  Orden  des  Empire 
of  British  Beat,  die  gleichsam  auf  gegenwärtige  und  vergangene  »deutsche« 
Abzeichen  verwiesen.186 

Da  Warenkauf  und  -Verwendung  in  der  DDR  politisiert  waren,  strahlte 
dies  zwangsläufig  auch  auf  entsprechende  Umdeutungen  dieser  Gegenstände 
aus.187  Olivgrüne  Shell-Parkas  beispielsweise  waren  »Feind«.  Sie  stammten  aus 
US-Armeebeständen.  Das  Modell  »M-195 1«  hatte  junge  amerikanische  Korea- 
Krieger  ausgestattet.  »Army-Surplus«-Shops,  die  gebrauchte  und  wetterfeste 
Armeekleidung  verkauften,  gab  es  in  Westberlin.  In  Soldatenmänteln  steckten 
auch  englische  Mods  der  frühen  1960er  Jahre,  um  ihre  amerikanisierte  Bri- 
tishness  als  Protest  zu  zeigen.188  Der  Körper  war  noch  viel  stärker  zu  einem 
sichtbaren  Ort  des  Konsums  geworden,  an  dem  private  Identitäten  gegenüber 
den  öffentlichen  Werten  herausgestellt  wurden.189  Das  funktionierte  bei  den 
sowjetischen  stilyagi  über  ähnliche  Techniken  öffentlicher  Inszenierung. 

Beatle-Schlipse  und  Rock’n’Roll-Mäntel  waren  als  jugendkulturelle  Er- 
scheinungen selbst  den  Agitationssekretären  der  SED-Bezirksleitungen  nicht 
entgangen.  Das  sei  eine  ideologische  Sache,  die  nicht  nur  den  Kulturbereich 


Symbolik  und  politische  Interpretation,  in:  PopScriptum  8 - Afroamerikanische  Musik  in  Deutschland, 
hrsg.  v.  Forschungszentrum  Populäre  Musik  der  Humboldt-Universität  zu  Berlin,  2006.  URL:  http:// 
www2.hu-berlin.de/fpm/popscrip/themen/pst08/Rauhut.htm  [Letzter  Zugriff  5.9.2010] 

186  Thomas  P.  Funk:  Unterm  Asphalt.  Die  Kunden  vom  Lichtenberger  Tunnel,  in:  Michael  Rauhut/ 
Thomas  Kochan  (Hg.):  Bye  Bye,  Lübben  City,  2004,  S.  94-106,  S.  97. 

187  Judd  Stitziel:  Fashioning  Socialism.  Clothing,  Politics,  and  Consumer  Culture  in  East  Germany, 
Oxford:  Berg  2005,  S.  164. 

188  Michael  Suckow:  Grün  und  Blau,  2004,  S.  26-28.  Dick  Hebdige:  The  Meaning  ofMod,  in:  Stu- 
art Hall/  Tony  Jefferson  (Hg.):  Resistance  Through  Rituals.  Youth  Subcultures  in  post-war  Britain,  Lon- 
don: Hutchinson  1976/1980,  S.  87-98. 

189  Susan  E.  Reid/  David  Crowley:  Style  and  Socialism.  Modernity  and  Material  Culture  in  Post- 
War  Eastern  Europe,  in:  Susan  E.  Reid/  David  Crowley  (Hg.):  Style  and  Socialism,  2000,  S.  1-24,  S.  16. 


83 


anginge190,  so  der  Funktionär  der  Dresdner  Bezirksleitung  auf  der  von  der 
Ideologischen  Kommission  des  Politbüros  einberufenen  Vorbesprechung  des 
II.  Plenums.  Die  ZK-Tagungvom  15.  bis  18.  Dezember  1965  verstärkte  an  den 
Fällen  von  Rowdytum  und  der  sittlichen  Verrohung  bestehende  Eindrücke  und 
Befürchtungen,  dass  die  sozialistischen  Massenmedien  die  Erziehungsarbeit 
vernachlässigen  würden.191  Seit  Mitte  November  1965  rangen  die  ZK- Abtei- 
lungen Kultur,  Agitation  und  Jugend  um  eine  abgestimmte  Vorbereitung  des 
Plenums.  Die  Leipziger  Beat-Demo  am  31.  Oktober  1965  hatte  die  Dringlich- 
keit erhöht,  sich  diesen  »Auswüchsen«  zu  stellen.  Das  Reden  darüber  kanali- 
sierte die  tatsächliche  Wahrnehmung  so,  dass  Erich  Honecker  und  der  Leipzi- 
ger Bezirkssekretär  Paul  Fröhlich  ihre  Positionen  gegen  die  bisherige  Jugend- 
politik taktisch  geschickt  Vorbringen  konnten.192  Aus  den  Fällen  von  Rowdy- 
tum der  zurückliegenden  Monate,  so  Erich  Honecker  gegenüber  der  Abteilung 
Jugend  des  ZK,  »müsstet  ihr  ein  bis  zwei  Sachen  herausziehen,  die  man  öffent- 
lich behandeln«  könne.  Damit  sollten  »alle  Bürger  und  Eltern  der  Republik  auf 
unsere  Seite«  gezogen  werden.  Im  Anschluss  »müssten  wir  sehr  elegant  sagen, 
dass  wir  gegen  Beat  nichts  haben.  Aber  auch,  dass  Beat  allein  natürlich  kein 
Lebensinhalt  ist.«  Das  ginge  am  Einfachsten  als  Auseinandersetzung  mit  der 
westlichen  Presse.  Fehlendes  Verantwortungsbewusstsein  in  DEFA-Filmen, 
Fernsehproduktionen  und  Rundfunksendungen  lasse  sich  ebenso  hervorheben. 
Gerade  dort  bestünde  die  Tendenz,  »die  negativen  Seiten  im  Leben  unserer 
Republik  zu  übertreiben  [...]  und  Obszönität  zu  verbreiten.« 191 


190  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.01/2 1 unpag.,  Ideologische  Kommission  beim  Politbüro,  Kurt 
Hager,  Protokoll  über  ein  Seminar  der  Ideologischen  Kommission  mit  den  Sekretären  für  Agitation  und 
Propaganda  der  Bezirksleitungen  und  den  Leitern  der  Abteilung  Kultur  der  Bezirksleitungen  zu  ideologi- 
schen Fragen  auf  dem  Gebiet  der  Kultur,  Berlin,  7.12.1965,  S.  1-176,  S.  136. 

191  Siehe:  Peter  Hoff:  Das  11.  Plenum  und  der  Fernsehfunk,  in:  Günter  Agde  (Hg.):  Kahlschlag, 
1991,  S.  105-116.  Ebenso:  Michael  Rauhut:  DDR-Beatmusik  zwischen  Engagement  und  Repression,  in: 
Günter  Agde  (Hg.):  Kahlschlag,  1991,  S.  52-63. 

192  Siehe:  Monika  Kaiser:  Machtwechsel,  1997,  S.  180-181.  Kaiser  hält  die  »Beat-Demonstration« 
vom  31.10.1965  für  ein  von  der  Staatssicherheit  organisiertes  Ereignis,  um  daran  die  Folgen  des  jugend- 
politischen Kurswechsels  zu  verdeutlichen.  Honecker  hatte  auf  der  Sitzung  des  Sekretariats  des  Zentral- 
komitees am  11.10.1965  dieses  Problemfeld  umrissen. 

193  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/16/23  unpag.,  [Abt.  Jugend  ZK]  Für  Bericht  Politbüro  (Gespräch 
mit  Erich  Honecker  am  18.11.65),  S.  1-3,  S.  1. 


s4 


2.2.2  Die  SED-Jugendkommuniques.  Verlautbarungen  für  die 
Leistungsgesellschaft 

Die  Jugendpolitik  der  SED  stand  wiederholt  vor  einer  zwiespältigen  Aufgabe. 
Entweder  legte  sich  ihr  Hauptaugenmerk  darauf,  »sozialistische  Persönlichkei- 
ten« durch  herrschaftsbezogene  Erziehungs-  und  Kontrollmaßnahmen  »her- 
stellen«  zu  wollen  oder  eine  Auslegung  dieser  Jugendpolitik  neigte  zu  der  An- 
nahme, dass  nur  dann  kreative  Erwachsene  bereit  seien,  diesen  Aufbau  einer 
sozialistischen  Gesellschah  zu  gestalten,  wenn  sie  Freiräume  bekämen  und  auch 
behielten.194  Peter  Skyba  spricht  davon,  dass  erst  ab  1957  eine  tatsächlich  »so- 
zialistische Jugendpolitik«  stattgefunden  habe,  deren  Kern  der  Jugendverband 
bildete.  Die  FDJ  sei  auch  in  den  Jugendkommuniques  vom  Februar  1961  und 
September  1963  maßgeblicher  Akteur  geblieben.  Allerdings  hätten  sich  die 
Anforderungen  an  die  FDJ  verändert.  Sie  sollte  nun  breiter  und  nachhaltiger  in 
die  Gesellschaft  hineinwirken  und  besonders  Jugendliche  unter  zwanzig  Jahren 
ansprechen.  Das  erfüllte  die  FDJ  nur  leidlich.  In  einigen  DDR-Bezirken  war  es 
für  die  FDJ  schwierig,  überhaupt  mehr  als  40  Prozent  der  Jugendlichen  als  Mit- 
glied zu  gewinnen.  In  den  Jugendkommuniques  der  frühen  1960er  Jahre  beton- 
te die  SED,  dass  von  den  staatlichen  Organen  und  vom  Jugendverband  Hand- 
lungsbereitschaft erst  dann  eingefordert  werden  könne,  wenn  die  Jugendlichen 
selbst  Initiative  zeigen  würden.195 

Nur  von  kurzer  Dauer  blieben  die  Anstrengungen  der  SED,  Jugendarbeit 
zumindest  teilweise  an  den  Interessen  und  Belangen  Jugendlicher  auszurichten. 
Die  Erweiterung  tolerierter  Spielräume  forderte  die  Kontrollansprüche  der 
Einheitspartei  heraus.196  Monika  Kaiser  betont,  dass  das  Jugendkommunique 
von  1963  das  neue  Leitbild  eines  »selbständigen  und  selbstbewussten«  Staats- 
bürgers »mit  einem  gefestigten  Charakter,  mit  einem  durch  eigenes  Denken 


194  Mary  Fulbrook:  The  People’s  State.  East  German  Society  from  Hitler  to  Honecker,  New  Haven/ 
London:  Yale  University  Press  2005,  S.  114-140,  S.  120.  Dies.:  Anatomy  of  a Dictatorship.  Inside  the 
GDR  1949-1989,  Oxford:  Oxford  University  Press  1995. 

195  Peter  Skyba:  Vom  Hoffnungsträger  zum  Sicherheitsrisiko,  2000,  S.  417. 

196  Ebd.,  S.  426. 


85 


und  in  der  Auseinandersetzung  mit  rückständigen  Auffassungen  und  reaktionä- 
ren Ideologien  errungenen  sozialistischen  Weltbild«197  beschreibe.  Junge 
Frauen  und  Männer  würden  sich  demnach  durch  Gerechtigkeitssinn,  frühere 
geistige  und  körperliche  Reife  und  ein  hohes  Maß  an  Leistungsbereitschaft  aus- 
zeichnen und  Gleichberechtigung  einfordern.  »Die  Erziehung  einer  solchen 
Persönlichkeit  ist  aber  nur  möglich«,  zitiert  Kaiser  aus  der  Verlautbarung, 
wenn  man  Schüler  und  Lehrlinge  »als  zukünftige  Staatsbürger  achtet«  und  ihre 
Probleme  ernst  nehme.  Die  Erziehungs-  und  Fürsorgeapparate  waren  in  der 
sozialistischen  Gesellschaft  nicht  auf  Reflexivität,  direkte  Verantwortlichkeit 
und  Motivation  ausgelegt.  Daraus  entstanden  in  der  Folgezeit  dauerhafte  Ziel- 
konflikte,  die  immer  stärker  werdende  generationelle  Unterschiede  freilegten. 
Konservatismen  und  Rückständigkeiten  waren  in  der  Arbeiterkultur  vielfältig 
vorhanden.  Die  SED  schrieb  sie  fort. 

Ulrike  Schuster  betont  dagegen  den  Aspekt  der  Liberalisierung  im  1963er 
Kommunique.198  »Vertrauen«  und  »Verantwortung«  würden  in  diesem  Be- 
schluss die  Grenzen  zwischen  bildungshungrigen  jungen  Menschen  und  den 
Negativkonstruktionen  der  Bummelanten  und  Rowdys  ausdrücken,  meint  sie. 
Erstere  wurden  als  künftige  Leistungsträger  des  technischen  Fortschritts  kon- 
struiert, die  den  weiteren  Aufbau  des  sozialistischen  Projekts  DDR  verantwor- 
ten könnten.  »Mit  den  wenigen  schwarzen  Schafen  in  ihren  Reihen«199  hinge- 
gen sei  disziplinierend  umzugehen,  weil  diese  über  erzieherische  und  argumen- 
tative Wege  nicht  zu  erreichen  seien.  Ungenutzte  Freizeit  führe  - so  die  Ausle- 
gung des  Jugendkommuniques  - zu  Langeweile,  Lustlosigkeit,  Kraftlosigkeit, 
Übermut  und  Überdruss.  Administrative  Gängelei  erzeuge  aber  ebenso  wenig 
eine  sinnvolle  Freizeitbeschäftigung  wie  der  unkontrollierte  Selbstlauf  der 
Jugendlichen.  Denn  dieser  »wichtige  Teil  des  sozialistischen  Lebens«  könne 


197  Monika  Kaiser:  Machtwechsel,  1997,  S.  156. 

198  Ulrike  Schuster:  Die  SED-Jugendkommuniques  von  1961  und  1963,  1995,  S.  58-75.  Monika 
Kaiser:  Machtwechsel,  1997,  S.  186.  Auch:  Ulrike  Schuster:  Mut  zum  eigenen  Denken?  DDR-Studenten 
und  Freie  Deutsche  Jugend  1961-1965,  Berlin:  Metropol  1999,  S.  52-62. 

Der  Jugend  Vertrauen  und  Verantwortung.  Kommunique  des  Politbüros  des  Zentralkomitees  der 
Sozialistischen  Einheitspartei  Deutschlands  zu  Problemen  der  Jugend  in  der  Deutschen  Demokratischen 
Republik  21.9.1963,  in:  Dokumente  zur  Jugendpolitik  der  DDR,  Berlin:  Staatsverlag  der  DDR  1965,  S. 
64-96,  S.  75. 


86 


nicht  - auch  nicht  stundenweise  in  Musiksendungen  des  Hörfunks  - dem  west- 
deutschen Klassengegner  überlassen  werden.  Das  »sozialistische  Lebensge- 
fühl« besitze  einen  eigenen  Klang  und  der  dazu  gehörende  Tanz  sei  ein  »legiti- 
mer Ausdruck  von  Lebensfreude  und  Lebenslust«.  Dessen  Rhythmen  könnten 
zündend  sein,  solange  sie  die  sozialistische  Taktung  und  Melodie  halten  wür- 
den,200 solange  sie  nicht  zu  einem  Werkzeug  westlicher  Diversion  und  der 
imperialistische  Propaganda  würden. 

Christian  Sachse  hob  hervor,  dass  die  jugendpolitische  Öffnung  der  1960er 
Jahre  mit  dem  flächendeckenden  Ausbau  der  Wehrerziehung  verbunden  war.201 
Das  Deutschlandtreffen  1964  und  die  X.  Weltfestspiele  1973  waren  dafür  nur 
eine  »anarchisch-fröhliche  Oberfläche«,  auf  der  sozialistische  Werte  und  ideo- 
logische Normen  für  eine  bestimmte,  aber  absehbare  Zeit  außer  Kraft  gesetzt 
wurden.  Nach  dem  11.  Plenum  1965  betrieb  die  SED-Jugendpolitik  eine  kom- 
plementäre Ein-  und  Anbindungsstrategie,  die  die  Rolle  der  sozialistischen 
Erziehungsagenturen  wie  Schule,  NVA,  Wehrerziehung  und  Jugendverband 
neu  auflud  und  stärkte.  Der  Politbüro-Beschluss  vom  Mai  1966  über  »Proble- 
me der  Jugendarbeit  nach  der  1 1 . Tagung  des  ZK  der  SED«  hob  das  Nicht- 
Vorhanden-Sein  eines  Generationenkonfliktes  hervor.  Die  Wert-  und  Norm- 
vorstellungen der  alten  proletarischen  Klassenkämpfer  behielten  natürlich  ihre 
Gültigkeit.  Die  nach  außen  gewendeten  ästhetischen,  musikalischen,  sprachli- 
chen und  habituellen  Zeichen  der  transnationalen  Jugendkultur  wurden  gegen 
das  bestehende  Unverständnis  der  Erwachsenen  in  der  sozialistischen  Gesell- 
schaft solange  positiv  eingearbeitet,  wie  sie  das  gleiche  Ziel  im  Klassenkampf 
verfochten. 

Honecker  entwarf  auf  dem  11.  Plenum  1965  ein  Bild  der  nicht-sozialisti- 
schen DDR-Jugend,  welches  die  Partei  nicht  tolerieren  dürfe  und  werde.  Die- 
ser Gegenentwurf  zum  Blauhemd  tragenden  und  »ordentlich«  frisierten 
Jugendverbandsfunktionär  zeichnete  sich  Honecker  zufolge  dadurch  aus,  dass 
sich  diese  »Nichtsozialisten«  nicht  wuschen,  sich  die  Haare  nicht  schnitten 
und  ältere  Bürger  und  Mitglieder  des  SED-Jugendverbandes  mit  Beleidigun- 


200  Der  Jugend  Vertrauen  und  Verantwortung,  Berlin  1965,  S.  92. 

201  Christian  Sachse:  Die  Jugendpolitik  der  SED  Anfang  der  sechziger  Jahre,  in:  Zeitschrift  des  For- 
schungsverbundes SED-Staat,  (2006)  H.  19,  S.  27-40,  S.  27. 


87 


gen  versahen.  Lange  Haare  verstellten  - so  Honeckers  bündige  Erkenntnis  - 
demnach  den  Blick  darauf,  dass  sich  die  Welt  zu  Gunsten  des  Sozialismus  ent- 
wickle.202 

Die  Entweder-Oder-Position,  die  ein  Teil  der  Parteiführung  auf  dem  11. 
Plenum  vertrat,  war  den  Funktionären  in  den  Bezirken,  Kreisen  und  Betrieben 
weit  verständlicher  und  vermittelbarer,  als  die  im  Politbürobeschluss  vom  3 . 
Mai  1966  anklingende  Dialektik  des  Gewährens,  solange  dies  den  sozialisti- 
schen Aufbau  voranbringe.  Daran  verdeutlichte  sich  eine  praktische  Differenz 
zwischen  der  offiziellen  und  umgesetzten  SED-Jugendpolitik,  die  auch  dieser 
Beschluss  nicht  aufhob. 

2.2.3  »Wir  singen  heute  schon  die  Lieder  von  morgen«.  Jugendverband  und 
Popmusik  im  partei-öffentlichen  Raum 

Um  neue  sozialistische  Identitäten  zu  stiften,  brauchte  die  SED -Musikpolitik 
das  »Andere«  als  Kontrastfolie.  »Dekadenz«  und  Weitläufigkeit  waren  als  ame- 
rikanisch zu  belegen  und  entsprechend  abzulehnen.203  Trotz  der  späteren  Popu- 
larität des  Rock’n’Roll,  so  David  Tompkins,  war  eine  »sozialistische«  Unter- 
haltungsmusik alles  andere  als  eine  marginalisierte  Randerscheinung.  Sie  hatte 
neben  der  ständig  präsenten  West-Musik  durchaus  ihren  Platz.  Tompkins  argu- 
mentiert ferner,  dass  die  Abteilung  Kultur  des  ZK  während  der  1950er  Jahre 
eher  im  Schatten  der  Kulturkommission  des  Politbüros  und  des  Kulturministe- 
riums gestanden  hatte.  Sie  bemühte  sich  vor  und  nach  dem  II.  Plenum,  in  den 
Jahren  1965  und  1966,  um  eine  deutliche  Profilierung.  Die  Kulturabteilung  des 
ZK  wollte  die  Grenzziehungen  für  die  partei-offizielle  Einarbeitung  der  Beat- 
musik vorgeben  und  gegenüber  dem  Kulturministerium  und  der  Abteilung  Agi- 
tation an  politischem  Gewicht  zulegen. 


202  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/1/336  foliert,  Stenografische  Niederschrift  der  11.  Tagung  des  Zen- 
tralkomitees,  unkorrigierte  Fassung,  Erich  Honecker,  Bericht  des  Politbüros  an  das  Zentralkomitee,  Bl.  7- 
122,  Bl.  108. 

203  David  Tompkins:  Musik  zur  Schaffung  des  neuen  sozialistischen  Menschen,  in:  Bendikowski  et  al. 
(Hg.):  Die  Macht  der  Töne,  2003,  S.  105-113,  S.  107. 


Zum  Deutschlandtreffen  1964  erklang  Perry  Friedmans  Wandergitarren- 
Volkslied  »Wir  singen  heute  schon  die  Lieder  von  morgen«.  Es  kündigte  die 
Folk-  und  Singeklub-Bewegung  an.  Das  war  eine  für  die  Einheitspartei  zulässi- 
ge Einarbeitungsweise  amerikanischer  Einflüsse  des  Folk  und  Blues.  Im  März 
1965  vertrat  der  FDJ-Zentralrat  die  Ansicht,  dass  »Inhalt  und  Form  des  Gitar- 
renensemblespiels« durchaus  progressive  Ursprünge  haben  würden  und  nun- 
mehr »für  die  Weiterentwicklung  der  Tanzmusik  unserer  Republik  von  Bedeu- 
tung«204 seien.  Dieser  Sound  entspreche  dem  Lebensgefühl  der  technischen 
Revolution,  nicht  nur  in  der  DDR.  Deshalb  könne  Funk  und  Fernsehen  diesen 
Musiktrend  auch  »in  einem  angemessenen  Verhältnis  zu  der  übrigen  Breite 
unserer  Tanzmusik«  vorstellen.  Der  am  4.  April  1965  erschienene  Neues 
Deutschland-Artikel  »Butlers  Boogie«  stellte  die  Leipziger  Gitarrengruppe  The 
Butlers  vor  und  legte  die  bisherige  Parteilinie  hinsichtlich  populärer  Klänge 
dahingehend  aus,  dass  es  nur  spannende  oder  langweilige  Musik,  nur  gutes  oder 
schlechtes  musikalisches  Handwerk  gebe.  Der  Trennungsstrich  zwischen  sozia- 
listischer und  kapitalistischer  Musik  sei  nur  mit  Mühe  und  jeweils  nur  an  Bei- 
spielen festzumachen.  Der  Abteilung  Agitation  und  Propaganda  des  ZK  fiel  das 
zu  diesem  Zeitpunkt  nicht  übermäßig  negativ  auf.  Sie  erkannte  aber  bereits 
künftiges  Konfliktpotenzial.205 

Der  im  Frühjahr  1965  vom  Jugendverband  angekündigte  Gitarrenwettbe- 
werb in  den  Kreisen  und  Bezirken  bot  den  FDJ -Leitungen  Gelegenheiten,  dem 
jugendkulturellen  Leben  wieder  näher  zu  kommen.  Es  geschah  »etwas«  in  den 
Kreisen  und  der  Jugendverband  war  maßgeblich  an  diesen  popkulturellen 
Ereignissen  beteiligt.  Dadurch  traten  bestehende  und  alltägliche  Aufführungs- 
weisen von  Popmusik  in  der  DDR  an  die  Oberfläche  des  nominell  sozialisti- 
schen Kulturbetriebs.  Die  musikalischen  Hybridisierungen  der  Laienmusiker 


204  SAPMO-BArch,  DY  24/6381  unpag.,  [Zentralrat  der  FDJ]  Abteilung  Kultur,  Bernhard  Powileit, 
Vorlage  an  das  Sekretariat  des  Zentralrates  Nr.  9/25,  S.  1-2.  Betr.:  Standpunkt  der  Abteilung  Kultur  zur 
Arbeit  mit  den  Gitarrengruppen,  Berlin  17.3.1965,  S.  1-7,  S.  6. 

205  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/4  unpag.,  Abteilung  Agitation,  Rudi  Singer,  Mitteilung  an 
Albert  Norden,  Betr.:  Neues  Deutschland  vom  4.4.1965,  Butler’s  Boogie,  Berlin  30.4.1965,  S.  1.  »Lieber 
Albert,  beiliegend  das  »Neue  Deutschland«  vom  4.4.1965  mit  dem  Artikel  über  die  »Butlers«.  Ich  verstehe 
den  Protest  des  Genossen  Fröhlich  nicht  ganz.  Der  Artikel  geht  meiner  Ansicht  nach  in  Ordnung.  [. . .]  Bitte 
sieh  Dir  die  Sache  einmal  an.  Es  ist  ja  möglich,  dass  Genosse  Fröhlich  das  Problem  noch  einmal  aulwirft.« 


s9 


hatten  viele  Herkünfte,  aber  auf  sozialistische  Komponisten  wie  Paul  Dessau, 
Kurt  Weill,  Hanns  Eisler,  Ernst  Hermann  Meyer  und  Nathan  Notowicz  bezo- 
gen sie  sich  nicht.  Viel  eher  schon  standen  die  jugendlichen  Musiker  auf  Cliff 
Richards  & The  Shadmvs,  The  Spotnicks  (Schweden),  The  Beatles , The  Rolling  Stones 
oder  The  Honeycomhs.  Beat  gab  die  Takte  vor,  nach  denen  die  häufig  selbst 
gebauten  elektrischen  Gitarren  und  Verstärker  kreischten.  Die  Songs  hatten  die 
Musiker  bei  den  amerikanischen  und  britischen  Soldatensendern,  bei  Radio 
Luxemburg  oder  ÄLdS-»Schlager  der  Woche«  abgehört  und  dann  mit  ihren 
Gruppen  umgesetzt.  In  selteneren  Fällen  geschah  dies  mit  einem  Tonbandmit- 
schnitt, zumeist  erfolgte  dies  aber  über  das  wiederholte  »Hören«  der  Songs  am 
Radio.  Da  also  nie  die  gleichen  Versionen  verstanden  wurden  und  gespielt  wer- 
den konnten,  erhielten  Lieder  als  Coverversionen  eigenes  Leben  eingehaucht, 
die  dann  auf  Gitarren  aus  dem  VEB  Musikinstrumentenbau  Musima  Markneu- 
kirchen206 erklangen  und  aus  den  Urwowtf -Verstärkern  schallten. 

Michael  Rauhut  verdeutlicht,  dass  diese  musikalischen  Aufbrüche  in  den 
Restriktionen  in  Folge  des  II.  Plenums  untergingen.  Die  anschließende  Druck- 
welle zwang  die  Musikgruppen  zwischen  Herbst  1965  und  1967  zur  Umprofi- 
lierung,207 um  später  wieder  aufzutauchen.  Anfang  November  1965  regelte 
dann  eine  zweite  Festlegung  des  Ministeriums  für  Kultur  Spielgenehmigungen 
und  -verböte  und  bot  Qualifizierungsmöglichkeiten  an.  Der  Ministerrat  hatte 
am  22.  Dezember  1965  DDR-weit  alle  vierzehn  Tage  die  5-Tage-Woche  einge- 
führt. Damit  bot  jeder  zweite  Freitagabend  noch  mehr  Raum  für  Tanzveranstal- 
tungen. Das  erweiterte  die  Nachfrage.  Da  im  Zuge  des  11.  Plenums  aber  weni- 
ger Musikkapellen  Zulassungen  vorweisen  konnten,  verringerte  sich  gleichzei- 
tig das  Angebot.  Das  führte  zu  Engpässen  und  einer  florierenden  Schattenwirt- 
schaft. Ab  Ende  August  1967  war  dann  jeder  Sonnabend  arbeitsfrei.  Rauhut 
betont  die  Schnitte  stärker  als  den  Aushandlungscharakter,  der  notwendige 
Anpassungen  an  Bedürfhisstrukturen  jenseits  der  ideologischen  Aufladungen 
leistete.  Der  Prozess  der  Anerkennung  von  Beat  und  Rock  als  Teile  des  Ensem- 


206  Siehe  dazu  URL:  http://www.schlaggitarren.de/home.php?text=historie&kenn=8  und  URL:  http: 
//www.vintageaudioberlin.de/vabgalerien/saiteninstrumente/vibromatic/index.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9. 
2010]. 

207  Michael  Rauhut:  Beat,  1993,  S.  165-186. 


90 


bles  in  der  DDR  akzeptierter  Unterhaltungs-  und  Popmusik  reichte  bis  nach 
den  Weltfestspielen  1973. 208  Es  häuften  sich  die  offiziellen  und  halb-offiziellen 
Pop-Ereignisse.  Das  von  der  Altenburger  FDJ-Leitung  anlässlich  der  1000- 
Jahr-Feier209  der  urkundlichen  Ersterwähnung  Anfang  Juli  1976  veranstaltete 
mehrtägige  Open-Air-Konzert  setzte  den  Schlusspunkt.  Das  SED-Politbüro 
nahm  die  jugendkulturelle  Selbst-Inszenierung  wieder  genauso  wahr  wie  schon 
im  Herbst  1965.  Die  kurzzeitige  institutionelle  Beweglichkeit  der  späten 
1960er  und  frühen  1970er  Jahre  habe  sich  zu  einer  »Rockbürokratie«  verfe- 
stigt, so  Peter  Wicke,  die  die  vorhandenen  Förder-  und  Disziplinierungsprakti- 
ken  verwaltete.  Aber:  Da  die  lokalen  Behörden  auf  dem  Land  »im  Unterschied 
zu  den  städtischen  Schwerpunktregionen«  angesichts  des  zahlenmäßigen 
Anstiegs  von  Auftritten  und  Konzertveranstaltungen  in  Dorfgaststätten  über- 
fordert waren,  bestanden  unzählige  Schwachstellen  in  diesem  System,  die  von 
den  Musikern  genutzt  wurden.210  Ähnliche  Verfahrensweisen  erlernten  Jugend- 
liche bereits  als  sie  in  den  1960er  Jahren  die  in  den  SED-Jugendkommuniques 
sorgsam  eingrenzten  Freiräume  tatsächlich  in  ihren  Schulen,  Betrieben  oder 
Jugendklubs  einklagten.  Gerade  durch  die  flexible  Verwendung  technischer 
Empfangs-  und  Wiedergabegeräte  griffen  sie  auf  grenzüberschreitende  Medien- 
angebote zu.  DDR-Jugendliche  erarbeiteten  sich  auf  diesem  Feld  Vorsprünge, 
die  die  schwerfällige  Erziehungsbürokratie  niemals  ähnlich  schnell  einholte. 

2. 3 Berlin  ah  Verstärkeranlage 

In  West-  und  Ostberlin  gab  es  zur  offiziellen  Jugendpolitik  jeweils  mindestens 
einen  Gegenentwurf,  mit  dem  der  ideologische  Kontrahent  die  Schwachstellen 
und  Umsetzungsdefizite  des  anderen  benannte. 


208  Ebd.S.  235-247. 

209  Michael  Rauhut:  Ohr  an  Masse  - Rockmusik  im  Fadenkreuz  der  Stasi,  in:  Peter  Wicke/  Lothar 
Müller  (Hg.):  Rockmusik  und  Politik.  Analysen,  Interviews  und  Dokumente,  Berlin:  Ch.  Links,  1996,  S. 
28-47,  S.  32.  Siehe  auch:  Michael  Rauhut:  Rock  und  Rebellion,  Altenburg  1976,  in:  Thüringen.  Blätter 
zur  Landeskunde  2003.  URL:  http://www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/73.pdf  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010] 

210  Peter  Wicke:  Zwischen  Förderung  und  Reglementierung.  Rockmusik  im  System  der  DDR-Kul- 
turbürokratie,  in:  Wicke/  Müller  (Hg.):  Rockmusik  und  Politik,  1996,  S.  11-27,  S.  26. 


91 


Mit  der  »besonderen  Lage«  Westberlins  begründete  Ella  Kay,  von  1955  bis 
1962  Westberliner  Jugendsenatorin,  schon  vor  dem  Mauerbau  beginnende 
jugendpolitische  Experimente  und  setzte  sie  schließlich  auch  im  Abgeordneten- 
haus durch.  Sie  hatte  frühzeitig  enge  Beziehungen  zur  Westberliner  Presse  auf- 
gebaut und  pflegte  diese  besonders  gegenüber  SFB  und  RIAS.  Die  Rundfunk- 
anstalten begleiteten  ihre  Projekte  wie  das  mobile  »Bunte  Spielkarussell«,  den 
Jazz-Saloon  in  Steglitz  oder  ihr  Vorpreschen  gegen  Landser-Hefte211  wohlwol- 
lend. 

Der  Westberliner  Senat  fördere  die  staatspolitische  Erziehung  sehr,  beton- 
te Jugendsenatorin  Kay  schon  1959,  weil  »die  Lage  hier  ein  politisches  Wach- 
sein« verlange.212  Die  Berliner  Jugend  diskutiere  gern,  sei  nicht  einseitig  und 
besitze  einen  objektiven  Blick,  »aber  auch  eine  feste  Haltung«  - natürlich  zur 
Demokratie  westlicher  Prägung.  Die  ständige  politische  Hochspannung  in 
Westberlin,  so  der  Eindruck  der  SPD-Politikerin,  lasse  Jugendliche  »frühreif 
und  schnell  reizbar«  werden.  Wolfgang  Müller  bekräftigte  diese  Besonderheit 
damit,  dass  man  nach  einem  Aufenthalt  in  Berlin  die  Stadt,  den  Ort  und  seine 
politische  Atmosphäre  mit  der  Empfindung  verlasse,  »in  Berlin  sei  eben  alles 
ganz  anders  und  die  jungen  Berliner  seien  es  auch.«212 

Ostberlin  war  für  DDR-Jugendliche  aus  Sebnitz,  Hettstedt  oder  Tbrgelow 
- auch  außerhalb  von  Pfingsttreffen  und  Weltfestspielen  - ebenso  eine  An- 


211  LAB,  B Rep.  0 1 3 , Nr.  464  unpag.,  (Senator  Jugend,  Pressestelle,  Jug  I B 4),  Einladung  zur  Pres- 
sekonferenz  Eröffnung  des  Jugendtanzcafes  Steglitz,  Ahornstrass  15  a,  25.4.1960,  S.  1.  SFB  - Hermann 
Schneider  Jugendfunk,  SFB  - Heinz  Deutschendorf,  Herr  Lindmüller,  RIAS  - Blitzfunk,  RIAS  Funk  für 
Eltern  und  Erzieher.  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  464  unpag.,  Pressekonferenz  des  Berliner  Jugendclub  e.V.  am 
28.4.1960  anlässlich  des  »Jazz-Saloons«,  S.  1.  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  434  unpag.,  (Senatsverwaltung)  Lan- 
desjugendpflegerin, Ilse  Reichel,  an  Frau  Kay,  Betr.:  Interview  des  Sender  Freies  Berlin  über  den  »Jazz- 
Saloon  Berlin«,  Berlin  10.10.1960,  S.  1.  LAB  B Rep.  013,  Nr.  464  unpag.,  Senator  für  Jugend  und  Sport, 
Pressemitteilung  zu  Elternhilfe  als  vorbeugende  Maßnahme  des  Jugendschutzes,  Motto  ...  und  sonntags 
spielt  die  ganze  Familie«  Veranstaltungen  mit  dem  »bunten  Spielkarussell«  Berlin,  12.8  1960,  S.  1.  LAB, 
B Rep.  013,  Nr.  464  unpag.,  Jug  I B 3,  an  Frau  Hartung,  Betr.:  Pressekonferenz  Ella  Kay  gegen  Kriegsver- 
herrlichung in  Landserheften,  27.5.1960,  S.  1. 

212  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  434  unpag.,  Protokoll  von  der  Sitzung  des  Geschäftsführenden  Ausschus- 
ses des  Landesjugendringes  Berlin  mit  dem  Hamburger  Jugendring  am  21.  März  1959  im  »Haus  der 
Jugend«,  Berlin-Dahlem,  S.  1-4,  S.  2.  [Eingang  Senator  Jugend  und  Sport,  9.4.1959] 

213  Wolfgang  Müller:  Die  Berliner  Jugend  und  ihr  politisches  Potential,  in:  deutsche  jugend.  Zeit- 
schrift für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  10.  Jg.  (1962)  H.  1,  S.  13-18,  S.  13. 


92 


Sammlung  verstärkter  Sinneseindrücke  und  pulsierender  Ereignisse.  Das  imagi- 
nierte  Westberlin  übertraf  das,  weil  dieser  Ort  nicht  oder  nur  sehr  schwer  er- 
reichbar war. 

2.3.1  Besorgte  Jugendpolitiken  im  Berlin  der  1960er  Jahre.  Wegschließen, 
Beschäftigen,  Politisieren,  Konsum  lenken 

Die  sozialistischen  und  sozialdemokratischen  Politiker  beschritten  in  der 
Jugendfürsorge  Berlins  ab  Mitte  der  1950er  Jahre  unterschiedliche  Wege.  Die 
Westberliner  Entwicklung  war  von  der  Befähigung  zur  Eigenständigkeit 
gekennzeichnet.  Sie  setzte  - auch  gegen  politische  Widerstände  - auf  die 
Bereitstellung  von  Chancen.  Vom  Senat  vorgehaltene  Freizeitangebote,  die 
aktive  Schaffung  von  Freiräumen  durch  den  Ausbau  von  Jugendtanzlokalen  und 
die  Förderung  der  Wahrnehmung  dieser  Angebote  waren  Aspekte  eines  West- 
berliner Cold  War  Liberalism .’14  Dieser  »Liberalismus«  versuchte  sich  durch 
eine  Praxis  des  Zulassen  von  der  Ostberliner  Entwicklung  abzugrenzen,  ent- 
hielt aber  seinerseits  fein  justierte  Beschränkungen. 

Die  Offerten  der  SED  und  ihres  Jugendverbandes  fokussierten  auf  die 
Befähigung  zur  eigenständigen  Weiterqualifizierung  und  zur  (Selbst-)Erzie- 
hung  über  kollektive  Freizeiterlebnisse.  Die  DDR-Parteifunktionäre  hatten 
aber  auch  gelernt,  auf  Attraktivität  und  Konsumierbarkeit  zu  setzen,  selbst 
wenn  diese  Aspekte  in  der  Rhetorik  sozialistischer  Erziehung  ausgeklammert 
blieben.  Dies  wird  in  der  Vielzahl  von  Kompromissen  deutlich,  die  die  SED  in 
Berlin  und  die  Räte  der  Stadtbezirke  bei  der  Umsetzung  der  offiziellen  Jugend- 
politik  eingingen.  Entgegen  jenes  von  Uta  G.  Poiger  so  stark  betonten  Kontra- 
stes zwischen  West-  und  Ostdeutschland  fächerte  sich  die  Ostberliner  Jugend- 
politik  meines  Erachtens  in  Entwicklungen  auf,  die  ähnliche  Mechanismen  wie 
in  Westberlin  aufwiesen.  Auch  wenn  das  »Jugend«-Bild  der  SED  auf  Erziehung 
durch  Einbindung  und  auf  Mobilisierung  durch  Aufstiegsversprechen  ausge- 
richtet war,  enthielt  die  DDR-Jugendpolitik  neben  autoritären  und  konservati- 
ven Zügen  auch  jene  edukativen,  welche  sich  die  Strömungen  einer  besorgten 


214  Uta  G.  Poiger:  Jazz,  2000,  S.  208. 


93 


Jugendpolitik  im  Westen  bereits  auf  ihre  Fahnen  geschrieben  hatten.  Wer  sich 
aber  der  staatlich  vorgegebenen  Selbsterziehung  verweigerte  oder  sich  durch 
Tätowierungen,  Rolling-Stones-Schriftzüge  auf  Lederjacken  und  Haaren,  die 
über  die  Ohren  reichten,  gegen  das  Arsenal  sozialistischer  Symbolproduktion 
wehrte,  musste  mit  Konsequenzen  rechnen.  Das  konnte  von  Freiheitsentzug, 
Erziehung  im  Arbeitslager  bis  zu  schwerwiegenden  körperlichen  und  psychi- 
schen Folgeschäden  durch  Aufenthalte  in  Jugendwerkhöfen  reichen.21-'’ 

2. 3. 1.1  Die  Senatsverwaltung  Jugend  als  Förderer  von  Jugendkultur  in 
Westberlin 

Die  Westberliner  Jugendpflege  sei  vorrangig  Jugendfürsorge,  da  sie  auch  den 
Jugendlichen  aus  den  Ostbezirken  helfen  müsse,  beschrieb  Jugendsenatorin 
Ella  Kay  die  politische  Aufgabenstellung  am  Ende  der  1950er  Jahre.216  Kay 
hatte  sich  in  der  Zwischenkriegszeit  in  der  Arbeiterwohlfahrt  engagiert  und  bis 
1933  als  SPD-Kommunalpolitikerin  das  Jugendamt  Prenzlauer  Berg  geleitet. 
Vor-  und  nachsorgender  Jugendschutz  bildete  bereits  damals  einen  ihrer 
jugendpolitischen  Schwerpunkte.  Das  versuchte  sie  gegen  die  eher  blockieren- 
den Strategien  preußischer  Jugendverwaltungen  in  der  Weimarer  Republik  und 
später  in  Westberlin  mit  Beharrlichkeit  durchzusetzen.  Aus  diesem  Anspruch 
entwickelte  die  Jugendsenatsverwaltung  Maßnahmen,  um  den  jungen  Westber- 


215  Julius  Hoffmann:  Jugendhilfe  in  der  DDR.  Grundlagen,  Funktionen  und  Strukturen  (=  Juventa- 
Materialien;  52),  München:  Juventa,  1981.  Gerhard  Jörns:  Der  Jugendwerkhof  im  Jugendhilfesystem  der 
DDR,  Göttingen:  Cuvillier  1995.  Christoph  Bernhardt/  Gerd  Kuhn:  Keiner  darf  zurückgelassen  werden! 
Aspekte  der  Jugendhilfepraxis  in  der  DDR  1959-1989,  Münster:  Votum  1998.  Sonja  Häder:  Selbstbehaup- 
tung wider  Partei  und  Staat.  Westlicher  Einfluss  und  östliche  Eigenständigkeit  in  den  Jugendkulturen  jen- 
seits des  Eisernen  Vorhangs,  in:  Archiv  für  Sozialgeschichte,  Bd.  45  (2005),  S.  449-476.  Zur  Repression: 
Claudia  Linke:  Endstation  Torgau.  Der  Geschlossene  Jugendwerkhof  Torgau  und  seine  Aufarbeitung,  in: 
Zeitschrift  des  Forschungsverbundes  SED-Staat,  (2006)  H.  19,  S.  41-52.  Bettina  Klein/  Hagen  Rösner: 
Der  Geschlossene  Jugendwerkhof  Torgau,  in:  Deutschland-Archiv,  27.  Jg.  (1994)  H.  2,  S.  206-221.  Gert 
Geißler:  Jugendhilfe  in  der  DDR.  Dokumente,  in:  Ders.  (Hg.):  Einweisung  nach  Torgau  und  Texte  und 
Dokumente  zur  autoritären  Jugendfürsorge  in  der  DDR,  Berlin:  Basisdruck  1996,  S.  61-91. 

216  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  434  unpag.,  Protokoll  von  der  Sitzung  des  Geschäftsführenden  Ausschus- 
ses des  Landesjugendringes  Berlin  mit  dem  Hamburger  Jugendring  am  21.  März  im  »Haus  der  Jugend«, 
Berlin-Dahlem,  S.  1-4,  S.  1.  [Eingang  Senator  Jugend  und  Sport,  9.4.1959] 


94 


linern  Entwickkmgs-  und  Aufenthaltsräume  jenseits  von  Kommerzialisierung 
und  politischer  Indoktrination  bereitzustellen.  Die  vom  Senat  und  aus  Bundes- 
mitteln finanzierten  Jugendfreizeiten,  wie  die  der  linken  Arbeiterjugend-Orga- 
nisation SDAJ/  Die  Falken  in  Dänemark  und  Schweden  sowie  deren  frühe  Bil- 
dungsfahrten zu  den  Vernichtungslagern  in  Polen  und  der  Tschechoslowakei 
waren  wiederkehrende  Ansatzpunkte  für  die  bürgerliche  Presse  sowie  den 
Springer/  Ullstein-Boulevard,  diese  Ausrichtung  der  Senatsjugendpolitik  zur 
Disposition  zu  stellen.217  Allzu  oft  stimmten  Teile  der  Westberliner  SPD  in  die- 
sen Grundtenor  ein. 

Die  bestehenden  »Häuser  der  Jugend«  standen  zwar  den  anerkannten 
Jugendverbänden  offen,  so  Kay  1959  auf  einer  Tagung  des  Berliner  Landesju- 
gendringes, der  Senat  erhoffte  sich  davon  aber  primär,  dass  die  nicht  organisier- 
ten Jugendlichen  sich  dadurch  stärker  angesprochen  fühlen  könnten.  Eine  sol- 
che Resonanz  erfolge  allerdings  nur  sehr  zögerlich,  weil  die  Verbände  sich 
zumeist  nur  mit  sich  selbst  und  ihren  Interessen  beschäftigen  würden.218  Nur 
eine  Minderheit  der  Berliner  Jugendlichen  fand  diese  Form  von  Freizeitgestal- 
tung ansprechend.  Zwischen  den  Jugendverbandsheimen  und  den  öffentlichen 
Treffpunkten  Jugendlicher  waren  Unterschiede  im  Nutzungsverhalten  entstan- 
den. Eine  vom  Westberliner  Senat  1961  in  Auftrag  gegebene  Untersuchung 
stellte  die  sichtbar  gewordene  Angebots-  und  Betreuungslücke  fest.  Zwar  seien 
politisch  aktive  junge  Menschen  in  der  Berliner  Jugend  zwischen  15  und  25 
Jahren  keine  Außenseiter,  sondern  vielmehr  die  Regel,  hieß  es  darin.  Aber  die 
organisierten  Jugendlichen  grenzten  sich  gegenüber  ihren  Altersgenossen  ab, 
indem  sie  diese  als  konsumorientiert,  unpolitisch  und  unengagiert  bezeichne- 
ten.  Politisches  Interesse  gehöre  für  die  Berliner  Jugend  »offensichtlich  zum 


217  Michael  Schmidt:  Die  Auseinandersetzung  mit  dem  Nationalsozialismus  in  der  politisch-pädago- 
gischen  Praxis  der  Sozialistischen  Jugend  Deutschlands  - Die  Falken,  in:  Heinrich  Eppe/  Ulrich  Herr- 
mann (Hg.):  Sozialistische  Jugend  im  20.  Jahrhundert.  Studien  zur  Entwicklung  und  politischen  Praxis  der 
Arbeiterjugendbewegung  in  Deutschland,  Weinheim/  München:  Juventa  Verlag  2008,  S.  245-267.  Darin 
ebenfalls:  Bodo  Brüchen  Modelle  der  Selbstverwaltung  und  der  Partizipation  von  Kindern:  die  Kinderre- 
publiken der  »Falken«,  S.  189-200. 

218  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  434  unpag.,  Sitzung  des  Geschäftsführenden  Ausschusses  des  Landesju- 
gendringes Berlin  mit  dem  Hamburger  Jugendring  am  21.  März  1959  im  »Haus  der  Jugend«,  Berlin- 
Dahlem,  S.  2. 


95 


Leitbild  des  guten  Berliners«219,  berichtete  Wolfgang  Müller  in  der  Zeitschrift 
deutsche  jugend  über  Ergebnisse  dieser  von  ihm  bei  der  Sozialistischen  Jugend/ 
Die  Falken  und  der  DAG-Jugend  selbst  durchgeführten  Befragung.  Die  negati- 
ven Zuweisungen  der  Erwachsenengesellschaft  gegenüber  »Jugend«  verorteten 
Verbandsmitglieder  klar  bei  den  »Nichtorganisierten«.220  Es  bestand  eine  zu- 
nehmende innere  Distanz  zwischen  den  Aktiven,  den  politisch  interessierten, 
aber  nicht-engagierten  und  den  »unpolitischen«  Jugendlichen.  Zudem  fehlten 
entsprechende  Jugendheime,  die  persönliche  Kontakte  und  Austausch  erzeugt 
hätten.  Die  Jugendverbände  schotteten  sich  zunehmend  ab  - eine  Parallele  zum 
kommunistischen  Jugendverband  in  der  DDR. 

Die  Senatsjugendverwaltung  und  die  Jugendämter  der  Bezirke  wollten  die 
»gerade«  Bahn  einer  jugendlichen  Sozialisation  in  Westberlin  ermöglichen,  da 
die  Chancen,  in  Gaststätten  und  »Rock’n’Roll-Kaschemmen«  schlechten  Ein- 
flüssen ausgesetzt  zu  werden,  jederzeit  gegeben  waren  - also  nicht  nur  im  Wed- 
ding, in  Reinickendorf  oder  Schöneberg,  sondern  auch  im  beschaulichen  Gru- 
newald  und  im  großbürgerlichen  Zehlendorf. 

Lösungen  für  diese  Diskrepanzen  fanden  die  Berliner  Jugendpfleger  nicht 
in  Paris,  London,  New  York  oder  Chicago,  sondern  im  nordbadischen  Mann- 
heim. Dort  hatte  der  Stadtjugendring  Anfang  Mai  1959  ein  Jugendcafe  in  der 
Innenstadt  eröffnet.  So  etwas  brauchte  Berlin  natürlich  auch.  Ein  Jahr  später, 
am  30.  April  1960,  konnten  Jugendsenatorin  Kay  und  Landesjugendpflegerin 
Ilse  Reichel  den  Jazz  Saloon  im  ehemaligen  Haus  Breitenfeld  in  der  Steglitzer 
Ahornstraße  einweihen,  der  künftig  vom  kurz  zuvor  gegründeten  Berliner 
Jugendclub  e.V.  betrieben  werden  sollte.  Am  Eröffnungsabend  spielte  die  »Hel- 
mut Brandt-Combo«  von  RIAS  Berlin.  Und  wieder  einmal  war  es  der  Kalte 
Krieg  gewesen,  der  die  Umsetzung  eines  Vorhabens  beschleunigt  hatte:  Dass 
der  Jazz  Saloon  so  schnell  seine  Pforten  öffnen  konnte,  lag  nicht  zuletzt  daran, 
dass  der  Westberliner  Arm  der  SED  das  gleiche  Grundstück  hatte  kaufen  wol- 


219  Wolfgang  Müller:  Die  Berliner  Jugend,  in:  deutsche  jugend,  1962,  H.  1,  S.  15. 

220  Wolfgang  C.  Müller/  Günter  Schubert/  Dieter  Uecker:  Organisierte  und  nichtorganisierte 
Jugend  in  Berlin,  in:  Ludwig  von  Friedeburg  (Hg.):  Jugend  in  der  modernen  Gesellschaft,  1965,  S.  524- 
530,  S.  528. 


96 


len.221  Die  Jugendsenatorin  nutzte  die  Gunst  der  Stunde:  Zusammen  mit  dem 
Bezirk  Kreuzberg  war  wenig  später  die  Dachluke  als  »Tanz-  und  jugendpflegeri- 
sche Unterhaltungs-Einrichtung«  für  etwa  200  Jugendliche  am  Mehringdamm 
geplant.222  Dieser  Initiative  war  eine  Studie  des  Landesjugendamtes  vorausge- 
gangen, die  drei  Typen  von  Teenagerlokalen  unterschied.  Der  erste  Typ  waren 
demnach  »normale«  Gaststätten,  in  deren  Hinterzimmern  die  Jugendlichen 
»relativ  unbeaufsichtigt«  verkehren  würden.  Wirkliche  »Teenagerlokale«,  so 
die  Untersuchung,  würden  die  Jugendlichen  eines  bestimmten  Stadtviertels  an- 
sprechen. »Jazzlokale«  zögen  dagegen  junge  Besucher  aus  anderen  Stadtteilen 
an.  Die  Getränkepreise  seien  deutlich  höher.  Musikautomaten  und  Bands  wür- 
den zu  den  wichtigsten  Angeboten  aller  Lokale  gehören.223 

Der  Jazz  Saloon  war  das  Aushängeschild,  mit  dem  der  Senat  seine  verschie- 
denartigen Bemühungen  in  der  Jugendpolitik  geschickt  in  Szene  setzte.  Das 
Spandauer  Haus  Metzler,  zugleich  Jugendtreff  und  ADAC -Vereinslokal,  folgte 
im  Februar  1961.  Zwei  Monate  später  eröffnete  mit  der  Dachluke  im  ehemali- 
gen Telefunken- Verwaltungsgebäude  am  Mehringdamm  »das  dritte  jugend- 
pflegerische Tanzlokal«  der  Stadt.  Angriffe  gegen  den  Betreiber  dieser  Einrich- 
tungen, den  Berliner  Jugendclub  e.V.,  waren  Spitzen  gegen  das  jugendpoliti- 
sche  Selbstverständnis  der  Berliner  SPD-Linken.  Der  CDU-Abgeordnete  Ada- 
meck fragte  die  Jugendsenatorin  Kay  im  Juni  1961,  ob  die  vom  Senat  geförder- 
ten Jugendtanzcafes  eine  Konkurrenz  für  bestehende  Gaststätten  und  Tanz- 
schulen darstellen  würden  und  welche  Erfahrungen  bislang  vorlägen.  Die 
Jugendlichen  könnten  neben  koffeinhaltiger  Brause  auch  »Herva  Zitrone«, 
»Florida  Boy«,  »Herva  Mosel«  (Weinschorle)  und  Bier  für  50  bzw.  70  Pfennige 
kaufen.224  Harter  Alkohol  würde  nicht  ausgeschenkt,  versicherte  die  Senatorin. 
»Die  jungen  Menschen  in  unserer  Stadt«  seien  begeistert  davon,  freute  sich 


221  Wolfgang  Müller:  Der  Jazz  Saloon  und  seine  Folgen,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
fragen  und  Jugendarbeit,  9.  Jg.  (1961)  H.  4,  S.  162-167,  S.  165. 

LAB,  B Rep.  013,  Nr.  434  unpag.,  Antrag  des  Berliner  Jugendclub  e.V.  über  Einrichtung  von 
Jugendtanzstätten,  S.  1. 

223  Wolfgang  Müller:  Jazz  Saloon,  in:  deutsche  jugend,  9.  Jg.  (1961)  H.  4,  S.  164. 

224  Abgeordnetenhaus  von  Berlin,  III.  Wahlperiode,  Band  3,  Stenographischer  Bericht,  61.  Sitzung, 
4.6.1961,  S.  121-150,  S.  127.  Senatorin  Ella  Kay  antwortet  auf  die  Fragen  des  Abgeordneten  Adameck 
(CDU). 


97 


Kay.  Die  Berliner  Jugend  komme  nun  endlich  »zu  einem  vernünftigen  Vergnü- 
gen und  auch  zu  vernünftigen  Begegnungsstätten.«225  Inzwischen  hätten  sich 
auch  Interessengruppen  in  den  Cafes  zusammengefunden,  die  nicht  ausschließ- 
lich konsumieren  würden.  Kay  sah  ihre  Politik  dadurch  bestätigt.  Ein  Jahr  spä- 
ter ging  der  CDU-Abgeordnete  und  Vertreter  der  Westberliner  Gastwirte, 
Heinz  Martin  Zellermayer,  die  Jugendgaststätte  Dachluke  in  einer  mündlichen 
Anfrage  an.  Er  warf  dem  Jugendclub  e.V.  vor,  das  Alter  der  Gäste  nicht  mehr 
scharf  zu  kontrollieren,  da  der  Verein  nun  höhere  Einnahmen  erzielen  müsse. 
Ferner  merkte  er  an,  dass  diese  vom  Senat  geförderte  Kommerzialisierung  dazu 
führe,  dass  sich  in  den  Räumen,  die  baupolizeilich  nur  für  etwa  280  Personen 
zugelassen  seien,  bei  Veranstaltungen  fast  doppelt  so  viele  Besucher  dicht 
gedrängt  aufhielten.226  Dem  widersprach  Kay  vehement  und  betonte  die 
Anziehungskraft  dieser  Klubs. 

Die  Berliner  Ausprägung  des  Cold  War  Liberalism  war  nicht  ausschließlich 
erlaubend,  sondern  fand  an  Ereignissen  seine  Grenzen,  an  denen  sich  das  Be- 
streben, jugendkulturelle  Freiheiten  einzuräumen  mit  »ungeziemlichen«  Stö- 
rungen der  öffentlichen  Ordnung  überschnitt.  In  der  Großen  Dringlichkeitsan- 
frage,  die  die  CDU-Fraktion  nach  dem  Waldbühnen-Konzert  der  Rolling  Stones 
im  September  1965  stellte,  betonten  die  Abgeordneten  zwar,  dass  nur  ein  »ver- 
schwindend geringer  Teil«  der  Jugendlichen  »Urheber  der  Verwüstungen  und 
Radauszenen«  gewesen  sei.  Aber  diese  kleine  Anzahl  Jugendlicher  habe  »in  Ver- 
bindung mit  den  Beatrhythmen«  ausgereicht,  tausende  andere  Minderjährige 
in  »eine  Stimmung  zu  versetzen,  die  man  schlicht  und  einfach  mit  Ekstase« 
bezeichnen  müsse.  Die  Waldbühne  habe  »einem  Hexenkessel«  geglichen,  als 
die  »Rolling  Stones  auf  die  Bühne  kamen«.  Die  Bild-Zeitung  hatte  die  Fotos 
von  diesem  popkulturellen  »Hexensabbat«  auf  ihrer  Titelseite.  Funk  und  Fern- 
sehen, so  die  CDU-Abgeordneten,  hätten  die  Vorgänge  schließlich  jedem  be- 


225  Ebd.,  S.  127. 

226  Abgeordnetenhauses  von  Berlin  III.  Wahlperiode,  Band  3,  Stenographischer  Bericht,  98.  Sitzung 
8.11.1962,  S.  348.  Mündliche  Anfrage  des  Abgeordneten  Zellermayer  (CDU),  Jugendgaststätte  Dachluke. 


9s 


kannt  gemacht.2’7  In  letzter  Zeit  werde  es  Mode,  so  der  CDU-Abgeordnete 
Siegmund  in  der  Debatte,  dass  »in  Jugendheimen  und  anderen  öffentlichen 
Einrichtungen  für  die  Jugend  die  Beschäftigung  mit  dem  Beat  immer  mehr  an 
Boden  (Zwischenruf:  Unerhört!)«228  gewänne.  Das  zeige,  dass  die  Jugendpfle- 
ger »diese  Gruppen  offenbar  nicht  mehr  in  den  richtigen  Griff«  bekämen.  Das 
war  ein  direkter  Angriff  auf  die  Jugendpolitik  des  SPD-Senats.  Natürlich  wolle 
die  Berliner  CDU  jungen  Menschen  nicht  vorschreiben,  »welche  Musik  sie  zu 
hören  hätten  und  in  welcher  äußeren  Aufmachung  das  zu  geschehen  habe.« 
Schließlich  würde  man  in  einer  freiheitlichen  Demokratie  leben,  und  nicht  in 
der  »Zone«.  Dennoch  müsse  es  aber  die  Aufgabe  »der  freien  und  der  öffentli- 
chen Jugendpflege«  wie  auch  der  Erziehenden  sein,  dass  »sich  diese  Zeiter- 
scheinung in  einigermaßen  vernünftigen  und  vertretbaren  Bahnen«229  bewe- 
gen würde.  Veranstaltungen  mit  derartig  vorhersehbaren  Auswüchsen  solle  der 
Senat  künftig  von  vorne  herein  nicht  mehr  genehmigen.  Die  Senatsverwaltung 
für  Sicherheit  und  Ordnung  habe  es  sich,  so  die  Spitze  der  CDU  gegen  den 
Innensenator  und  späteren  Regierenden  Bürgermeister  Heinrich  Albertz,  »ein 
wenig  zu  einfach  gemacht«.  Die  Geschehnisse  in  den  westdeutschen  Städten 
während  der  vom  Jugendmagazin  Bravo  veranstalteten  Blitz -Tour  der  S ton  es  im 
September  1965  waren  für  den  CDU-Abgeordneten  eine  »deutliche  War- 
nung.« Albertz  hielt  den  Einsatz  von  370  Beamten,  zwölf  Dienstpferden  und  3 1 
Diensthunden  in  seiner  Stellungnahme  für  erforderlich  und  angemessen.  Für 
seine  anständigen  und  braven  Berliner  Polizisten,  so  Albertz  in  der  Debatte,  sei 
es  aber  eine  Zumutung  gewesen,  bei  einer  »solchen  Veranstaltung«  für  Sicher- 
heit sorgen  zu  müssen.230  Diese  Anhörung  nach  dem  Waldbühnen-Konzert 
war  das  argumentative  Vorspiel  für  die  öffentlichen  und  medialen  Redeweisen 
über  Jugendkultur  in  Berlin,  die  sich  am  Beispiel  der  Studentenproteste  im 


227  Abgeordnetenhaus  von  Berlin,  IV.  Wahlperiode,  Band  4,  Stenographischer  Bericht,  46.  Sitzung, 
23.9.1965,  S.  367-411,  Große  Dringlichkeitsanfrage  der  Abgeordneten  Amrehn,  Dr.  Riesebrodt,  Dach, 
Wolff,  Siegmund  und  der  übrigen  Mitglieder  der  Fraktion  der  CDU  über  Verhinderung  von  Rowdysze- 
nen und  Zerstörungswut  in  Berlin,  S.  404-41 1 , S.  404. 

228  Ebd.,  S.  404. 

229  Ebd.,  S.  404. 

230  Ebd.,  S.  406. 


99 


Frühjahr  und  Sommer  1967  und  nach  dem  Attentat  auf  Rudi  Dutschke  zu 
Ostern  1968  verschärften. 

Für  die  Jugendpolitik  des  Senats,  die  nur  lose  mit  dessen  Sicherheits-  und 
Ordnungskonzeptionen  verbunden  war,  blieb  der  Steglitzer  Jazz  Saloon  das 
wichtigste  Objekt  ihrer  Selbstdarstellung.  1967  hieß  das  Jugendheim  dann 
Poplnn,  benannt  nach  einer  Radioshow  des  britischen  Soldatensenders  BFBS. 
Schon  die  Umbenennung  zeigte  auf  die  neuen  Adaptionen  und  Einfügungen. 

Die  Angriffe  aus  dem  konservativ-bürgerlichen  (und  zuweilen  auch  dem 
sozialdemokratischen)  Lager  West-Berlins  konnten  immer  dann  abgewehrt 
werden,  wenn  anhand  gelungener  Einbindungen  von  »gefährdeten«  Jugendli- 
chen die  verbürgerlichte  Bravheit  dieser  Einrichtungen  dargestellt  werden 
konnte.  Subkulturelle  Kreativität  aber  wurde  als  ein  Teil  von  »Unordnung« 
und  als  kontrollfreier  öffentlicher  Raum  wahrgenommen.  Das  sollte  später 
noch  zum  Problem  für  die  aufbegehrende  Jugend  werden.  Die  mediale  Insze- 
nierung des  Waldbühnen-Krawalls  und  dessen  politische  Bearbeitungen  waren 
Vorboten  eines  Generationenmissverständnisses.  Bereits  hier  zeigte  sich,  dass 
die  Berliner  Cold  War  Liberais  der  späten  1950er  Jahre  die  neue  popkulturelle 
Ökonomie  der  Zeichen  nicht  mehr  verstanden. 

2. 3. 1.2  Sozialistische  Erziehung  und  die  bleibenden  Lücken  der  SED-Jugend- 
politik  in  Ostberlin 

Nachdem  das  Sekretariat  des  Zentralkomitees  auf  Betreiben  Honeckers  am  11. 
Oktober  1965  angesichts  der  Vorkommnisse  von  »Rowdytum«  sofortige  Kor- 
rekturen des  jugendpolitischen  Kurses  beschlossen  hatte,  waren  die  Partei-  und 
Staatsorgane  und  der  Jugendverband  FDJ  darauf  verpflichtet,  die  »politische 
Führungstätigkeit«  wieder  strenger  durchzusetzen.  Laienmusikgruppen  sollte 
entweder  die  Lizenz  entzogen  werden  oder  sie  hatten  zeitaufwändige  Steuer- 
prüfungen mit  drohenden  Nachzahlungen  zu  erwarten.231  Den  Rundfunk  traf 
die  Kritik  in  diesem  Zusammenhang  natürlich  auch. 


231  SAPMO-BArch,  DY  30  J rV 2/3 A/1.232  foliert,  Sekretariat  des  ZK,  Arbeitsprotokoll  Nr.  78  vom 
11.10.1965,  Bl.  1-9,  Tagesordnungspunkt  1:  Zu  einigen  Fragen  der  Jugendarbeit  und  dem  Auftreten  der 
»Rowdygruppen«,  Bl.  3-4,  Bl.  3. 


IOO 


Einen  Monat  später,  nachdem  sich  das  Politbüro  Ende  November  1965  zur 
kulturpolitischen  Entwicklung  und  den  daran  anhängigen  ideologischen  Fra- 
gen geäußert  hatte,  legte  das  Sekretariat  des  Zentralkomitees  fest,  dass  die  Agi- 
tationssekretäre der  Bezirksleitungen  und  die  Vorsitzenden  der  Ideologischen 
Kommissionen  aus  den  Bezirken  die  nun  inzwischen  auch  von  den  ZK-Abtei- 
lungen  ausgearbeiteten  kultur-  und  jugendpolitischen  Neuausrichtungen  drin- 
gend zur  Kenntnis  zu  bekommen  hatten.2’2  Honecker  nutzte  im  Vorfeld  des 
1 1 . Plenums  die  Gelegenheit,  unter  Verweis  auf  die  »böse«  Beatmusik  und  die 
mangelhaften  Erziehungsleistungen  des  Jugendverbandes,  der  staatlichen 
Organe  und  insbesondere  des  Hörfunks  und  des  Fernsehens  die  von  Kurt 
Turba  - Chef  der  Jugendkommission  des  Politbüros  - angestoßene  und  durch- 
gesetzte Jugendpolitik  auszubremsen.  Allerdings  waren  »geordnete«  und  »dis- 
ziplinierte« internationale  Musikeinflüsse  durchaus  immer  noch  mit  der  Rheto- 
rik des  sozialistischen  Aufbaus  zu  vereinbaren. 

»Ich  glaube  nicht,  dass  wir  gegen  Beat -Musik  an  sich  sind  und  sein  sollen«, 
meinte  Kurt  Hager,  Leiter  der  Abteilung  Kultur  des  ZK,  im  Dezember  1965 
auf  einem  Seminar  der  Ideologischen  Kommission  des  Politbüros.  Diese  neuen 
Rhythmen  könnten  »in  sehr  verschiedener  Weise«  dargeboten  werden.  Wür- 
den die  Kapellen  »ruhig  und  kultiviert«  spielen,  so  Hager,  dann  würden  sie 
dafür  sorgen,  dass  »anständig  getanzt«  werde.  Beat  könne  aber  auch  »wie  das 
eben  in  der  Westberliner  Waldbühne«  geschehen  sei,  Massenhysterien  auslösen 
und  zur  völligen  Zügellosigkeit  führen.  Dann  werde  »alles  kurz-  und  kleinge- 
schlagen. «233 

Die  anwesenden  Agitationssekretäre  kannten  die  Berichte  über 
»besondere  Vorkommnisse«  bei  Tanzveranstaltungen,  Pressefesten  und  Stadt- 


232  SAPMO-BArch, DY  30  JIV  2/3/1. 129  foUert,  Protokoll  der  Sitzung  des  Sekretariats  des  ZK  Nr. 
89  vom  24.11.65  - Auswertung  des  Beschlusses  des  Politbüros  vom  23.11.1965  zu  ideologischen  Fragen 
auf  dem  Gebiet  der  Kultur.  SAPMO-BArch,  DY  30  J IV  2/3A/1.243  foliert,  Sekretariat  des  ZK,  Arbeits- 
protokoll Nr.  89  vom  24.11.1965,  Bl.  1-6.  Tagesordnungspunkt  2:  Auswertung  des  Beschlusses  des  Polit- 
büros vom  23.11.1965  über  ideologische  Fragen  auf  dem  Gebiet  der  Kultur,  Bl.  2-3.  [Anwesend:  Grün- 
berg, Hager,  Honecker,  Mittag,  Verner,  Berger,  Jarowinsky,  Eberlein,  Entschuldigt:  Ulbricht,  Norden, 
Schön,  Dohlus,  Zu  Punkt  5 eingeladen:  Turba,  Neumann,  Schumann]. 

233  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.01/21  unpag.,  Ideologische  Kommission  beim  Politbüro,  Kurt 
Hager,  Protokoll  über  ein  Seminar  der  Ideologischen  Kommission  mit  den  Sekretären  für  Agitation  und 
Propaganda  der  Bezirksleitungen  und  den  Leitern  der  Abteilung  Kultur  der  Bezirksleitungen  zu  ideologi- 
schen Fragen  auf  dem  Gebiet  der  Kultur  7.12.65,  S.  1-176,  S.  56. 


IOI 


jubiläen  in  den  Bezirken  gut  genug,  um  zu  wissen,  worauf  Hager  hinwies. 
»Waldbühne«  war  in  Hägers  Referat  zu  einem  sprachlichen  Zeichen  geworden, 
dass  eine  bestehende  Regelungslücke  bei  der  Gitarrenmusik  mit  einer  nachläs- 
sigen ideologischen  Auseinandersetzung  verband.  Dem  Vertrauen  auf  jugendli- 
che Leistungsträger  - sorgsam  eingegrenzt  auf  die  berufliche  Weiterqualifizie- 
rung und  die  wirtschaftlichen  Erfordernisse  der  wissenschaftlich-technischen 
Revolution  - stellte  Hager  eine  jugendliche  »Verantwortungslosigkeit«  gegen- 
über, die  die  sozialistische  Kultur,  Moral  und  die  bisherige  Aufbauleistung 
berühre.  »In  Leipzig,  das  können  die  Genossen  aus  Leipzig  im  einzelnen  nach- 
her erläutern,  kam  es  zu  einer  Demonstration  von  Anhängern  der  Beat-Musik, 
die  von  der  Volkspolizei  mit  Hilfe  von  Ordnungsgruppen  der  FDJ  auseinander 
geschlagen  wurde.«234  Zu  Recht,  wie  das  Protokoll  hervorhob,  denn  bei  dieser 
Zusammenrottung  seien  sehr  rasch  Losungen  entstanden,  die  staatsfeindlichen 
Charakter  getragen  hätten.  Das  habe  das  »entschiedene  Eingreifen  der  Staats- 
organe notwendig«  gemacht. 

Jenseits  der  Konstruktion  von  Beatfans  als  »inneren  Gegnern«  zeigten  zwei 
Berichte  der  Berliner  SED-Bezirksleitung  vom  Juni  1965  und  März  1966,  dass 
die  Jugendpolitik  der  Partei  auf  der  Ebene  der  Stadtbezirke  nur  leidlich  funk- 
tionierte. Lediglich  in  Treptow  habe  die  Jugendkommission  der  Kreisleitung 
funktioniert,  so  der  Berliner  SED-Jugendpolitiker  Harry  Smettan.  In  Fried- 
richshain und  in  Mitte  seien  diese  Kommissionen  nur  auf  dem  Papier  existent.235 
Nach  dem  11.  Plenum  sollten  diese  Jugendkommissionen,  die  nur  locker  insti- 
tutionell verankert  waren,  die  jugend-  und  kulturpolitischen  Auseinanderset- 
zungen führen.  In  einer  ersten  Auswertung  des  Plenums  schrieb  Smettan  im 
Frühjahr  1966,  dass  die  Vertreter  der  staatlichen,  parteilichen  und  gesellschaft- 
lichen Jugendarbeit  die  ideologischen  »Aufweichungsbestrebungen  des  Geg- 
ners« weiterhin  unterschätzen  würden.  Sie  würden  immer  »noch  unzurei- 
chend« erkennen,  dass  »über  die  Kultur  die  Bewusstseinsbildung  unserer  Men- 


234  Ebd.,  47. 

235  LAB,  C Rep.  902,  Nr.  2114  unpag.,  Leiter  der  Jugendkommission  der  Bezirksleitung,  Harry  Smet- 
tan,  Betr.:  Beratung  mit  den  Operativinstrukteuren  zu  Jugendproblemen,  Berlin  11.6.1965,  S.  1-5,  S.  2. 


102 


sehen«  beeinflusst  werde.236  »Bestimmte  Erörterungen«  des  Plenums  würden 
»noch  zu  wenig  verstanden«,  die  Zielsetzung  der  ideologischen  Diversion  ba- 
gatellisiert und  nicht  als  »klassenmäßige  Auseinandersetzung«  begriffen.  Smet- 
tan,  Leiter  der  Jugendkommission  der  Berliner  SED-Bezirksleitung,  konnte 
damit  nicht  zufrieden  sein,  wie  die  zuständigen  Genossen  in  den  Stadtbezirken 
die  inhaltlichen  Positionen  des  »Kahlschlag« -Plenums  umsetzten.  Deren  Halb- 
wertszeit war  also  durchaus  knapp  bemessen. 

2.3.2  Konzertort  Berlin 

Es  gab  wenig  Schlimmeres  für  die  Hauptstadt  Ostberlin  und  einen  Westteil,  der 
sich  immer  noch  als  eine  solche  begriff,  als  »Langeweile«,  die  aus  der  Begren- 
zung von  Zerstreuungsmöglichkeiten  resultierte.  Denn  auch  das  kulturelle 
Erlebnis  und  dessen  Kommunikation  waren  ein  Aspekt  des  Kalten  Krieges  in 
Berlin. 

Die  Veranstaltungsagentur  Star-Tanz-Club-Produktion  beschwerte  sich 
beim  Westberliner  Jugendsenator  Kurt  Neubauer  im  September  1965,  dass  die 
Messegesellschaft  einen  für  November  mündlich  zugesicherten  Termin  für 
einen  Beatbandwettstreit  im  Casino  am  Funkturm  kurzerhand  abgesagt  habe. 
Dieses  Vorgehen  sei  mit  »den  Krawallen  um  die  Rolling  Stones«237  begründet 
worden.  Seit  September  1964  veranstaltete  die  Konzertfirma  monatlich,  seit 
Juni  1965  sogar  wöchentlich  »in  den  Festsälen  der  Neuen  Welt«  an  der  Neu- 
köllner Hasenheide  Tanztee-Konzerte  mit  Berliner  Beatbands.  Dazu  kämen 
jeweils  ca.  800  Jugendliche.  Krawalle  hätte  es  noch  nie  gegeben.238  (Eine 


236  LAB,  C Rep.  902,  Nr.  2114  unpag.,  Bezirksleitung  SED  Berlin,  Kommission  für  Jugend  und 
Sport,  Harry  Smettan,  Betr.:  Material  für  den  Genossen  Paul  Verner  zur  Beratung  mit  den  1.  Bezirksse- 
kretären, Berlin  14.3.1966,  S.  1-3.  (Harry  Smettan),  I.  Zum  Stand  der  Führung  des  Wettbewerbs  zur  Vor- 
bereitung des  20.  Jahrestages  der  Partei  unter  der  Jugend,  o.D.  (ca.  März  1966),  S.  1-10,  S.  7. 

237  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  522  unpag.,  Star-Tanz-Club-Produktion,  Konzertdirektion,  Großveran- 
staltungen, Agentur,  an  Senator  für  Jugend  und  Sport,  Neubauer,  Betr.:  Berliner  Beatbandwettstreit  um 
den  Beatstander  1965/65,  Casino  am  Funkturm,  Berlin  22.9.1965,  S.  1-2,  S.  1. 

238  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  2465,  Nr.  522  unpag.,  Star-Tanz-Club-Produktion,  Konzertdirektion, 
Großveranstaltungen,  Agentur,  an  Senator  für  Jugend  und  Sport,  Neugebauer,  Betr.:  Berliner  Beatband- 
wettstreit um  den  Beatstander  1965/66,  Casino  am  Funkturm,  Berlin  22.9.1965,  S.  1-2,  S.  1. 


io3 


Genehmigung  für  die  Veranstaltung  im  November  1965  erhielt  die  Agentur 
trotz  dieses  detaillierten  Beschwerdebriefes  nicht.) 

Neben  dem  Casino  am  Funkturm  verfügten  auch  die  Alte  TU-Mensa  und 
Dahlemer  FU-Universitätsgebäude  über  Veranstaltungsräume,  die  größeren 
halb-professionellen  Konzertveranstaltungen  Platz  boten.  Für  die  Charlotten- 
burger Deutschlandhalle  und  den  Schöneberger  Sportpalast  galten  bürokratische- 
re Verfahrensformen,  denn  hierfür  waren  die  Ordnungsämter  der  Bezirke 
zuständig. 

In  Ostberlin  entstand  nach  dem  Mauerbau  ein  regelrechter  Wildwuchs  an 
Jugendklubs.  Diese  wurden  entweder  von  Kulturämtern  der  Räte  der  Stadtbe- 
zirke, gesellschaftlichen  Institutionen  wie  der  Nationalen  Front,  dem  Kultur- 
bund oder  der  Gewerkschaft  betrieben.  HO-Gaststätten,  die  Kulturhäuser  der 
Gewerkschaft  und  der  Industriebetriebe  versuchten  ihre  Säle  ebenfalls  mit 
Publikum  zu  füllen  und  Gewinne  zu  erwirtschaften.  Sie  erweiterten  Auftritts- 
und Ausgehmöglichkeiten  und  erschwerten  dadurch  die  Durchsetzung  poli- 
tisch gewollten  Verhaltens. 

Nur  beim  Zentralen  Klub  der  Jugend  und  Sportler  in  der  Stalinallee  war  die 
Berliner  FDJ  seit  der  Eröffnung  1960  maßgeblich  in  Erscheinung  getreten.  Der 
Jugendfunk  des  Berliner  Rundfunks  sendete  daraus  regelmäßig  das  Jugendstu- 
dio des  »radio-club-berlin«.  Nach  einem  Brand  im  Februar  1966  eröffnete  das 
Haus  der  Jungen  Talente  erst  1970  in  der  Klosterstraße  wieder.239 

2. 3.2.1  Waldbühne,  Sportpalast  und  Teenagerlokale:  Westberlin. 

Die  Westberliner  Jugendpflege  versuchte  Modernität,  Offenheit  und  bürgerli- 
che Respektabilität  mit  ihren  Jugendlokalen  zu  erzeugen240,  um  sich  von  den 
»Kaschemmen«,  Kellerkneipen  und  der  »proletarischen  Liderlichkeit  der 
Gosse«  abzuheben.  Diese  Lokale  boten  auf  einer  netten  Oberfläche  selektive 
und  eingehegte  Amerikanisierungen  im  Hinblick  auf  Musikauswahl,  Kleidung 


239  Siehe  URL:  http://hausderjungentalente.com/  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

240  Uta  G.  Poiger:  Jazz,  2000,  S.  210.  Zur  alternativen  West-Berliner  Musikszene  der  1970er  Jahre: 
Timothy  S.  Brown:  Music  as  a Weapon?  Ton  Steine  Scherben  and  the  Politics  of  Rock  in  Cold  War  Ber- 
lin, in:  German  Studies  Review,  32.  Jg.  (2009),  H.  1,  S.  1 -22. 


vmd  Tanzdarbietungen.  Beat  kam  nicht  über  den  Steglitzer  Jazz  Saloon  nach 
Berlin,  sondern  vom  Hamburger  Star-Club  in  den  Hermsdorfer  Star-Club .241 

Eine  im  Sommer  1966  durchgeführte  Untersuchung  der  Pädagogischen 
Hochschule  Berlin  fand  heraus,  dass  fast  die  Hälfte  aller  Jugendfreizeitheime 
mehr  als  einmal  in  der  Woche  eine  Tanzveranstaltung  anboten.  Zudem  wettei- 
ferten die  drei  senatsgeförderten  Jugendcafes  »mit  unzähligen  kommerziell 
betriebenen  Lokalen  für  Teens  und  Twens.«242 

Die  Lokale  des  Berliner  Jugendclub  e.V.  hätten  bravere  und  gepflegtere 
Besucher,  so  die  Pädagogikstudenten,  obwohl  sie  in  Kleidung  und  Verhalten 
teilweise  den  Jugendfreizeitheim-Gängern  ähnelten.243  In  den  Freizeitheimen 
trugen  viele  Mädchen  topmoderne  Pagenschnitte,  wie  es  ihnen  die  Modelle  des 
Designers  Andre  Courreges  in  den  Hochglanzmagazinen  vorführten.  Ihre  Kör- 
perpolitik  war  selbstbewusst  und  aggressiv.  Kurze  enge  (Mini-)  Röcke  wurden 
mit  sehr  knappen  Pullis  oder  Blusen  kombiniert.  Die  jungen  Männer  hatten 
Seemanns-  (Slop-)  Hosen  an  den  Beinen  und  fügten  modisch-karierte  Hemden 
dazu.  Militärjacken  und  Anoraks  schützten  die  Kleidung.  »Beatle-  oder  Stones- 
Frisuren«  wären  sehr  selten,  bemerkten  die  Autoren  der  Studie,  dagegen  fielen 
Halsketten,  Erkennungsarmbänder  oder  Ringe  als  körperliche  Ausschmückun- 
gen auf. 

In  den  Diskotheken  mit  super-aktueller  Konservenmusik,  Wandfotos  und 
fein  abgestimmter  Ausleuchtung  und  den  »Beat-Arenen«  amüsierten  sich  Bes- 
serverdienende, ausgelernte  Facharbeiter  und  junge  Angestellte.  Die  Tanzflä- 
che war  absolut  im  Mittelpunkt  des  Geschehens.  In  den  Beat-Schuppen  der 
Vorstädte  herrschte  dagegen  Mod-Kult  und  »Formen  körperlicher  Gewalt  der 
Rocker«.  Die  bildungsbeflissenen  PH-Studenten  zogen  mit  solchen  Festlegun- 
gen in  ihrer  Studie  feine  Linien  der  Distinktion  durch  die  Berliner  Klubland- 
schaft. Die  biederen  kleinbürgerlichen  Dekorationen  im  »Seeschloß«  Herms- 
dorf, in  den  »Festsälen«  und  im  »Dorfkrug«  Lübars  oder  im  Spandauer 
»Sport-Kasino«  stünden  »in  merkwürdigem  Gegensatz  zum  infernalischen 


241  Hans-Jürgen  Klitsch:  Shakin’  all  over,  2001,  S.  133-178. 

Peter  Nimmermann:  Beat  und  Beatlokale  in  Berlin,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
fragen und  Jugendarbeit,  14.  Jg.  (1966)  H.  11,  S.  495-504,  S.  496. 

243  Ebd.,  S.  498. 


io5 


Lärm  der  Beat-Bands,  die  Großmutters  Ausflugskonzert  und  Schrammelmusik 
abgelöst  haben.«244  In  diesen  »autoritätsarmen  Tanzlokalen«  und  den  Freizeit- 
heimen fänden  die  jugendlichen  Besucher  am  ehesten  Freiräume. 

Zu  diesem  Ergebnis  kamen  drei  Jahre  später  auch  angehende  Sozialpäd- 
agogen aus  Braunschweig.  Beatlokale  seien  karg  und  sachlich  möbliert,  ähnel- 
ten eher  einer  bürgerlichen  Inneneinrichtung  als  einem  modernen,  mit 
Beleuchtungstechnik  aufgewerteten  Club.  In  solchen  Vorläufern  von  Diskothe- 
ken durchtrennten  »Stroboskop-Blitze  mit  Psychedelic-Effekten  die  rötlich- 
schummrige  Lichtgestaltung  am  Ausschank  und  auf  der  Tanzfläche.«245  Beat 
und  Soul  erzeugten  nicht  nur  jugendliche  Gleichgestimmtheit,  sondern  in  die- 
sen Klängen  lösten  sich  die  Jugendlichen  aus  der  andauernden  Kontrolle  der 
Schule  und  des  Elternhauses. 

2. 3.2 .2  Klubs,  Bands  und  Tanzsäle:  Ostberlin 

In  Ostberlin  war  in  den  1960er  Jahren  ebenfalls  eine  lebendige  Klublandschaft 
entstanden.  Jugendliche  betrieben  Klubs  und  stellten  durch  rege  Veranstal- 
tungstätigkeit popkulturellen  sozialen  Raum  her.  Die  Jugendlichen,  die  Skiffle- 
und  Gitarrenbands  gründeten,  griffen  wenig  später  zu  elektrisch  verstärkten 
Saiteninstrumenten  und  nicht  zu  Füllfederhaltern,  wie  es  der  Bitterfelder  Weg 
der  SED -Kulturpolitik  1959  angeregt  hatte. 

In  Ostberlin  spielten  unter  anderem  Bands  wie  Telstars , Sputniks,  Franke- 
Echo,  The  Beatlers,  The  Bottles,  The  Hot  Five,  The  Cants  (Lichtenberger  Kant- 
Oberschule),  Team  4 und  The  Greenhorns  aus  Köpenick,  die  Treptower  The 
Jokers,  The  Brightles,  The  Five  Stones,  The  Shouters  (alle  Prenzlauer  Berg).246  Der 
Jugendklub  Freundschaft  in  der  Fredersdorferstraße,  am  Küstriner  Platz  Nähe 
U-Bahnhof  Marchlewski-Straße,  war  eine  Örtlichkeit  des  Ostberliner  Under- 


244  Ebd.,  S.  499. 

245  Margarete  Andrae/  Hans  Georg  Buchholz/  Lutz  Rössner:  Jugend  in  Beat-Lokalen,  in:  deutsche 
jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  17.  Jg.  (1969)  H.  12,  S.  545-560,  S.  547. 

246  LAB,  C Rep.  121,  Nr.  235  unpag.,  Magistrat  von  Groß-Berlin,  Abteilung  Kultur,  Auszug  aus  Be- 
richten der  FDJ-Kreisleitungen  über  festgestellte  Gitarrengruppen  in  den  8 Stadtbezirken,  Berlin 
29.10.1965,  S.  1. 


106 


ground-Pop.  Der  Keller  des  Treptower  Kreiskulturhauses  in  der  Puschkinallee 
hieß  Twistkeller247 . 

Die  Berufstanzkapellen  waren  dagegen  Dienstleister  des  angenehmen 
Klangs.  Sie  waren  über  die  Konzert-  und  Gastspieldirektionen  für  Presse-  und 
Betriebsfeste,  Vereinsfeste,  Gewerkschaftsveranstaltungen  und  Jugendver- 
bandstreffen zu  buchen.  Die  Lehrlinge  und  Oberschüler  spielten  dagegen  raue, 
durch  selbst  gebastelte  oder  geschmuggelte  Effektgeräte  verzerrte  Musik,  die 
westliche  Einflüsse  als  Coverversionen  Wiedergaben  oder  sie  in  ihre  neue  sozia- 
listische Popmusik  einfügten. 

Das  seit  dem  2.  Januar  1958  für  die  Programmgestaltung  bei  Unterhal- 
tungs-  und  Tanzmusik  gültige  Verhältnis  von  60  Prozent  Ost-Titeln  zu  40  Pro- 
zent-Westtiteln bei  allen  öffentlichen  Veranstaltungen  war  am  15.  Juni  1964 
nochmals  bekräftigt  worden.248  Die  Surf-  und  Beatband  Franke-Echo-Quintett 
spielte  im  August  1964  in  der  HO-Gaststätte  »Gesellschaftshaus  Friedrichsha- 
gen«. Die  Anstalt  zur  Wahrung  der  Aufführungsrechte  (AWA)  schickte  Kon- 
trolleure zum  Konzert.  Ihr  »Abhörprotokoll  ergab  eine  Proportion  von  30% 
(Ost)  zu  70%  (West).«  Demnach  hatte  Franke-Echo  klar  gegen  die  gesetzliche 
Aufführungsverordnung  verstoßen.  Auf  der  später  eingereichten  Musikfolge 
hatte  die  Band  das  Verhältnis  umgedreht.  18  West-Titel  und  drei  Ost-Titel 
habe  die  Band  unterschlagen  und  die  »gesetzwidrige  Proportion«  so  verschlei- 
ern wollen.249 

Die  Diana  Show-Band 250  erhielt  nach  einer  im  Oktober  1965  in  der  Satire- 
Zeitschrift  »Eulenspiegel«  abgedruckten  Foto-Serie  eine  Auftrittssperre  für  die 
DDR-Hauptstadt.  Da  die  Kapelle  in  Berlin  nicht  mehr  auftreten  könne,  spiele 
sie  mm  verstärkt  in  den  Randbezirken,  darunter  auch  im  Jugendklubhaus  in 
Potsdam,  berichtete  ein  Mitarbeiter  der  ZK-Abteilung  Jugend  nach  einem 


247  Michael  Rauheit:  Beat,  1993,  S.  104. 

248  OlafLeitner:  Rockszene  DDR.  Aspekte  einer  Massenkultur  im  Sozialismus,  Reinbek:  rororo  1983, 

S.  65. 

249  LAB,  C Rep.  121,  Nr.  230  unpag-,  Anstalt  zur  Wahrung  der  Aufführungsrechte  auf  dem  Gebiete 
der  Musik,  Lieck,  an  Kreisarbeitsgemeinschaft  Tanz-  und  LTnterhaltungsmusik  Berlin-Treptow  Kreiskul- 
turhaus »Haus  der  Freundschaft«,  Betr.:  Programmfälschung  im  Zusammenhang  mit  der  Anordnung  zur 
Ausübung  von  Tanz-  und  Unterhaltungsmusik  vom  15.6.1964,  Berlin  12.10.1964,  S.  1. 

250  Bandfotos  siehe  Michael  Rauhut:  Beat,  1993,  S.  101  und  102. 


107 


Gespräch  mit  dem  Kapellenleiter  Achim  Mentzel.251  Kurz  darauf  habe  ihnen 
die  HO-Gaststätte  in  Teltow  einen  bis  Januar  1966  reichenden  Vertrag  gege- 
ben, der  sie  verpflichtete,  jeden  Freitag,  Sonnabend  und  Sonntag  dort  zu  spie- 
len. Jeder  Musiker  habe  dafür  180  Mark  pro  Wochenende  erhalten.  Mit  dem 
Auftrittsverbot,  das  ihnen  laut  Mentzel  keine  Institution  offiziell  erklärt  habe 
und  dem  Stigma  die  »schwarzen  Schafe  von  Berlin«  zu  sein,  käme  die  Kapelle 
anscheinend  ganz  gut  zurecht,  stellte  der  Mitarbeiter  der  ZK-Jugendabteilung 
fest.  Doch  der  Berichterstatter  traute  den  Antworten  des  Musikers  nicht  und 
betonte  abschließend,  dass  der  zeitliche  Aufwand  für  die  Konzerte  ein  festes 
Arbeitsverhältnis  nahezu  ausschlösse.252 

Ende  Oktober  1965  hatten  die  FDJ-Kreisleitungen  insgesamt  42  Gitarren- 
gruppen in  den  Berliner  Stadtbezirken  gezählt.  Lediglich  zwölf  Kapellen  davon 
kannte  die  Kulturabteilung  des  Magistrats  überhaupt.  Sie  ging  davon  aus,  dass 
es  deutlich  mehr  Bands  gab.253  Diese  Vermutung  bestätigte  eine  Befragung  des 
Berliner  Hauses  für  Kulturarbeit  im  selben  Monat,  die  dreihundert  Gitarren- 
combos zählte.254 

Rundfunk,  Fernsehen  und  Presse  stellten  »nicht  etwa  solche  Kollektive« 
vor,  die  »unseren  Weg  bewusst  zu  gehen  versuchen«,  sondern  fänden  die 
Kapellen  interessant,  »die  zum  letzten  Abschaum  gehören.«  Bei  Diana-Show- 
Band  und  Franke-Echo  sahen  die  Berliner  Kulturbürokraten  dunkelrot.  Die 
Combo  Temn  4 hingegen  galt  den  Funktionären  als  positives  Beispiel,  das  trotz 
derselben  Gitarrenbesetzung  »eine  saubere  und  betont  melodische  Musik« 
spiele.255  Würden  die  Massenmedien  auf  solche  Kapellen  stärker  eingehen,  so 
die  Funktionäre  vom  Berliner  Haus  für  Kulturarbeit,  könnte  die  Kulturarbeit 


251  SAPMO-BArch  DY  30  IVA2/16/123  unpag.,  [ZK-Abteilung Jugend]  Kurt  Bürger,  Information 
über  eine  Aussprache  mit  dem  Leiter  der  »Diana-Show«,  Heinz-Joachim  Mentzel  am  22.1 1.1965,  Berlin 

22.11.1965,  S.  1-5,  S.  3. 

252  Ebd.,  S.  4. 

253  LAB,  C Rep.  121,  Nr.  235  unpag.,  Magistrat  von  Groß-Berlin,  Abteilung  Kultur,  Auszug  aus 
Berichten  der  FDJ-Kreisleitungen  über  festgestellte  Gitarrengruppen  in  den  8 Stadtbezirken,  Berlin 

29.10.1965,  S.  1. 

254  LAB,  C Rep.  121,  Nr.  235  unpag.,  Berliner  Haus  für  Kulturarbeit,  Stellvertretender  Direktor 
Finger,  Einige  Gedanken  zum  Wettbewerb  der  Gitarrencombos,  Berlin  4.10.1965,  S.  1-2,  S.  1. 

255  Ebd.,  S.  1. 


108 


der  Partei  die  musikalischen  Geschmäcker  der  Laienmusiker  bilden.  Nach  dem 
Beschluss  des  Sekretariats  des  ZK  vom  18.  Oktober  1965  benutzten  die  Kultur- 
abteilungen der  Räte  der  Bezirke  und  Kreise  verschiedene  Möglichkeiten,  die 
Musikgruppen  zu  disziplinieren.  Auftrittsverbote,  zeitlich  beschränkter  Entzug 
der  Spielerlaubnis  und  Verfahren  wegen  Steuerhinterziehung  waren  harte 
Maßnahmen,  musikalische  Weiterqualifizierungslehrgänge,  ideologische  Schu- 
lungen und  Förderungen  dagegen  »weiche«  Vorgehensweisen.  Wenn  Jugend- 
klubs wie  Emst  Knaack  in  der  Greifswalderstraße,  der  Kuba-Klub  im  Böt- 
zowviertel und  das  Kos?nos  in  der  Raumerstraße  am  Helmholtzplatz  ihre  Besu- 
cherzahlen mit  Tanzveranstaltungen  erhöhen  konnten,  dann  war  das  zwar  für 
die  Abteilung  Kultur  des  Stadtbezirkes  Prenzlauer  Berg  unbefriedigend,  aber 
für  die  Klubs  bedeutete  dies  zusätzliche  Einnahmen  durch  erhöhten  Geträn- 
keumsatz. Fünf  der  sieben  Jugendklubs  im  Stadtbezirk  leiteten  die  Jugendlichen 
selbst,  schrieb  die  Kulturabteilung  im  Mai  1965.  Eine  der  Forderungen  des 
Jugendkommuniques  sei  damit  umgesetzt  worden,  denn  der  Bezirk  bringe  den 
Jugendlichen  mehr  Vertrauen  entgegen  und  nähme  sie  stärker  in  Verantwor- 
tung.256 Grund  zur  Klage  fand  die  Kulturabteilung  dennoch  genug:  So  würden 
die  Jugendlichen  nur  dann  aktiv  werden,  wenn  Bands  spielen  und  dadurch 
Ereignisse  entstehen  würden.  Der  Alkoholkonsum  sei  trotz  »laufender  Kon- 
trollen ungewöhnlich  hoch.«  Zudem  würde  das  Jugendschutzgesetz  ignoriert 
werden.  Die  Klubs  im  Stadtbezirk  zögen  eben  nicht  die  leistungsbereiten 
Jugendlichen  an,  so  der  Befund  der  Kulturverwaltung.  Diese  Orte  hätten  sich 
über  Jahre  einen  schlechten  Ruf  erworben.  Die  Räumlichkeiten  könnten  vom 
Zustand  und  Mobiliar  her  »keinen  Anspruch  auf  diese  Bezeichnung  erheben«. 
Sobald  die  Jugendlichen  angetrunken  seien,  würden  sie  randalieren,  Stühle  und 
Tische  mutwillig  zerstören  und  sich  unsittlich  verhalten,  in  dem  sie  gegen  Häu- 
serwände urinieren  und  Fahrräder  klauen  würden.  In  den  Jugendklubs,  »die 
sich  in  Wohnhäusern  bzw.  in  deren  unmittelbarer  Nähe  behnden«,  würden  die 
Jugendlichen  besonders  bei  Livekonzerten  vor  und  in  den  Räumen  einen  stö- 
renden Lärm  verursachen.  Und  natürlich  würden  sich  in  diesen  Räumen  »klu- 


256  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  A 2/16/123  unpag.,  Rat  des  Stadtbezirkes,  Prenzlauer  Berg,  Abt.  Kul- 
tur,  Analyse  Jugendklubs,  Berlin  12.5.1965,  S.  1-5,  S.  1. 


beigene  Fernseh-  bzw.  Radioapparate«  befinden,  die  auf  Westsender  eingestellt 

2S7 

seien. 

Die  Berliner  Bezirks-FDJ  beschloss  im  Oktober  1965,  »gewisse  Erschei- 
nungen des  Gammlerunwesens  in  allen  Stadtbezirken  durch  das  konsequente 
Auftreten  des  Verbandes  in  ihren  Anfängen  zu  beseitigen.«  Ordnungsgruppen 
sicherten  Jugendveranstaltungen  im  Kultursaal  des  VEB  Elektrokohle,  im  Blan- 
ken b arger  Krug  in  Pankow,  und  im  Jugendklub  Freundschaft  in  der  Fredersdorfer 
Straße  ab.2'’8  Auch  durch  das  Zwischengeschoss  des  Lichtenberger  U-Bahntun- 
nels,  einem  wichtigen  Treffpunkt  der  Ostberliner  Subkultur,  seien  die  FDJler 
gezogen,  lobte  Siegfried  Lorenz  aus  der  Abteilung  Parteiorgane  der  Berliner 
Bezirksleitung  in  seinem  Bericht.  Die  ideologische  Auseinandersetzung  sei  dort 
handgreiflich  und  gewalttätig  verlaufen.  Um  bestehende  Beat-Gruppen  werde 
sich  der  Jugendverband  kümmern,  so  Lorenz.  Die  FDJ  wolle  »die  Besten  von 
den  Radaumachern«  trennen  und  darüber  auf  die  Programme,  die  Instrumen- 
tierung und  die  Präsentation  Einfluss  nehmen.  Bei  Fehlverhalten  folge  zu- 
nächst Spielverbot,  dann  werde  mit  Auflösung  gedroht. 

Im  Januar  1967  hieß  es  seitens  der  Abteilung  Kultur  des  ZK,  dass  die  Berli- 
ner FDJ  und  ihre  Kreisleitungen  bestimmte  Dinge  bei  der  Gestaltung  jugendli- 
cher Freizeit  inzwischen  konkret  anpacken  würden  und  nun  schon  Fortschritte 
zu  erkennen  seien.  Im  Jugendklub  Freundschaft  (Friedrichshain)  oder  im  Berli- 
ner Hootenanny-Klub  (seit  Februar  1966)  im  Klub  International  des  Kreiskul- 
turhauses Mitte  zeige  sich,  dass  sich  die  Arbeit  verbessere,  sobald  es  engagierte 
Klubleiter  gäbe.  Dennoch  - und  das  stand  im  Gegensatz  zur  Aufbaurhetorik  - 
würden  sich  »die  bereits  geringen  Möglichkeit(en)  für  Jugendliche  tanzen  zu 
gehen,  weiter«259  verringern.  Denn  die  Klubhäuser  des  Treptower  Elektro- 
Apparate-Werkes  und  des  Metallhütten-  und  Halbzeugewerks  in  Berlin-Nie- 
derschöneweide seien  am  Wochenende  nicht  geöffnet,  große  Tanzgaststätten 


257  Ebd.,  S.  3. 

258  LAB  C Rep.  902,  Nr.  2117  unpag.,  SED-Bezirksleitung  Berlin,  Leiter  der  Abteilung  Parteiorga- 
ne,  Siegfried  Lorenz,  Information  über  einige  Probleme  zur  Verwirklichung  der  im  Sekretariat  der  Be- 
zirksleitung der  SED  festgelegten  Maßnahmen  zur  Jugendpolitik  in  Berlin,  Berlin  11.11.1965,  S.  1-10,  S.  2. 

259  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/16/123  unpag.,  (Abt.  Jugend,  ZK)  Lothar  Witt  (Wolff?),  Infor- 
mation zu  einigen  Fragen  und  Problemen  der  Gestaltung  der  Freizeit  der  Berliner  Jugend,  Berlin 
9.1.1967,  S.  1-8,  S.  6. 


I IO 


würden  wegen  gewinnbringenden  Einmietungen  und  geschlossenen  Veranstal- 
tungen schließen.  Sie  seien  für  die  Jugendlichen  deshalb  nicht  zugänglich.  Den 
Gaststätten  wurde  dies  in  der  Folge  verboten.  In  zehn  Berliner  Tanzlokalen 
hatte  nunmehr,  Anfang  1967,  regelmäßig  Tanz  stattzufinden.  Das  wurde  in  den 
Stadtbezirken  aber  immer  wieder  missachtet.  Dieser  Zustand  könne  nur  dann 
beseitigt  werden,  so  Lorenz,  wenn  die  FDJ -Leitungen  sich  auch  für  die  inhalt- 
liche Gestaltung  der  Tanzabende  für  die  Jugend  verantwortlich  fühlen  würden. 
Dies  hatte  sie  bislang  den  Gaststätten  selbst  überlassen. 

Vier  Jahre  später,  1971,  bestanden  nach  Angaben  der  Jugendkommission 
der  Berliner  SED-Bezirksleitung  nur  noch  38  Jugendklubs.  20  unterstanden 
den  Stadtbezirken,  dreizehn  seien  bei  kulturellen  und  künstlerischen  Einrich- 
tungen. Uber  die  restlichen  fünf  Klubs  machte  die  Jugendkommission  keine 
Angaben.  FDJ-Leitungen  betrieben  solche  Klubs,  auch  wenn  keine  Jugendver- 
bandsarbeit darin  stattfand.  Die  staatlichen  Organe  der  Stadtbezirke  lösten 
häufig  Jugendklubs  »unter  sich  anbietenden  Gründen«  wie  Lärmbelästigung, 
Baufälligkeit  oder  Hygiene  auf,  »um  damit  der  politischen  Arbeit  mit  den  dort 
verkehrenden  Jugendlichen  aus  dem  Wege  zu  gehen.«260  Der  Jugendverband 
leiste  bei  der  Gestaltung  des  Freizeitlebens  der  Jugendlichen  keine  zielstrebige 
Arbeit,  deshalb  würden  die  Jugendlichen  »selbst  die  Initiative«  ergreifen.  Keine 
Institution  berate  und  betreue  sie  dabei,  also  gebe  es  auch  keine  Erziehungsar- 
beit. Jeder  Stadtbezirk  hatte  1971  mehr  als  die  Hälfte  der  Jugendeinrichtungen 
in  eine  andere  Nutzung  überführt. 

Kinderkrippen,  Wohnungen,  militärpolitische  Kabinette  für  die  Wehrer- 
ziehung oder  Bibliotheken  waren  nun  darin  untergebracht  oder  die  Räumlich- 
keiten wurden  baupolizeilich  geschlossen.  So  erging  es  1968  dem  Kuba-Klub  in 
der  Bötzowstraße.  Der  Jugendklub  Freundschaft  wurde  abgerissen.  Vier  Lich- 
tenberger  Kellerklubs  waren  völlig  heruntergekommen  und  mussten  aus  hygie- 
nischen Gründen  geschlossen  werden.  In  Pankow  waren  1971  von  ursprünglich 
elf  Klubs  noch  drei  geöffnet,  in  Friedrichshain  waren  von  achtzehn  ebenfalls 
nur  noch  drei  in  Betrieb.  Lediglich  im  Stadtbezirk  Mitte  hatten  mit  dem  Ju- 


260  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/16/123  unpag.,  Bezirksleitung  der  SED  Berlin,  Kommission 
Jugend  und  Sport,  Einschätzung  über  Probleme  der  Entwicklung  der  Berliner  Jugendklubs  und  die  Denk- 
und  Verhaltensweisen  der  Jugendlichen,  die  in  Klubs  verkehren,  Berlin  13.5.1971,  S.  1-8.  S.  4. 


gendklub  O.  K.  (Kino  International),  dem  Zentralen  Klub  der  Jugend  und  Sportler, 
dem  Jugendklub  der  Distel  und  dem  Klub  der  Staatlichen  Museen  mehr  Einrich- 
tungen offen.  Den  Laden  in  der  Fürstenberger  Straße  hatte  der  Rat  des  Stadt- 
bezirkes nach  Aufforderung  durch  die  DDR-Sicherheitsorgane  geschlossen.  Er 
hatte  nur  einen  Steinwurf  von  der  Mauer  entfernt  gelegen. 

2.4  Abwehr  und  Gewährung  jugendkultureller  Freizeitgestaltung. 

Eine  Zusammenfassung 

Deutsche  Unterhaltungsmusik  und  jugendkultureller  Popsound  britischer  und 
amerikanischer  Herkunft  waren  in  den  1960er  Jahren  ein  Gegensatzpaar.  Die 
hegemoniale  Mehrheitskultur  arbeitete  die  neuen  klanglichen  Impulse  über 
Ablehnungsdiskurse  ein.  Diese  verliefen  in  Westberlin  entlang  der  Notwendig- 
keit, einen  umfassenden  Jugendschutz  zu  schaffen  und  zu  finanzieren.  In  Ost- 
berlin ging  es  dabei  um  den  Nutzeffekt,  den  die  jeweiligen  kulturellen  Einflüs- 
se auf  die  Loyalitäten  gegenüber  der  SED  hatten  und  inwieweit  sozialistische 
Erziehungsstrategien  damit  zu  verbinden  waren.  Bei  den  Hybridisierungen  in 
die  lokalen  Kontexte  wendete  der  official  pop  der  Jugendverwaltungen  in  bei- 
den Teilen  Berlins  ähnliche  Techniken  an,  um  den  subcultural  pop  der  Keller- 
klubs, Straßenecken  und  Vorstadtkneipen  einzuhegen. 

Das,  was  Jugendkulturen  von  den  Mehrheitsgesellschaften  in  Nachkriegs- 
deutschland zugeschrieben  wurde,  veränderte  sich  nur  geringfügig.  Halbstarke, 
Beatfans,  Gammler,  Hippies,  Rocker  und  Sympathisanten  der  Stadtguerilla 
wurden  immer  über  den  gleichen  Kamm  geschoren:  Das  »gefährliche  Neue« 
wird  in  bekannte  Muster  von  jugendlichem  Verhalten  eingeschrieben  und  somit 
beherrschbar.  Langhaarige  Jugendliche  sahen  einfach  nicht  wie  die  Soldaten 
der  Wehrmacht  aus.  Das  brachte  die  Kriegsgeneration  auf.  Da  auch  Mädchen 
enge  Hosen  trugen  und  Männer  lange  Haare,  verschwammen  die  klaren  Trenn- 
lininen  zwischen  den  Geschlechtern.261 

Die  Jugendforscher  der  Bundesrepublik  kritisierten  zunehmend  die  Kon- 


261  Dagmar  Herzog:  Between  Coitus  and  Commodification.  Young  West  German  Women  and  the 
Impact  of  the  Pili,  in:  Schildt/  Siegfried  (Hg.):  Between  Marx  and  Coca-Cola,  2006,  S.  261-286. 


sumhaltung  von  Jugendlichen  und  bemängelten  fehlendes  politisches  Bewusst- 
sein. In  den  1960er  Jahren  veränderte  sich  auch  das.  Die  über  Informalisierung 
und  Lässigkeit  erreichte  Selbst-Amerikanisierung262  der  1950er  Jahre  erscheint 
angesichts  der  Beat-,  Sex-  und  Protestwellen,  die  Mitte  des  kommenden  Jahr- 
zehnts folgen  sollten,  geradezu  harmlos,  fast  schon  als  »deutsche  Anständig- 
keit«. Musikalische  und  ästhetische  Zügellosigkeit,  körperliche  Freizügigkeit, 
Rainer  Langhans’  Lockenpracht,  Rudi  Dutschkes  gestreifter  Pullover  und  Mick 
Jaggers  lasziv  hochgezogener  Mundwinkel  brachen  über  die  Beschaulichkeit 
der  Nachkriegsgesellschaften  herein. 

Die  gleichen  »Wellen«  mussten  die  Cold  War  Conservatives  in  der  SED 
missverstehen,  da  sie  das  Satiremagazin  »Pardon«  wie  eine  Anleitung  für  den 
Bau  von  kulturellen  Sprengsätzen  lasen.  Der  Leipziger  SED-Bezirkssekretär 
zitierte  daraus  auf  dem  1 1 . Plenum  folgende  Passage  »Wir  müssen  Slop  und 
Hully-Gully,  Moped-Romantik  und  Whiskey-Begeisterung,  Beatle-Enthusias- 
mus und  Star-Kult  hinüb erschmuggeln!  [...]  Wo  man  Kafka  liest,  geht  der 
Kommunismus  baden.  Und  wo  es  Striptease  gibt,  hat  Marx  verspielt.«263 

Selbst  für  westliche  Cold  War  Liberais  der  1950er  Jahre  waren  die  neuen 
Zuordnungen  von  Geschlechtlichkeit  und  die  »nackten  Tatsachen«  auf  Werbe- 
plakaten, Illustrierten-Covers  und  in  Aufklärungsfilmen  nur  mühsam  nachzu- 
vollziehen. Rocker  in  Lederjacken,  auf  lauten  Motorrädern  und  mit  tätowierten 
Oberarmen  drückten  durch  ihre  Körper  Gewaltbereitschaft  aus.  Das  ließ  sich 
mit  der  Vorstellung  von  »deutscher  Männlichkeit«  nicht  vereinbaren.  Jugendli- 
che Subkulturen  durchliefen  Prozesse  gesellschaftlicher  Normierungen  und 
Anpassungen,  sowohl  in  Charlottenburger  Wohngemeinschaften,  leerstehen- 
den Reinickendorfer  Industriebrachen,  Kreuzberger  Krankenhäusern  (Betha- 
nien) als  auch  in  Friedrichshainer  oder  Treptower  Kellerklubs  und  Partywoh- 
nungen. Zwischen  den  staatlich  alimentierten  Jugendverbänden  und  den  kon- 
sum-  und  ereignisorientierten  Jugendlichen  entstanden  schwer  zu  überbrük- 
kende  Gräben.  Die  FDJ  im  Osten  aber  auch  die  SDAJ/  Die  Falken  im  Westen 


262  Kaspar  Maase:  BRAVO  Amerika,  1992,  S.  13. 

263  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/1/336  foliert,  Stenografische  Niederschrift  der  11.  Tagung  des  Zen- 
tralkomitees, unkorrigierte  Fassung,  Paul  Fröhlich,  Beitrag  des  Ersten  Sekretärs  der  BL  Leipzig,  Bl.  123- 


entfernten  sich  zusehends  von  den  semiotischen  Kapitalien  nachfolgender 
Jugendkulturen  und  mussten  diese  Distanzen  immer  wieder  verringern.  Die 
sozialen  Kosten  dafür  erhöhten  sich.  Eine  Strategie  der  Gewährung  - und  hier 
ist  die  Geschichte  zwischen  Ost  und  West  sichtbar  gekreuzt  - lag  in  der  ord- 
nenden Einarbeitung.  Diese  Strategie  begriff  die  Jugendklubs  und  Tanzcafes  als 
schützende  Einrichtungen,  die  saubere  und  stilistisch  kontrollierte  Räume  jen- 
seits abweichender  Verlockungen  von  Vorstadtkneipen  und  Beatschuppen  sein 
sollten.  Eine  zweite  Strategie  war  es,  die  jugendliche  Selbstbetätigung  anzure- 
gen. Eine  solche  wurde  in  Ostberlin  im  Verlauf  der  1960er  Jahre  durch  institu- 
tionelle Eigeninteressen  unterlaufen  und  zurückgedrängt.  Eine  dritte  Strategie 
verfolgte  die  Ausgrenzung  gesellschaftlich  nicht  erwünschter  Erscheinungsfor- 
men - ohne  diese  jedoch  beseitigen  zu  können.  An  dieser  Kreuzung  trafen  sich 
Ost-  und  Westberliner  Jugendpolitik  ebenfalls.  Auch  im  vermeintlich  bunten 
Westberlin  der  1960er  Jahre  gab  es  bleierne  Orte  der  Chancenlosigkeit,  wenn 
man  nicht  der  oberen  Mittelschicht  angehörte  - obschon  »Erziehung  durch 
Arbeit«  in  märkisch-oderländischen  Kiesgruben  eine  schroffere  Disziplinie- 
rungspraxis darstellte  als  der  Jugendknast  Plötzensee  oder  staatliche  Zwangser- 
ziehungsheime in  Senatsverwaltung  oder  freier  kirchlicher  Trägerschaft. 

3.  Rundfunklandschaften:  Bundesrepublik  und  Berlin 

Die  medienpolitischen  Entscheidungen  der  Alliierten  in  ihren  Besatzungszo- 
nen schufen  zwei  neue  deutsche  Rundfunklandschaften Im  Gegensatz  zum 
Rundfunkwesen  in  der  Weimarer  Republik,  als  private  Rundfunkunternehmer 
die  Militärtechnik  Radio  übernahmen,  aber  nur  in  starker  Abhängigkeit  vom 


264  Der  Begriff  Rundfunklandschaft  leitet  sich  aus  den  Überlegungen  Arjun  Appadurais  zu  mediasca- 
pes  ab:  Mediale  »Landschaften«  stehen  in  vielfältigen  Austauschbeziehungen  miteinander.  Unterschiedli- 
che Erzeugungs-  und  Versendemoglichkeiten  sowie  verschiedene  nationale,  mentalitats-  und  ideologiebe- 
zogene Kontexte  rahmen  schliesslich  eine  Konkurrenz.  Vgl.  Arjun  Appadurai:  Disjuncture  and  Diffe- 
rence,  in:  Ders.:  Modernity  at  Large,  1996/2000,  S.  27-47,  S.  35.  Der  Begriff  Landschaft,  wie  ihn  Henri 
Lefebvre  geprägt  hat,  eignet  sich  dafür,  die  unterschiedlichen  Topografien  gesellschaftlicher  und  kulturel- 
ler Herrschaftsverhaltnisse  zu  fassen.  Der  Komplex  Rundfunk,  Medienpolitik  und  -nutzung  ist  eine  solche 
Topografie.  Siehe  auch  Friedrich  Kittier:  Grammophon  Film  Typewriter,  Berlin:  Brinkmann  & Bose 


Reichsinnenministerium  Programm  gestalten  konnten,  und  insbesondere  im 
Gegensatz  zu  NS-Zeiten  mit  einem  organisatorisch  und  ideologisch  gleichge- 
schalteten Staatsrundfunk,  sollten  neue,  »demokratische«  Rundfunksender  ent- 
stehen. Unter  den  Bedingungen  des  Kalten  Krieges  unterschieden  sich  die 
Definitionen  von  Demokratie  freilich  erheblich. 

In  der  Vier-Mächte-Stadt  Berlin  war  dies  am  besten  zu  beobachten.  Der 
unter  britischer  Verwaltung  stehende  und  stark  von  der  BBC  geprägte  Nordwest- 
deutsche Rundfunk , aus  dem  1954  der  Sender  Freies  Berlin  hervorging,  der  sowje- 
tische Berliner  Rundfunk  und  der  Rundfunk  im  Amerikanischen  Sektor  besetzten 
die  stärksten  Frequenzen  in  der  Mittelwelle. 

Der  Sonderfall  Berlin,  mit  seiner  grenz-  und  systemüberschreitenden 
Rundfunklandschaft,  wird  durch  Kartografierung  aller  deutschen  Rundfunk- 
landschaft en  und  Vergleich  ihrer  Verlaufswege  erkennbar. 

3. 1 Die  Rundfunklandschaft  der  Bundesrepublik.  Die  Alrwehr  staatlicher 
Zentralisierungen  und  die  Herstellung  von  »Ausgewogenheit« 

Die  Regierung  der  Bundesrepublik  Deutschland  war  in  medienpolitischen  Fra- 
gen nach  1949  nur  ein  geschwächter  Akteur.  Die  organisatorischen  Vorent- 
scheidungen der  Militärverwaltungen  schränkten  die  Bundesregierung  in  ihrer 
Gestaltungsfähigkeit  deutlich  ein. 

Eine  bundesrepublikanische  Rundfunklandschaft  der  Nachkriegszeit  gewann 
erst  mit  der  »Einstweiligen  Anordnung«  des  Bundesverfassungsgerichtes  in 
Karlsruhe  vom  17.  Dezember  1960  und  schließlich  mit  der  Veröffentlichung 
des  »Fernsehurteils«  vom  28.  Febrauar  1961  neue,  föderale  Konturen.  Die 
Karlsruher  Bundesrichter  begrenzten  die  Gestaltungsversuche  der  Bundesre- 
gierung und  bekräftigten  die  Landeshoheit.  Sie  wehrten  die  Versuche  des  Bun- 
des ab,  an  die  Zentralisierungsbestrebungen  der  Weimarer  Republik  anzuknüp- 
fen und  diese  als  Maßnahme  der  Auseinandersetzung  mit  der  sozialistischen 
Diktatur  in  der  DDR  zu  rechtfertigen. 

Die  westlichen  Alliierten  hatten  nach  1945  in  ihren  Besatzungszonen  völlig 
unabhängige  Rundfunkanstalten  maßgeblich  gefördert.  Die  Kontrolle  und  die 
Eigentumsverhältnisse  der  Sendeanlagen  hatten  dezentral  zu  sein  und  waren  an 
eine  unabhängige  deutsche  Verwaltung  zu  übertragen.  Vorbild  dafür  war  die 


1934  durch  den  Communications  Act  des  US-Kongresses  errichtete  Federal 
Communications  Commission  (FCC).  Diese  Überführung  scheiterte  schließlich.26-'1 
Die  Verantwortung  der  Länderpostverwaltungen  wurde  auf  die  technische 
Seite  des  Betriebes  von  Rundfunk  beschränkt.  Die  westlichen  Alliierten  führten 
mit  ihren  medienpolitischen  Entscheidungen  bei  der  Wiedereröffnung  der 
regionalen  Rundfunksender  einen  Systembruch  mit  der  seit  1926  staatsnahen 
und  dann  staatlichen  Organisation  von  Rundfunk  in  Deutschland  herbei.  In 
Westberlin  waren  allerdings  die  Angelegenheiten  etwas  vertrackter.  Als  Beispiel 
hierfür  wären  die  unterschiedlichen  Einnahmen  der  Bundespost  an  Rundfunk- 
gebühren zu  nennen.  In  der  britischen  Zone  erhielt  die  Bundespost  25  Prozent 
der  Rundfunkgebühren,  in  der  amerikanischen  19,3  Prozent  und  in  der  franzö- 
sischen 20  Prozent.266  In  Westberlin  galten  also  drei  verschiedene  Regelungen 
des  Gebühreneinzuges. 

Das  Karlsruher  Bundesverfassungsgericht  untersagte  der  Bundesregierung 
in  seinem  Urteil  von  1961  ferner,  ein  zweites  Fernsehprogramm  in  dem  Falle 
zu  betreiben,  wenn  die  Bundesländer  davon  ausgeschlossen  blieben.  Die  ur- 
sprüngliche Absicht  der  Regierung  Adenauer  war  es  gewesen,  das  Sendepro- 
gramm durch  privatwirtschaftlich  organisierte  Unternehmen  herzustellen  und 
die  föderale  Ebene  von  der  Sendeaufsicht  auszuschließen.267  Das  hätte  auch 


265  An  diesem  Beispiel  lassen  sich  die  Umformungen  alliierter  Politik  in  den  westlichen  Besatzungszo- 
nen  durch  die  Bundesregierungen,  die  Bezugnahmen  auf  Regelungsweisen  in  der  Weimarer  Republik  zeigen. 
(Vgl.  Winfried  B.  Lerg:  Rundfunkpolitik  in  der  Weimarer  Republik  (=  Rundfunk  in  Deutschland;  1,  hrsg.  v. 
Hans  Bausch),  München:  dtv  1980). 

266  Hans  Bausch  (Hg.):  Rundfunkpolitik  nach  1945.  Erster  Teil:  1945-1962  (=  Rundfunk  in  Deutsch- 
land; 3),  München:  dtv  1980,  S.  36-38. 

267  Bundesinnenminister  Gerhard  Schröder  beklagte  vor  dem  Verfassungsgericht,  dass  es  »keine  au- 
tonome deutsche  Entwicklung«  gegeben  habe.  Er  argumentierte,  dass  jetzt  gültige  Regelungen  unter  Be- 
satzungsrecht erfolgt  waren,  und  deshalb  nach  Erlangung  der  vollen  staatlichen  Souveränität  der  Bundesre- 
publik (1955)  keine  Geltung  mehr  haben  könnten.  Schröder  wollte  die  starke  Stellung  des  Innenministeri- 
ums im  Rundfunkwesen  nach  Vorbild  der  Weimarer  Republik  restaurieren.  (V gl.  Der  Bundesminister  des 
Innern  I A 1-11255-2A-760/60,  Betr.:  Antrag  der  Regierung  des  Landes  Hessen  vom  19.9.1960  wegen 
Maßnahmen  der  Bundesregierung  auf  dem  Gebiete  des  Fernsehens,  Bonn  31.10.1960,  in:  Günter  Zehner 
(Hg.):  Der  Fernsehstreit  vor  dem  Bundesverfassungsgericht.  Eine  Dokumentation  des  Prozessmaterials, 
Band  1,  Karlsruhe:  Verlag  C.  F.  Müller  1964,  S.  88-122,  S.  88.).  Damit  stieß  er  auf  Widerstand  der  Länder, 
die  auf  den  »grundsätzlichen«  Systembruch  hinwiesen.  (V gl.  Ministerpräsident  des  Landes  Hessen,  Georg- 
August  Zinn,  Antrag  des  Landes  Hessen  gegen  die  Bundesregierung  der  Bundesrepublik,  Betr.:  Verstoß 


1 16 


Auswirkungen  auf  die  Rundfunklandschaft  der  Bundesrepublik  allgemein  ge- 
habt. So  wäre  es  ein  Leichtes  gewesen,  einen  von  Bonn  kontrollierten  Bundes- 
rundfunksender jenseits  der  öffentlich-rechtlichen  Ordnung  einzurichten. 

3.1.1  Rundfunkfreiheiten,  Programmaufsichten  und  festgeschriebene 
Abwehrhaltungen 

Die  Auseinandersetzung  zwischen  Rundfunkanstalten  und  Regierung  um  das 
Verhältnis  zwischen  journalistischer  Selbstverantwortung  und  öffentlicher  Pro- 
grammaufsicht wurde  in  erster  Linie  von  Juristen  geführt.  In  immer  neuen 
Gutachten  arbeiteten  sie  sich  an  der  Definition  des  Begriffes  »Rundfunkfrei- 
heit« ab,  um  so  zu  erstreiten,  wer  darüber  entscheiden  darf,  was  wie  im  Radio 
(und  Fernsehen)  gesendet  wird.  Die  Regelungen  zur  »Programmaufsicht« 
beschnitten  de  facto  journalistische  Freiheit,  in  der  juristischen  Lesart  aber 
wurde  »Rundfunkfreiheit«  durch  »Programmaufsicht«  erst  hergestellt. 

Die  anstaltsinterne  Aufsicht  hatten  der  Intendant,  der  Verwaltungsrat  und 
der  Rundfunkrat  zu  leisten.  Noch  in  den  1970er  Jahren  bezeichnet  der  von  einer 
ARD-Anstalt  beauftragte  Jurist  Wilhelm  A.  Kewening  dies  als  die  notwendige 
Selbstüberprüfung  einer  Rundfunkanstalt.268  Damit  schreibt  er  eine  Auslegung 
von  »Rundfunkfreiheit«  fort,  die  sich  in  den  1960er  Jahren  durchsetzte. 

Die  Gegenposition  in  der  noch  lang  anhaltenden  (und  bis  heute  nicht  abge- 


gegen  Art.  5 und  30  GG  i.  V mit  Art.  87  Abs.  3 GG  sowie  gegen  die  sich  aus  dem  bundesstaatlichen  Auf- 
bau des  Grundgesetzes  ergebende  Pflicht  zu  länderfreundlichem  Verhalten,  in  dem  sie  am  25.7.1960  eine 
Gesellschaft  unter  der  Firma  »Deutschland-Rundfunk-Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung«  gegrün- 
dete hat  und  Maßnahmen  dafür  ergreift,  dass  diese  Gesellschaft  Fernsehsendungen  veranstaltet,  in:  Gün- 
ter Zehner  (Hg.):  Der  Fernsehstreit,  1964,  S.  56-87,  S.  56.).  (Vgl.  Hans  Brack/  Günther  Hermann/  Hans- 
Peter  Hillig:  Organisation  des  Rundfunks  1948  bis  1962,  Hamburg:  Verlag  Hans  Bredow-Institut  1962. 
Hans  Bausch:  Die  Rolle  von  Hörfunk  und  Fernsehen  in  der  Demokratie,  in:  Martin  Löffler  (Hg.):  Die 
Rolle  der  Massenmedien  in  der  Demokratie,  München/  Berlin:  C.  H.  Beck  1966,  S.  34-42.  Hans  Brack: 
Organisation  und  wirtschaftliche  Grundlagen  des  Hörfunks  und  Fernsehens  in  Deutschlands,  München: 
Sauer  1968.  Heiko  Flottau:  Hörfunk  und  Fernsehen  heute,  München:  Günter  Olzog  1972.  Hans  Bausch 
(Hg.):  Rundfunkpolitik  nach  1945.  Zweiter  Teil:  1963-1980  (=  Rundfunk  in  Deutschland;  4),  München: 
dtv  1980). 

Wilhelm  A.  Kewenig:  Zu  Inhalt  und  Grenzen  der  Rundfunkfreiheit,  Berlin:  Duncker  & Humblot 
1978,  S.  104-149,  S.  123. 


n7 


schlossenen)  Debatte  vertrat  unter  anderen  Gerhard  Leibholz,  der  Anfang  der 
1970er  Jahre  die  journalistische  Sorgfaltspflicht  als  ausreichendes  Korrektiv 
sah.  Leibholz  lehnte  eine  Ausweitung  der  Rechtsaufsicht  in  den  redaktionellen 
Bereich  kategorisch  ab.-69 

Endet  Programmfreiheit  hingegen  scheinbar  erst  dort,  wo  »geltende  Recht- 
sprechung« verletzt  wird  (wie  in  der  Argumentation  von  Heinz  Wilkens),  sollte 
indes  auch  gesehen  werden,  dass  dies  noch  kein  Freibrief  für  unabhängigen 
Journalismus  ist.  Unter  Verweis  auf  »gesetzliche  Bestimmungen  zum  Schutze 
der  Jugend«  wurde  im  Kalten  Krieg  zum  Beispiel  gemaßregelt,  wer  DDR-The- 
men  allzu  nachsichtig  bewertete.  Wer  sich  kritische  Aussagen  gegen  Politiker, 
Polizei  oder  die  Kirchen  leistete,  lief  Gefahr  eine  Rüge  zu  erhalten,  da  auch 
Grauzonen  wie  das  »Recht  der  persönlichen  Ehre«  oder  das  Gebot  der  »neu- 
tralen Haltung  gegenüber  den  im  Staate  vertretenen  Meinungen«  zu  beachten 
waren.270  Gutachter  Fritz  Ossenbühl  schlug  zum  Beispiel  vor,  Journalisten  wie 
politische  Beamte  auszutauschen,  wenn  sie  Verfassungsinstitutionen  oder  Bun- 
deswehr diffamierten.271 

In  der  Debatte  um  »Programmfreiheit«  kann  man  eine  Fortschreibung 
jener  Abwehr-  und  Verzögerungseffekte  erkennen,  die  die  Cold  War  Culture 
der  Bundesrepublik  geprägt  hatten.  Diese  widersetzte  sich  einer  Internationa- 
lisierung von  Programmformaten  und  den  Emanzipationsbestrebungen  einer 
jüngerenjournalistengeneration,  ohne  diese  Entwicklungen  letztlich  aufhalten 
zu  können.  Der  in  der  Auseinandersetzung  um  »Programmfreiheit«  abgebil- 
dete Herrschaftsdiskurs  fand  sich  in  einer  weiteren  Vokabel  wieder:  Ausgewo- 
genheit. 


269  Gerhard  Leibholz:  Rechtsgutachten  zur  verfassungsrechtlichen  Problematik  der  Ausübung  der 
Rechtsaufsicht  gegenüber  Rundfunk-  und  Fernsehanstalten  im  Bereich  der  Programmgestaltung  (=  hrsg. 
v.  Informations-  und  Presseabteilung  des  ZDF,  Schriftenreihe  des  ZDF;  11),  Mainz  1973,  S.  36.  Hans- 
Peter  Ipsen:  Mitbestimmung  im  Rundfunk.  Verfassungsfragen  zur  Mitbestimmung  durch  Belegschaftsver- 
treter in  den  Aufsichtsgremien  der  Rundfunkanstalten  (=  Beiträge  zum  Rundfunkrecht;  14),  Frankfurt/ 
Main:  Metzner,  1972.  Hannelore  Keiderle:  Politische  Aspekte  der  Aufsicht  über  den  Rundfunk,  in:  Rund- 
funk und  Fernsehen,  24.  Jg.  (1976)  H.  1-2,  S.  15-38. 

270  Heinz  Wilkens:  Die  Aufsicht  über  den  Rundfunk,  Frankfurt/  Main:  1965,  S.  93. 

271  Fritz  Ossenbühl  in  Die  öffentliche  Verwaltung  (DÖV),  1977,  S.  382,  Zit.  nach  Stephan  Rechlin: 
Rundfunk  und  Machtwechsel,  1999,  S.  13. 


3.1.2  »Ausgewogenheit«.  Eine  Maßeinheit  politischer  Bodengewinne 

Die  Forderung  nach  »Ausgewogenheit«  war  im  Fernseh-Urteil  von  1961  for- 
muliert worden.  In  der  Folge  benutzten  konservative  Strömungen  der  in  den 
Rundfunkräten  vertretenen  gesellschaftlichen  Gruppen,  durchaus  parteiüber- 
greifend,  das  zunächst  neutrale  Gebot  immer  dann,  wenn  sie  sich  und  ihre  Mei- 
nungen in  den  Programmen  unterrepräsentiert  wähnten.  In  diesem  Kontext 
wurde  das  Vorhaben,  Ausgewogenheit  herzustellen,  zu  einer  Herrschaftstechnik 
bundesrepublikanischer  Medienpraxis.  Erst  Anfang  der  1970er  Jahre  schloss 
eine  Selbstverpflichtung  der  ARD-Intendanten  die  Auseinandersetzung  um  die 
Anwendung  des  Ausgewogenheitsgebotes  vorläufig  ab.  Zwar  war  schon  zuvor 
klar  gewesen,  dass  »Objektivität«  und  »Sachlichkeit«  strukturelle  Einseitigkei- 
ten in  den  Programmangeboten  zu  verhindern  hätten:  Offiziell  waren  öffent- 
lich-rechtliche Rundfunkanstalten  »zu  einem  Mindestmaß  inhaltlicher  Ausge- 
wogenheit«272 verpflichtet.  Das  beinhaltete  aber  noch  keine  Aussage  darüber, 
wie  sie  in  der  Praxis  umzusetzen  sei.  Natürlich  flammte  der  Streit  auch  nach 
Verabschiedung  der  ARD-Selbstverpflichtung  wieder  auf.  Er  wirkt  bis  heute 
fort.273 


272  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3721,  Vorsitzender  der  ARD, 
Gerhard  Schröder  (NDR),  an  die  Herren  Intendanten,  Betr.:  Beratungsergebnis  der  Intendantensitzung  zu 
den  Programmgrundsätzen  fiir  das  Gemeinschaftsprogramm  Deutsches  Fernsehen/ARD  vom  27.4.1971, 
Frankfurt/Main,  Hamburg  29.4.1971,  S.  1-6,  S.  1.  NDR-Intendant  Gerhard  Schröder  war  im  Übrigen  nicht 
der  frühere  Bundesinnenminister,  sondern  war  zuvor  Referent  für  Rundfunk,  Film  und  Presse,  sowie  Mini- 
sterialrat im  niedersächsischen  Kultusministerium  gewesen. 

273  Das  1972  novellierte  bayerische  Rundfunkgesetz  (Vgl.  Sebastian  Lindmeyr:  Die  Novellierung  des 
Bayerischen  Rundfunkgesetzes,  in:  Markus  Behmer/  Bettina  Hasselbring  (Hg.):  Radiotage.  Fernsehjahre. 
Studien  zur  Rundfunkgeschichte  nach  1945  (=  Kommunikationsgeschichte;  22),  Münster:  LIT  2006,  S.  29- 
32.  Siehe:  Ein  bayerischer  Sonderweg.  Die  Debatte  um  den  Rundfunk  zu  Beginn  der  70er  Jahre.  Artikel 
lila  der  Bayerischen  Verfassung  und  die  Folgen,  in:  Dies.  (Hg.):  Radiotage,  2006,  S.  37-61,  S.  41.)  und  die 
Mitte  1974  verabschiedete  neue  SFB-Satzung  waren  Marksteine,  um  »innere  Ausgewogenheiten«  in  den 
Rundfunkanstalten  zu  erzielen.  Ab  Mitte  der  1970er  Jahre  verstärkten  sich  diese  Verschiebungen.  Privat- 
wirtschaftlich betriebener  Rundfunk  wurde  als  Projekt  konservativer  Medienpolitik  gefördert,  um  damit 
ein  Gegengewicht  zur  vermeintlich  »linken«  Hegemonie  in  den  ARD-Anstalten  einzuführen.  Im  Juni  1981 
begründete  das  Bundesverfassungsgericht  die  »duale«  Rundfunkordnung,  die  drei  Jahre  später  Wirklich- 
keit wurde.  Damit  rückte  die  bestehende  »duale«  Rundfunkordnung  mit  der  DDR  endgültig  aus  dem 
Blickfeld  der  BRD-Medienpolitik.  In  Berlin  blieb  dies  hingegen  anders.  (Vgl.  Edward  Larkey:  Rotes  Rock- 
radio. Populäre  Musik  und  die  Kommerzialisierung  des  DDR-Rundfunks,  Berlin:  LIT  2007.) 


Das,  was  in  den  1970ern  unter  der  Überschrift  Ausgewogenheit  kanalisiert 
ausgefochten  wurde,  war  in  den  60er  Jahren  noch  offen.  Die  Machtkämpfe  die- 
ser Zeit  waren  noch  deutlich  ungerichteter,  aber  nahmen  an  Intensität  stetig  zu. 
Das  ARD-Papier  von  1971  übertrug  lose  Übereinkünfte  in  Fragen  der  Ausge- 
wogenheit, die  bisher  für  die  politischen  Programme  gegolten  hatten,  nun  auf 
alle  Programmsparten,  darunter  Unterhaltung,  Familie  und  Jugend.  Gerade  an 
Letzterem  entzündete  sich  der  Streit  stets  aufs  Neue.  Im  Frühjahr  1971  schalte- 
te sich  der  Bayerische  Rundfunk  aus  dem  Gemeinschaftsprogramm  des  ARD- 
Fernsehens  aus,  weil  Fernsehdirektor  Oellner  der  Inhalt  des  SWF-Jugendma- 
gazines  »Zoom«  nicht  gefiel.  Auch  andere  Jugendsendungen  wie  »Baff« 
(WDR)  und  »Direkt«  (ZDF)  sahen  sich  heftiger  Kritik  ausgesetzt.274 

Jugendformate  im  öffentlich-rechtlichen  Radio  waren  mit  vergleichbaren 
Schwierigkeiten  bereits  in  den  1960er  Jahren  konfrontiert.  Da  regionale  Radio- 
programme aber  im  Gegensatz  zum  Fernsehen  nicht  im  gesamten  Bundesge- 
biet empfangbar  waren,  wurde  die  Debatte  um  Ausgewogenheit  in  den  Länder- 
anstalten und  ihren  Gremien  selbst  geführt. 


274  Zum  ARD-Papier:  Helmut  Hammerschmidt:  Zur  kommunikationspolitischen  Diskussion.  Reden 
und  Aufsätze  1965-1975  (=  Beiträge,  Dokumente,  Protokolle  zu  Hörfunk  und  Fernsehen;  3),  Berlin:  Spiess 
1978.  Zur  Debatte  um  die  ARD-Jugendprogramme:  Friedrich  Wilhelm  Hymmen:  Dr.  Oeller  zeigt  die  Klaue 
des  bayerischen  Löwen.  Das  Absetzen  der  »Zoom«-Folge,  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23.  Jg.  (1971)  H.  6,  S. 
3-4.  Bayerischer  Rundfunk  schaltet  sich  am  12.  März  aus  dem  ARD-Programm  aus.  ARD-Programmkonfe- 
renz  beschloß  »Zoom«  zu  senden,  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23.  Jg.  (1971)  H.  7,  S.  6.  »Zoom«  (SWF)  - Dis- 
kussion mit  zwei  Fernsehprogrammdirektoren,  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23.  Jg.  (1971)  H.  9,  S.  5.  Josef  Rölz: 
Trotz  Halbheiten  und  Ungereimtheiten:  Eine  interessante  Premiere  (»Direkt  ZDF«),  in:  Kirche  und  Fernse- 
hen, 23.  Jg.  (1971)  H.  26,  S.  3-4.  Michael  Schmidt-Ospach:  Ein  Selbsttor  im  Programmbereich  Familie:  Bild- 
störung (BR),  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23  .Jg.  (197 1)  H.  27,  S.  3-4.  »Baff«  (WDR)  nicht  mehr  im  Abendpro- 
gramm - sicherlich  kein  Unglücksfall.  Zu  einem  Beschluß  der  ständigen  ARD-Programm-Konferenz,  in:  Kir- 
che und  Fernsehen,  23.  Jg.  (1971)  H.  35,  S.  4-5,  11.12.1971.  Michael  Schmidt-Ospach:  Einmal  wieder.  Die 
doppelte  Moral  der  Programmverantwortung.  Radio  Bremen  zensiert  penibel  Jugendmagazine  und  lässt 
Unterhaltung  ungeschoren,  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23.  Jg.  (1971)  Nr.  49,  S.  3-4.  Eine  Zusammenstellung: 
Ralf  Manstein:  Jugendsendungen  der  ARD  (BAFF,  ZOOM,  Jour  Fix)  und  die  Hintergründe  ihrer  Absetzung, 
sowie  die  Problematik  der  ZDF-Sendung  DIREKT  (=  Magisterarbeit;  Publizistik  FU  Berlin),  Berlin  1973. 
Rubert  Neudeck:  »Direkt«  - Geschichte  eines  Fernsehprogramms  für  Jugendliche,  in:  medien  & erziehung. 
Vierteljahresschrift  für  audiovisuelle  Kommunikation,  22.  Jg.  (178)  H.  1,  S.  17-24.  Nicole  Vergin:  Für  jeden 
etwas.  Sendungen  für  Zielgruppen.  Pop  und  Protest.  Das  Jugendprogramm,  in:  Westdeutscher  Rundfunk 
(Hg.):  Am  Puls  der  Zeit.  50  Jahre  WDR.  Der  Sender.  Weltweit  nah  dran,  1956-1985,  Band  2,  Köln:  West- 
deutscher Rundfunk  2006,  S.  119-120. 


120 


3. 2 Rundfunklandschaft  Berlin 


Die  Rundfunklandschaft  Berlin  war  eine  hochgradig  bewegliche  Anordnung.  Das 
schlug  sich  insbesondere  in  den  Verlaufsgeschichten  der  Wechselwirkungen 
zwischen  RIAS  und  NWDR/  SFB  im  Westsektor  und  Berliner  Rundfunk  im  Ost- 
teil der  Stadt  nieder.  Sichtbar  werden  drei  Profilierungsgeschichten. 

Trotz  ihrer  unterschiedlich  organisatorischen  Verfasstheit  bezogen  sich  die 
drei  Sender  gleichsam  auf  die  vergangene  Rundfunklandschaft  der  Weimarer 
Republik  und  in  einer  klaren  politischen  Abgrenzung  auf  das  NS-Medien-  und 
Propagandasystem.  Kontinuitäten  hingegen  kamen  bei  Unterhaltungsmusik- 
formaten vor,  so  zum  Beispiel  in  der  Fortführung  der  »Hafenkonzerte«,  die  es 
bereits  im  gleichgeschalteten  Reichsrundfunk  gegeben  hatte. 

Die  Rundfunklandschaft  Berlin  war  ein  Terrain,  das  von  unterschiedlichen 
Herrschaftsverhältnissen,  -beziehungen  und  -konkurrenzen  durchzogen  war. 
Wenn  die  Rundfunkanstalten  in  West-  und  Ostberlin  Konsumenten  in  beiden 
Teilen  der  Stadt  mit  ideologisierten  Kommentierungen,  Hörbildern,  Erzählun- 
gen und  Klängen  versorgten,  dann  enthielten  diese  Aussagen  immer  auch  Ver- 
weislinien auf  die  jeweils  vorangegangenen  Produktionen  von  medialem  Raum. 

Die  Rundfunklandschaft  im  Berlin  der  1960er  Jahre  war  durch  eine  eingrei- 
fende Medienpolitik  geprägt.  Der  Berliner  Rundfunk  wurde  direkt  von  der  Agi- 
tationskommission des  Politbüros  der  SED  über  das  Staatliche  Rundfunkkomi- 
tee (SRK)  angeleitet.  Beim  Sender  Freies  Berlin  und  beim  RIAS  lassen  sich  zwar 
davon  abweichende,  aber  dennoch  vorhandene  Mechanismen  hierarchischer 
Informationsflüsse  darstellen.  Der  SFB  erfüllte  alle  notwendigen  Kriterien,  um 
als  eine  staatsfern  und  öffentlich-rechtlich  organisierte  sowie  parteipolitisch 
neutralisierte  Rundfunkanstalt  der  Bundesrepublik  gelten  zu  können. 

Das  medial  konstruierte  Erscheinungsbild  des  freiheitlichen  und  antikom- 
munistischen Westberlin  war  auf  die  Abwehr  von  Meinungen,  Positionen  und 
einer  programmgestalterischen  Ästhetik  ausgerichtet.  Nur  eine  eingeschränkte 
Pluralität  von  Meinungen  und  Betrachtungsweisen  war  für  den  Berliner  Cold 
War- Konsens  überhaupt  zulässig  und  in  diesen  tatsächlich  auch  einfügbar. 


3.2.1  Rundfunklandschaft  Westberlin 


Für  RIAS  und  SFB  ergaben  sich  doppelte  institutionelle  Verklammerungen, 
einmal  mit  dem  Land  Berlin  und  zum  anderen  mit  den  Interessen  der  Bundes- 
regierung in  Berlin.  Die  Medienpolitik  des  Westberliner  Senats  war  daran  ori- 
entiert, dass  sich  neben  dem  Bund  auch  die  amerikanische  Besatzungsmacht  als 
Akteur  in  der  Berliner  Rundfunklandschaft  engagierte.  Durch  die  angestrebte 
Neuordnung  des  Rundfunks  in  der  Bundesrepublik  und  die  Veränderungen  in 
der  US-Informationspolitik  traten  Verschiebungen  auf,  auf  die  sich  der  West- 
berliner Senat  mit  seiner  Rundfunkpolitik  neu  einzustellen  hatte. 

Für  den  RIAS  ist  bislang  in  der  rundfunkgeschichtlichen  Forschung  eine 
Entstehungsphase  (1946-1949)  von  einer  informationspolitischen  Aktionsphase 
(1953-1963)  abgesetzt  worden.  Das  war  mit  der  neuen  Zuständigkeit  der  Uni- 
ted States  Information  Agency  (USIA)  verknüpft.275  Das  sinkende  Interesse  der 
US-Informationspolitik  am  Schauplatz  Berlin,  vor  allem  nach  1958,  zwang  den 
RIAS  dazu,  hohe  Kosten  für  senderinterne  Umstellungen  einzusetzen.  Der  Sen- 
der Freies  Berlin  besetzte  erst  durch  die  bundesweite  Berichterstattung  über  den 
Bau  der  Berliner  Mauer  im  Jahre  1961  einen  Platz  in  dieser  Konstellation.  Er 
hatte  sich  gegen  den  RIAS,  den  Berliner  Rundfunk  und  ab  1962  auch  gegen  den 
Deutschlandfunk  (DLF)  zu  behaupten.  Eine  lineare  Erfolgsgeschichte276  ist  - 
entgegen  der  2003  erschienenen  Selbstbeschreibung  des  Senders  - daraus  nicht 
oder  nur  schwerlich  abzuleiten. 


275  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  109.  Siehe  auch:  Petra  Galle:  RIAS  Berlin,  2003,  S.  109-125. 
Zur  USIA  während  der  Amtszeit  John  F.  Kennedys  siehe  Nicholas  J.  Cull:  »The  Man  Who  Invented 
Truth«.  The  Tenure  of  Edward  R.  Murrow  as  Director  of  the  United  States  Information  Agency  Düring 
the  Kennedy  Years,  in:  Patrick  Major/  Rana  Mitter  (Hg.):  East  is  East  and  West  is  West?  Towards  a Com- 
parative  Socio-Cultural  History  of  the  Cold  War,  London/  Portland:  Frank  Cass  2004,  S.  23-47.  Michaela 
Maier:  Mediennutzung  in  der  DDR  im  Spiegel  der  USIA-Studien  1952-1961.  Bevölkerungsbefragungen 
als  Grundlage  der  amerikanischen  Gegenpropaganda,  in:  Markus  Behmer/  Bettina  Hasselbring,  (Hg.): 
Radiotage,  Fernsehjahre,  Münster/  Berlin:  LIT,  S.  225-250. 

276  Sender  Freies  Berlin,  Abteilung  Kommunikation  (Hg.):  Mehr  als  ein  halbes  Leben.  50  Jahre  Sen- 
der Freies  Berlin,  Berlin  2003. 


3. 2. 1.1  Der  SFB  als  pluralistischer  Senatssender  mit  ausgefeilten 
Abwehrtechniken 


Der  erst  im  November  1953  gegründete  Sender  Freies  Berlin  war  von  Anfang  an 
maßgeblich  vom  Westberliner  Senat  abhängig.  Das  unterschied  ihn  grundsätz- 
lich von  den  anderen  ARD-Anstalten,  die  vor  Gründung  der  Bundesrepublik 
von  den  Westalliierten  in  Betrieb  genommen  worden  waren. 

Der  SFB  war  eine  Einrichtung  des  »wehrhaften«  Westberlins  in  der  media- 
len Auseinandersetzung  mit  der  DDR.  Er  wurde  in  Ost  und  West  als  »Front- 
stadtsender« wahrgenommen,  der  die  Erinnerung  an  eine  geeinte  Elauptstadt 
Gesamtdeutschlands  wachhielt. 

In  Berlin  hatten  Volksbildungssenator  Tiburtius  und  die  CDU  bereits  im 
Spätsommer  1953  versucht,  »sich  in  dem  noch  nicht  gegründeten  Sender  per- 
sonell einzurichten.«277  Die  SPD  hingegen  hatte  auf  eine  Verschiebung  der 
Sendergründung  gesetzt  und  dadurch  Gestaltungsmöglichkeiten  aufgegeben. 
Das  schließlich  am  5.  November  1953  vom  Berliner  Abgeordnetenhaus  verab- 
schiedete und  am  12.  November  1953  in  Kraft  getretene  SFB- Gesetz  sah  35 
Personen  für  den  SFB-Rundfunkrat  vor.  In  den  ersten  Jahren  wurde  das  Gre- 
mium vom  bürgerlichen  Lager  dominiert.  Zunächst  wurde  kein  Intendant  ein- 
gesetzt. Die  SFB-Geschäftsführung  bestand  aus  drei  Personen:  den  Direktoren 
für  Verwaltung,  Programm  und  Technik.  Dieses  Modell  war  in  den  privaten 
halb-staatlichen  Rundfunkanstalten  der  Weimarer  Republik  erprobt  worden 
und  erschien  als  gangbare  Lösung.  Allerdings  führte  diese  Konstruktion  beim 
SFB  zu  Kompetenzstreitigkeiten  zwischen  dem  parteipolitisch  »neutralisier- 
ten« Verwaltungsrat  und  dem  von  CDU/  FDP  dominierten  Rundfunkrat.278 
1956  änderte  das  Abgeordnetenhaus  die  SFB-Satzung  und  setzte  den  Direkto- 


277  Erik  Heinrich:  Vom  NWDR  Berlin  zum  SFB  - Rundfunkpolitik  in  Berlin  1946-1954  (=  Disser- 
tation; FU  Berlin),  Berlin  1985,  S.  308.  Siehe  zum  WDR:  Christina  Hagengut:  Modell  und  Wirklichkeit. 
50  Jahre  Rundfunkgeschichte  in  Nordrhein- Westfalen.  Der  verfassungsrechtliche  Rahmen  und  die  Orga- 
nisation des  nordrhein- westfälischen  Rundfunk  1945-1994  (=  Dissertation;  Universität  Bielefeld),  Biele- 
feld 2004,  S.  64-84.  ULR:  http://deposit.ddb. de/cgi-bin/dokserv?idn=973 9501 53 &dok_var=dl&dok_ext= 
pdf&  filename=973950153.pdf  [Letzter  Zugriff  5.9.2010]. 

278  Erik  Heinrich:  Vom  NWDR  Berlin  zum  SFB,  1985,  S.  314-325. 


I23 


ren  einen  Intendanten  vor.  Als  erster  trat  Walter  Geerdes,  bisheriger  Intendant 
von  Radio  Bremen,  die  Stelle  an. 

Im  Zuge  der  Satzungsnovelle  verringerte  man  zudem  die  Zahl  der  als 
gesellschaftlich  relevant  aufgefassten  Gruppen.  Dies  stärkte  die  im  Rundfunkrat 
vertretenen  Parteien.  Der  SFB-Rundfunkrat  bestand  nur  noch  aus  2 1 Mitglie- 
dern.279 Entsprechend  der  Mehrheitsverhältnisse  im  Berliner  Abgeordneten- 
haus entsandte  die  Berliner  SPD  vier,  die  CDU  drei  Fraktionsmitglieder  in  das 
Aufsichtsgremium.  Die  Parteien  verfügten  zudem  im  Gegensatz  zu  allen  ande- 
ren über  eine  Sperrminorität. 

Die  juristische  Literatur  kennzeichnete  das  SFR-Modell  in  den  1960ern  als 
eine  Mischform,  die  auf  einem  pluralistischen  Gruppenmodell  basiert,  aber 
auch  parlamentarische  Züge  trägt.  Die  vielfältigen  Einflussmöglichkeiten  des 
Berliner  Senats  unterschlug  die  juristische  Darstellung  dabei.  Der  Senat 
beschnitt  die  Selbständigkeit  der  Gruppen  dadurch,  dass  er  - nicht  das  Abge- 
ordnetenhaus - die  vorgesehenen  Mitglieder  des  Rundfunkrates  zu  bestätigen 
hatte.280  Klaus  Peter  Jank  ordnete  den  SFB  wie  auch  das  ZDF  dem  parlamenta- 
risch-bürokratischen Modell  zu,  das  seiner  Auffassung  nach  weitreichende  plu- 
ralistische Elemente  beinhalte.281  Eine  solche  Gruppenbeteiligung  gab  es  in 
Berlin  deshalb,  so  Janks  Einschätzung,  weil  andere  Regelungen,  wie  eine  stärke- 
re parlamentarische  Gestaltungsfreiheit  ein  alliiertes  Veto  wegen  unzulässiger 
Verstaatlichung  nach  sich  gezogen  hätten.  Dementgegen  stellte  Dierk  Ludwig 
Schaaf  1971  in  seiner  Dissertation  fest,  dass  das  »überarbeitete«  SFB- Gesetz 
vom  Herbst  1952  nach  der  ersten  Ablehnung  durch  den  Alliierten  Kontrollrat 
immer  noch  das  Recht  des  Senats  enthielt,  von  gesellschaftlichen  Gruppen  vor- 
geschlagene Persönlichkeiten  abzulehnen.  Gelangte  der  Senat  zur  Auffassung, 
dass  diese  Personen  keine  Gewähr  boten,  »ihr  Amt  unparteilich«  und  nach  den 
Geboten  der  Verfassungstreue  auf  der  Grundlage  der  freiheitlich-demokrati- 


279  Maral  Herbst:  Maulkorb,  2002,  S.  141-146,  S.  141.  Siehe  Heinrich:  Vom  NWDR  zum  SFB,  1985, 
S.  351. 

280  Heinz  Wilkens:  Die  Aufsicht,  1965,  S.  68. 

281  Klaus  Peter  Jank:  Die  Rundfunkanstalten  der  Länder  und  des  Bundes.  Eine  systematische  Dar- 
Stellung  ihrer  organisatorischen  Grundlagen,  Berlin:  Duncker  & Humblot  1967,  S.  37. 


I24 


sehen  Grundordnung  auszuüben,  konnte  er  die  Vorschläge  zurückweisen.282 
Ein  prominenter  Kandidat,  den  dieses  Schicksal  ereilte,  war  Bertolt  Brecht.  Die 
Änderung  von  1956  ließ  zudem  eine  »berichtigende  Staatsaufsicht«  ausdrück- 
lich zu.  Der  Senat  erweiterte  seine  Zugriffsmöglichkeiten,  in  dem  er  »sämtliche 
landesunmittelbaren  juristischen  Personen  des  öffentlichen  Rechtes«  unter 
Staatsaufsicht  stellte.282  Worin  Jank  »weitreichende  pluralistische  Elemente« 
in  der  SFB- Satzung  erkannt  haben  wollte,  bleibt  selbst  von  ihm  unbeantwortet. 

Einzelne  Polemiken  gegen  die  Satzungsnovelle  von  1956  verfehlten  ihre 
Wirkung  nicht.  So  befürchtete  Kurt  Landsberg  (SPD),  Vorsitzender  des  »Pres- 
se, Funk  und  Film«-Ausschusses  im  Abgeordnetenhaus,  es  könne  ein  »Senats- 
sender« entstanden  sein284  - eine  Bezeichnung,  die  dem  SFB  lange  anhaften 
sollte. 

Frühere  Untersuchungen  schätzen  die  tatsächliche  Einflussnahme  der 
Rundfunkräte  auf  die  Programmgestaltung  als  eher  gering  ein,  da  mangelnde 
persönliche  Qualifikation  und  nachlässige  Ausübung  des  Mandates  letztlich 
eine  konstruktive  Mitarbeit  an  der  Verbesserung  des  Programms  verhindert 
hätten.285  Aber  - und  danach  ist  zu  fragen  - war  es  nicht  entscheidender,  dass 
sich  in  jeder  Rundfunkanstalt,  im  Zusammenwirken  von  Gremien  und  Inten- 
danz, hinsichtlich  der  Ausübung  von  Programmaufsicht  und  den  Wegen  der 
»Beratung«  ein  spezifischer  Rahmen  - ein  Code  - ausbildete,  an  dem  Sendefä- 
higkeit, Kritikwürdigkeit  von  Beiträgen,  die  inhaltliche  Ausrichtung  von  Pro- 
duktionen und  Sendefolgen  bemessen  wurde?  286  Darauf  wird  noch  einzugehen 


282  Dierk  Ludwig  Schaaf:  Politik  und  Proporz.  Rundfunkpolitik  in  Nord-  und  Westdeutschland 
1945-1955  (=  Dissertation;  Universität  Hamburg),  Hamburg  1971,  S.  131-151,  S.  145. 

283  Klaus  Peter  Jank:  Rundfunkanstalten,  1967,  S.  98. 

284  Joachim  Drogmann/  Hans  J.  Reichardt/  Hanns  U.  Treutier  (Hg.):  Berlin.  Chronik  der  Jahre  1955- 
1956  (hrsg.  v.  Landesarchiv  Berlin,  Abteilung  Zeitgeschichte),  Berlin:  Heinz  Spitzing  Verlag  1971,  S.  682. 

285  Roland  Fritz:  Massenmedium  Rundfunk.  Die  rechtliche  Stellung  der  Rundfunkräte  und  ihre  tat- 
sächliche Einflussnahme  auf  die  Programmgestaltung  bei  SDR,  WDR  und  ZDF  (=  Dissertation;  Univer- 
sität Frankfurt/M.),  Frankfurt/  Main:  ohne  Verlag  1977,  S.  228.  Hans  Mathias  Kepplinger:  Der  Einfluß 
der  Rundfunkräte  auf  die  Programmgestaltung  der  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalten,  in:  Ernst- 
Joachim  Mestmäcker  (Hg.):  Offene  Rundfunkordnung.  Prinzipien  für  den  Wettbewerb  im  grenzüber- 
schreitenden Rundfunk,  Gütersloh:  Verlag  Bertelsmann  Stiftung  1988,  S.  453-493.  Siehe  auch  Dussel 
1995,  Rechlin  1999. 

286  Asa  Briggs:  Governing  the  BBC,  London:  BBC  Publishing  1979. 


I25 


sein.  Der  SFR-Rundfunkrat  und  dessen  Programmausschuss  repräsentierten 
immerhin  den  parteiübergreifenden  Westberliner  Konsens,  dass  die  Abgren- 
zung zur  kommunistischen  Diktatur  hervorzuheben,  die  absolute  und  wehrhaf- 
te Verteidigung  der  transatlantischen  Partnerschaft  zu  betonen  und  die  westli- 
che Wertegemeinschaft  sowie  die  Bindung  an  die  Bundesrepublik  genauso  zu 
bekräftigen  war  wie  die  Strahlkraft  »Metropole«  Berlin. 

Als  ab  1970  das  dritte  Hörfunk-Programm  des  SFB  immer  wieder  im 
Kreuzfeuer  der  Kritik287  stand,  schwenkte  Franz  Barsig,  seit  1968  dritter  SFB- 
Intendant,  schließlich  auf  den  beschriebenen  »Westberliner  Konsens«  ein:  Er 
bezeichnete  die  politischen  Meinungen  und  Positionen,  die  in  den  abendlichen 
Sendungen  »seines  Hauses«  abgebildet  wurden  und  oftmals  akademische 
Systemkritik  am  rheinischen  Kapitalismus  bundesrepublikanischer  Prägung 
übten,  als  »Waschküchenideologie«.288  Andere  geistige  Strömungen  seien  da- 
rin kaum  zu  Wort  gekommen.  Eine  fein  austarierte  inhaltliche  Programmaus- 
gewogenheit, wie  sie  Barsig  vertrat,  musste  diese  Erscheinungen  im  Rahmen 
anstaltsinterner  Programmaufsicht  als  Fehlentwicklungen  markieren.  Der  anti- 
kommunistische Konsens  vereinigte  in  den  Rundfunkgremien  des  SFB  eine 
konservativ-moralisierende  und  eine  pragmatisch-lokalpatriotische  Strömung. 
Auch  eine  progressiv-zulassende  Strömung  zeichnete  sich  darin  ab,  allerdings 
blieb  diese  auch  nach  der  Erweiterung  des  Rundfünkrates  1974  deutlich  schwä- 
cher in  der  Machtkonstellation  des  SFB. 

3. 2. 1.2  Die  Medienpolitik  des  Westberliner  Senats 

Das  alliierte  Vorbehaltsrecht  in  funkhoheitlichen  Fragen  blieb  auch  nach  der 
Aufhebung  des  Besatzungsstatutes  für  die  Bundesrepublik  1955  hinsichtlich  der 
Berliner  Medienpolitik  gültig.  Das  berührte  auch  die  Frage,  wer  die  Berliner 


287  Cornelia  Jacobsen:  Franz  Barsig  und  die  Linken,  in:  Die  Zeit,  15.6.1970.  Rudolph  Ganz:  Franz 
Barsig  und  das  Problem  der  Ausgewogenheit.  Affären  im  Sender  Freies  Berlin  erwecken  Zweifel  an  der 
Befähigung  des  Intendanten,  in:  Frankfurter  Rundschau,  30.5.1970.  Klaus  Garnatz:  Im  3.  Hörfunkpro- 
gramm tummeln  sich  Kommunisten,  in:  Berliner  Morgenpost,  25.7.71.  Klaus  Garnatz:  Wie  links  ist  das  3. 
Hörfunkprogramm?  in:  Die  Welt,  14.8.1971. 

288  Franz  Barsig:  Witz,  Gewalt  und  ein  Berliner  Sender.  Der  Intendant  des  SFB  nimmt  Stellung  zu 
den  Vorgängen  im  Funkhaus  Masurenallee,  in:  Frankfurter  Rundschau,  12.6.1970. 


I2Ö 


Interessen  bei  den  im  Sommer  1958  in  Genf  anstehenden  Aushandlungen  der 
künftigen  UKW-Wellenbelegung  vertreten  solle.  Die  Frequenzen  des  SFB,  so 
CDU-Volksbildungssenator  Joachim  Tiburtius,  hatte  der  Berliner  Senat  noch 
von  der  Alliierten  Kommandantur  erhalten.289  Hieraus  erklärte  sich  für  ihn  die 
alliierte  Zuständigkeit. 

1958  könnten,  so  deutete  der  Rundfunkreferent  des  Senates,  Herbert 
Antoine  (SPD),  in  einem  Brief  an  Tiburtius  an,  die  Amerikaner  am  Rande  des 
Genfer  Gipfels  den  kostenintensiven  amerikanischen  Sender  RIAS  als  eine  ver- 
trauensbildende Maßnahme  in  der  Berlin-Frage  gegenüber  der  Sowjetunion 
und  der  DDR  preisgeben.  Antoine  fragte  die  SFR-Vertreter,  ob  der  Regierende 
Bürgermeister  Willy  Brandt  mit  »den  Amerikanern  über  eine  spätere  Übernah- 
me des  RIAS«290  verhandeln  solle.  Im  Zuge  der  Aufhebung  des  alliierten  Besat- 
zungsstatutes in  Österreich  hatte  nämlich  der  neu  gegründete  Österreichische 
Rundfunk  (ORF)  die  Sendeanlagen  des  amerikanischen  Informationssenders 
Rot-Weiß-Rot  erhalten  und  dadurch  einen  entscheidenden  Zuwachs  an  Lei- 
stungsfähigkeit erlangt.291  Für  die  Medienpolitik  des  Berliner  Senats  hätten 
sich  bei  einem  ähnlichen  Verfahren  in  Berlin  zwei  Optionen  ergeben:  Eine 
»Berliner  RIAS- Lösung«  oder  eine  »bundesrepublikanische  RLdS-Lösung«. 
Beide  Varianten  wären  den  bestehenden  Geltungs-  und  Kommunikationsan- 
sprüchen des  Senats  entgegengekommen.  Eine  »Berlin-Lösung«  hätte  die  Ein- 
gliederung des  RIAS  als  zweites  Programm  in  die  Landesanstalt  bedeutet.  Der 
SFB  hätte  dann  von  der  früheren  Bevorteilung  des  amerikanischen  Senders  mit 
starken  Frequenzen  deutlich  profitiert  und  darüber  die  Festlegungen  des 
Kopenhagener  Wellenabkommens  von  1948  umgangen.  Über  den  RIAS- Sen- 
der Hof  wäre  der  SFB  zusätzlich  in  den  DDR-Bezirken  Karl-Marx-Stadt,  Gera, 
Erfurt  und  Suhl  sowie  in  weiten  Teilen  Frankens  auch  tagsüber  zu  empfangen 
gewesen. 


289  LAB,  B Rep.  014,  Nr.  2536  unpag.,  (Dr.  Herbert  Antoine),  Sitzungsbericht  über  eine  Besprechung 
mit  Vertretern  des  Sender  Freies  Berlin,  22.3.1958,  Berlin  25.3.1958,  S.  1-2,  S.  1.  [Anwesend:  Senator 
Tiburtius,  Oberregierungsrat  Dr.  Antoine,  Prof.  Dr.  Dovifat,  Dr.  Suchan  (beide  SFB-Rundfunkrat),  Inten- 
dant Geerdes] 

290  Ebd.,  S.  2. 

291  Reinhold  Wagnleitner:  Coca-Colonisation  und  Kalter  Krieg,  Wien:  Verlag  für  Gesellschaftskritik 
1991.  Insbesondere  Kapitel  4:  Geheul  und  Gedudel.  Die  US-Radio-Politik  in  Österreich,  S.  133-157. 


I27 


Die  SFB- Spitze  hielt  sich  gegenüber  solchen  Überlegungen  zu  diesem 
Zeitpunkt  nicht  ohne  Grund  zurück.  Bei  einer  solchen  Variante  wären  weitrei- 
chende strukturelle,  personelle  und  programmliche  Integrationsleistungen  auf 
den  SFB  zugekommen.  Diese  hätten  die  noch  junge  Landesrundfunkanstalt 
sicherlich  überfordert,  da  sich  durch  den  Zuwachs  von  Hörern  in  der  DDR  die 
Einnahmen  durch  Rundfunkgebühren  nicht  erhöht  hätten.  Die  politische  und 
finanzielle  Abhängigkeit  von  Senat  oder  Bundesregierung  wäre  noch  größer 
geworden  und  hätte  sich  noch  deutlicher  auf  die  Besetzung  der  Leitungsposi- 
tionen ausgewirkt. 

Die  zweite  Möglichkeit,  eine  Übernahme  des  RIAS  durch  den  Bund  hätte 
1958  der  Medienpolitik  des  Westberliner  Senats  die  Option  eröffnet,  sich  ent- 
scheidend an  der  Zusammenführung  des  amerikanischen  Informationssenders 
mit  dem  Hamburger  »Langwellensender«292  zu  einem  Bundesrundfunksender 
in  Berlin  zu  beteiligen.  Das  Bundesinnenministerium  wäre  bei  dieser  Variante 
zum  wichtigsten  medienpolitischen  Akteur  in  der  Bundesrepublik  und  in  Berlin 
geworden.  Der  Senat  wäre  dabei  zwar  ein  wichtiger,  wenn  auch  nachgeordneter 
Partner  gewesen.293 

Am  Ende  setzte  sich  Variante  zwei  durch:  die  Bundesregierung  übernahm 
schrittweise  die  Finanzierung  des  RIAS  und  machte  ihn  zu  einem  bundesho- 
heitlichen  Rundfunksender  innerhalb  der  ARD. 

Die  Medienpolitik  des  Westberliner  Senats  war  in  dieser  Phase  also  stark 
auf  die  Interessen  des  Bundes  ausgerichtet.  Das  trifft  auch  auf  die  Frage  eines 
Bundesrundfunksenders  zu,  den  man  entweder  in  die  Stadt  holen  oder  sich 
zumindest  eine  dauerhafte  Vertretung  in  dessen  Gremien  sichern  wollte.294  Im 


292  Rolf  Steininger:  Deutschlandfunk  - Die  Vorgeschichte  einer  Rundfunkanstalt  1946-1961.  Ein 
Beitrag  zur  Innenpolitik  der  Bundesrepublik  Deutschland,  Berlin:  Volker  Spiess  1977.  Peter  Lerche:  Zum 
Kompetenzbereich  des  Deutschlandfunks.  Eine  Studie,  Berlin:  Duncker  & Humblot  1963.  Franz  The- 
dieck:  Für  ganz  Deutschland  und  Europa.  Der  Deutschlandfunk,  in:  ARDJahrbuch,  2.  Jg.  (1970),  S.  58-72. 
Michael  Jansen:  Hörfunk  und  Fernsehen  und  kalter  Krieg.  Die  »gesamtdeutschen«  Aktivitäten  der  bundes- 
deutschen Rundfunkanstalten  in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren, in:  Rundfunk  und  Geschichte,  Jg.  14 
(1988)  H.  3-4,  S.  152-156. 

293  LAB,  B Rep.  014,  Nr.  2536  unpag.,  (Dr.  Herbert  Antoine),  Besprechung  mit  Vertretern  des  SFB, 
22.3.1958,  Berlin  25.3.1958,  S.  1-2,  S.  2. 

294  LAB,  B Rep.  014,  Nr.  2536  unpag.,  Dr.  Herbert  Antoine,  Vermerk,  Betr.:  Berliner  Maßnahmen 
im  Zusammenhang  mit  den  Plänen  zur  Neuregelung  des  deutschen  Rundfunkwesens.,  Berlin  28.1 1.1958, 
S.  1-2,  S.  1. 


128 


Juli  1960  hatte  sich  Bundeskanzler  Konrad  Adenauer  endgültig  gegen  Berlin  als 
Standort  für  einen  solchen  Bundesrundfunksender  entschieden.  Er  begründete 
diese  Ablehnung  mit  alliierten  Vorbehalten,295  wenngleich  auch  parteipoliti- 
sche Gründe  und  wahltaktische  Überlegungen  anzunehmen  sind.  Als  Aden- 
auers Heimatstadt  Köln  den  Zuschlag  erhielt,  Sitz  des  neuen  Deutschlandfunks 
zu  werden,  protestierte  das  offizielle  Berlin  nachdrücklich.296  Der  Senat  hatte 
1960  eine  wichtige  medienpolitische  Forderung  nicht  durchsetzen  können. 
Allerdings  gewährte  die  Bundesregierung  gleichsam  als  Entschädigung  in  den 
folgenden  Jahren  erhebliche  Mittel  für  den  baulichen  und  infrastrukturellen 
Ausbau  des  SFB.  Offiziell  begründet  wurde  die  Finanzanstrengung  indes  mit 
der  herausgehobenen  Stellung  des  »Frontstadtsenders«  nach  dem  Mauerbau 
1961. 

3. 2. 1.3  Der  SFB  und  die  bundesrepublikanische  Rundfunkordnung  bis  1962 

Da  sich  der  Betrieb  des  SFB  aus  in  Westberlin  erhobenen  Rundfunkgebühren 
nicht  refinanzierte,  war  ein  wichtiges  medienpolitisches  Ziel  des  Senates,  den 
Sender  so  weitreichend  am  Finanzausgleich  der  HRD-Anstalten  zu  beteiligen, 
wie  es  ihrer  Interpretation  nach  der  gesamtstaatlichen  Aufgabe  der  Rundfunk- 
anstalt entsprach.297  Die  Ministerpräsidenten  der  elf  Bundesländer  hatten  sich 
im  Oktober  1958  in  Koblenz  nicht  zu  einer  Regelung  der  Finanzverhältnisse 
zwischen  den  Rundfunkanstalten  durchringen  können.  Die  Bundespost  zog 
weiterhin  die  Rundfunkgebühren  ein  und  behielt  zwanzig  Prozent  davon  als 


295  113.  Kabinettssitzung  am  Mittwoch  dem  8.7.1960,  in:  Ralf  Behrendt/  Christoph  Seemann,  Die 
Kabinettsprotokolle  der  Bundesregierung,  Bd.  13,  1960,  München:  Oldenbourg  Verlag  2003,  S.  252-265, 
S.  253.  TOP  A:  Rundfunkgesetz  (Sitz  der  Anstalt  u.a.). 

296  LAB,  B Rep.  002,  Nr.  10773  unpag.,  Senator  Günter  Klein  an  Regierenden  Bürgermeister,  Betr.: 
Gesetz  über  die  Errichtung  von  Rundfunkanstalten  des  Bundesrechts,  Berlin  28.12.1960,  S.  1-3,  S.  1. 

297  Ein  Anteil  von  5%  für  den  SFB  griffe  zu  kurz,  schätzte  Rundfunkreferent  Antoine  1959,  um  die 
Kosten  der  selbst  gesteckten  Aufgaben  zu  decken.  (Vgl.  LAB,  B Rep.  014,  Nr.  2537  unpag.,  [Dr.  Herbert] 
Antoine  an  Herrn  Senator  [Prof.  Tiburtius],  Betr.:  Neuordnung  des  Rundfunks  und  Fernsehens.  Schrei- 
ben des  Ministerpräsidenten  Rheinland-Pfalz  vom  20.1.1959,  Berlin  5.2.1959,  S.  1-2,  S.  1.) 


129 


Durchleitungskosten.298  Einigten  sich  die  Länder- Vertreter  nicht  mit  dem 
Bund,  brächte  dies  den  Senat  in  eine  schwierige  Lage,  merkte  Antoine  im  Jahre 
1959  gegenüber  Senator  Tiburtius  an.299  Entweder  diene  sich  der  Berliner 
Senat  der  Bundesregierung  als  Bündnispartner  an  (in  der  Hoffnung,  bei  der 
Standortwahl  für  einen  Bundesrundfunksender  Berücksichtigung  zu  finden) 
oder  er  setze  auf  die  föderale  Karte  und  betone  die  Rundfunkhoheit  der  Länder. 
Dann  wäre  mit  Mitteln  aus  dem  HRD-Finanzausgleich  zu  rechnen  gewesen. 
Die  amtierende  SFF-Geschäftsführung  bevorzugte  letztere  Variante  und  bat  im 
April  1960  den  Regierenden  Bürgermeister  Brandt,  in  den  Verhandlungen  mit 
den  Ministerpräsidenten  für  eine  Beteiligung  des  SFB  am  automatischen 
Finanzausgleich  der  HRD-Anstalten  zu  sorgen.  »Ein  der  Aufgabe  Berlins  ange- 
messenes Programm«  könne  nur  darüber  abgesichert  werden.200 

Eine  neue  Begründung  zur  externen  Deckung  seines  Finanzbedarfes  liefer- 
te dem  SFB  das  traumatische  Ereignis  des  Mauerbaus  am  13.  August  1961  in 
Berlin.  Dieses  Mal  hatte  man  es  auf  Bundesmittel  abgesehen.  Bereits  drei 
Wochen  später,  ab  dem  4.  September  1961  setzten  die  HRD-Anstalten  ein  völ- 
lig neues  Format  um.  War  bisher  vor  dem  Abend  nur  ein  Testbild  zu  sehen 
gewesen,  startete  nun  ein  Vormittagsprogramm.  Dieses  sollte  dezidiert  ostdeut- 
sche Zuschauer  erreichen.  Der  SFB  bekam  die  Verantwortung  für  die  Koordi- 
nation des  Vormittagsprogrammes  zugesprochen.201  Mit  den  erweiterten  Auf- 
gaben sah  man  sich  in  guter  Position,  um  weitere  Finanzspritzen  erwarten  zu 
können.  Walter  Steigner,  zweiter  Intendant  des  SFB,  betonte  noch  Anfang  1962 
gegenüber  den  HFD-Intendanten,  dass  Bundeshilfe  für  seinen  Sender  in  Aus- 


298  60.  Kabinettssitzung  am  Mittwoch  dem  25.3.1959,  BMI,  Vorlage  Möglichkeiten  zur  Neuverteilung 
der  Rundfunkgebühren,  Bonn  23.3.1959,  in:  Josef  Henke/  Uta  Rössel  (Hg.):  Die  Kabinettsprotokolle  der 
Bundesregierung,  Bd.  12,  1959,  München:  Oldenbourg  Verlag  2002,  S.  168-171,  S.  168. 

299  LAB,  B Rep.  014,  Nr.  2536  unpag.,  (Dr.  Herbert)  Antoine,  an  Senator  Tiburtius,  Betr.:  Neuord- 
nung des  Rundfunkwesens,  Berlin  7.4.1959,  S.  1-2,  S.  1. 

300  LAB,  B.  Rep.  014,  Nr.  2538  unpag.,  Sender  Freies  Berlin,  Programmdirektor,  Hans-Herbert  Fischer, 
Technischer  Direktor  Udo  Blässer,  an  Regierenden  Bürgermeister  Willy  Brandt,  Berlin  14.4.1960,  S.  1-2,  S.  1. 

301  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  5904/4,  Niederschrift  über 
die  Arbeitssitzung  der  Intendanten  am  24.  August  1961  in  Berlin,  Stuttgart  30.9.1961,  S.  1-10,  S.  5.  TOP  4: 
Vormittagsprogramm  des  Deutschen  Fernsehens. 


I30 


sicht  stünde.302  Alle  denkbaren  Varianten  aber  stellten  den  Grundsatz  der 
Staatsferne  in  Frage.  Auf  diese  Position  zog  sich  die  Bundesregierung  dann 
auch  zurück.  Da  Rundfunk  der  Länderhoheit  unterliegt,  so  die  Ansicht  des 
Bundes,  sei  die  ARD  für  die  Finanzierung  des  SFB  zu  verpflichten.  Auf  diese 
Weise  gelang  es  der  Bundesregierung,  die  Niederlage,  die  das  Karlsruher  Fern- 
sehurteil für  sie  bedeutet  hatte,  in  einen  Punktsieg  zu  wenden. 

Dass  der  SFB  schließlich  Zuwendungen  aus  dem  ARD-Finanzausgleich  in 
voller  Flöhe  der  angestrebten  Bundesmittel  erhielt,  war  dem  Einsatz  des  frü- 
heren Berliner  CDU-Chefs  Ernst  Lemmer  zu  danken,  der  sich  in  seiner  Posi- 
tion als  Bundesminister  für  Gesamtdeutsche  Fragen  für  seine  Heimatstadt  ein- 
setzte.303 

Wenn  es  um  Berlin-Hilfe  ging,  das  wird  hier  deutlich,  nahm  die  Mentalität 
des  Cold  War  Berlin  keine  Finanzierungsvorbehalte  zur  Kenntnis.  Allerdings 
blieben  die  Kosten  für  den  SFB  gegenüber  dem  Finanzbedarf  des  Deutschland- 
funks niedrig  und  konnten  somit  konfliktfreier  über  den  ARD-Finanzausgleich 
gelöst  werden.  Bis  1968  erhielt  der  Westberliner  Sender  10  Millionen  Mark  aus 
dem  Finanzausgleich.  Im  Zuge  der  Gebührenerhöhung  1970  verdoppelte  sich 
diese  Summe  sogar  noch.304 

3. 2. 1.4  Der  RIAS  und  Berlin 

Der  Wilmersdorfer  Sender  RIAS  war  das  Symbol  transatlantischer  Bindung 
zwischen  Berlin  und  den  USA.  Mit  dem  Sendebeginn  am  7.  Februar  1946  führ- 
te der  »Drahtfunk  im  Amerikanischen  Sektor«,  ab  September  dann  RIAS,  bis 
1948  ein  künstlerisches  und  kulturelles  Rundfunkprogramm  ein,  das  sich  zu- 
nächst bewusst  vom  am  populären  Geschmack  orientierten  Musikprogramm 


302  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin  Nr.  5904/4,  Niederschrift  über 
die  Arbeitssitzung  der  Intendanten  am  6./ 8.  Februar  1962  in  München,  Stuttgart  16.2.1962,  S.  1-23,  S.  6. 
TOP  3:  Bundeshilfe  für  SFB. 

303  Deutscher  Bundestag,  Parlamentsarchiv,  Gradl,  Kurzprotokoll  der  4.  Sitzung  des  Ausschusses  für 
Gesamtdeutsche  und  Berliner  Fragen,  Bonn  1.2.1962,  S.  1-36.  TOP  4 Bundeszuschuss  von  4 Millionen 
DM  an  den  Sender  Freies  Berlin,  S.  24-35,  S.  24. 

304  Siehe:  ARD-Jahrbuch  1969,  S.  283  und  ARD-Jahrbuch  1971,  S.  261. 


des  Reichsrundfunks  unterscheiden  sollte.  Toby  Thacker  zeigte  jüngst,  dass  ein 
solcher  Versuch  durchaus  mit  weitreichenden  Problemen  behaftet305  war,  wenn 
neben  deutscher  Klassik  auch  klassische  amerikanische  Musik  gespielt  werden 
sollte.  Im  Zuge  der  »Operation  Back  Talk «306  verschob  das  zuständige  US-Mili- 
tär  die  bisherige  Reeducation-Linie  des  Senders  hin  zu  einer  positiven  Darstel- 
lung amerikanischer  Symbole  und  Werte.307  Der  im  Februar  1948  eingesetzte 
RIAS-Director  William  Heimlich  verantwortete  diese  Neuausrichtung. 

Im  Blockade-Sommer  1948  begleitete  der  RIAS  die  amerikanische  Hilfe  für 
die  »Insel«  Berlin  in  packenden  Vor-Ort-Reportagen,  mit  Care-Paket- Vertei- 
lungsaktionen, bissigen  antisowjetischen  Kommentierungen  und  satirischen 
Spitzen  gegen  die  SED.  Den  Swing-Soundtrack  dazu  lieferte  die  Voice  of  Ameri- 
ca, deren  Sendungen  RIAS  wiederholte.  Seit  1952  sendete  der  RIAS  24  Stunden 
täglich,  1953  kam  dann  RIAS  II  hinzu.  Ein  hoher  Wortanteil  in  den  Sendungen 
nach  18  Uhr  kontrastierte  ein  »nur  mit  Nachrichten  unterbrochenes  Überge- 
wicht an  reinen  Musiksendungen  in  der  Nacht.  «308 

Die  Bedeutung,  die  RIAS 

im  Zusammenhang  mit  dem  Volksaufstand  in  der  DDR  am  17.  Juni  1953  er- 
langte, hob  die  amerikanisch-deutsche  Präsenz  in  Berlin  nachdrücklich  her- 
vor.309 Der  damalige  Bundesminister  für  Gesamtdeutsche  Fragen  Jakob  Kaiser 
(CDU)  bezog  sich  zum  zehnten  RMS-Geburtstag  am  5.  Februar  1956  darauf. 
Der  RIAS  ermögliche  es,  dass  sich  »verantwortungsbewußte  Deutsche«  für  die 


305  Toby  Thacker:  >Playing  Beethoven  like  an  Indiane  American  Music  and  Reorientation  in  Germany, 
1945-1955,  in:  Dominik  Geppert  (Hg.):  The  Postwar  Challenge  and  Political  Change  in  Western  Europe, 
1945-58,  New  York:  Oxford  University  Press,  S.  365-386,  S.  370. 

306  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  91.  Siehe  auch  Bettina  Mettler:  Demokratisierung,  1975,  S.  62-63. 

307  Tamara  Domentat:  Heimlich  im  Kalten  Krieg.  Die  Geschichte  von  Christina  Ohlsen  und  Bill  Heim- 
lich, Berlin:  Aufbau  2000.  Siehe  auch:  Petra  Galle:  RIAS  Berlin,  2003,  S.  174  expliziter  für  den  RIAS  aber 
S.  178-190. 

308  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  95. 

309  Eine  Literaturauswahl  zum  Thema  17.6.1953  und  RIAS:  Donald  Roger  Browne:  The  History 
and  Programming  Policies  of  Rias  (=  Magisterarbeit;  University  of  Michigan),  1961,  S.  280-296.  Manfred 
Rexin  (Hg.):  Radio-Reminizenzen,  Berlin:  Vistas  2002.  Peter  Schultze:  Eine  freie  Stimme  der  freien  Welt. 
Ein  Zeitzeuge  berichtet,  Berlin:  Westkreuz- Verlag  1995,  S.  56-64.  Manfred  Rexin:  »Feindsender«  RIAS. 
Der  Juni-Aufstand,  das  Volk,  das  Regime  und  die  West-Medien,  in:  Jürgen  Maruhn  (Hg.):  Siebzehnter 
Juni  1953.  Der  Aufstand  für  die  Demokratie,  München:  Bayerische  Landeszentrale  für  politische  Bil- 
dungsarbeit 2003,  S.  106-119.  Bernd  Stöver:  Radio  mit  kalkuliertem  Risiko,  2004,  S.  209-228.  Siehe: 
URL:  http://www.17juni53.de/home/index.html  [Letzter  Zugriff  5.9.2010] 


I32 


Wiedervereinigung  einsetzen  und  »als  Deutsche  zu  Deutschen  zu  sprechen«, 
sagte  er.  Sie  könnten  so  die  Auseinandersetzung  mit  einem  System  fuhren,  »das 
wir  alle  als  freie  Menschen  ablehnen.«310  RIAS  verklammerte  Berlin  und  die 
Sowjetzone  mit  der  Bundesrepublik  und  war  die  akustische  Versicherung  des 
amerikanischen  Schutzes  für  die  »Freie  Stadt«. 

3 .2 . 1 .4. 1 Das  A’/A.S’-Progranini 

Der  Rundfunk  im  Amerikanischen  Sektor  gliederte  sich  in  drei  Hauptabteilungen: 
Politik,  Musik  und  »Kulturelles  Wort«.  Die  Hauptabteilung  Politik  des  RIAS 
bestand  aus  den  Redaktionen  Nachrichten,  Innen-  und  Außenpolitik,  Ostzone 
und  Aktuelles.  Musik  gliederte  sich  in  die  Redaktionen  für  E-Musik  - neue  und 
alte  Musik  - sowie  Tanz-  und  Unterhaltungsmusik.  Der  Hauptabteilung  Kultu- 
relles Wort  waren  Erziehung,  Bildung  und  Sport  mit  den  Redaktionen  für  Lite- 
ratur, Sport,  Kirchen-,  Schul-,  Kinder  -und  Jugendfunk  zugeordnet.  Die  Abtei- 
lung »Unterhaltung«  hatte  eine  Sonderstellung.  Sie  war  wie  die  Abteilung 
Hörspiel  formal  den  Hauptabteilungen  gleichrangig.  Die  Bereiche  Public  Rela- 
tions  und  Hörerdienst  waren  wie  die  Sendetechnik  und  die  Verwaltung  direkt 
dem  Director  zugeordnet.  Drei  Program  Officers  besetzten  die  entscheidenden 
Positionen  im  Wort-  und  Musikbereich.311  Auf  die  positive  Kommunikation 
des  »freien  Westens«  und  amerikanischer  Werte  waren  die  Sendungen  des 
Bereiches  »Kulturelles  Wort«  ausgerichtet.  Der  Jugendfunk  sollte  die  13-  bis 
2 5 -Jährigen  ansprechen  und  brachte  vergleichende  Beiträge  über  das  Ausbil- 
dungswesen in  Ost  und  West,  mit  der  Absicht,  seinen  Hörern  die  besseren 
Bedingungen  in  der  Marktwirtschaft  näherzubringen.  »Jugend  spricht  zur 
Jugend«,  »Jugend  in  unserer  Zeit«,  »Für  junge  Menschen«  und  »Der  Jugend- 
funk nimmt  Stellung«  hießen  die  aufklärerischen  Sendungen,  die  den  Reeduca- 
tion-Impetus  mit  antikommunistischen  Aufladungen  verbanden. 

Die  Reihe  »Für  junge  Menschen«  bemühte  sich  in  monatlichen  Rätselsen- 
dungen, das  Interesse  der  heranwachsenden  Hörer  für  das  westliche  Gesell- 


310  LAB,  B Rep.  002,  Nr.  3865  unpag.,  Rede  von  Bundesminister  für  Gesamtdeutsche  Fragen  Jakob 
Kaiser  aus  Anlaß  der  Zehn-Jahres-Feier  des  RIAS  am  5.2.1956,  S.  3. 

311  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  100. 


I33 


Schaftsmodell  zu  entfachen  und  Jugendlichen  in  den  West-  und  Ostsektoren, 
aber  vor  allem  in  der  DDR,  »Möglichkeiten  der  Freizeitgestaltung  jenseits  der 
FDJ  aufzuzeigen.«312  Das  vom  RIAS  initiierte  und  vom  Sender  Freies  Berlin 
mitgetragene  »Schulfunkparlament«313  war  ein  Sendeformat,  bei  dem  Demo- 
kratie, Willensbildung  und  Diskussionskultur  erlernt  werden  sollten. 

Die  RIAS  -»Spitzelsendung«  war  ein  Echtzeit-Krimi-Format,  in  welchem 
Namen  und  Adressen  von  Stasi-Spitzeln  in  Ostdeutschland  über  den  Sender 
gingen.314  Diese  Mischung  aus  Kriminalhörspiel,  Rätsel-  und  Enthüllungssen- 
dung war  in  dem  Sinne  »populär«,  dass  die  Publikumsansprache  stärker  in  den 
Mittelpunkt  rückte  als  dies  in  anderen  RUfS-Sendungen  üblich  war.  Sie  fügte 
sich  gleichsam  in  die  antikommunistische  Informationspolitik  ein,  die  einer 
befürchteten  »kommunistischen  Unterwanderung«  Gegenaufklärung  und 
»westliche  Entlarvung«  entgegensetzte. 

Zwischen  dem  RIAS-Director,  der  Berlin  Mission  und  dem  Office  of  Military 
Government  Berlin-Sector  bestand  ein  wesentlich  besserer  Informationsfluss  als 
in  den  anderen  US-Verwaltungszonen  außerhalb  Berlins.  Die  politischen 
Richtlinien  wurden  in  Berlin  schneller  und  effektiver  umgesetzt.3 15  Produktio- 
nen durften  erst  gesendet  werden,  wenn  sie  sowohl  vom  deutschen  Abteilungs- 
leiter als  auch  vom  amerikanischen  Kontrolloffizier  abgezeichnet  waren.  Die 
politischen  Vorgaben  mussten  in  den  Hörspielen,  Features,  Rätselsendungen 
und  den  Ostzonenprogrammen  umgesetzt  sein.  Die  Hauptabteilung  Politik 
beriet  jeden  Morgen  mit  dem  amerikanischen  Direktor  und  dem  Programmdi- 
rektor die  sogenannte  »fast  guidance«,  welche  die  Ausgestaltung  der  politi- 
schen Sendungen  und  Kommentare  vorgab.  Im  wöchentlichen  Turnus  war  eine 
solche  Sitzung  auch  in  der  Hauptabteilung  Kulturelles  Wort  und  der  Zonen- 
Redaktion  des  RIAS  anberaumt.  Kontrolle  wurde  im  RIAS  durch  die  »Media 
Meetings«  in  der  Berlin  Mission  festgelegt,  was  sich  auf  Personalpolitik,  den 
Programmbereich  und  den  Schriftverkehr  des  Senders  auswirkte.316 


312  Ebd.,  S.  97. 

313  LAB,  B Rep.  013,  Nr.  573  unpag.,  Berliner  (Berufs-)  Schülerparlament  und  Korrespondenz  mit 
dem  SFB  und  dem  RIAS,  1950-1962. 

314  Schanett  Füller:  Funken,  2004,  S.  127. 

315  Bettina  Mettler:  Demokratisierung,  1975,  S.  74. 

316  Schanett  Füller:  Funken,  2004,  S.  108. 


J34 


Mit  Laurence  Dalcher  löste  im  Dezember  1957  ein  früherer  Rot-Weiß-Rot- 
Director  den  RIAS- Chef  Gordon  Ewing  ab.’17  Der  Posten  des  RIAS-Director 
war  eine  wichtige  Stufe  für  eine  Karriere  innerhalb  der  USIA  und  dem  State 
Department.  Allerdings  zeugte  der  dreimalige  Austausch  der  RIAS-Spitze  zwi- 
schen 1957  und  1961  von  einer  schwankenden  personalpolitischen  Linie.  Nach 
Dalcher  war  ab  Januar  1959  Alexander  A.  Klieforth  zwei  Jahre  in  der  Verant- 
wortung. 1961  folgte  ihm  Robert  H.  Lochner  nach.-’18 

3. 2. 1.4.2  Die  offene  und  die  verdeckte  Finanzierung  des  RIAS 

Die  finanziellen  Zuwendungen  der  USA  an  den  RIAS  sanken  in  den  1950er 
Jahren  kontinuierlich.319  Der  Sender  hatte  sich  zwar  ab  1954  konsequent  dem 
Werbefunk  geöffnet  und  sendete  täglich  eine  90-Minuten-Show  am  frühen 
Abend  mit  Musik  und  Produktwerbung.  Diese  Einnahmequelle  gab  er  aller- 
dings im  Juli  1955  an  den  SFB  ab,320  weil  die  Gewinne  ansonsten  nicht  in  Ber- 
lin verblieben,  sondern  an  das  als  Marshall-Plan  bekannt  gewordene  European 
Recovery  Program  zurückgeflossen  wären.  Als  Ausgleich  dafür  forderte  die 
»Gesellschaft  für  musikalische  Aufführungs-  und  mechanische  Vervielfälti- 
gungsrechte« (GEMA)  vom  RIAS  deutlich  weniger  Geld  als  von  allen  anderen 
deutschen  Rundfunkanstalten.  Mit  einem  monatlichen  Festbetrag  von  20.000 
DM  waren  alle  Ansprüche  abgegolten,  unabhängig  vom  tatsächlichen  Umfang 
der  abgespielten  Musik.  Zusätzlich  finanzierte  das  Gesamtdeutsche  Ministeri- 
um frühzeitig  verschiedene  »Ostzonenprojekte«  des  RIAS.  Ab  1957  bezu- 
schusste es  das  »Radio-Symphonie-Orchester«,  das  dem  RIAS  fortan  unent- 
geltlich zur  Verfügung  stand.321  Ferner  übernahm  das  Bonner  Ministerium  die 
Reise-  und  Aufführungskosten  des  RZ/fS-Kammerchores,  zusätzlich  die  Strom-, 
Gas-  und  Wasserkosten  an  den  Standorten  Berlin  und  Hof  sowie  die  Mietko- 


317  Donald  Roger  Browne:  Programming  Policies  of  Rias,  1961,  S.  101. 

318  Robert  H.  Lochner:  Ein  Berliner  unter  dem  Sternenbanner.  Erinnerungen  eines  amerikanischen 
Zeitzeugen,  Berlin:  edition  Goldbeck-Löwe  2003,  S.  154-155. 

319  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  116. 

320  Ebd.,  S.  116.  Siehe  auch:  Maral  Herbst:  Maulkorb,  2002,  S.  145. 

321  Schanett  Riller:  Funken,  2004,  S.  117. 


J35 


sten,  technische  Anschaffungen,  die  Telefonrechnungen,  die  Kosten  für  die 
vom  RIAS  genutzten  Nachrichtendienste,  den  Druck  von  Programmheften,  die 
Bewachung  der  Hofer  Sendeanlagen,  die  Reinigung  des  Sendegebäudes  in  der 
Wilmersdorfer  Kufsteiner  Straße  und  die  Transportkosten  für  die  Instrumente 
der  Klangkörper.  Das  Ministerium  begründete  diese  Zuschüsse  mit  der  Förde- 
rung zum  Erhalt  des  Berliner  Kulturlebens  und  überwies  Rechnungen,  so  Ril- 
ler,  stets  über  verschiedene  Institutionen,  um  die  Finanzierung  des  US-Senders 
durch  den  Bund  zu  verdecken.  Trotz  all  dieser  Bemühungen  war  Mitte  August 
1957  beim  RIAS  ein  Defizit  von  900.000  DM  aufgelaufen.322  Der  Spardruck  im 
RIAS  führte  dazu,  dass  sich  öffentliche  Partner  wie  der  DGB  in  die  Veranstal- 
tungen »einkauften«.  Ebenfalls  griff  der  RIAS  auf  Gelder  aus  dem  Funkbrük- 
ken-Fonds  des  BMG  zu,  welche  das  Gesamtberliner  Büro  der  Westberliner 
Senatskanzlei  vergab.  Zur  Senatskanzlei  hatte  RIAS  seit  langen  Jahren  beste 
Kontakte. 

Als  1960  das  Budget  der  für  Deutschland  zuständigen  Abteilung  des  US- 
Information  Service  gekürzt  wurde,  wandte  sich  RZ/lS-Director  Klieforth  an 
den  Minister  für  Gesamtdeutsche  Fragen  Ernst  Lemmer,  um  eine  vierzigpro- 
zentige Beteiligung  des  Bundes  am  RTIS-Gesamtetat  zu  erreichen.  Als  Gegen- 
leistung räumte  der  RIAS  der  Bundesregierung  und  dem  Bundesministerium 
für  Gesamtdeutsche  Fragen  (BMG)  die  Möglichkeit  ein,  bestimmte  Sendungen 
und  Kommentare  für  die  Sowjetzone  über  seine  Sendeanlagen  ausstrahlen.32-’ 
Das  BMG  erhielt  ab  1961  jeden  zweiten  Samstag,  nach  dem  Mauerbau  sogar 
wöchentlich  zehn  Minuten  Sendezeit.  Ende  1962  regelte  das  Bundesministeri- 
um die  Altersvorsorge  der  RTIS-Mitarbeiter.  Der  Finanzierungsanteil  der  Bun- 
desregierung überschritt  1963  die  Vierzig-Prozent-Marke  und  stieg  bis  1969 
auf  neunzig  Prozent  an.’24  Der  ab  1965  zuständige  USIA -Director  Leonard  H. 
Marks  hatte  den  größeren  Schwestersender  Voice  of  America  zu  Ungunsten  des 
RIAS  gestärkt,  weil  die  global  agierende  Stimme  Amerikas  bis  nach  Vietnam 


322  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  5904/3,  (Vorsitzender  der 
ARD)  Dr.  Hilpert  (NDR),  Niederschrift  über  die  Arbeitssitzung  der  Intendanten  in  Frankfurt/  Main  am 
2.8.1957,  S.  1-8.  TOP  3:  RIAS  - Finanzsituation. 

323  Schanett  Rillen  Funken,  2004,  S.  118. 

324  Ebd.,S.  119. 


136 


gehört  wurde.  Der  ab  1966  zuständige  Bundesminister  für  Gesamtdeutsche 
Fragen  Herbert  Wehner  vereinbarte  mit  dem  XJSIA-Director  Leonard  H.  Marks 
eine  ausgedehnte  Beteiligung  des  Bundes  unter  der  Bedingung,  dass  RIAS  in 
Berlin  bestehen  bleibe. 

Der  RIAS  war  das  sprachliche  und  akustische  Zeichen  für  die  Anwesenheit 
der  USA  in  der  Berliner  Rundfunklandschaft.  Während  der  1960er  Jahre  wandel- 
te er  sich  von  einem  amerikanischen  Besatzungssender  mit  deutscher  Beleg- 
schaft zu  einer  Art  Bundesrundfunksender  mit  einem  amerikanisch  dominierten 
Verwaltungsrat.  Wie  schon  beim  SFB,  gelang  der  Bundesregierung  trotz  seiner 
Niederlage  vor  dem  Bundesverfassungsgericht  1961  eine  erhebliche  Auswei- 
tung ihrer  Einflussmöglichkeiten.  Mit  dem  Ideal  der  Staatsferne  war  es  in  der 
Realität  nicht  weit  her. 

3.2.2  Rundfunklandschaft  Ostberlin.  Das  Beispiel  Berliner  Rundfunk 

Der  Berliner  Rundfunk  war  der  »Hauptstadtsender«  der  DDR.  Daraus  leitete 
dessen  Intendanz  seine  Relevanz  ab  und  begründete  programmgestalterische 
Entscheidungen. 

Rundfunkhistoriker  Konrad  Dussel  unterscheidet  eine  integrierte  Selbstver- 
waltung im  westdeutschen  Rundfunksystem  von  einer  separierten  Außenlenkung 
im  DDR-Rundfunk.32"’  Der  Intendant  eines  DDR-Rundfunksenders  beaufsich- 
tigte ausschließlich  das  Programm  und  dessen  Gestaltung  und  vertrat  im 
Gegensatz  zum  Intendanten  einer  HRD-Rundfunkanstalt  Verwaltungsangele- 
genheiten nicht  nach  außen.  Das  übernahm  in  der  DDR  das  Staatliche  Rund- 
funkkomittee  (SRK).  Das  zentralistische  Modell  in  der  DDR  trennte  viel  stär- 
ker zwischen  den  Bereichen  Technik,  Programm  und  Verwaltung  und  band  sie, 
so  Dussel,  in  »unterschiedliche  organisatorische  Zusammenhänge«  ein.  Das 
ostdeutsche  Postministerium  und  die  Deutsche  Post  in  der  DDR  waren  für  die 
Sender-  und  Studiotechnik  zuständig,  die  Staatliche  Plankommission  für  den 
Haushalt  und  die  Bewilligung  von  Anschaffungen  und  die  Abteilungen  Agitati- 


325  Konrad  Dussel:  Rundfunk  in  der  Bundesrepublik  und  der  DDR.  Überlegungen  zum  systemati- 
schen Vergleich,  in:  Klaus  Arnold/  Christoph  Classen  (Hg.):  Radio  in  der  DDR,  2004,  S.  301-321,  S.  304. 


I37 


on  und  Propaganda  der  SED  sowie  die  Agitationskommission  des  Politbüros 
waren  zusammen  mit  dem  SRK  letztlich  für  die  sprachliche  und  musikalische 
Programmgestaltung  des  Ostrundfunks  verantwortlich.  Diese  Form  der  Orga- 
nisation war  hochgradig  anfällig  für  Blockaden,  die  aus  der  Verschränkung  von 
staatlichen  Aufgaben  und  SED-Interessen  entstanden. 

Die  mobilisierende  Agitation  der  DDR-Bürger  erfolgte  über  die  abge- 
stimmte Setzung  von  Themen  und  propagandistischen  Werbemaßnahmen  für 
den  Sozialismus.  Gunter  Elolzweißig  hebt  in  seinem  Standardwerk  zum  Propa- 
gandasystem der  DDR  hervor,  dass  der  DDR-Rundfunk  Probleme  und  Schwie- 
rigkeiten nur  dann  zu  behandeln  hatte,  »wenn  sie  lösbar  waren« 326,  um  so  die 
Leistungsfähigkeit  des  politischen  und  wirtschaftlichen  Systems  zu  untermau- 
ern. Waren  die  wöchentlichen  Vorgaben  der  Agitationskommission  des  Polit- 
büros ergangen327,  erfolgte  durch  den  SRK- Vorsitzenden  noch  am  selben  Tag 
die  Übermittlung  der  zentral  festgelegten  Rede-  und  Betrachtungsweisen  an 
die  Intendanten,  die  diese  Punkte  dann  innerhalb  des  Senders  zu  kommunizie- 
ren hatten.  Holzweißig  nimmt  hier  eine  relativ  reibungslose  Informationsüber- 
tragung an.  Das  steht  zu  bezweifeln.  Neben  dem  offiziellen  Weg  war  die  infor- 
melle Berichtigung  und  Einflussnahme  über  Telefonanrufe  eine  gängige  Praxis, 
gleichsam  eine  »zweite  Argumentation«.  Sie  erfolgte  zeitnah  zu  gesendeten 
Beiträgen  und  hielt  sich  selten  an  die  vorgegebenen  Hierarchien  der  Informati- 
onsweitergabe im  SRK.  Allerdings  blieb  diese  Vörgehensweise  nicht  unwider- 
sprochen. Der  Komiteevorsitzende  Gerhart  Eisler  beschwerte  sich  1966  beim 
Abteilungsleiter  Agitation,  Werner  Lamberz,  dass  ein  Mitarbeiter  der  Abtei- 
lung einen  »seiner«  Intendanten  gerügt  hatte,  weil  die  Hauptnachrichtensen- 
dung mit  einem  anderen  Thema  »aufgemacht«  habe,  als  sich  dieser  es 
gewünscht  hatte.  Der  Genosse  aus  der  ZK-Abteilung  drohte  telefonisch  mit 
einer  Ablösung,  wenn  sich  dies  noch  einmal  wiederholen  sollte.  So  einen 
Umgang  mit  einem  Intendanten  des  Rundfunks  verbat  sich  Eisler  »mit  allem 


326  Holzweißig:  Die  schärfste  Waffe,  2002,  S.  17. 

327  In  der  Agitationskommision  des  Politbüros  stimmte  der  ZK-Sekretär  für  Agitation  wöchentlich 
mit  den  Chefredakteuren  der  Bezirkszeitungen,  von  »Neues  Deutschland«  und  von  »Junge  Welt«,  dem 
Vorsitzenden  des  SRK  bzw.  dessen  Stellvertreter,  dem  Intendanten  des  Deutschen  Fernsehfunk  (DFF)  und 
der  DDR-Nachrichtenagentur  ADN  die  Schwerpunkte  der  Informationsdarstellung  ab.  (Vgl . Holzweißig: 
Zensur  ohne  Zensor,  1997,  S.  11.  Ders.:  Massenmedien,  1983,  S.  40-41). 


I38 


Nachdruck«,  weil  »der  von  mir  seine  Weisungen  bekommt.«  Sollte  »beim 
Rundfunk  jemand  abberufen  werden«,  dann  sei  mit  ihm  »persönlich  zu  spre- 
chen«328, da  er  die  Verantwortung  trage. 

Keinen  Handlungsspielraum  gab  es  allerdings,  wenn  das  Sekretariat  des  ZK 
die  Ablösung  oder  Umsetzung  eines  Rundfunkmitarbeiters  beschlossen  hatte. 
Dann  wehrte  sich  auch  Eisler  nicht  gegen  solche  Entscheidungen.329  Nach  Eis- 
lers Tod  1968  verschob  sich  die  Praxis  eher  in  die  Richtung,  die  Günther  Holz- 
weißig dann  fiir  die  späten  1970er  und  die  1980er  Jahre  als  kennzeichnend 
benannte. 

Der  Berliner  Rundfunk  war  bis  zur  Gründung  der  DDR  im  Jahre  1949  der 
wichtigste  Rundfunksender  in  der  sowjetisch -besetzten  Zone.  1948  waren  der 
SBZ/  DDR  im  Kopenhagener  Wellenplan  die  Mittelwellen  1045  kHz  (287m) 
und  1570  kHz  (191m)  zugesprochen  worden.  Bis  zum  tatsächlichen  Inkrafttre- 
ten des  Abkommens  am  15.  März  1950  okkupierte  die  Sowjet-Zone  bis  zu  acht 
Frequenzen  in  Mittel-  und  Langwelle.330  Im  Sommer  1950  verteilte  die  SED 
die  Frequenzen  unter  den  DDR-Sendern  neu.  Der  Berliner  Rundfunk  erhielt 
dabei  nur  die  zweitbeste  Frequenz  (783  kHz;  383  m),  während  der  auf  West- 
deutschland gerichtete  Deutschlandsender  den  Zuschlag  für  die  stärkste  Mittel- 
welle (1000  kHz)  bekam.331  Nach  einer  Phase  vierjähriger  Programmreformen 
zwischen  1952  und  1956  positionierte  sich  der  Berliner  Rundfunk  1957  gegen- 
über seinen  Konkurrenten  im  eigenen  Land  neu:  als  Sender  der  Hauptstadt.332 

Dieser  »Hauptstadt-Anspruch«  umfasste  für  die  Intendanz  des  Berliner 
Rundfunks  auch  das  Vorhaben,  mit  seinem  Programm  die  ganze  Stadt  abzudek- 
ken.  Die  Jugendsendungen  sollten,  so  beschrieb  es  die  Senderleitung  in  einer 


328  BArch  B,  DR  6/594  unpag-,  Brief  Prof.  Gerhart  Eisler  an  Leiter  Abteilung  Agitation  Werner 
Lamberz,  Betr.:  Anruf  der  ZK-Abteilung  bei  Intendanten  des  Deutschlandsender  Kurt  Ehrich,  17.12.1966, 
S.  1-2,  S.  1. 

329  BArch  B,  DR  6/594  unpag.,  Gerhart  Eisler  an  Mitglieder  der  Agitationskommission  beim  Polit- 
büro, Betr.:  Personalentscheidungen  im  Rundfunk  durch  Beschluß  des  Sekretariats  des  ZK,  vorbereitet 
von  Abteilung  Agitation,  12.7.1965,  S.  1. 

330  Maral  Herbst:  Maulkorb,  2002,  S.  61. 

331  Klaus  Arnold:  Kalter  Krieg  im  Äther,  2002,  S.  299.  Ferner  auch:  Konrad  Dussel:  Hörfunk,  2002, 
S.  253-262. 

332  BArch  B,  DR  6/283  unpag.,  [Büro  Stellvertreter  des  Vorsitzenden]  Berliner  Rundfunk,  (Intendanz) 
Vorlage,  Betr.:  Charakteristik  der  Aufgaben  des  Berliner  Rundfunks,  Berlin  13.5.1957,  S.  1-3,  S.  1. 


*39 


Vorlage  an  das  SRK,  einerseits  die  gesamte  Jugend  der  DDR  für  den  sozialisti- 
schen Aufbau  gewinnen:  Es  galt,  sozialistisches  Bewusstsein  zu  bilden  und  wei- 
terzuentwickeln, den  Heranwachsenden  Naturwissenschaft  und  Technik  nahe 
zu  bringen  und  für  den  Militärdienst  zu  werben.  Andererseits  sollte  das  Pro- 
gramm aber  auch  für  die  »Westberliner  Jugend«  anhörbar  sein.  Gleichzeitig 
müsse  sich  der  Jugendfunk  mit  »feindlichen«  Einflüssen  auseinandersetzen,  die 
vom  Westteil  auf  Jugendliche  in  Ostberlin  einströmten.  Solch  unterschiedliche 
Anforderungen  und  Zielstellungen  waren  nur  mit  Mühe  zu  vereinbaren.  Und 
ob  so  eine  Ansammlung  von  Absichten  noch  zu  einem  hörenswerten  Programm 
führen  könnten,  musste  die  Redaktion  täglich  beweisen. 

Viel  wichtiger  als  die  Zielgruppe  Jugend  war  dem  Berliner  Rundfunk  aller- 
dings seine  Breitenwirkung.  Deswegen  förderte  der  Sender  seine  Tochterstati- 
on Berliner  Welle,  die  ab  1959  in  der  Ultrakurzwelle  ein  Unterhaltungsmusik- 
programm für  ältere  Ost-  und  Westberliner  Hörer  anbot. 

Sozialistisches  Unterhaltungsprogramm  beinhaltete  aber  immer  auch  Mo- 
bilisierung, Aufklärung  und  Geschmackserziehung.333  Die  Musikfarbe  der  Ber- 
liner Welle  betonte  die  gefälligen  und  eingängigen  Operetten-  und  Schlagerme- 
lodien, die  im  Berlin  des  Kaiserreichs  und  in  der  Zwischenkriegszeit  entstanden 
waren  und  die  klangliche  Erscheinung  der  Großstadt  Berlin  geprägt  hatten. 
Darunter  konnten  durchaus  auch  UFA-Schlager  und  andere  vermeintlich  un- 
politische Melodien  aus  der  NS-Zeit  fallen. 

Einem  Perspektivplan  des  SRK  von  1959  folgend,  verlagerte  sich  der 
Schwerpunkt  jugendbezogener  Berichterstattung  vom  Radio  zum  Fernsehen. 3 
Das  war  dem  Berliner  Rundfunk  durchaus  recht,  da  er  seine  Attraktivität  auf  die 
Musikgeschmäcker  der  zahlenmäßigen  Mehrheit  seiner  Konsumenten  ausrich- 
ten  konnte. 

Im  März  1964  vereinbarten  das  SRK  und  die  Abteilung  Agitation  des  ZK, 


333  Daniela  Miinkel:  Produktionssphäre  in:  Inge  Marszolek/  Adelheid  von  Saldern  (Hg.):  Zuhören 
und  Gehörtwerden,  Band  II.  Radio  in  der  DDR  der  fünfziger  Jahre,  1998,  S.  168-197. 

334  BArch  B,  DR  6/463  unpag,  [Büro  des  Komitees]  Beschlussprotokoll  der  Komiteesitzung  am 
21.4.1959,  S.  1-23,  S.  7.  Tagesordnung:  Perspektivplanung  unter  Berücksichtigung  einer  künftigen  Ab- 
grenzung von  Rundfunk  und  Fernsehen  [Anwesend:  Ley,  Eisler,  Perk  (BR),  Kleinert  (Radio  DDR),  Geggel 
(DS),  Adameck,  Probst  (stellv.  Minister  für  Post-  und  Fernmeldewesen),  Spielhagen,  Dr.  Röderl,  Kirschnek]. 


140 


dass  der  Berliner  Rundfunk  weiterhin  »sein  bisheriges  Gesicht  als  Programm  der 
Hauptstadt  unserer  Republik«  behalten  solle.  Die  politische  Information  wurde 
gestärkt.  Allerdings  verlor  der  Sender  seine  Studios  in  Potsdam  und  Frankfurt 
(Oder)  an  Radio  DDR ,335 

Die  Prognoseabteilung  des  SRK  löste  Anfang  1967  mit  einer  Studie  Bewe- 
gung in  der  Profilierungsfrage  aus.  Sie  sah  die  Umwandlung  des  Berliner  Rund- 
funks zu  einem  Jugendsender  vor  und  zielte  auf  eine  schrittweise  Schwächung 
der  Berliner  Welle  ab.  Die  Intendantin  Herta  Classen  trat  diesem  Vorhaben 
energisch  entgegen,  weil  es  das  bisherige  Selbstverständnis  des  Senders  über- 
haupt in  Frage  stelle.336  Sie  setzte  sich  damit  im  SRK  durch.337 

Trotzdem  wurde  Jugendstudio  DT  64  1969  in  einem  Papier  des  Staatlichen 
Komitees  für  Rundfunk  (dem  für  Radio  zuständigen  Nachfolger  des  SRK)  als 
profilbestimmende  Sendung  des  Berliner  Rundfunks  bezeichnet.  Sie  sei  »weltan- 
schaulich bildend«  und  »klassenmäßig  erziehend«. 

Bis  1973  verlor  der  Berliner  Rundfunk  allerdings  seinen  Status  als  wichtigste 
DDR-Rundfunkanstalt.  Die  Einführung  eines  Informations-  und  Unterhal- 
tungsprogrammes war  die  wichtigste  Neuerung  im  DDR-Hörfunk  in  den 
1960er  und  70er  Jahren.  Dieses  wurde  aber  nicht  im  Berliner  Rundfunk  reali- 
siert, sondern  im  stärker  regional  orientierten  Radio  DDR.  Bei  einer  Aufstok- 
kung  der  Reichweitenleistungen  im  Sommer  1973  musste  der  Berliner  Rundfunk 
erneut  zugunsten  von  Radio  DDR  und  Stimme  der  DDR  (vorher  Deutschlandsen- 
der) zurückstecken.338  Der  Berliner  Rundfunk  war  nun  de  facto  ein  Lokalsender. 
Seinen  Anspruch  als  wichtige  Radiostation  konnte  jetzt  nur  noch  über  das  pro- 
filprägende Jugendstudio  DT  64  und  ein  hochkulturelles  Musikprogramm 


335  BArch  B,  DR  6/492  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  Beschlussprotokoll  Nr.  12/64  der 
Außerordentlichen  Komiteesitzung  vom  23.3.1964,  S.  1-8,  S.  3.  Tagesordnung:  Entwicklung  des  Deut- 
schen Demokratischen  Rundfunks. 

336  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/2.106/7  Staatliches  Komitee  für  Rundfunk,  Kurt  Ehrich,  Schwer- 
punktaufgaben  des  Staatlichen  Komitees  für  Rundfunkim  Perspektivplanzeitraum  1971  bis  1975,  Vorlage 
für  die  Agitationskommission  beim  Politbüro  des  ZK  der  SED,  Berlin  13.5.1969,  Bl.  173-194,  Bl.  186. 

BArch  B,  DR  6/767  a unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Beschlußprotokoll  28/73  der  Komiteesit- 
zung vom  9.8.1973,  S.  1-11,  S.  11.  TOP  3:  Aufbau  eines  Mittelwellen-Hochleistungssenders. 

338  BArch  B,  DR  6/767  a unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Beschlußprotokoll  28/73  der  Komiteesit- 
zung vom  9.8.1973,  S.  1-11,  S.  11.  TOP  3:  Aufbau  eines  Mittelwellen-Hochleistungssenders. 


bekräftigt  werden.  Das  jugendpolitische  Profil  des  Senders  aber,  das  andere  als 
Alleinstellungsmerkmal  des  Berliner  Rundfunks  betrachteten,  erfuhr  während 
der  1960er  Jahre  durch  dessen  Intendantin  Hertha  Classen  keine  Wertschät- 
zung. Sie  wollte  ihr  Haus  nicht  als  Jugendsender  profilieren. 

3.3  Ausweichmöglichkeiten.  Internationale  Sender  in  den  deutschen  Rundfunk- 
landschaften 

Deutsche  Rundfunklandschaften  waren  keine  staatlich  abgeschirmten  Räume 
des  Medienkonsums.  In  Ost  wie  West,  insbesondere  aber  auch  in  der  hochgra- 
dig beweglichen  Anordnung  der  Rundfunklandschaft  Berlin,  gab  es  nicht  nur 
gegenseitige  Überlagerungen  und  Wechselwirkungen  zwischen  öffentlich- 
rechtlichen  Sendern  (West)  und  staatssozialistischem  Rundfunk  (Ost),  sondern 
die  Akteure  wurden  zusätzlich  herausgefordert.  Will  man  die  Rundfunkland- 
schaften kartografieren,  gehören  auch  überregional  operierende  Wettbewerber, 
die  internationalen  Radioprogramme  der  Besatzungsmächte,  diverse  Piraten- 
sender, Privatstationen  sowie  verdeckte  und  offizielle  Agitationssender  und  der 
Bundesrundfunksender  ins  Bild. 

Auf  die  Herausforderung,  mit  politisch  gewollten  Inhalten  zu  den  Hörern 
trotz  erheblicher  Konkurrenz  von  allen  Seiten  durchzudringen,  reagierten  die 
Regierungen  in  Ost-  und  Westberlin  ähnlich,  auch  wenn  sich  die  Methoden  in 
Diktatur  und  Rechtsstaat  formal  unterschieden.  Dem  diskursiven  und  juristi- 
schen Verbot  unerwünschter  Wellen  stand  deren  weitgehende  Verfügbarkeit  in 
einer  grenz-  und  systemüberschreitenden  Rundfunklandschaft  gegenüber. 

3.3.1  Abwehrmechanismen  gegen  Ausweichmöglichkeiten  in  Ostberlin 

Die  bestehenden  Ausweichmöglichkeiten,  bei  Westsendern  politische,  kulturel- 
le und  musikalische  Informationen  zu  gewinnen,  nötigten  die  SED-Erzie- 
hungseinrichtungen  immer  wieder  zu  verbalen  und  auch  gewaltförmigen 
Abwehrkampagnen,  auch  wenn  es  gleichzeitig  zu  unterschwelligen  und  hoch- 
gradig pragmatischen  Einarbeitungen  kam.  Die  Aktion  Blitz-contra-NATO- 
Sender  im  September  1961  war  eine  solche  Abwehrkampagne.  Den  »Unbe- 
lehrbaren«, hieß  es  in  dem  vorbereitenden  FDJ -Papier,  »die  weiter  auf  den 


142 


Kriegswellen  der  NATO-Sender  reiten«  wollen,  würden  »die  Antennen  auf  die 
Sender  des  Friedens  und  des  Sozialismus  gerichtet  oder  entfernt.«339  Die  Kam- 
pagne wurde  kein  Erfolg,  was  nicht  zuletzt  an  der  halbherzigen  Umsetzung 
durch  die  FDJ  lag.  Einige  ihrer  Bezirksleitungen  berichteten  gar  nicht  oder  nur 
dürftig  in  die  Berliner  Zentrale.340  Im  Scheitern  der  »Blitz-Aktion«  wird 
erkennbar,  dass  sich  in  der  DDR  längst  akzeptierte  Umgangsweisen  mit  grenz- 
überschreitende Medien  herausgebildet  hatten. 

Hatte  sich  die  Aktion  Blitz-contra-NATO-Sender  in  erster  Linie  gegen  das 
Westfernsehen  gerichtet,  forderte  die  Vielzahl  empfangbarer  Radioprogramme 
eine  sich  fortwährend  im  Fluss  befindliche  Strategie.  Da  weder  der  private 
Konsum  überwacht  werden  konnte,  durch  Transistorradios  die  Rundfunknut- 
zung zudem  beweglich  geworden  war341,  musste  die  SED  ausgedehnte  Uber- 
zeugungskampagnen auflegen,  deren  Erfolg  sie  aber  nicht  überprüfen  konnte  - 
und  die  nicht  selten  das  Gegenteil  bewirkten. 

So  waren  die  »fröhlichen  Wellen«  von  Radio  Luxemburg  bei  der  DDR- 
Jugend  besonders  beliebt,  da  die  häufig  von  der  SED  attackierte  Station  neben 
einem  modernen  Musikprogramm  den  Reiz  des  Verbotenen  bot.342  Die  Ab- 


339  SAPMO-BArch,  DY  24/512  unpag.,  Abt.  Agitation/  Propaganda  des  Zentralrates  der  FDJ,  Hel- 
mut  Berger,  Plan  zur  Durchführung  der  Aktion  »Blitz-contra-Nato-Sender«  5.-9.9.1961,  Berlin  31.8. 
1961,  S.  1-3,  S.  1. 

340  SAPMO-BArch,  DY  24/512  unpag.,  Abt.  Organe/Instrukteure;  Abt.  Agitation-Propaganda,  Hel- 
mut Weinhardt;  Helmut  Berger,  Erste  Einschätzung  über  den  Verlauf  der  Aktion  »Blitz-contra-NATO- 
Sender«,  Berlin  7.9.1961,  S.  1-2. 

341  Helga  de  la  Motte-Haber:  Radio(un)kultur,  in:  Thomas  Vogel  (Hg.):  Über  das  Hören.  Einem  Phä- 
nomen auf  der  Spur,  Tübingen:  Attempto  Verlag  1996,  S.  145-157,  S.  145.  Stefan  Gauss:  Das  Erlebnis  des 
Hörens.  Die  Stereoanlage  als  kulturelle  Erfahrung,  in:  Wolfgang  Ruppert  (Hg.):  Um  1968.  Die  Repräsen- 
tation der  Dinge,  Marburg:  Jonas  1998,  S.  65-94. 

342  Ab  15.7.1957  startete  zunächst  ein  einstündiges  deutschsprachiges  Versuchsprogramm  über  die 
Mittelwelle  1439  kHz.  Im  November  1957  waren  es  bereits  vier  Stunden  von  14  bis  18  Uhr.  Anfang  März 
wurde  es  zu  einem  festen  Bestandteil  der  deutschsprachigen  Sendungen.  1967  lief  RTL  auf  Mittel-  und 
Kurzwelle,  die  die  DDR  und  Berlin  erreichten,  zwischen  6.15-9.00  Uhr  und  von  12.00  bis  19.30  Uhr.  1968 
wurde  die  Leistungsstärke  des  MW-Senders  deutlich  erhöht,  ab  1971  war  RTL  über  die  KW  49,26  m/6090 
kHz  (Sender  Juniinster)  von  6.00  Uhr  bis  1.00  Uhr  nachts  zu  hören.  (Vgl.  URL:  http://www.radiotreff. 
de/rtl/  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]  Redaktion  Hans  Schmalbach/  Stephan  Bodinus.  Siehe  Thomas  Riegler: 
Meilensteine  des  Rundfunk.  Daten  und  Fakten  zur  Entwicklung  des  Radios  und  Fernsehens,  Baden-Baden: 
Siebei  Verlag  2006). 


J43 


sicht  Radio  Luxemburgs  erschöpfte  sich  nach  Auskunft  des  früheren  Programm- 
direktors Frank  Elstner  in  »Unterhalten!  Unterhalten!  Unterhalten!«343  - und 
wohl  auch  im  gewinnbringenden  Verkauf  von  Werbezeit.  Das  kann  bereits  als 
politisch  aufgefasst  werden.  Und  auf  ostdeutscher  Seite  tat  man  dies  auch.  Was 
die  SED  tatsächlich  über  Radio  Luxemburg  wusste,  ist  nicht  abschließend  zu  klä- 
ren. Zumindest  ließ  sie  das  Ministerium  für  Staatssicherheit  Artikel  aus  West- 
zeitungen sammeln.’44  Dabei  fügten  sich  die  ökonomischen  Verflechtungen 
mit  französischen  und  amerikanischen  Investoren  in  das  Gesamtbild  gesteuer- 
ter ideologischer  Diversion  ein. 

Der  in  Köln  ansässige  Deutschlandfunk  (DLF)  hielt  den  Gedanken  an  die 
Wiedervereinigung  in  seinen  Sendungen  aufrecht345  und  war  konsequent  anti- 
kommunistisch. So  betonte  der  erste  DLF-Intendant  Hermann  Franz  Gerhard 
Starke  in  seiner  Ansprache  zur  Programmeröffnung  am  1.  Januar  1962,  dass  der 
Sender  nicht  »auf  die  Diskussionsebene  des  kommunistischen  Gegners«  hinab 
steigen  werde,  da  die  »mitteldeutschen«  Hörer  schließlich  »nach  entpolemi- 
sierter  und  entgifteter  Wahrheit«346  hungern  würden.  Auch  das  Musikpro- 
gramm betreffend  gab  man  sich  kämpferisch.  Unter  dem  Motto  »Jazz  contra 
FDJ-Plangesänge«  versuchte  der  Deutschlandfunk  über  Unterhaltungsmusik 
jugendliche  DDR-Hörer  anzusprechen. 

DDR-Hörer,  so  sah  es  zumindest  die  Programmdirektion  von  Radio  DDR, 
wurden  aber  nicht  nur  von  der  Tanzmusik,  sondern  vor  allem  von  der  volkstüm- 
lichen Unterhaltungsmusik  angesprochen,  die  der  Deutschlandfunk  sendete.  Das 


343  Zeitzeugen-Interview  des  Autors  mit  Frank  Elstner,  16.5.2003. 

344  BStU,  MfS,  ZAIG,  Nr.  9978  foliert,  Information  über  Radio  Luxemburg,  Berlin  31.1.1969,  Bl.  88- 
91,  Bl.  88.  Jürgen  Sauermann:  Millionen  Hörer  feiern  die  fröhlichen  Wellen,  in:  Welt  am  Sonntag,  24.9. 
1967.  Heinz  Höfl:  Mit  garnierten  Platten  ein  Milionengeschäft,  in:  Süddeutsche  Zeitung,  26.7.1967.  Quick- 
Reportage  von  Manfred  Schmidt:  Wer  ist  Graf  von  Luxemburg,  in:  Quick,  Nr.  47,  20.11.1968,  S.  38-43. 
BStU,  MfS  ZAIG,  Nr.  9978,  Julius  Mader:  Gangster  in  Aktion,  Kongreß-Verlag  Berlin  1961. 

5 Frank  Capellan:  Für  Deutschland  und  Europa:  Der  Deutschlandfunk.  Rundfunkanstalt  mit  beson- 
derem Auftrag  1961-1989  (=  Rundfunkstudien;  7),  München/  New  Providence/  London/  Paris:  K.G.  Saur 
1993,  S.  53.  (Vgl.  Karl  Wilhelm  Fricke:  Der  Deutschlandfunk  als  Medium  politischer  Gegnerschaft,  in: 
Erhardt  Neubert/  Bernd  Eisenfeld  (Hg.):  Macht,  Ohnmacht,  Gegenmacht,  2001,  S.  189-204.  Gunter 
Holzweißig:  Der  Deutschlandfunk.  Informations-  oder  Interventionssender,  in:  Erhardt  Neubert/  Bernd 
Eisenfeld  (Hg.):  Macht,  Ohnmacht,  Gegenmacht,  2001,  S.  205-212). 

346  Ebd.,  S.  182. 


T44 


Informations-  und  Unterhaltungsprogramm  von  Radio  DDR  I bezog  sich  des- 
halb sehr  stark  auf  die  Methoden,  Formen  und  die  Programmstruktur  des 
Deutschlandfunks.  So  richtete  Radio  DDR  I zwischen  18.05  und  18.55  Uhr  eine 
Tanzmusiksendung  ein,  um  dem  »Aktuellen  Plattenteller«  des  DLF  mit  einem 
ähnlichen  Format  zu  begegnen.347 

Im  Großraum  Berlin  und  in  Teilen  der  südwestlichen  DDR-Bezirke  war 
das  American  Forces  Network  (AFN)  hörbar.  AFN  Berlin  sendete  ab  Frühjahr 
1962  ein  durchgehendes  UKW-Programm.348 

Auf  der  Mittelwelle  war  der  HfW-Empfang  stärker  zu  beeinträchtigen. 
Nicht  zuletzt  deshalb  lagen  Deutscher  Soldatensender  935  und  Deutscher  Freiheits- 
sender 904  nicht  weit  entfernt  auf  dem  Wellenband.  AFN  löste  popmusikalische 
Amerikanisierungen  in  beiden  deutschen  Staaten  aus.349 

Das  britische  Schwesterformat  British  Forces  Network  übernahm  vollständig 
das  Light  Programme  der  BBC.  Zunächst  sendete  BFN  aus  Hamburg,  wenig 


347  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.0 2/66  unpag.,  Programmdirektion  I.  Programm  - Radio  DDR, 
Werner  von  Sydow,  Zu  den  Auseinandersetzungen  mit  wesdichen  Rundfunk  und  Fernsehstationen,  Berlin 
26.3.1966,  S.  1-3,  S.  1.  Mit  der  DLF-Programmreform  erhielt  die  Popmusiksendung  täglich  zwei  Folgen, 
einmal  von  17.30  bis  18.00  Uhr  und  dann  von  18.30-19.00  Uhr.  Ab  1974  spielte  der  Plattenteller  »nicht 
mehr  nur  deutsch  gesungene  Aufnahmen«,  sondern  mischte  auch  fremdsprachige  Tagesschlager  mit  aktuel- 
len Evergreens  und  volkstümlichen  Jazz.  Damit  zögerte  der  Deutschlandfunk  den  Prozess  der  Selbstamerika- 
nisierung  lange  hinaus.  (Vgl.  DLF  (Hg.):  Intendantenbericht  1974,  Köln-Marienburg  o.D.  (1975),  S.  17.) 

348  Internationales  Handbuch  für  Rundfunk  und  Fernsehen  1963:  Hamburg:  Hans-Bredow-Institut 
1963,  C 165.  Ein  großer  Teil  der  AFN-Shows  waren  Sendungen,  die  die  großen  amerikanischen  Rundfunk- 
anstalten dem  US-Militär  zur  Verfügung  stellten.  Der  Armed  Forces  Radio  and  Television  Service  in  Los 
Angeles  schnitt  die  Werbung  aus  den  Shows  und  lieferte  sie  auf  »Electrical  Transcriptions«  an  die  Rund- 
funkstationen der  Armee.  (Vgl.  Maria-Theresia  Zilling:  AFN.  Der  Amerikanische  Soldatensender  in 
Europa  (=  Magisterarbeit;  FU  Berlin),  Berlin  1981,  S.  104). 

349  Uta  G.  Poiger:  Jazz,  2000,  S.  39.  Maria  Höhn:  Gis  and  Fräuleins.  The  German  American  Encoun- 
ter in  1950s  West  Germany,  Chapel  Hill,  UNC  Press  2002.  Steve  Craig:  The  American  Forces  Network, 
Europe.  A Case  Study  In  Military  Broadcasting,  in:  Journal  of  Broadcasting  & Electronic  Media,  30.  Jg. 
(Winter  1986)  H.  1,  S.  33-46.  Ders.:  The  American  Forces  Network  in  the  Cold  War.  Military  Broadcast- 
ing in  Postwar  Germany,  in:  Journal  of  Broadcasting  & Electronic  Media,  32.  Jg.  (Summer  1988)  H.  3,  S. 
307-321.  Gerd  Klawitter:  American  Forces  Network  Europe  (AFN),  in:  Radiowelt,  5.  Jg.  (1988)  H.  8,  S. 
11-15.  Patrick  Morely:  »This  is  The  American  Forces  Network«.  The  Anglo-American  Battle  of  the  Air 
Waves  in  World  War  II,  New  York:  Praeger  2001.  Wolfgang  Rumpf:  Music  in  the  Air.  AFN  und  die 
Jugendkultur  in  Deutschland,  Vortrag  Atlantische  Akademie  Kaiserslautern  Juni  2007.  URL:  http://www. 
wolfgangrumpf.de/l_afh.pdf  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


H5 


später  aus  Köln.  1960  baute  die  britische  Militärverwaltung  die  Berliner  und 
Herforder  Studios  des  Soldatensenders  aus.350  Der  Berliner  Sender  blieb  lei- 
stungsmäßig deutlich  hinter  den  Sendern  Verden  und  Langenberg  zurück.351 
Das  verminderte  aber  nicht  seine  Funktion  als  Ubermittler  britischer  Popmusik 
nach  Berlin.  Bis  zu  einem  30-Kilometer-Radius  um  Berlin  blieb  BFN  einiger- 
maßen klar  zu  empfangen,  so  dass  Radio  1 -Moderator  John  Peel  ab  Herbst  1967 
auch  die  Popavantgarde  von  Zossen,  Beelitz  oder  Bernau  erreichen  konnte. 
Durch  die  bestehende  Sprachbarriere  konnten  DDR-Hörer  zwar  die  Modera- 
tionen nicht  verstehen,  aber  keine  Weisung  der  Einheitspartei  konnte  sich  der 
Wirkungsmacht  der  Popmusik  entgegen  stellen. 

3.3.2  Abwehrmechanismen  gegen  Ausweichmöglichkeiten  in  Westberlin 

Die  offiziellen  ostdeutschen  Sender,  die  Geheimsender,  aber  auch  die  alliierten 
Militärsender  und  Radio  Luxemburg  waren  Ausweichmöglichkeiten  für  Hör- 
funkkonsumenten in  Westberlin  (und  natürlich  auch  in  Teilen  der  Bundesrepu- 
blik). Die  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalten  registrierten  diese  anderen 
Wettbewerber  durchaus  und  arbeiteten  mehr  oder  weniger  zögerlich  deren 
Zugänge  zur  Programmgestaltung  ein.  Die  popkulturelle  Bedeutung  von  Radio 
Luxemburg  für  deutsche  Teenager  der  späten  1950er  und  der  1960er  Jahre  wird 
in  der  Forschungsliteratur  stark  hervorgehoben.352  Allerdings  ergänzt  Dussel, 


350  Jens  Mahlstedt:  »AFN«  und  »BFBS«  in  Deutschland  seit  1945.  Geschichte  der  Militärsender, 
Vergleich  ihrer  Sendeformen,  Zukunftschancen  (=  Magisterarbeit;  FU  Berlin),  Berlin  1991,  S.  44.  Oliver 
Zöllner:  BFBS  - »Freunde  in  der  Fremde«.  British  Forces  Broadcasting  Service  - der  britische  Militär- 
rundfunk in  Deutschland,  Göttingen:  Cuvillier  Verlag  1996.  Alan  Grace:  This  is  The  British  Forces  Net- 
work. The  Story  of  Forces  Broadcasting  in  Germany,  Stroud  1996.  »Der  Schallplattenjockey  muss  ein 
Pferd  haben.«  Chris  Howland  über  den  langsamen  Siegeszug  der  Schlagermusik  in  Hörfunk  und  Fernse- 
hen und  seinen  steinigen  Weg  zum  Erfolg.  Im  Gespräch  mit  Peter  von  Rüden,  in:  Hans-Ulrich  Wagner 
(Hg.):  Vom  NWDR  zum  WDR.  Gespräche  zur  Programmgeschichte  (=  Nordwestdeutsche  Hefte  für 
Rundfunkgeschichte;  3),  Hamburg:  Verlag  Hans  Bredow-Institut  2005,  S.  23-37.  Andreas  Vollberg:  Le- 
bensfunke der  Hörfunk-Ara.  Unterhaltungsmusik  im  NRW-Nachkriegsradio,  in:  Ders.  (Hg.):  Von  Trizo- 
nesien  zur  Starlight-Ara.  Unterhaltungsmusik  in  NRW,  Münster:  Agenda  Verlag  2003,  S.  320. 

351  Internationales  Handbuch  für  Rundfunk  und  Fernsehen  1963,  C 165. 

352  Konrad  Dussel:  The  Triumph  of  English-Language  Pop  Music.  West  German  Radio  Program- 
ming, in:  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried  (Hg.):  Between  Marx  and  Coca-Cola,  2006,  S 149-160,  S.  137. 
Siehe:  Siegfried:  Time,  2006,  S.  329. 


146 


dass  erst  Piratensender  wie  Radio  London,  Radio  Caroline  und  Radio  Veronika 353 
eine  klangliche  Umformatierung  bei  Radio  Luxemburg  selbst  auslösten.  Dies 
wirkte  sich  in  der  Folge  positiv  auf  die  Attraktivität  von  Radio  Luxemburg  im 
Westen  der  Bundesrepublik  aus.354 

Vom  DDR-Sender  Reesen  bei  Burg  an  der  Elbe  strahlten  ab  1956  der 
Deutsche  Freiheitssender  904  ( DFS ^)35S  und  der  Deutsche  Soldatensender  935  (DSS) 


353  Roger  Chapman:  Selling  the  Sixties.  Pirates  and  Pop  Music  Radio,  London:  Routledge  1992. 
Michael  Heatley:  John  Peel.  Ein  Leben  für  die  Musik,  Berlin:  Jeske/  Mader  2004.  Kapitel  3:  Kalifornische 
Träume  und  Piraten,  S.  28-37.  Siegfried:  Time,  2006,  S.  327.  Robert  Preedy:  Radio  Caroline  North  - 
Rockin’  and  Rollin’.  The  Legendary  Radio  Station  from  Beginning  to  End,  Wetherby  2004.  Rob  Olthof: 
Listening  to  Radio  Caroline.  The  wet  and  wild  history  of  Radio  Caroline  (13),  in:  soundscapes.  Online- 
journal on  media  culture,  7.  Jg.  (2004)  H.  4.  URL:  http://www.icce.rug.nl/~soundscapes/DATABASES/ 
CAR/car  13. shtml  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Als  Überblick:  Hans  Knot,  Offshore  Radio.  Collected  Essays 
on  Offshore  Radio  Stations.  URL:  http://www.icce.rug.nl/oger-bin/contents/dossiers.cgiP06  [Letzter  Zu- 
griff 5.6.2007].  Hermann  Jäger:  Chronologie  der  Piratensender,  in:  ffF-Courier,  1.  Jg.  (1967)  Nr.  31,  S.  10-17. 

354  Im  Westen  und  Südwesten  der  Bundesrepublik  war  Radio  Luxemburg  ein  ernst  zunehmender  Kon- 
kurrent für  den  SWF  und  den  WDR.  0 3 zwang  den  Bayerischen  Rundfunk  ab  1967  ebenso  zu  mehr  Beweg- 
lichkeit in  der  musikalischen  Programmgestaltung.  (Vgl.  Tony  Schwaegerl:  Die  fröhlichen  Wellen  von  Radio 
Luxemburg,  München:  Copress- Verlag  1962.  Ein  interessantes  Beispiel  von  Werbung  in  Jugendliteratur: 
Eumel  Schwarz:  Meine  Freunde  von  Radio  Luxemburg,  München/  Wien:  Schneider  Verlag  1972.  Reginald 
Rudorf:  Luxemburgs  Sieg  über  Goliath.  Wie  ein  »Kommerzsender«  die  öffendich-rechdichen  Riesen 
schlägt,  in:  Rheinischer  Merkur,  30.9.1977.  Ders.:  Der  Rundfunk  der  auf  seine  Hörer  hört.  Das  deutsche 
Programm  von  Radio  Luxemburg  feiert  zwanzigjähriges  Jubiläum  - Ab  1983  auch  Satelliten-Fernsehen,  in: 
Welt,  19.9.1977.  Rainer  H.  Popp:  Ein  Irrenhaus  fährt  Achterbahn.  30  Jahre  Radio  Luxemburg,  München: 
Th.  Knauer  1987.  Barbara  Gansauge:  Radio  Luxemburg  - Deutsches  Programm.  Die  Jahre  des  Erfolges  in 
NRW,  in:  Andreas  Vollberg  (Hg.):  Von  Trizonesien  zur  Starlight-Ara,  2003,  S.  336-343).  Im  Nordwesten 
der  Bundesrepublik  wurden  öffentlich-rechtliche  Anstalten  wie  Radio  Bremen,  NDR  und  das  niederländi- 
sche Hilversum  3 von  werbefinanzierten  Hochsee-»Piraten«- Werbesendern  herausgefordert.  (Vgl.  LAB,  B 
Rep.  002,  Nr.  8054/1  unpag.,  Ministerpräsident  des  Landes  Niedersachsen,  Dieterichs,  Nr.  9196/62,  an 
Bundesminister  der  Justiz,  Ewald  Bucer,  Betr.:  Maßnahmen  gegen  so  genannte  Piratensender,  Hannover 
14.12.  1962,  S.  1 [Abschrift:  Eingang  Senatskanzlei  21.10.1964],  LAB,  B Rep.  002,  Nr.  8054/1  unpag.  Mini- 
sterpräsident von  Schleswig-Holstein,  Lemke,  an  Bundesminister  für  Post-  und  Fernmeldewesen,  Richard 
Stücklen,  Betr.:  Maßnahmen  gegen  so  genannte  Piratensender,  Kiel  17.11.1964,  S.  1).  Bislang  sind  weder 
die  deutschsprachigen  Sendungen  von  Radio  Luxemburg  als  Schnittstelle  von  Werbewirtschaft  und  Unter- 
haltungsindustrie betrachtet  worden.  Auch  den  transnationalen  Charakter  des  Luxemburger  Senders  arbei- 
tete Seän  Street  kürzlich  heraus  (Vgl.  Seän  Street:  Crossing  the  Ether.  Pre-war  public  Service  radio  and 
commercial  competition  1922-1945,  Eastleigh:  John  Libbey  Publishing  2006). 

355  Der  Sender  ging  einen  Tag  nach  dem  KPD-Verbot  in  Westdeutschland  am  17.8.1956  auf  Sen- 
dung. Die  Westkommission  des  Politbüros,  die  Agitations-Abteilung  des  ZK  und  das  SRK  koordinierten 
den  Sendebetrieb.  Das  SRK  stellte  ein  Studio  in  Grünau,  später  Königs-Wusterhausen  zur  Verfügung, 
wählte  die  Journalisten  und  die  Musik  aus.  (Vgl.  Christian  Senne:  Der  Deutsche  Freiheitssender  904.  Die 


x47 


- ab  Herbst  1960  - im  zweistündigen  Wechsel  nach  Westen  ab  und  deckten 
weite  Teile  Niedersachsens  bis  nach  Hannover  ab  und  erreichten  im  Norden 
auch  Hamburg  und  Berlin.  Der  Diskurs  um  kommunistische  Infiltration  und 
Wühlarbeit  in  der  Bundesrepublik  nahm  solche  Sender  als  wesentlich  bedrohli- 
cher wahr  als  es  ihrer  tatsächlichen  Bedeutung  entsprochen  hätte.  Die  »grau- 
en« DDR-Popsender  waren  für  die  konservative  und  liberale  Presse  der  Bun- 
desrepublik gefährliche  Faktoren  psychologischer  Kriegsführung  aus  der  »Ost- 
zone«. An  ihnen  konstruierten  sie  eine  »westliche  Defensivposition«,  die  umge- 
hend zu  verändern  sei.  Auch  das  Bundesinnenministerium  interessierte  sich 
dafür,  ob  junge  Soldaten  in  bundesdeutschen  Kasernen  diese  Sender  nutzten.3-'6 
Der  Planungsstab  des  Bundesverteidigungsministeriums  schlug  den  ARD- 
Intendanten  1968  vor,  ein  bundesweit  empfangbares  Pop-Programm  für  Zwan- 
zigjährige einzuführen.  Damit  sollten  Wehrdienstleistende  vom  Hören  der 
Ostsender  abgehalten  werden.  Die  Programmdirektoren  lehnten  dieses  Ansin- 
nen im  Mai  1969 3 ->7  jedoch  ab,  da  die  Landessender  ohnehin  kurz  darauf  Un- 
terhaltungswellen einführen  wollten. 

»Ausweichungen«  und  »Abwanderungen«  von  Hörern  waren  keine  aus- 
schließliche Erscheinung  der  Berliner  Rundfunklandschaft.  In  der  geteilten  Stadt 
luden  Abgrenzungsbemühungen  der  ideologiedurchsetzen  Cold  War  Cultures  in 


»Stimme  der  KPD«  von  1956-1971  (=  Magisterarbeit;  Humboldt-Universität  zu  Berlin),  Berlin  2003. 
URL:  www.freiheitssender.radiohistory.de/  [Letzter  Zugriff  5.9.2010].  Stephan  Bodinus:  Gründung,  Kon- 
zept und  Aufbau  des  Deutschen  Freiheitssenders  904  (=  Diplomarbeit;  Hochschule  Mittweida),  Mittweida 
2001.  Jürgen  Wilke/  Stephan  Sartoris:  Radiopropaganda  durch  Geheimsender  der  DDR  im  Kalten  Krieg, 
in:  Jürgen  Wilke  (Hg.):  Pressepolitik  und  Propaganda.  Historische  Studien  vom  Vormärz  bis  zum  Kalten 
Krieg  (=  Medien  in  Geschichte  und  Gegenwart;  7),  Köln/  Weimar/  Wien:  Böhlau  1997,  S.  285-33 1.  Jürgen 
Wilke:  Radio  im  Geheimauftrag.  Der  Deutsche  Freiheitssender  904  und  der  Deutsche  Soldatensender  935 
als  Instrument  des  Kalten  Krieges,  in:  Arnold/  Classen  (Hg.):  Radio  in  der  DDR,  2004,  S.  249-266.  Rolf 
Geserick:  40  Jahre  Presse,  Rundfunk  und  Kommunikationspolitik  in  der  DDR,  München:  Minerva-Publ. 
1989,  S.  116-117.  Rolf  Geserick:  Der  Klassenfeind  sitzt  auf  dem  Dach.  Der  deutsch-deutsche  Schlagab- 
tausch im  Äther,  in:  Unsere  Medien,  unsere  Republik,  (1990)  H.  4,  S.  32-34.  S.  32.  Andre  Scheer:  Roter 
Schwarzfunk.  Deutscher  Freiheitssender  904  und  Deutscher  Soldatensender,  Göttingen:  Verlag  Rainer 
Pinkau  1988. 

356  Siegfried:  Time,  2006,  S.  326. 

357  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfrink,  Bestand  RIAS,  F 404-00-00/0023,  Bayerischer  Rundfrmk,  Pro- 
grammdirektor Gerhard  Bogner,  Arbeitsunterlagen  für  außerordentlichen  Sitzung  der  Programmdirektoren 
Hörfunk  der  ARD  9.5.1969  in  Baden-Baden,  Programm  für  20jährige,  München  28.4.1969,  S.  1-6. 


148 


Ost  und  in  West  die  komplexen  Überlagerungen  jugendlichen  Medienkonsums 
aber  noch  zusätzlich  politisch  auf. 

3.4  Rundfunklandschaften  sind  nicht  teilbar,  sie  werden  zusammengehört. 

Eine  Zusammenfassung 

Rundfunklandschaften  entstehen  und  bestehen  in  einem  Wechselspiel  von  politi- 
schen Durchdringungen,  technischen  Innovationen  und  ökonomischen  Ver- 
wertungen. Medienpolitik  rückte  seit  den  1950er  Jahren  stärker  in  den  Mittel- 
punkt der  Systemkonkurrenz.  Alle  Berliner  Rundfunkanstalten  konkurrierten 
um  die  begrenzte  Anzahl  der  Berliner  Hörerschaft. 

Im  geteilten  Berlin  bildete  sich  im  ersten  Nachkriegsjahrzehnt  eine  Rund- 
funklandschaft heraus,  deren  gegensätzlichen  Systemen  zugehörigen  Teile  sich 
wechselseitig  herausforderten,  sich  aber  auf  den  gleichen  Entstehungskontext 
in  der  Weimarer  Republik  bezogen.  Westberliner  Rundfunkpolitik  in  Bezug  auf 
den  SFB  und  RIAS  war  von  der  föderalen  Entwicklung  des  Rundfunkwesens  in 
der  Bundesrepublik  abgekoppelt.  Um  die  Landesanstalt  finanzieren  zu  können 
und  den  Einfluss  der  Stadt  auf  die  bundesrepublikanische  Rundfunklandschaft 
zu  stärken,  war  dem  Westberliner  Senat  die  Kooperation  mit  dem  Bund  wich- 
tig, auch  wenn  die  Zusammenarbeit  mit  der  ARD  darunter  zu  leiden  hatte.  Der 
Senat  besaß  weitgehende  Einspruchs-  und  Gestaltungsmöglichkeiten  bei  der 
personellen  Besetzung  des  SFB-Rundfunkrates.  Parteipolitik  spielte  in  den 
Gremien  des  Senders,  begünstigt  durch  das  Vetorecht  der  beiden  stärksten 
Fraktionen  im  Abgeordnetenhaus,  von  Anfang  an  eine  zentrale  Rolle. 

Im  SFB  entwickelte  sich  eine  Codierung  von  »Ausgewogenheit«  und 
»Rundfunkfreiheit«,  die  die  lokalpatriotischen  Züge  der  Berlin  Cold  War  Cultu- 
re  aufnahm.  Nach  dem  Mauerbau  1961  erfuhr  der  SFB  (bezogen  auf  das  Fern- 
sehen) eine  Aufwertung  in  der  Rundfunklandschaft  der  Bundesrepublik. 

In  den  zwei  Amtszeiten  von  Franz  Barsig  als  SFF-Intendant  (1968  bis  1978) 
wurden  im  Sender  die  verschiedenen  Politisierungen  der  Mauerstadt  durchge- 
spielt, kamen  ihre  unterschiedlichen  konservativen,  ihre  pragmatischen  und 
zulassenden  Strömungen  im  Programm  zum  Tragen.  Das  Drängen  nach  partei- 
politischen und  inhaltlichen  Ausgewogenheiten  versuchte  Barsig  zu  moderie- 
ren, scheiterte  aber  schließlich  daran. 


'49 


Berliner  Rundfunk  und  RIAS  bezogen  sich  in  den  hochkulturellen  und  in 
den  populären  Sendeformaten  aufeinander.  Dabei  unterlagen  sie  jeweils  exter- 
nen Anleitungsmechanismen,  die  in  die  Sender  hineinwirkten.  Die  1963  einset- 
zende Verlagerung  der  US-Informationspolitik  von  Europa  nach  Südostasien, 
Afrika  und  Lateinamerika  erfasste  den  RIAS  und  führte  während  der  folgenden 
Jahre  zu  ausgedehnten  anstaltsinternen  Umprofilierungen.  Nach  der  Überfüh- 
rung des  RIAS  in  deutsches  Recht  war  er  an  die  ARD  angebunden,  der  Bund 
finanzierte  RIAS  weiter.  Allerdings  war  er  als  Bundessender  zweiter  Ordnung 
wie  die  Länderanstalten  von  der  übermäßigen  Stärkung  des  Deutschlandfunks 
betroffen. 

Der  Berliner  Rundfunk  wandelte  sich  vom  »Hauptstadtsender«  der  DDR 
mit  einer  ausgedehnten  politischen,  kulturellen  und  wirtschaftsbezogenen 
Berichterstattung  ab  Mitte  der  1950er  Jahre  zu  einem  Programm,  das  zuneh- 
mend aktivierende  und  mobilisierende  Showformate  neben  der  politischen 
Information  einsetzte.  Das  1959  eingeführte  UKW-Tochterprogramm  Berliner 
Welle  wies  eine  hohe  Unterhaltungsorientierung  auf.  Zwischen  1961  und  1967 
verhandelte  das  SRK  mehrfach  die  Senderprofile.  Dabei  musste  der  Berliner 
Rundfunk  zunehmend  zugunsten  von  Radio  DDR  zurückstecken.  Die  Intendanz 
des  Berliner  Rundfunks  hielt  in  der  Folge  trotzig  an  seinem  Hauptstadtan- 
spruch fest  und  wollte  sich  nicht  auf  die  Rolle  als  »Jugendsender«  festlegen  las- 
sen. Diese  Abwehrhaltung  verhinderte,  dass  Jugendstudio  DT  64  schon  in  dieser 
Phase  zu  einem  eigenständigen  Sender  werden  konnte. 

4.  Berliner  Rundfunkstationen  und  Jugendfunk  (1962-1973) 

Die  Ergänzung  des  Gesamtprogramms  um  spezielle  Jugendsendungen  recht- 
fertigten die  Rundfunkanstalten  anfangs  - und  hier  verfuhren  SFB,  RIAS  und 
Berliner  Rundfunk  ähnlich  - über  die  Konfrontation  mit  dem  »Gegner«  und 
noch  nicht  über  die  »Attraktivität«  des  eigenen  Angebots. 

Popmusik  - verstanden  als  jugendkulturell  aufgeladener  Sound  technisch 
veränderter  Klänge,  Tonspuren  und  Stimmen  - wurde  erst  im  Verlauf  der 
1960er  Jahre  schrittweise  als  ein  Stilmittel  im  Hörfunk  von  den  Programmge- 
staltern akzeptiert.  Die  Jugendsendungen  im  RIAS,  im  SFB  und  im  Berliner 
Rundfunk  waren  in  ihren  Sendern  jeweils  Vorreiter  für  veränderte  Präsentati- 


150 


onsweisen.  Aber  sie  sollten  die  auf  unterschiedliche  Gruppen  »erwachsener« 
Nutzer  und  deren  Erwartungen  ausgerichteten  Sendeschemata  unter  keinen 
Umständen  stören. 

Das  blieb  eine  Wunschvorstellung.  Die  schnelle  Abfolge  von  Musiktiteln, 
kurzen  Moderationen,  knappen  Beiträgen  und  gerafften  Informationsblöcken 
lagen  quer  zur  sonst  üblichen  Gemächlichkeit  des  Gesamtprogramms.  Um 
diese  Störungen  zu  entschärfen,  gab  es  mehrere  Möglichkeiten:  Entweder  man 
sendete  direkt  vor  und  nach  den  Jugendsendungen  klassische  Musik  und  politi- 
sche Information,  um  unpünktlich  einschaltenden  Jugendlichen  noch  etwas  Bil- 
dung mitzugeben  oder  man  verschob  das  gesamte  Jugendprogramm  gleich  an 
einen  Sendeplatz  am  Wochenende.  So  ging  zum  Beispiel  der  RIAS  vor.  Sender, 
die  - wie  der  SFB  - über  unterschiedliche  Wellen  verfügten,  spielten  in  einem 
»ersten  Programm«  herkömmliche  Formate  und  verschoben  Jugendinhalte  in 
ein  nachgeordnetes  »zweites  Programm«.  Der  (Ost ^Berliner  Rundfunk  setzte 
bei  Jugendstudio  DT  64  eine  weitere  Variante  um,  indem  sich  die  Rundfunkan- 
stalt dafür  entschied,  den  erwünschten  Anteil  von  politisch-ideologischer  Infor- 
mation einfach  in  die  Jugendsendung  einzufügen. 

Trotzdem  gewannen  Sendungen  für  Jugendliche  im  RIAS,  im  Berliner 
Rundfunk  und  im  SFB  an  Bedeutung.  Treffpunkt  16/40,  später  RIAS -Treffpunkt, 
Jugendstudio  DT  64,  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  rückten  im  Verlauf  des  Jahr- 
zehnts von  den  Rändern  des  Wochenprogramms  auf  die  deutlich  attraktiveren 
Sendeplätze  im  Vorabendprogramm.  Die  Verzögerung  der  Einfügung,  sich  ver- 
ändernde Programmgestaltungen  und  die  »Ausgewogenheit«,  die  die  »beson- 
dere Lage  Berlins«  verlangte,  prägen  die  unterschiedlichen  Entwicklungsge- 
schichten innerhalb  der  drei  Sender  und  kennzeichnen  dennoch  ein  Kreu- 
zungsverhältnis . 

4. 1 Jugendliche  als  Multiplikatoren  von  morgen.  Die  RIAS-Profilsuche  in  den 
1 960er  Jahren 

Der  Rundfunk  im  Amerikanischen  Sektor  (RIAS)  war  in  den  1960er  Jahren  darum 
bemüht,  eine  neue  Attraktivität  seines  Programms  zu  erzeugen  und  damit  auch 
den  Interessen  der  immer  stärker  in  die  Finanzierung  eingebundenen  westdeut- 
schen Bundesregierung  entgegenzukommen. 


So  brachte  die  Jugendredaktion  des  RIAS  bis  zum  Mauerbau  1961  und  dar- 
über hinaus  kurze  Appelle  an  die  DDR-Jugend  innerhalb  des  Frühprogramms 
und  kommentierte  im  abendlichen  Nachrichtenprogramm  besonders  die  FDJ- 
Politik.  Im  Club  1 8,  einer  von  John  Hendrik  betreuten  Jazz-Sendung,  versuchte 
die  RZ/lS'-Unterhaltungsabteilung,  junge  Westberliner  Musiker  und  Konzert- 
besucher zusammenzubringen.  Sie  berichteten  von  öffentlichen  Live-Auftritten 
und  veranstalteten  eigene  Studiokonzerte.  Diese  Veranstaltungen  wurden  mit- 
geschnitten und  konnten  als  vorproduzierte  Sendungen  gehortet  und  zu  einem 
beliebigen  Zeitpunkt  ausgestrahlt  werden.  Die  Inszenierung  eines  Musik- 
Festes  mit  Jugendlichen  des  »freien  Berlins«  und  die  Präsentation  der  Auf- 
zeichnungen durch  einen  bekannten  Moderator  im  Radio  fügten  einen  vormals 
als  amerikanisch  besetzten  Musikstil  in  die  bestehende  Jugendkultur  Berlins 
ein. 

4.1.1  Jugendfunk  stört  im  RIAS  an  den  Wochentagen 

Die  wachsende  Bedeutung  des  RUlS-Jugendfunks  lässt  sich  am  Zugewinn  von 
Sendezeit  ablesen:  1962  gewährte  man  dem  Jugendprogramm  eine  Stunde  Sen- 
dezeit im  Monat,  vier  Jahre  später  übertrug  man  bereits  im  vierzehntägigen 
Rhythmus,  im  Herbst  1968  rückte  der  RUlS-Treffpunkt  schließlich  ins  tägliche 
Vorabendprogramm  von  RIAS  II  auf. 

Nach  Schließung  der  Berliner  Sektorengrenzen  am  13.  August  1961  wollte 
der  R/HS-Jugendfunk  »stärker  als  in  der  Vergangenheit  die  Vielfalt  des  Lebens 
in  einer  offenen  Gesellschaft«  darstellen,  »unterschiedliche  Gruppen  zu  Wort 
kommen  lassen«358  und  deren  Interessen  und  Konflikte  bei  der  Arbeit,  in  der 
Schule,  an  der  Universität  und  in  der  Freizeit  beschreiben.  So  fasste  Jugend- 
funk-Redakteur Richard  Kitschigin  1972  die  Überlegungen  bei  der  Umgestal- 
tung des  Jugendprogramms  zusammen.  Bis  1966  war  dies  einmal  im  Monat 
jeweils  sonnabends  mit  der  Sendung  Jugendjoumal  versucht  worden.  Die  »sach- 
liche Berichterstattung  aus  West-Berlin,  der  Bundesrepublik  und  dem  Ausland« 


358  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/001,  [Programmdirektion  Kul- 
turelles  Wort],  Abteilung  Treffpunkt  RIAS  II,  Richard  Kitschigin,  Zehn  Jahre  Jugend-Magazin  mit  Pop 
und  Pep,  Berlin  Herbst  1972,  S.  1-6,  S.  2. 


152 


habe  der  Jugendfunk,  so  Kitschigin,  von  Anfang  an  groß  geschrieben.  Schließ- 
lich waren  die  jungen  DDR-Bürger  nun  »von  anderen  Informationsquellen«359 
abgeschnitten.  Heute  Lehrling  - Morgen  Chef 360  erläuterte  die  kapitalistische 
Arbeitswelt,  wies  auf  Mitbestimmungsrechte  hin  und  betonte,  dass  diese  Rech- 
te gerade  auch  von  Lehrlingen  in  Anspruch  genommen  werden  konnten.  Insbe- 
sondere auf  vermeintlich  fehlende  Mitbestimmungsrechte  im  kapitalistischen 
System  hatte  zuvor  ein  SED-Jugendkommunique  hingewiesen.  Darauf  reagier- 
te der  RLIS-Jugendfunk  mit  seiner  Darstellung  361  der  Rechte  von  Jugendlichen 
in  der  »freien«  Arbeitswelt. 

Der  RIAS  zielte  in  seinem  Selbstverständnis  auf  Hörer  ab,  die  sich  eine 
eigene  Meinung  bilden  wollten  und  Meinungsführer  in  ihrem  jeweiligen  sozia- 
len Umfeld  waren.  Solch  wählerische  und  informationsbewusste  Konsumenten 
wollten  die  RLdS-Programmgestalter  gerade  auch  in  der  DDR  erreichen. 
Dabei  setze  RIAS  auf  eine  mittel-  und  langfristige  Aufweichung  ideologischer 
Positionen. 

Da  das  RIAS-Jugendjoumal  am  Rand  des  Wochenprogramms  lag,  war  die- 
ser Sendeplatz  immer  dann  gefährdet,  wenn  Diskussionen  um  Programmrefor- 
men einsetzten  und  wenn  es  darum  ging,  als  höherwertig  eingestufte  Zielgrup- 
pen anzusprechen.  Um  die  Attraktivität  dieses  Teils  des  Wochenendprogramms 
zu  erhöhen,  schlug  Ruprecht  Kurzrock,  Leiter  des  Schulfunks  und  Redakteur 
der  Funkuniversität,  im  Juli  1964  vor,  doch  einige  der  »interessantesten  Sendun- 
gen der  Woche  am  Sonnabendnachmittag,  vielleicht  zwischen  16.40  und  17.40 
Uhr  auf  RIAS  II« 362  zu  legen.  Kurzrock  meinte  damit  in  erster  Linie  Sendun- 


359  Ebd.,  S.  2. 

360  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  271-621,  Kulturelles 
Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Hans-Günter  Goldbeck-Löwe,  Toningenieur:  Penzel,  Aufnah- 
metag:  7.2.1964,  Bd.  1, 18’55,  Sendung:  Heute  Lehrling  - Morgen  Chef.  DeutschlandradioKultur,  Tonband- 
archiv Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  273-023,  Hans-Günter  Goldbeck-Löwe,  Toningenieur:  Penzel, 
Aufnahmetag:  6.3.1964,  Bd.  I,  19’25,  Sendung:  Heute  Lehrling  - Morgen  Chef,  Jugend  im  Beruf. 

361  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  440-184,  Kulturelles 
Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Hans-Günter  Goldbeck-Löwe,  Toningenieur:  Stiller,  Aufnah- 
metag: 18.7.1964,  Bd.  I,  28’48,  Sendung:  Ideen-Kontroverse-Kritik. 

362  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0075,  Abteilung  Jugend  und  Er- 
ziehung, Kurzrock,  an  Programmdirektor  Kulturelles  Wort,  Kundler,  Betreff.  Vorschläge  für  einen  neuen 
Programm-Rahmen,  Berlin  23.7.1964,  S.  1-3,  S.  3. 


I53 


gen  des  Bildungs-  und  Schulfunks,  die  in  seine  redaktionelle  Verantwortung  fie- 
len, und  explizit  nicht  die  Jugendprogramme. 

Im  November  1966  fanden  die  Jugendprogramme  in  ÄLdS-Intendant 
Roland  Müllerburg  einen  Fürsprecher.  Er  war  überzeugt,  dass  sich  »Spezialre- 
dakteur-Livesendungen« besonders  für  die  Morgen-  und  Nachmittagszeiten 
am  Wochenende  eigneten363,  womit  er  die  Sendungen  des  Jugend-,  Frauen- 
und  Sportfunks  meinte.  Allerdings  sahen  Intendant  Müllerburg  und  Pro- 
grammdirektor Herbert  Kundler  zu  diesem  Zeitpunkt  keine  Notwendigkeit, 
die  Präsenz  des  RLdS-Jugendprogramms  in  der  Woche  zu  erhöhen.  Und  das, 
obwohl  die  RLdS-Jugendredaktion  bereits  ein  Jahr  zuvor  das  gegnerische  Pro- 
gramm eingehend  analysiert  und  für  durchaus  attraktiv  befunden  hatte.364  Für 
den  RLdS-Jugendfunk  war  Jugendstudio  DT  64,  das  seit  dem  Deutschlandtreffen 
1964  in  der  DDR  vom  (Ost -)Berliner  Rundfunk  ausgestrahlt  wurde,  der  Bezugs- 
punkt, um  den  Ausbau  dieses  Programmsegments  innerhalb  des  RIAS  anzustre- 
ben. Immerhin  hatte  der  Treffpunkt  1 6/40,  so  hieß  das  Jugendjoumal  des  RIAS 
inzwischen,  ein  halbes  Jahr  nach  der  Anfertigung  einer  DT  64-Programmun- 
tersuchung  (November  1965)  einen  festen  wöchentlichen  Sendeplatz  erhalten. 
Der  Jugendfunk  war  gestärkt  worden,  aber  »wichtig«  war  dieser  Bereich  für 
den  RIAS  noch  lange  nicht. 

Bei  den  Ende  1966  beginnenden  Auseinandersetzungen  um  eine  erneute 
RLdS-Programmreform  ging  es  darum,  »die  Minderheit  ans  Radio  zu  bekom- 
men, an  der  wir  interessiert  sind.«365  Diese  Multiplikatoren  wollten,  so  die 
Vorstellung  der  RZ/lS-Macher,  ziemlich  genau  wissen,  »wann  es  sich  und  wo  es 
sich«  lohne,  den  RIAS  einzuschalten.  Wenn  diese  Hörer  immer  auf  Sendungen 
stoßen  würden,  die  ihre  Interessen  nicht  berühren,  dann  gewänne  RIAS  sie 
auch  nicht,  so  die  Argumentation.  Der  RIAS  sollte  auch  nach  der  Programmre- 


363  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0075,  Intendant  Müllerburg,  The- 
sen  und  Vorschläge  zur  Diskussion  einer  neuen  Programmstruktur,  Berlin  24.11.1966,  S.  1-13,  S.  8. 

364  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/0001,  RIAS  Berlin,  Kulturelles 
Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Eckhart  Bethke,  DT  64.  Eine  Untersuchung  des  RIAS -Jugendfunks 
November  1965,  S.  1-7,  S.  1.  Diesen  Aspekt  ausblendend:  Könne:  Hörfunk  im  Kalten  Krieg,  in:  Michael 
Lemke  (Hg.):  Schaufenster,  2006,  S.  385. 

365  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0075,  Dieter  Koch,  Zur  Pro- 
grammreform,  Berlin  19.12.19 66,  S.  1-3,  S.  2. 


J54 


form  ein  »Jedermann-Programm  unterschiedlichen  Anspruchsgrades«366  blei- 
ben, bezog  Programmdirektor  Kundler  Stellung.  Da  der  »nach  Hause  kom- 
mende Hörer  zunächst  Entspannung  bei  Musik«  suche,  müsse  er  genau  diese 
auf  RIAS  II  linden.  Deshalb  blieb  es  dabei,  dass  der  RIAS  von  17.00  bis  18.00 
Uhr  unterhaltende,  leichte  Musik  sendete.367  Der  samstägliche  Treffpunkt 
1 6/40  auf  RIAS  II  störte  dort  das  Wochenprogramm  nicht. 

4.1.2  RIAS-Jugendjoumal  (1962)  und  RIAS -Treffpunkt  16/40  (1966) 

Im  Selbstverständnis  der  Verantwortlichen  im  RIAS  beruhte  die  programmge- 
stalterische Innovation  in  der  Sparte  Jugendfunk  auf  der  eigenen  Liberalität 
und  Flexibilität.  Demzufolge  würden  sich  die  anderen  Rundfunkanstalten  - in 
der  DDR  und  in  der  Bundesrepublik  - mehr  oder  weniger  zügig  an  den  RIAS 
anpassen. 

Die  Treffpunkt-Story  - so  erzählt  sie  jedenfalls  der  langjährige  Redaktions- 
leiter des  Jugendfunks  Richard  Kitschigin  - begann  mit  einer  Doppelmoderati- 
on vor  dem  Mikrofon.  »Im  Herbst  1962  wurde  die  erste  Folge  ausgestrahlt.  75 
Minuten  lang  von  16.00  bis  17.55  Uhr.  Im  Monatsrhythmus  ging  es  weiter.«368 
Die  beiden  Moderatoren  trugen  vorbereitete  Texte  vor  und  versuchten,  Musik, 
Wortbeiträge,  Interviews  und  kleine  Features,  Reportagen  und  Kommentare  zu 
»verkaufen«,  also  auf  unterhaltsame  Art  über  das  Mikrofon  zu  kommunizieren. 
Nur  die  »Liberalität«  der  RWS'-Programmverantwortlichen  ermöglichte  nach 
Kitschigins  Worten  eine  Weiterführung,  trotz  der  verfestigten  ästhetischen 
Vorbehalte  des  Chefs  der  RfHS-Unterhaltungsmusik,  der  diesen  Sound  nicht 
als  Musik  bezeichnen  wollte.  Der  vorwurfsvollen  Frage,  warum  »diese  Musik 
für  Debile  und  Kriminelle  wirklich  über  unseren  Sender  verbreitet  werden« 
müsse,  war  nur  mit  dem  Verweis  auf  die  jungen  Konsumenten  in  der  DDR, 


366  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 301-00-01/0007,  Programmdirektion,  Her- 
bert  Kundler,  Beratung  und  Beschlussfassung  über  eine  neue  Programmstruktur.  (Erweiterte  Fassung  der 
Unterlage  vom  30.12.1966),  Berlin  5.1.1967,  S.  1-13,  S.  5. 

367  Ebd.,  S.  6. 

368  Richard  Kitschigin:  Neun-vier-drei:  Treffpunkt  RIAS  2,  in:  Manfred  Rexin  (Hg.):  Radio-Remi- 
niszenzen. Erinnerungen  an  RIAS  Berlin,  Berlin:  Vistas  2002,  S.  217-226,  S.  222. 


J55 


deren  Bedürfnisse  und  dem  gegnerischen  Programm  entgegenzutreten.-’69  Im 
Herbst  1972  betonte  Kitschigin  anlässlich  des  10jährigen  Jubiläums  der  Sen- 
dung, dass  es  den  Jugendfunkredakteuren  von  Treffpunkt  16/40  gelungen  wäre, 
die  vormals  »gestreuten  Sendezeiten  mit  vorwiegend  inaktueller  >Häppchen- 
kost«<  über  die  Jahre  zu  einer  »Mischung  aus  Berichten,  Interviews  und  Repor- 
tagen« zusammenzuführen  und  sie  mit  einem  hohen  Anteil  an  Musik  zu  verbin- 
den.370 

Zwei  Jahre  später  habe  dann  die  Ost-Berliner  Konkurrenz  begonnen,  so 
Kitschigin,  mit  ihrem  Jugendstudio  DT  64  das  RIAS- Magazin  für  junge  Leute  zu 
kopieren.  Das  vom  RIAS  eingeführte  Modell,  so  die  Selbstbeschreibung,  habe 
1972  »auch  bei  allen  HRD-Anstalten»  seinen  Platz  gefunden.  Beim  RIAS  war 
der  Treffpunkt  nun  ein  aufgepepptes  Magazin-Programm  mit  Pop-Musik.  Eine 
Gleichung,  so  Kitschigin,  die  beim  NDR,  aber  auch  in  beiden  Teilen  Berlins 
aufging.371 

Im  Mai  1966  erhielt  die  Redaktion  einen  wöchentlichen  Sonnabend-Sen- 
deplatz.  Der  Jugendfunk  nach  Noten  behandelte  das  Heranwachsen  von  Kin- 
dern zu  Teenagern,  erklärte  Erziehungsmodelle  und  stellte  Jugendorganisatio- 
nen vor  oder  beleuchtete  »Gammler«  als  jugendkulturelle  Erscheinung  in 
West-  und  Osteuropa.372  Dabei  konstruierte  RIAS  eine  zweigeteilte  DDR- 
Jugend.  Ein  Teil  war  demnach  westlich  orientiert  und  unruhig,  der  andere  Teil 
war  angepasst,  aber  selbst  in  der  FDJ  nicht  aus  Überzeugung,  sondern  wegen 
der  späteren  gesellschaftlichen  Aufstiegschancen.373 

Der  RIAS  wertete  das  Hörersegment  Jugend  ab  dem  April  1967  auf.  Da 


369  Ebd.,  S.  222. 

370  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/001,  [Programmdirektion  Kul- 
turelles  Wort]  Abteilung  Treffpunkt  RIAS  II,  Richard  Kitschigin,  Zehn  Jahre  Jugend-Magazin  mit  Pop 
und  Pep,  Berlin  Herbst  1972,  S.  1-6,  S.  1. 

371  Ebd.,  S.  1.  Siehe  auch:  Hans-Günther  Goldbeck-Löwe:  Rock  over  the  Wall.  Zwischentöne  einer 
Erfolgsgeschichte,  in:  Rexin  (Hg.):  Radio-Reminiszenzen,  2002,  S.  227-244,  S.  234. 

372  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  315-920,  Kulturelles 
Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Schmidt-Rogge/  D.E.  Otto,  Toningenieur:  Gloger,  Aufnahme- 
tag: 25.4. 1966,  Bd.  1, 19’40,  Sendung:  Ein  Kind  wächst  heran,  Von  Lausbuben  und  Teenagern.  [Teil  II]  Auf- 
tragsnummer: 316-556,  Aufnahmetag:  9.5.1966,  Bd.  I,  17’10,[Teil  III]  Auftragsnummer:  318-079,  Aufhah- 
metag:  23.5.1966,  Bd.  I,  18’35. 

373  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  321-438,  Abt.  Kultu- 


I56 


begann  der  Treffpunkt  samstags  bereits  um  16.00  Uhr,  John  Hendriks  Club  18 
war  weiter  nach  vorne  gerückt.  In  der  Expertise  zur  ÄLd^-Programmreform, 
die  Kundler  Anfang  1967  anfertigte,  stand  diese  Möglichkeit  noch  nicht  zu 
Debatte.374  Sie  wurde  dann  aber  umgesetzt,  indem  die  Musiksendung  Musik 
kennt  keine  Grenze  dreißig  Minuten  Sendezeit  verlor  und  Club  18  auf  15.30 
Uhr  vorrückte.  Damit  waren  zusätzliche  vierzig  Minuten  für  den  Treffpunkt 
freigeräumt.  Zwischen  1967  und  1968  experimentierte  die  Jugendredaktion  mit 
verschiedenen  Sendeformaten:  RIAS -Treffpunkt  nahm  Direktübertragungen 
aus  Diskotheken  ins  Programm,  übertrug  Diskussionen  aus  den  Räumlichkei- 
ten des  Berliner  Jugendclub  e.V.  375  oder  baute  sogenannte  Klangcollagen  - 
eine  Art  Hörspiel  aus  Musikstücken,  Rezitationen,  Geräuschen  und  Fiction- 
Storys  - ein.376 

Ab  dem  1.  Oktober  1968  belegte  der  Treffpunkt  für junge  Hörer  die  Zeit  von 
vier  bis  sechs  Uhr  nachmittags,  besaß  damit  nun  täglich  - außer  sonntags  - 
feste  Blockzeiten  auf  RIAS  II  (Mittelwelle  und  UKW).377  Die  Bildungs-  und 
Jugendsendungen  wurden  nunmehr  auf  RIAS  II  gebündelt  und  die  Bekanntheit 
des  Treffpunkt  16/40  benutzt,  um  diese  neue  Verbindung  als  Treffpunkt  an 
jedem  Wochentag  weiterzuführen. 


relles  Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Kurzrock/  Eifler,  Toningenieur:  Dähne  Aufnahmetag: 
11.8.1966,  Gesamt:  74’05,  Bd.  I,  32T2,  II,  32’48,  Sendung:  Treffpunkt  16/40.  Jugendfunk  nach  Noten. 
[Gammler]. 

374  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 301-00-01/0007,  Programmdirektion,  Her- 
bert Kundler,  Beratung  und  Beschlussfassung  über  eine  neue  Programmstruktur.  (Erweiterte  Fassung  der 
Unterlage  vom  30.12.1966),  Berlin  5.1.1967,  S.  1-13,  S.  9. 

375  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  351-059,  Kulturelles 
Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Goldbeck/  Kitschigin,  Toningenieur:  Löwe,  Aufnahmetag: 

8.3.1968,  Bd.  I,  24’51,  Sendung:  Auftragsnummer:  351-097,  Autor:  Kitschigin,  Toningenieur:  Löwe, 

13.3.1968,  Bd.  I,  22’28,  Sendung:  RIAS-Abend  für  Junge  Hörer.  (3.  Diskussion:  »Dachluke«),  Auftrags- 
nummer: 351-102,  Kulturelles  Wort,  Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Autor:  Kitschigin/  Goldbeck,  Toninge- 
nieur: Löwe,  14.3.1968,  Bd.  I,  21’40,  Sendung:  RIAS-Abend  für  Junge  Hörer.  (2.  Diskussion  »Prisma« 
(Berliner  Jugendclub  e.V.). 

376  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  366-682,  Autor:  Jürgen 
»Barry  Graves«  Deutschmann,  Toningenieur:  Opitz,  Aufnahmetag:  8.3.1968,  Zeit  gesamt:  54T5,  Bd.  I, 
1 1’45,  Bd.  II.  42’30,  RIAS-Abend  für  Junge  Hörer.  Zero  Cool. 

377  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 404-00-00/0023,  Programmdirektion  Kul- 
turelles Wort,  Herbert  Kundler,  [an  Programmdirektion  Bayerischer  Rundfunk,  Bogner],  Jugendpro- 
gramm im  RIAS,  Berlin  19.5.1969,  S.  1-2,  S.  1. 


I57 


Im  Mai  1969  tauschten  sich  die  Programmdirektoren  der  HRD-Anstalten 
darüber  aus,  welche  Programmformate  die  einzelnen  Anstalten  für  die  Ziel- 
gruppe der  Zwanzigjährigen  anboten.378  Die  Landessender  stellten  ihre  Über- 
legungen vor,  wie  sie  künftig  junge  Hörer  über  Servicewellen  ansprechen  woll- 
ten. Der  RIAS  gab  folgende  Selbstbeschreibung:  Nach  dem  Bildungsprogramm 
und  den  Nachrichten  schließt  »ein  von  jugendlichen  Disk-Jockeys  moderierter 
Programmblock  mit  Beatmusik,  Soul,  Underground-Musik,  Folklore,  Chan- 
sons, deutschen  Schlagern  und  informativen  und  unterhaltsamen  Wortbeiträ- 
gen an.«  Die  Rubriken  heißen  Jugend  im  Beruf,  Hochschulnotizen,  Boutique,  Die 
aktuelle  Diskussion,  PS-Apotheke,  Schlagerenglisch.  Aber  auch  verschiedene  andere 
Sendungen  würden  auf  jugendliches  Interesse  stoßen,  schrieb  RIAS- Pro- 
grammdirektor Kundler  stolz  in  einem  Brief  an  seinen  Programmdirektor-Kol- 
legen vom  Bayerischen  Rundfunk  in  München.379  Unregelmäßig  würden  »Pro- 
gressive Rock  (Musik  und  Texte)«  und  »Songs  und  Chansons«  auf  beiden 
RZ/fS-Wellen  laufen,  führte  er  aus,  außerdem  »Experimente  mit  Literatur  und 
Hörspiel«.  Kundler  betonte,  dass  sich  auch  jüngere  Hörer  für  Sendungen  des 
Hauptprogramms  interessieren  und  nicht  unbedingt  nur  auf  einer  »eigenen 
Welle«  ansprechbar  sein  würden.780  Wesentliche  Erweiterungen  des  Jugend- 
programms seien  beim  RIAS  künftig  nicht  vorgesehen,  jedoch  bestehe  im  RIAS 
die  Ansicht,  dass  die  Wort-Unterhaltung  ungezwungenere,  »jüngere«  Pro- 
grammstile durchaus  einzuarbeiten  habe.381 

Erst  ein  halbes  Jahr  zuvor  hatte  RIAS  den  Jugendfunk  mit  Start  des  Win- 
terprogrammes 1968  endgültig  in  das  Nachmittagsprogramm  gerückt.  Diese 


378  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 404-00-00/0023,  Bayerischer  Rundfunk,  Pro- 
grammdirektion  Hörfunk,  Protokollnotiz  über  die  Sondersitzung  der  Programmdirektoren  Hörfunk  am 
9.5.1969,  Tagesordnung:  Programm  für  20jährige,  München  14.5.1969,  S.  1-3. 

379  Schlager  der  Woche  (Hit-Parade),  montags  RIAS  I,  20.00-21.00,  mittwochs  23.35-0.30  Uhr,  frei- 
tags RIAS  II  20.00-21.00  Uhr.  Die  Schlager-Kassette  (aus  deutscher  Produktion),  dienstags  RIAS  II  23.00- 
0.00  Uhr,  sonntags  RIAS  1 16.40-17.30  Uhr.  Evergreens  a gogo  sonnabends  RIAS  ////,  9.00-10.30  Uhr.  Club 
18  »Jazz  für  Alle«,  sonnabends  RIAS  II , 15.30-16.00  Uhr.  Pop-Testival  (Pop-Musik- Quiz,)  freitags  RIAS  II 
21.00-21.30  Uhr,  mittwochs  RIAS  II  17.00-17.30  Uhr  (im  Treffpunkt ).380  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hör- 
funk, Bestand  RIAS,  F 404-00-00/0023,  Kundler  an  Bogner,  19.5.  1969,  S.  2. 

381  Erst  die  i^L4S'-Programmreform  1985  erfasste  die  Sparte  Jugendfunk  erneut.  RIAS  II  wurde  dann 
zum  formatierten  Radioprogramm,  vergleichbar  mit  einem  Privatsender.  Siehe:  Larkey:  Rotes  Rockradio, 
2007,  S.  220-282. 


i58 


Verschiebung  war  innerhalb  einer  langwierigen  Auseinandersetzung  um  eine 
aufgeschobene  Programmreform  erfolgt.  Gemäß  FFIS'-Selbstverständnis  war 
diese  Phase  von  der  Bereitschaft  geprägt,  programmgestalterische  Innovatio- 
nen zuzulassen.  Zu  diesem  Zeitpunkt  hatten  aber  bereits  der  Berliner  Rundfunk 
seit  Juni  1964  und  selbst  der  SFB  seit  März  1967  Erfahrungen  mit  einem  tägli- 
chen Jugendprogramm  gemacht.  Dem  RIAS  hingegen  fehlte  bis  dahin  noch 
dieses  Glied  in  der  Kette  seiner  Programmveränderungen.  Die  RIAS- Pro- 
grammverantwortlichen ließen  sich  von  der  SFF-Jugendredaktion  beraten.  Das 
behauptet  zumindest  Susanne  Fijal,382  damals  SFF-Redaktionsleiterin  Jugend 
und  Familie,  in  ihrer  Darstellung  der  Treffpunkt-Geschichte. 

Die  Außenkommunikation  des  RIAS  als  Motor  der  Hörfunkprogramment- 
wicklung in  der  Bundesrepublik  nahm  für  sich  selbst  in  Anspruch,  innovativ 
und  experimentierfreudig  zu  sein,  woran  sich  alle  anderen  ein  Beispiel  zu  neh- 
men hätten.  Das  muss  ebenso  in  Zweifel  gezogen  werden  wie  das  Narrativ  des 
»liberalen«  RIAS,  wie  es  die  Historisierung  des  Wilmersdorfer  Senders  fort- 
schreibt, da  Intendanz  und  Programmdirektion  nur  zögerlich  neue  Elemente 
der  Programmgestaltung  aufnahmen. 

4.1.3  Der  RIAS-Treffpunkt  in  der  Wahrnehmung  der  politischen 
Entscheidungsträger 

Die  zahlreichen  Glückwunsch-Schreiben,  die  der  FLdS-Jugendfunk  anlässlich 
seiner  1000.  Sendung  (1971)  von  politischen  Entscheidungsträgern  und  jugend- 
politischen Institutionen  in  Berlin  erhielt,  verdeutlichen  die  verschiedenen  Er- 
wartungshaltungen an  das  Programm.  Darin  bilden  sich  die  Mentalitäten  des 
Cold  War  Berlin  ab. 

In  den  Briefen  finden  sich  grundsätzliche  Positionierungen  zu  den  The- 
menfeldern Berlin,  westliche  Freiheit,  östliche  Propaganda,  totalitäre  Erzie- 
hung und  demokratische  Kritikfähigkeit.  Positiv  hervorgehoben  wurde  in  einer 


382  Zeitzeugeninterview  Susanne  Fijal,  Redaktionsleiterin  Jugend  und  Familie,  SFB,  1962-1980, 
Bispingen  15.12.2006. 


159 


Vielzahl  der  Schreiben,  dass  der  Treffpunkt  junge  Hörer  in  der  DDR  an- 
sprach.38’ Die  RLdS-Redakteure  und  Mitarbeiter  würden  es  verstehen,  ließ  die 
Senatskanzlei  im  Namen  des  Regierenden  Bürgermeisters  Klaus  Schütz  über- 
mitteln, »den  richtigen  Ton  in  Wort  und  in  Musik  zu  treffen.«  Schütz  bräuchte 
zwar  »manchmal  auch  für  die  junge  Sprache  von  heute  einen  Dolmetscher«, 
doch  er  wisse,  »dass  die  Jugend  diese  Sendung  >in<  findet  oder  >dufte<.«384 

Ilse  Reichel,  die  West-Berliner  Jugendsenatorin,  freute  sich,  dass  der 
Jugendfunk  von  bescheidenen  Anfängen  herkommend,  nun  beinahe  zum 
»Sende-Establishment«  gehöre.  Die  Moderatoren  Richard  (Kitschigin), 
>DEO<  (Detlev  Erich  Otto),  >Nero<  (Brandenburg),  >Gregor<  (Rottschalk), 
>Kai<  (Bloemer)  und  >Löwe<  (Hans-Günter  Goldbeck-Löwe)  sollten,  wünschte 
sich  die  Jugendsenatorin,  auch  weiterhin  »wichtige  Informationen  zusammen- 
stellen und  mit  dazu  beitragen,  dass  junge  Leute  ein  kritisches  Bewusstsein 
erlangen.  «385 

Der  Treffpunkt,  lobte  Justizsenator  Horst  Korber,  sei  die  »erste 
Magazinsendung  für  junge  Leute«,  die  seit  1962  den  jugendlichen  Hörer  in 
ganz  Deutschland  ansprechen  würde.  Der  Justizsenator  drückte  seine  Hoff- 
nung aus,  dass  es  dem  RIAS-Treffpunkt  gelingen  möge,  »die  Bande  zwischen 
Ost  und  West  aufrecht  zu  erhalten  und  die  Mauer  zu  überwinden.«  Für  den 
West-Berliner  Arbeits-  und  Sozialsenator  Harry  Liehr  war  die  Jugendsendung 
ein  »Sprachrohr«,  um  junge  Arbeitnehmer  besser  über  Berufsaus-  und  Fortbil- 
dung aufzuklären  und  dadurch  zu  beweisen,  dass  das  »Arbeiten  in  Berlin  in 
jeder  Hinsicht  Spaß«386  mache. 

Für  das  »parteipolitische«  Berlin  war  der  RIAS-Treffpunkt  ein  Programm, 
das  die  oft  beschworene  Brücke  nach  Ostberlin  und  in  die  DDR  schlug.  R1AS- 


383  Rund  40  000  Zuschriften,  »davon  über  12.000  aus  der  DDR  und  Ostberlin«,  trafen  seit  Sendebe- 
ginn 1968  in  der  Kufsteiner  Straße  ein.  (Vgl.  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 502- 
03-00/0074,  Abt.  Presse  und  Information,  Glückwünsche  zur  1000.  Sendung  des  RIAS-»Treffpunkts«  am 
19.Mai  1971,  Berlin  Mai  1971,  S.  1-12,  S.  1).  Im  Herbst  1972  erwähnte  Kitschigin,  dass  der  »RIAS-Treff- 
punkt« seit  Oktober  1968:  51766  Hörerbriefe  aus  West-Berlin  und  der  Bundesrepublik,  15509  aus  Ost- 
Berlin  und  der  DDR  und  972  Hörerbriefe  aus  dem  westlichen  und  östlichen  Ausland  erhalten  habe.  (Vgl. 
DRA,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/001,  Kitschigin,  Zehn  Jahre  Jugend-Magazin  mit  Pop  und  Pep,  1972, 
S.5). 


Treffpunkt  erzeugte  in  dieser  Sichtweise  ausdrücklich  keine  Propaganda,  son- 
dern stellte  »objektive«  Information  für  die  DDR-Jugend  bereit.  Den  linken 
Jugendverbänden  in  Westberlin  hingegen  war  der  Treffpunkt  nicht  progressiv 
genug.  Allerdings  wäre  ein  kapitalismuskritisches  Jugendprogramm,  wie  es 
ihnen  vorgeschwebte,  im  RIAS  auch  beim  Übergang  in  die  1970er  Jahre 
schwerlich  gegen  die  Verzögerungmechanismen  im  Sender  durchzusetzen 
gewesen.  Für  die  Redaktion  war  die  Bezugnahme  auf  das  DDR-Programm  das 
entscheidende  Werkzeug,  die  eigene  Wertigkeit  zu  bekräftigen. 

4.2  SED-Jugendpolitik  und  die  Interessen  der  FDJ  im  sozialistischen  Jugendfunk 
vor  1964 

In  wiederkehrenden  Initiativen  forderte  die  FDJ  eine  deutlichere  Berücksichti- 
gung ihrer  Positionen  und  Kampagnen  im  Jugendfunk  und  verlangte,  dass  das 
staatliche  Radio,  insbesondere  der  Jugendfunk  des  Berliner  Rundfunks,  die  me- 
diale Außenkommunikation  der  Massenorganisation  verbessere.  Zeitungen, 
Zeitschriften  und  Magazine  für  Pioniere,  Heranwachsende  und  junge  Erwach- 
sene brachte  die  FDJ  selbst  heraus387,  bei  Hörfunk  und  Fernsehen  war  das 
Staatliche  Rundfunkkomittee  (SRK)  dazwischen  geschaltet.  Der  FDJ-Zentral- 
rat  entwickelte  diesbezüglich  keine  konsequente  Medienpolitik,  obwohl  er  sich 
wiederholt  darum  bemühte.388  Die  Jugendpolitik  der  SED  unterstützte  die 
Forderungen  der  FDJ  zwar,  die  Gesamtausrichtung  der  Rundfunksender  war 
aber  in  konkreten  Entscheidungssituationen  jeweils  wichtiger. 


387  Siehe  dazu  ausführlich:  Bauhaus:  Jugendpresse,  1994,  S.  16-126. 

388  BArch  B,  DR  6/283  unpag.,  [Büro  Stellvertreter  des  Vorsitzender  des  SRK]  Berliner  Rundfunk, 
Redaktionsleiter  Jugendfunk,  Alfred  Fleischhacker,  Betr.:  Gedanken  zu  einigen  Hauptaufgaben  der  FDJ 
und  auch  des  Jugendfunks  in  den  nächsten  Wochen  und  Monaten,  Berlin  27.12.1957,  S.  1-3.  BArch  B,  DR 
6/470  unpag-,  Horst  Schumann,  Erster  Sekretär  des  Zentralrates  der  FDJ,  Beratung  des  Sekretariats  des 
Zentralrates  am  23.8.1960  über  die  Aufgaben  des  Jugendfunks  von  Radio  DDR  bei  der  sozialistischen 
Erziehung  der  Jugend,  Berlin  13.9.1960,  S.  1-2.  [Die  Genossen  Manfred  Klein  (Chefredaktion  Radio 
DDR),  Günter  Seidel  (Jugendfunk  Radio  DDR),  Sergio  Günther  (Deutschlandsender)  und  Siegmar  Krau- 
se (Berliner  Rundfunk)  nahmen  als  Vertreter  des  Rundfunks  an  der  Sitzung  teil]  BArch  B,  DR  6/602 
unpag.,  [Schriftverkehr  im  Haus,  Berliner  Rundfunk  1961-1966]  Berliner  Rundfunk  Intendanz,  (an  Sekre- 
tariat des  Komitees)  Protokoll  der  Kollegiumssitzung  vom  25.4.1963,  Tagesordnung:  Jugendfragen,  Abhö- 
ren einer  Sendung  des  Jugendstudios  Berlin,  Thema  »Ehrlichkeit  beim  Lernen«,  Berlin  25.4.1963,  S.  1-5. 


iöi 


Auch  die  Jugendkommission  des  Politbüros  bemängelte  immer  wieder  die 
ihrer  Ansicht  nach  ungenügende  erzieherische  Wirkung  der  Jugendsendungen. 
Allerdings  brachten  die  in  der  Jugendkommission  geführten  Diskussionen  auch 
Ideen  hervor,  die  dann  vom  SRK  eingearbeitet  und  modifiziert  wurden.  Im  Juni 
1960  hatte  der  Vertreter  des  FDJ -Zentralrates  in  der  Jugendkommission,  Heinz 
Kimmei,  einen  DDR-Jugendsender  gefordert.  Dieser  sollte  sich  Radio  Luxem- 
burg zum  Vorbild  nehmen,  um  die  sozialistische  Erziehung  auch  an  jene  Hörer- 
kreise heranzutragen,  die  ansonsten  nicht  vom  DDR-Rundfunk  erreicht  wur- 
den.389 Das  SRK  beschloss  im  Herbst  1960,  sich  mit  Erziehungsfragen  der 
Jugend  durch  den  Rundfunk  zu  beschäftigen  und  lud  den  Jugendverband  dazu 
ein.390  Zusammen  mit  Reginald  Grimmer  und  Ingrid  Schmidt  von  der  ZK- 
Abteilung  Agitation  und  Propaganda  steckte  das  SRK  dann  den  jugendpoliti- 
schen Kurs  des  Rundfunks  ab. 

4.2.1  Jugendfunk  in  Ostberlin  im  Jahre  1961.  Atze,  Bürschte,  Fröhlich  vor  Fünf 
und  Frolic  at  Five 

Im  Winterprogramm  1960/  61  kam  der  Jugendfunk  Berlin  montags  von  17.30 
bis  18.30  Uhr.391  Die  einstündigen  Sendungen  hießen  Kituz  und  quer,  Is  det 
ivat?  Mit  Bürschte  an  der  Ecke  xm&  Jugendstudio  des  radio-clubs  Berlin.  Die  Sendun- 
gen wechselten  wöchentlich.  Is  det  ivat?  Mit  Bürschte  an  der  Ecke  klang  1960  so: 
»Wir  sind  Atze  und  Bürschte,  Künstlerfotos  gibt’s  von  uns  nicht  und  Auto- 
gramme schreiben  wir  nur  auf  frankierte  Blanko-Postkarten  oder  auf  die  grün- 
weiß gestreiften  Hüllen  der  Pfefferminz-Lutscher  Marke  >Pfeffi<  naturrein.«392 
Atze  war  »wie  ein  olympiaverdächtiger  Waidmann  ständig  auf  der  Jagd  [...],  um 


389  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/2.111/6  foliert,  Stenografische  Niederschrift  der  Beratung  der 
Jugendkommission  des  Politbüros  des  ZK  im  Hause  des  ZK,  am  Mittwoch  dem  29.  6.1960,  Bl.  1-53,  Bl.  13. 

390  BArch  B,  DR  6/470  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Beschlussprotokoll  (BP)  Nr.  33/60  der 
Komiteesitzung  am  20.9.1960,  S.  1-  3.  TOP  5:  Schreiben  des  Zentralrates  der  FDJ  vom  13.9.  zur  Arbeit 
der  Jugendredaktionen. 

391  BArch  B,  DR  6/470  unpag.,  Berliner  Rundfunk,  Sendeleitung,  Winterprogramm  Berliner  Rund- 
fünk  1960/61,  KV  99b/60,  Berlin  2.9.1960,  S.  1-15,  S.  7. 

392  BArch  B,  DR  6/282  unpag.,  [Schriftwechsel  Stellvertretender  Vorsitzender  des  SRK  mit  Berliner 
Rundfunk]  Berliner  Rundfunk,  Jugendredaktion,  »Is  det  wat?«  - Mit  Bürschte  an  der  Ecke?,  (o.D)  (ca.  Juni 
1960),  S.  1-2,  S.  1. 


IÖ2 


seine  Reportagen  in  den  Kasten  zu  kriegen,  die  wir  gewöhnlich  mit  dem  klassi- 
schen Satz  »Det  is  wat«  bezeichnen.«  Atze  erklärte,  wie  Rundfunkwellen  funk- 
tionierten oder  unterstützte  »’ne  Gruppe  Lederjacken,  die  sich  irgendwo  ’nen 
Laden  ausbauen,«  um  dann  gleich  wieder  »irgendein  duftes  Industrieobjekt 
unserer  Republik  unter  die  akustische  Lupe  zu  nehmen.  «393 

Atze,  der  Reporter, 

fühlte  sich  in  der  Pilotenkanzel  der  neuen  Iljuschin  IL  18,  also  überall  dort  zu 
Hause,  wo  die  DDR  »mächtig  im  Kommen«  war.  Mit  diesen  gezügelten 
jugendsprachlichen  Wendungen  stellten  Atze  und  Bürschte  sozialistische  Erfol- 
ge jenseits  der  im  DDR-Rundfunk  üblichen  Sprechrituale  dar.  Diese  beiden 
Figuren  kommunizierten  die  Errungenschaften  des  sozialistischen  Aufbaus  und 
die  Initiativen  der  FDJ  ebenso  wie  dies  andernorts  im  sozialistischen  Staats- 
rundfunk üblich  war,  aber  sie  ersetzten  die  sonst  übliche  langatmige  Verlautba- 
rungsrhetorik durch  schnodderige  Schnelligkeit. 

Im  November  1961  belegte  die  Jugendredaktion  montags,  mittwochs  und 
freitags  einen  Sendeplatz  zwischen  16.00  und  18.30  Uhr.  Die  Jugendsendungen 
wurden  aber  jeweils  von  einem  zehnminütigen  Wortblock  mit  Themen  aus  der 
Nachrichten-  und  Außenpolitik  gegen  halb  fünf  und  fünfminütigen  Nachrich- 
ten gegen  17.30  Uhr  unterbrochen.  Diese  Unterbrechungen  und  andere  Wort- 
Bestandteile 394  machten  55  Minuten  von  zweieinhalb  Stunden  Sendezeit  aus. 


393  Ebd.  S.  2. 

394  BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Krause  an  Pfister  vom  28.11.1961,  Anhang  I Sendeschema:  Montags: 
Winterprogramm  (Anlage  fertiggestellt  17.10.  1961)  Verantwortlich:  Krause/Jatzlau 

16.00- 16.10  Uhr  Vorspann  und  Musik 

16.10- 16.15  Uhr  Ein  Dokument  (Neumann  / U.  Krause)  5-6’ 

16.15-16.30  Uhr  Musik  (dazwischen  Aktuelles,  ca.  3’  jeweils) 

16.30- 16.40  Uhr  Nachrichten  und  Außenpolitik 

16.40- 17.00  Uhr  Fröhlich  vor  Fünf,  Heiße  Sachen  zum  Mitschneiden  (Musikredakteur)  20’ 

17.00- 17.10  Uhr  operative  Sendereihe  aus  dem  Leben  der  FDJ  (Neumann)  10’ 

17.10- 17.20  Uhr  Musik 

17.20- 17.25  Uhr  (Elektronen-Roboter ) >Alpha<  weiß  alles  (Neumann  / Blankenhorn)  3’ 
17.25-17.30  Uhr  Musik 

17.30- 17.35  Uhr  Nachrichten 
17.35-17.40  Uhr  Musik 

17.40- 18.00  Uhr  Die  Funkfahrschule  (Auerbach)  20’ 

18.00- 18.20  Uhr  Neues  aus  der  VEB  Deutsche  Schallplatte  (Neumann  / Rabow)  20’ 

18.20- 18.30  Uhr  Musik  (dazwischen  Aktuelles) 


Montags  hatte  der  Berliner  Jugendfunk  einen  Musikanteil  von  63  Prozent , ins- 
gesamt rund  anderthalb  Stunden.  Der  fiepende  und  verzerrt  sprechende  »Elek- 
tronen-Roboter  Alpha«  übermittelte  »Nachrichten  aus  der  Sowjetunion  und 
dem  sozialistischen  Lager.  «395 

Die  Funkfahrschule  wandte  sich  an  »motorisierte 
Jugendliche«,  »heiße«  Musik  verband  die  einzelnen  Wortblöcke.  Während 
kurzer  Nachrichten  lief  im  Hintergrund  die  Musik  weiter.  Die  Informationen 
wurden  »über  Musik  gesprochen«,  »um  das  Tempo  der  Sendung  zu  erhö- 
hen. «396 

Mit  dieser  Masche  kopierte  der  Jugendfunk  aus  Ostberlin  Radio-DJs 
des  AFN,  die  behäbige  und  »sachliche«  Westberliner  Konkurrenz  konnte  kein 
Vorbild  sein. 

Fröhlich  vor  Fünf  stand  für  einen  Musikblock,  der  »Non-Stop  zum  Mit- 
schneiden gedacht«  war.  Von  16.40  bis  17.00  Uhr  lagen  »heiße«  Sachen  auf  der 
Bandmaschine.  Der  Titel  der  Sendung  verwies  auf  Sergeant  George  Hudaks 
Frolic  at  Five 397,  das  zwischen  fünf  und  sechs  Uhr  über  AFN  Berlin  lief:  Eröff- 
net durch  den  lässig-schnellen  Titel  »9:20  Special«,  gespielt  vom  Harry  James 
Orchestra398  mit  abgedämpftem  Trompeteneinsatz,  setzte  Hudak  eine  ameri- 
kanische Klangmarke  in  den  Berliner  Nachmittagen.  Die  zwanzig  Minuten 
Musik  zum  Mitschneiden  im  Berliner  Rundfunk  wurden  direkt  vor  der  AFN- 
Show  gesendet,  da  man  sich  auch  beim  DDR-Rundfunk  keinen  Illusionen  hin- 
gab, woher  Jugendliche  Musik  bezogen.  Mittwochs  bestimmte  im  Ostberliner 
Jugendradio  der  Funkknigge  die  Grenzen  des  guten  sozialistischen  Verhaltens: 
Die  NVA  wurde  als  hochspannender  Ort  für  technikbegeisterte  und  bildungs- 
willige junge  Sozialisten  inszeniert.399  Freitags  setzte  man  mit  Frage  und  Ant- 


395  BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Jugendredaktion  des  BR,  Siegmar  Krause,  an  die  persönliche  Referen- 
tin  des  Vorsitzenden  (Hermann  Ley),  Kollegin  Pfister,  Einige  Erläuterungen  zum  Programm  der  Jugendre- 
daktion des  Berliner  Rundfunks,  Berlin  28.11.1961,  S.  1-2,  S.  1. 

396  BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Jugendredaktion  des  BR,  Erläuterungen  zum  Programm  28.1 1.1961,  S.  1. 

397  Joseph  Hoppe:  AFN  Berlin.  »Frolic  at  Five«  - Mehr  als  ein  Soldatensender,  in:  Tamara  Domentat: 
Coca-Cola,  Jazz  und  AFN.  Berlin  und  die  Amerikaner.  Berlin:  Schwarzkopf  & Schwarzkopf  1995,  S.  118- 
127.  Siehe  URL:  http://www.gavagai.de/musik/HHM64.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

398  Earl  Warren,  9.20  Special,  URL:  http://jazzvinyl.podomatic.com/enclosure/2006-10-17T06_08_ 
09-07_00.mp3  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Jugendredaktion  des  BR,  Schema  der  Mittwoch-Sendung  im  Winter- 
programm 1961,  verantwortlich  Gretel  Ortner,  Berlin  16.10.1961,  S.  1. 


164 


wort  im  radio-club  berlin  auf  die  Verbindung  mit  den  Hörern.  Auch  am  Freitag 
bot  der  Jugendfunk  Berlin  zudem  einen  musikalischen  Selbstbedienungsladen400 
an,  um  der  AFN- Konkurrenz  Paroli  zu  bieten.  An  diesem  Tag  ließ  man  die  Sen- 
dung aber  mutig  direkt  gegen  Frolic  at  Five  laufen. 

Die  Jugendfunkredaktion  des  Berliner  Rundfunks  benannte  1962  ihr  Pro- 
gramm in  Jugendstudio  Berlin  um.  Sie  verwies  damit  auf  das  im  Zentralen  Klub 
der  Jugend  und  Sportler  in  der  Stalinallee  1960  eingerichtete  Jugendstudio  des 
radio-club  Berlin  401,  ein  Leuchtturmprojekt  der  FDJ. 

4.2.2  Die  Melodie  des  Jugendkommuniques  »Hausherren  von  Morgen« 

Die  inhaltliche  Neupositionierung  der  Jugendredaktionen  des  Deutschlandsen- 
ders, von  Radio  DDR  I und  des  Berliner  Rundfunks  innerhalb  der  jugendpoliti- 
schen  Schwenkphase  von  Juli  bis  September  1963  beurteilte  das  SRK  zunächst 
als  zu  oberflächlich.402  Reginald  Grimmer,  inzwischen  von  der  ZK-Abteilung 
Agitation  in  die  Position  des  stellvertretenden  Komiteevorsitzenden  gewech- 
selt, verlangte  von  den  Intendanten,  dass  »die  neue  Melodie  des  Kommuni- 
ques« alle  Sendungen  des  Rundfunks  durchdringen  müsse.  Es  gehe  darum  »mit 
der  Jugend  klar  und  offen  über  alle  Fragen  zu  sprechen,  ihre  Ideale  zum  Aus- 
gangspunkt zu  nehmen  und  sie  zu  lenken.«403  So  verlangte  es  die  Sprachrege- 
lung der  Agitationskommission.  Die  Jugend  müsse  sich  ihrer  Aufgaben  und 
Verantwortungen  als  Mitgestalter  der  neuen  sozialistischen  Gesellschaft  be- 
wusst werden.  Rundfunk,  insbesondere  der  Jugendfunk  und  Fernsehen,  hätten 
neben  Schule  und  Berufsausbildung  den  Jugendlichen  das  ideologische  und 
erzieherische  Rüstzeug  bereitzustellen,  damit  die  jungen  Bürger  ihren  jeweili- 


400  BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Jugendredaktion  des  BR,  Schema  der  Freitags-Sendung  im  Winter- 
programm  1961,  Berlin  16.10.1961,  S.  1. 

401  BArch  B,  DR  6/483  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Otto  Langer,  BP  Nr.  45/62  der  Komiteesitzung 
vom  4.12.1962,  S.  1-8.  Tagesordnungspunkt  III.  Programmschemata  der  Sender  - Vorlagen  139/62,  Sendelei- 
tung Berliner  Rundfunk,  Betr.:  Programmschema  ab  3.  Februar  1963,  Berlin  30.11.1962,  S.  1-13,  S.  3. 

402  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staadiches  Rundfunkkomitee,  BP  Nr.  28/63,  27.8. 
1963,  TOP  I,  S.2. 

403  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staadiches  Rundfunkkomitee,  BP  Nr.  3 1/63, 24.9.1963, 


gen  Platz  in  der  sozialistischen  Gesellschaft  erkennen  und  einnehmen  wür- 
den.404 Die  Jugendkommission  des  Politbüros  empfahl  der  Agitationskommis- 
sion, »unmittelbar  Maßnahmen  zu  ergreifen,  damit  die  Presse,  Funk  und  Fern- 
sehen die  echten  Probleme  des  Jugendkommuniques«  bewerbe  und  dessen 
Inhalte  einheitlich  verbreite.40"’  Die  Massenmedien  hätten  verstärkt  »die  Akti- 
vität der  Jugendlichen  und  die  ideologischen  Auseinandersetzungen«406  her- 
vorzuheben, die  die  Jugendlichen  um  den  sozialistischen  Aufbau  führen  müss- 
ten. Ferner  habe  der  Jugendfunk  an  positiven  Beispielen  darzustellen,  wie  und 
mit  welchen  Methoden  die  Partei  den  Jugendlichen  helfe,  indem  sie  in 
bestimmten  Politikfeldern  - wie  Berufswahl,  Schule  und  Freizeitgestaltung  - 
»eine  für  die  Jugendlichen  spürbare  Veränderung«  erreiche.  Die  Eckpunkte  des 
Kommuniques  sollten  immer  wieder  verdeutlicht  werden.  Dabei  wurde  betont, 
dass  »geduldige  und  qualißzierte  Führungsarbeit  zur  Sache  aller«407  werden 
müsse. 

Erst  zu  diesem  Zeitpunkt  - im  Vorfeld  des  Deutschlandtreffens  1964  - 
wurden  die  programmgestalterischen  Veränderungen,  die  die  Jugendredaktio- 
nen zuvor  schrittweise  eingeführt  hatten,  als  positive  und  notwendige  Verbesse- 
rungen akzeptiert.  Einen  Sinneswandel,  der  zu  einer  Förderung  von  Jugend- 
programmen geführt  hätte,  bedeutete  dies  allerdings  nicht.  Hätte  das  SRK  die 
FDJ,  die  stets  versuchte,  mehr  Einfluss  auf  die  Jugendredaktionen  zu  erlangen, 
gewähren  lassen,  hätte  dies  womöglich  zu  einer  (obschon  in  sich  fragilen)  Stär- 
kung der  Formate  geführt.  Da  das  aber  nicht  erwünscht  war,  legte  das  SRK 
sowohl  der  FDJ  als  auch  den  Jugendredaktionen  selbst  Steine  in  den  Weg. 


404  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  BP  Nr.  33/63,  8.10.1963, 
TOPI,  S.  7. 

405  SAPMO-BArch  B,  DY  30,  IV  2/2.1 1 1/1 1 foliert,  Jugendkommission  des  Politbüros,  Protokoll  Nr. 
1/63  der  Sitzung  der  Jugendkommission  beim  Politbüro,  Dienstag,  29.10.1963,  Bl.  1-2,  Bl.  1. 

406  SAPMO-BArch  B,  DY  30,  IV  A 2/9.01/27  unpag.,  Agitationskommission  und  Abt.  Jugend,  Vorla- 
ge für  die  Ideologische  Kommission,  Betr.:  Vorschläge  zur  Weiterführung  der  öffentlichen  Diskussion  über 
Probleme  des  Jugendkommuniques  durch  Presse,  Funk  und  Fernsehen  in  Vorbereitung  des  Deutschland- 
treffens der  Jugend,  Berlin  28.1.1964,  S.  1-10,  S.  2. 

407  Ebd.,  S.  3. 


1 66 


4.3  Sozialistischer  Staatsrundfunk  und  Jugendstudio  DT  64 


Das  Deutschlandtreffen  der  Jugend,  das  vom  16.  bis  18.  Mai  1964  als  sozialisti- 
sches Happening  über  verschiedene  Ostberliner  Bühnen  ging,  war  ein  visuelles, 
auditives  und  körperliches  Ereignis.  Zwischen  Karl-Marx-Allee,  Unter  den 
Linden,  Friedrichstraße  und  Freilichtbühnen  in  den  Stadtbezirken  gaben  junge 
Frauen  und  Männer  dem  Jugendkommunique  »Hausherren  von  morgen.  Der 
Jugend  Vertrauen  und  Verantwortung«  mit  Klängen  und  Gesten  ein  Gesicht. 
Sie  schufen  Straßenszenerien  der  Spontaneität,  deren  Wirkung  keine  sozialisti- 
sche Aulmarschinszenierung  hätte  erreichen  können. 

Der  Berliner  Rundfunk  als  Hauptstadtsender  erhielt  im  Februar  1964  die 
Verantwortung  für  das  »Sonderstudio«408  während  des  Deutschlandtreffens. 
Es  ging  mm  darum,  eine  mediale  Atmosphäre  zu  schaffen,  in  der  auch  die  Ber- 
liner Bevölkerung  dieses  »Fest  der  Jugend  zur  Sache  unserer  gesamten  Repu- 
blik« macht.409  Der  Berliner  Rundfunk  und  Radio  DDR  I übertrugen  in  Livesen- 
dungen von  verschiedenen  Sprechstellen.  Diese  waren  nicht  nur  über  das  Stadt- 
gebiet von  Ostberlin  verteilt,  sondern  erzeugten  auch  durch  Schaltungen  zu 
Reportern  in  die  Bezirke  den  Eindruck  von  Gleichzeitigkeit,  Bewegung  und 
Anziehungskraft. 

Der  DDR-Rundfunk  machte  mit  seinem  Festivalprogramm  DT  64  die  par- 
teilichen Deutungen  des  Jugendkommuniques  verständlich.  In  diesem  Festival- 
programm bemühte  sich  das  SRK,  jugendliche  Konsumenten  so  anzusprechen, 
dass  diese  den  Eindruck  gewannen,  vom  DDR-Rundfunk  ernst  genommen, 
informiert  und  unterhalten  zu  werden. 

Erstaunt  über  den  die  Erwartungen  übertreffenden  Erfolg  des  Deutsch- 
landtreffens, eröffnete  das  Politbüro  der  SED  die  Diskussion  um  einen  eigen- 
ständigen DDR-Jugendsender.  Das  stieß  bei  SRK  und  den  Intendanten  der 
DDR-Rundfunkanstalten  nicht  gerade  auf  Begeisterung.  Hatte  die  Parteifüh- 


408  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  5/64  der  Komiteesitzung 
vom 4.2. 1964,  Berlin  4.2.1964,  S.  1-7,  S.  2. 

409  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  10/64  der  Komiteesit- 
zungvom  10.3.1964,  Berlin  10.3.1964,  S.  1-6,  S.  5. 


167 


rung  gerade  Handlungsspielräume  zugelassen,  waren  es  die  Spitzen  der  Rund- 
funkverwaltung selbst,  die  diese  wieder  verengten,  indem  sie  Wunschvorstellun- 
gen über  einen  »Jugendsender«  der  Realität  ihrer  Programmprofilierung 
anpassten.410  Da  die  SED  aber  die  Jugendpolitik  generell  aufwertete,  kam  auch 
das  SRK  nicht  mehr  daran  vorbei,  die  Jugendprogramme  im  Rundfunk  zu  stär- 
ken. 

4.3.1  Vom  Sender  DT  64  zum  Jugendstudio  DT  64.  Der  Politbürobeschluss 
vom  26.  Mai  1964 

Für  das  SRK  war  mit  Ende  des  Deutschlandtreffens  an  Pfingsten  1964  die  Auf- 
gabe des  Sondersenders  erfüllt.  Die  Mitarbeiter  unter  der  Leitung  Kurt  Edel- 
manns und  Werner  von  Sydows  wurden  gelobt  und  ausgezeichnet.411  Das  Pro- 
gramm des  Berliner  Rundfunks  verlief  wieder  in  den  gewohnten  Bahnen.  Der 
DDR-Rundfunk  hatte  den  Jugendverband  unterstützt  und  die  Jugendpolitik 
der  Partei  sowie  die  im  vorher  verabschiedeten  Jugendgesetz  enthaltenen 
Chancen  kommuniziert.412  Solche  Bemühungen  des  DDR-Rundfunks  hatten 
bislang  immer  ausgereicht,  die  Anforderungen  nach  massenmedialer  Beglei- 
tung politischer  Kampagnen  zu  erfüllen.  Nun  weckte  aber  die  vom  Sondersen- 
der DT  64  veränderte  Art,  ideologische  Positionen  zu  vermitteln,  bei  der  FDJ, 
bei  den  Hörern  und  in  der  Jugendabteilung  des  ZK  Impulse  und  Begehrlichkei- 
ten, eine  solche  Präsentationsweise  von  sozialistischem  Hörfunk  zu  erhalten 
und  entsprechend  der  eigenen  Interessen  zu  steuern.413  Der  Leiter  der  ZK- 
Abteilung  Jugend,  Kurt  Turba,  zugleich  Vorsitzender  der  Jugendkommission 


410  BArch  B,  DR  6/494  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Pfister,  Zusatzprotokoll  zum  BP  Nr.  24/64 
der  Komiteesitzung  vom  2.6.1964,  S.  1-6,  S.  6. 

411  BArch  B,  DR  6/493  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  22/64  der  Komiteesitzung  vom 
19.5.1964,  S.  1-4.  S.  2.  Tagesordnungspunkt  I:  Einschätzung  der  Sendearbeit  während  des  Deutschland- 
treffens, Vorschläge  für  Auszeichnungen. 

412  BArch  B,  DR  6/93  unpag.,  Deutschlandsender,  Jugendfunk,  Kurt  Seehafer,  Sonderstudio  Deutsch- 
landtreffen, Berlin  15.5.1964,  S.  1-8,  S.  5. 

413  Die  FDJ  als  maßgeblichen  Akteur  sieht  Alan  McDougall:  Youth  Politics  in  East  Germany.  The 
Free  German  Youth  Movement  1946-1968,  Oxford:  Clarendon  Press  2004,  S.  167.  Die  Jugendkommissi- 
on des  Politbüros  als  entscheidenden  Faktor:  Monika  Kaiser:  Machtwechsel,  1997,  S.  168.  Andreas  Bau- 
haus: Jugendpresse,  1994,  S.  137.  Aus  dem  Beschlussprotokoll  zitierte  Michael  Rauhut:  Beat,  1993,  S.  80. 


l68 


des  Politbüros,  entwickelte  wenige  Tage  nach  dem  Festival  in  einer  Vorlage  an 
das  Politbüro  das  Jugendkommunique  weiter.414  Turba  stellte  darin  die  bisher 
eingeschlagene,  von  ihm  konzipierte  Linie  in  der  Jugendpolitik  als  erfolgreich 
heraus.  Die  FDJ  und  die  SED  schienen  in  der  Vorbereitung  des  Deutschland- 
treffens einen  neuen  Weg  eingeschlagen  zu  haben,  die  junge  Generation  anzu- 
sprechen. Dieser  neue  Weg  sei  nun  in  der  täglichen  erzieherischen  Arbeit,  auch 
durch  die  staatlichen  Erziehungsinstitutionen,  zu  beschreiten,  meinte  Turba.  Es 
ging  ihm  um  »konkrete  Probleme«  der  Berufsfindung,  des  Lernens  und  der 
Weiterqualifizierung,  und  darum,  Verhaltensweisen  im  Betriebs-  und  Privatle- 
ben als  sozialistisch-fortschrittlich  zu  kennzeichnen.  Das  Politbüro  beschloss 
die  Vorlage  ohne  Änderungen.415 

Damit  sicherte  Turba  die  Gültigkeit  des  von  ihm  entworfenen  Begriffspaa- 
res »Vertrauen  und  Verantwortung«  ab.  Die  »Hausherren  von  morgen«  - also 
die  Jugendlichen  der  DDR  - hatten  sich  seiner  Ansicht  nach  beides  durch  die 
zur  Schau  gestellte  Lebendigkeit  und  politische  Entschiedenheit  auf  dem  FDJ- 
Treffen  erworben.  Die  Medien,  insbesondere  der  Rundfunk,  hatten  ihre  Bedeu- 
tung in  der  Kommunikation  mit  der  Jugend  unter  Beweis  gesteht.  Deshalb,  so 
Turba,  müsse  auch  »geprüft  werden,  wie  und  in  welchen  Formen  der  Jugend- 
sender DT  64  [...]  seine  Sendungen  fortsetzen  kann.«416 

Der  Erste  Sekretär  des  FDJ-Zentralrates,  Horst  Schumann,  bekräftigte, 
dass  die  sozialistische  Jugend  bereits  der  künftige  Hausherr  sei.417  Schumann 
stellte  die  große  Wirkung  von  DT  64  auf  die  Teilnehmer  und  die  westdeutsche 


414  SAPMO-BArch,  DY  30J  I V 2/2  A/1.031  foliert,  Anlage  1 zur  Sitzung  Nr.  17  des  Politbüros  des 
ZK  der  SED  vom  26.5.1964,  Jugendkommission  beim  Politbüro,  Kurt  Turba,  Vorlage  an  das  Politbüro 
des  Zentralkomitees,  Betr.:  Probleme,  die  sich  aus  der  Einschätzung  des  Deutschlandtreffens  ergeben, 
Berlin  23.5.1964,  Bl.  19-24. 

415  SAPMO-BArch,  DY  30  J IV  2/2/932  unpag.,  Sitzung  des  Politbüros  des  ZK  der  SED,  Protokoll 
Nr.  17,26.5.1964,  Anlage  1,  S.  11-12. 

416  Ebd.,  Bl.  20. 

417  SAPMO-BArch,  DY  24/10.879  unpag.,  Horst  Schumann,  Niederschrift  des  Berichtes  an  das  Polit- 
büro des  ZK  der  SED  zur  Einschätzung  des  Deutschlandtreffens  der  Jugend  in  der  Hauptstadt  der  DDR, 
Berlin,  Pfingsten  1964,  Rede  auf  der  Politbürositzung  vom  26.5.1964,  S.  1-22,  S.  3.  (Siehe  auch  SAPMO- 
BArch,  DY  24/580  unpag.  Niederschrift  des  Berichtes  an  das  Politbüro  des  Zentralkomitees  der  SED  zur 
Einschätzung  des  Deutschlandtreffens  der  Jugend  in  der  Hauptstadt  der  DDR,  Berlin,  Pfingsten  1964,  S. 
1-23). 


169 


Presse  während  des  Deutschlandtreffens  heraus.  Der  Sender,  so  die  Auffassung 
des  FDJ-Zentralrates,  habe  die  jugendlichen  Besucher  an  das  politische  und 
kulturelle  Geschehen  des  Festivals  gebunden.  Zudem  habe  DT  64  laut  Schu- 
mann die  Deutungshoheit  gegenüber  den  Westberliner  Rundfunksendern 
erlangt.418  Auch  auf  der  anderen  Seite  der  Mauer,  in  der  Westberliner  Senats- 
kanzlei, nahm  man  die  veränderte  massenmediale  Agitation  des  Ostrundfunks 
wahr.  Das  Ostberliner  Jugendtreffen  lehrte,  so  das  Presse-  und  Informationsamt 
der  Berliner  Senatskanzlei:  »Die  Beatles  sind  keine  Waffe  gegen  Ulbricht.«419 
Wenn  es  Ulbricht  und  der  SED  nutze  und  dem  Machterhalt  diene,  so  das  Pres- 
seamt, zeige  sich  Pankow  durchaus  fähig,  mit  der  Musik  der  Pilzköpfe  Politik 
zu  machen.  Damit  spielte  das  Informationsamt  nicht  nur  auf  die  Dixieland-, 
Jazz-  und  Big-Beat-Kapellen  auf  den  Bühnen  zwischen  Unter  den  Linden  und 
dem  Alexanderplatz  an,  sondern  drückte  aus,  welche  bislang  ungehörten  Klän- 
ge der  Festivalsender  DT  64  in  die  Berliner  Rundfunklandschaft  einfügte. 

Da  die  Rundfunkreporter  so  nah  an  den  Ereignissen  des  Pfmgsttreffens 
gewesen  waren,  versetzte  ihr  Einfallsreichtum  und  ihre  Kreativität  sie  in  die 
Lage,  »populär  und  lebendig  Verleugnungen  und  Verleumdungen  des  Fein- 
des«420 zu  kontern  und  schnell  entsprechende  Gegendeutungen  an  die  Besu- 
cher zu  verbreiten.  Damit  verband  der  FDJ -Zentralrat  nunmehr  den  Vorschlag, 
zusätzlich  zu  den  bestehenden  Rundfunksendern  eine  Jugendwelle  einzurich- 
ten, da  die  Einwirkung  der  Westmedien  an  diesem  Festivalwochenende  zurück- 
gedrängt worden  sei.  Gleichzeitig  hätte  dieser  Sender  die  bundesrepublikani- 


418  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk  RIAS,  A 403 -01 -05/0001,  Hauptabteilung  Politik,  Dienstplan 
für  Pfingst-Sonderprogramm  Freitag  15.  bis  Montag  18.  Mai  1964,  Berlin  12.5.1964,  S.  1-3. 

419  LAB,  B Rep.  002,  Nr.  3676  unpag.,  (Abt.  III,  Presse-  und  Informationsamt,  Fanselau)  Mangelnde 
Konsequenz,  Thesen  zum  Verlauf  des  Deutschlandtreffens  der  FDJ,  o.A.,  o.D.,  (ca.  Mai  1964)  S.  1-6,  S.  2. 

420  SAPMO-BArch,  DY  24/10.879  unpag.,  Horst  Schumann,  Rede  auf  der  Politbürositzung  vom  26.5. 
1964,  S.  13.  »Als  die  von  DPA- Vertretern  erfundene  Lüge  - Teilnehmer  am  Deutschlandtreffen  seien  bei 
den  Demonstrationen  mehrere  Male  an  der  Tribüne  vorbeimarschiert,  um  eine  große  Beteiligung  vorzu- 
täuschen - konterte  der  Sender  mit  Spott  und  Hohn  und  erklärte:  Es  sei  besonders  schwierig  für  die  Orga- 
nisatoren gewesen,  die  Pioniere  dreimal  umzuziehen,  einmal  als  Pionier,  dann  als  Volkspolizei  und 
schließlich  als  Freiwillige  Feuerwehr.  10  Minuten  nach  dem  der  Sender  das  gemacht  hatte,  wurde  von  den 
Teilnehmern  dieses  Argument  auf  den  Straßen  und  Plätzen  mit  den  von  Westberlin  aus  eingeschleusten 
Diskutierenden  wirkungsvoll  verwendet.« 


170 


sehen  und  Westberliner  Jugendlichen  erreicht.421  Das  könne,  so  die  Idee  der 
FDJ,  in  einem  von  ihr  dominierten  Jugendsender  bei  einer  verstärkten  Vermitt- 
lung marxistisch-leninistischer  Positionen  weitergeführt  werden.  In  der  Kon- 
stellation nach  dem  Deutschlandtreffen  1964  bot  sich  der  FDJ  nun  eine  Chan- 
ce, ihre  Selbstdarstellung  auch  über  einen  Hörfunksender  zu  kommunizieren 
und  die  Gelegenheit  zu  erhalten,  Journalisten  für  diesen  Sender  benennen  zu 
können.  Der  FDJ-Zentralrat  verwaltete  bereits  eine  ausdifferenzierte  Jugend- 
presselandschaft, Hörfunk  und  Fernsehen  lagen  aber  außerhalb  seiner  Einfluss- 
sphäre. 

Für  den  Sekretär  des  Zentralkomitees,  Erich  Honecker,  kam  es  nach  dem 
Deutschlandtreffen  darauf  an,  die  geistige  Auseinandersetzung  weiterzuführen, 
wobei  für  ihn  die  Maßgabe  galt,  »den  Inhalt  und  die  Formen,  die  sich  bewährt 
haben,  weiterzuentwickeln.«422  In  diesem  Sinne  war  DT  64  als  Experiment 
erfolgreich.  Die  FDJ  habe  sich,  so  Walter  Ulbricht  auf  der  Politbürositzung, 
bei  der  ideologischen  und  organisatorischen  Vorbereitung  bewährt  und  er- 
scheine nun  deutlich  reifer  und  befähigter,  Jugendliche  zu  mobilisieren  und  zur 
sinnvollen  Gestaltung  ihrer  Freizeit  anzuregen.  Auf  dem  Deutschlandtreffen  sei 
es  Partei,  Rundfunk  und  Jugendverband  gelungen,  »die  großen  Leistungen, 
Initiativen  und  Verpflichtungen  beim  Aufbau  des  Sozialismus  mit  wirklicher 
Fröhlichkeit  und  Veranstaltungen  auf  hohem  kulturellen  Niveau  zu  verbin- 
den,«423 lobte  Ulbricht. 

Die  aktivsten  Jugendlichen,  die  besten  Neuerer  und  die  ideologisch  gefe- 
stigsten  jungen  Menschen  hätten  am  Deutschlandtreffen  teilgenommen, 
befand  Kurt  Turba  in  seiner  Analyse.  Fürderhin  werde  es  notwendig,  schrieb  er, 
»jetzt  mit  allen  Jugendlichen  so  zu  arbeiten.«424  Damit  erweiterte  die  SED 
ansatzweise  ihre  Positivkonstruktion  von  sozialistischer  Jugend. 


421  Ebd.,  S.  14. 

422  SAPMO-BArch,  DY  24/580  unpag.,  Aufzeichnungen  Horst  Schumanns  von  der  Sitzung  des  Polit- 
büros  des  ZK  der  SED  am  26.5.1964  zur  Auswertung  des  Deutschlandtreffens,  S.  1-8,  S.  1. 

423  Ebd.,  S.  5. 

424  SAPMO-BArch,  DY  30  J IV  2/2  A/1.031  foliert,  Jugendkommission  beim  Politbüro,  Kurt  Turba, 
Vorlage  an  das  Politbüro  des  ZK  der  SED,  Betr.:  Probleme,  die  sich  aus  der  Einschätzung  des  Deutschland- 
treffens ergeben,  Berlin  23.5.1964,  Bl.  19-24,  Bl.  23. 


Walter  Ulbricht  hatte  »keine  Einwendungen«  gegen  einen  Jugendsender. 
Der  Zentralrat  solle  diese  Möglichkeit  prüfen  und  mit  dem  Komiteevorsitzen- 
den Gerhard  Eisler  und  dessen  Stellvertreter  Reginald  Grimmer  darüber  aus- 
führlich sprechen.  Allerdings,  mahnte  Ulbricht,  »für  drei  Tage  habt  ihr  das 
geschafft,  aber  wenn  ihr  damit  anfangt,  müßt  ihr  ja  durchhalten.«42'’  Die  lang- 
fristige Planung  und  die  kontinuierliche  Arbeit  an  Projekten,  wusste  er,  waren 
nicht  unbedingt  eine  Stärke  der  FDJ.  Mit  Ideen  hinsichtlich  eines  Jugendsen- 
ders war  der  Jugendverband  bereits  1960  deshalb  gescheitert,  weil  die  Gremien 
des  Rundfunks  diese  Initiativen  verwässerten  und  schließlich  umformten.  Aber 
nur  das  SRK  konnte  einem  solchen  Vorhaben  die  innere  Festigkeit  verleihen. 
Da  der  Erste  Sekretär  des  Politbüros  Ulbricht  auf  kultur-  und  erziehungspoliti- 
schem  Gebiet  nicht  falsch  verstanden  werden  wollte,  strich  er  heraus,  dass  die 
konzeptionellen  Überlegungen  zu  einem  solchen  Jugendsender  »keinen  Misch- 
masch für  die  Jugend  der  DDR  und  Westdeutschlands«  erzeugen  sollen. 
»Fangt  erst  einmal  für  die  DDR  damit  an.  Für  die  westdeutsche  Jugend  muß 
man  vielleicht  einzelne  sensationell  aufgemachte  Sendungen  bringen.«426  Die 
Agitation  nach  Westdeutschland  sollte  die  erziehende  Mobilisierung  der  eige- 
nen Jugend  nicht  überlagern.  Mit  diesen  Äußerungen  steckte  Ulbricht  jene 
Grenzen  ab,  in  denen  das  medienpolitische  Vorhaben  Realität  werden  konnte. 
Die  Errichtung  eines  eigenständigen  Jugendsenders  war  nun  ganz  oben  auf  die 
Agenda  gesetzt  worden,  es  sollte  aber  hauptsächlich  um  die  Vermittlung  und 
Bewerbung  der  jugendpolitischen  Positionen  der  SED  gehen.  Die  Agitation 
nach  »innen«  war  wichtiger  und  wohl  auch  dringender  als  die  Kommunikation 
der  Parteilinie  nach  Westen. 

4.3.2  Die  Diskussion  um  den  Jugendsender  im  Staatlichen  Rundfunkkomitee 
am  2.  Juni  1964 

Nach  dem  Politbürobeschluss,  der  einer  Vorlage  von  Kurt  Turba  folgend  erst- 
mals die  Möglichkeit  eingeräumt  hatte,  einen  eigenständigen  Jugendsender 
einzurichten,  musste  sich  auch  das  Staatliche  Rundfunkkomitee  damit  befassen. 


425  SAPMO-BArch,  DY  24/580  unpag.,  Aufzeichnungen  Horst  Schumanns,  26.5.1964,  S.  8. 

426  Ebd.,  S.  8. 


I72 


Bereits  im  Juni  1960  war  in  der  Jugendkommission  des  Politbüros  zur  Sprache 
gekommen,  wie  der  Rundfunk  sein  Programm  für  Jugendliche  anziehender 
gestalten  könne.427  Weil  nun  auch  das  Politbüro  selbst  sich  dafür  ausgespro- 
chen hatte,  blieb  dem  SRK  nichts  anderes  übrig  als  eigene  Vorbehalte  zurück- 
zustellen. 

Einerseits  war  während  des  Deutschlandtreffens  klar  geworden,  dass  die 
Rundfunksender  der  DDR  trotz  ihrer  Eigeninteressen  durchaus  Zusammenar- 
beiten konnten.  Andererseits  war  es  dem  Sondersender  DT  64  gelungen,  Hörer- 
gruppen zu  erreichen,  die  bisher  überhaupt  noch  keine  Berücksichtigung  in  den 
Planungen  des  DDR-Hörfunks  gefunden  hatten.  Erst  durch  zahlreiche  Zu- 
schriften erkannten  die  Verantwortlichen,  welches  Potenzial  sie  sich  erschlos- 
sen hatten. 

Die  Oberschülerin  Hedda  und  ihren  Freundinnen  und  Freunde  fanden  die 
Sendungen  sehr  gut.  Die  junge  Frau  fragte,  ob  nicht  »jeden  Abend  ein  Sender 
in  der  Art  des  DT  ein  Programm  für  die  Jugend  bringen  könnte  (mit  Tanzmu- 
sik, verbunden  mit  Nachrichten  und  Diskussionen  usw.)?«428  Eine  Funktionä- 
rin für  Volksbildung  freute  sich  auf  einen  Jugendsender,  der  frühmorgens,  mit- 
tags und  abends  auf  Sendung  sein  könnte.  Damit  könne  ihn  die  DDR-Jugend 
vor  und  nach  der  Schule  einstellen.  Der  Junglehrer  Klaus  aus  Gransee  schrieb 
an  Gerhart  Eisler,  wie  er  sich  einen  Sender  DT  64  im  DDR-Rundfunk  vorstel- 
len würde:  »Wir  sollten  einen  Jugendsender  Junge  Welle<  schaffen.  Dieser 
Sender  müßte  ein  reines  Jugendprogramm  bringen.»429  Der  DDR-Rundfunk 
sei  schließlich  in  der  Lage,  jugendlichen  Hörern  ein  durchgehendes  Programm 
flotter  Melodien  und  Rhythmen  zu  bieten.  Radio  Luxemburg,  AFN  oder  BFN 
und  selbst  Schlager  der  Woche  auf  RIAS  II  seien,  so  der  Lehrer,  diesmal  nicht  so 
zugkräftig  wie  sonst  gewesen. 


427  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/2.111/6  foliert,  Stenografische  Niederschrift  der  Beratung  der  Ju- 
gendkommission  des  Politbüros  des  ZK  im  Hause  des  ZK,  am  Mittwoch  dem  29.  6.1960,  Bl.  13. 

428  BArch  B,  DR  6/93  unpag.,  Intendanz  Radio  DDR  für  Prof.  Eisler  vom  23.5.64,  Hörermeinungen 
zu  >DT  64<. 

429  BArch  B,  DR  6/563  unpag.,  Hörerbrief,  Klaus  S.,  Betr.:  Sender  »DT  64«,  Gransee  20.5.1964,  S. 
1-4,  S.  1.  Abschriften  gingen  einige  Tage  später  an  die  Intendanten:  BArch  B,  DR  6/563  unpag.,  Sekreta- 
riat des  Vorsitzenden,  an  Genossin  Classen,  Genossen  Ehrich,  Genossen  Kleinert,  Betr.:  Schreiben  von 
Klaus  S.,  Gransee,  Berlin  30.5.1964,  S.  1. 


I73 


Das  SRK  verhandelte  am  2.  Juni  1964 430  in  Anwesenheit  der  Rundfunkex- 
pertin der  Agitationsabteilung  des  ZK,  Inge  Schmidt,  darüber,  wie  ein  Jugend- 
programm weitergeführt  werden  könnte  und  welche  Überlegungen  gegen 
einen  Jugendsender  sprachen.  Vier  Punkte  bestimmten  die  Position  des  DDR- 
Rundfunks  in  dieser  Frage. 

Zum  einen  hätte,  so  der  erste  Einwand,  ein  weiterer  Sender  - im  konkreten 
Fall  ein  eigenständiger  Jugendsender  - bezogen  auf  die  begrenzte  Zahl  von 
Frequenzen,  die  der  DDR  zur  Verfügung  standen,  andere  Programme  in  tech- 
nischer Hinsicht  geschwächt:  entweder  würde  es  zu  Überlagerungen  kommen 
oder  schon  vorhandenen  Sender  hätten  Frequenzen  abgeben  müssen.  Das  hätte 
im  Besonderen  die  Berliner  Welle  betroffen. 

Das  zweite  Argument  des  SRK  gegen  einen  Jugendsender  war  ebenfalls 
technischer  Natur.  Selbst  wenn  man  DT  64  die  Frequenz  des  Deutschen  Frei- 
heitssenders 904  zugewiesen  hätte,  der  als  Agitationsstation  über  eine  erhebliche 
Reichweite  (auch  in  den  Westen)  verfügte,  hätte  man  damit  nicht  alle  DDR- 
Bezirke  erreicht.  Außerdem  hätte  man  dann  gegenüber  der  Bundesrepublik  ein- 
gestehen müssen,  dass  der  illegale  Sender  seit  1956  von  der  DDR-Regierung 
betrieben  wurde. 

Mit  diesem  Argument  hatte  das  SRK  sich  bereits  1961  erfolgreich  gegen 
die  Einrichtung  eines  Jugendsenders  gewehrt431,  obwohl  schon  damals  das 
Postministerium  eine  zeitweilige  Zusammenlegung  von  Mittelwellen  als  tech- 
nisch umsetzbar  befunden  hatte.432  Die  Mittelwellen-  und  UKW-Frequenzen 
des  Berliner  Rundfunks  und  von  Radio  DDR  II  waren  auch  während  des  Sonder- 
programms zum  Deutschlandtreffen  1964  verkoppelt  worden.  Technisch  wäre 


430  BArch  B,  DR  6/494  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Pfister,  Zusatzprotokoll  zum  BP  Nr.  24/64 
der  Komiteesitzung  vom  2.6.1964,  S.  6.  Tagesordnung:  Jugendprogramm  [Anwesend:  Wolfgang  Kleinert, 
Herta  Classen,  Kurt  Ehrich,  Kirschnek,  (Radio  Berlin  International),  Rolf  Schmidt  (Radio  DDR),  Stange, 
Engelhardt  (Berliner  Rundfunk),  Hahn,  Inge  Schmidt  (Agitation,  Sektor  Rundfunk  und  Fernsehen),  Erich 
Lange  (Kader)] . 

431  BArch  B,  DR  6/592  unpag.,  Vorsitzender  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees,  Hermann  Ley,  an 
Abt.  Agitation  ZK,  Inge  Schmidt,  Jugendsender,  1.6.1961,  S.  1-2,  S.  2. 

432  BArch  B,  DR  6/592  unpag.,  Ministerium  für  Post-  und  Fernmeldewesen,  Bereich  Rundfunk  und 
Fernsehen,  Probst,  an  Staatliches  Rundfunkkomitee  Prof.  Dr.  Ley,  Berlin  24.5.1961,  S.  1. 


T74 


es  also  durchaus  möglich  gewesen,  ausreichend  Sendeleistung  für  einen  eigen- 
ständigen Jugendsender  bereitzustellen.  Das  aber  stand  den  Interessen  der 
anderen  DDR-Sender  entgegen.  So  erinnerte  zum  Beispiel  Kurt  Ehrich,  Inten- 
dant des  Deutschlandsenders,  seine  Kollegen  im  SRK  daran,  dass  sie  im  Vorfeld 
einig  gewesen  waren:  DT  64  sollte  nur  in  Berlin  über  Mittelwelle  und  über  die 
zusätzliche  UKW-Frequenz  von  DDR  II  empfangbar  sein.4’ 5 

Drittens  bezweifelten  die  Spitzen  des  DDR-Rundfunks  im  SRK  grundsätz- 
lich die  Notwendigkeit  eines  eigenen  Jugendsenders,  weil  das  Informations- 
und Unterhaltungsprogramm,  das  der  DDR-Rundfunk  im  Radio  DDR  I ohne- 
hin bereits  umzusetzen  plante,  die  beste  Möglichkeit  sei,  »den  Bedürfnissen  der 
Jugend  weitgehendst  Rechnung  zu  tragen.«434 

Als  Viertes  führten  die  Intendanten  ideologische  und  kulturpolitische 
Gründe  an435,  weshalb  die  bisherige  Gestaltung  von  DT  64  nicht  tragbar  sei.  In 
Wahrheit  befürchteten  sie,  ein  eigener  Jugendsender  könne  sich  ihrer  Kontrol- 
le entziehen,  und  würde  sogar  einen  eigenen  Sitz  im  SRK  erhalten.  Stattdessen 


433  BArch  B,  DR  6/494  unpag-,  Sekretariat  des  Komitees,  (Pfister)  Protokollmitschrifi:  Zusammen- 
fassung  der  Diskussion  im  Komitee  zu  den  Möglichkeiten  eines  Jugendprogramms,  2.6.1964,  S.  1-5,  S.  2. 

434  Ebd.,  S.  5.  Die  Referentin  für  Rundfunk  und  Fernsehen  in  der  Agitationsabteilung  des  ZK,  Inge 
Schmidt,  eröffnete  die  Debatte  mit  dem  Lob,  dass  die  im  DDR-Rundfunk  bestehenden  klaren  Vorstellun- 
gen von  Informations-  und  Unterhaltungsprogramm  zur  Wirksamkeit  und  dem  Erfolg  von  DT  64  beige- 
tragen hätten.  (Vgl.  BArch  B,  DR  6/494  unpag.,  (Pfister)  Protokollmitschrift:  Zusammenfassung  der  Dis- 
kussion im  Komitee  zu  den  Möglichkeiten  eines  Jugendprogramms,  2.6.1964,  S.  1-5.  [Korrekturen,  Strei- 
chungen und  Einfügungen  im  Originaltext  sind  vom  Autor  durch  eckige  Klammer  kenntlich  gemacht]  ) 
Die  Jugend  wolle  keine  besonderen  Jugendsendungen,  meinte  Schmidt,  sondern  die  Inhalte  nur  auf  ande- 
re Art  präsentiert  bekommen.  In  ihren  Augen  kam  dafür  nur  Radio  DDR  I in  Frage.  (Vgl.  Ebd.,  S.  1.  »Auf 
DDR  [zwischen  16  und  19  Uhr]  dreimal  in  der  Woche  [vorwiegend]  spezielle  Jugendfragen  zu  [behan- 
deln, scheint  ein  richtiger  Weg  zu  sein]«). 

435  Die  Intendantin  des  Berliner  Rundfunks,  Herta  Classen,  befand,  dass  DT  64  hauptsächlich  von 
der  Atmosphäre  des  Deutschlandtreffens  und  der  heißen  Tanzmusik  gelebt  habe.  Würde  der  Rundfunk 
nun  dauerhaft  ein  solches  Programm  zulassen,  befürchtete  sie,  käme  er  sowohl  kulturpolitisch  als  auch 
ideologisch  sehr  leicht  in  die  Schusslinie  - besonders  dann,  wenn  ein  solches  Programm  länger  als  zwei 
Stunden  am  Tag  zu  hören  wäre:  »Wir  kommen  ideologisch  und  kulturpolitisch  in  die  Enge  [Schwierigkei- 
ten], wenn  wir  das  über  eine  längere  Periode  mehr  als  zwei  Stunden  [tägl.]  auf  das  Programm  ausdehnen.« 
Ebd.,  S.  1.  Als  Alternative  bot  sie  an,  dass  ihr  Berliner  Rundfunk  das  Jugendstudio  täglich  in  sein  Wochen- 
programm integrieren  könne:  »Für  uns  hat  das  in  der  Programmgestaltung  mindestens  insofern  Konse- 
quenzen, dass  5 mal  in  der  Woche  ein  solches  Programm  vornehmlich  an  die  Jugend  [zu  richten  auch 
bedeute:]  aber  allen  anderen  muß  es  auch  Spaß  machen.«  Ebd.,  S.  3. 


175 


sprachen  sich  die  etablierten  SRK-Mitglieder  dafür  aus,  dem Jugendstudio  Berlin 
des  Berliner  Rundfunks  zwei  weitere  Sendetage  zu  geben4-’6. 

Ein  senderinterner  Kompromiss  war  die  einfachste  und  defensivste  Lösung 
- und  so  machte  man  es  schließlich  auch.  So  war  das  Jugendprogramm  in  siche- 
rer Verwahrung  beim  Berliner  Rundfunk,  ohne  die  allgemeine  Entwicklung  des 
DDR-Rundfunks  zu  beeinträchtigen.  Jugendstudio  Berlin  wurde  kurzerhand  in 
Jugendstudio  DT  64  umbenannt  und  wurde  rechtzeitig  zum  Beginn  der  Som- 
merferien Ende  Juni  1964  erstmals  unter  diesem  Namen  ausgestrahlt. 

4.3.3  Programmflächen  schärfen.  Profilierungsdiskussionen  im  DDR- 
Rundfunk  1964 

Der  SRK-Beschluss  hinsichtlich  einer  Ausweitung  der  Sendezeit  von  Jugendstu- 
dio Berlin,  jetzt  Jugendstudio  DT  64,  die  der  überraschende  Erfolg  des  Jugend- 
senders während  des  Deutschlandtreffens  ihnen  aufgezwungen  hatte,  wirbelte 
auch  die  Festlegungen  zur  Entwicklung  des  DDR-Rundfunks  allgemein  durch- 
einander, die  das  SRK  in  Zusammenarbeit  mit  der  ZK- Abteilung  Agitation  und 
Propaganda  und  deren  Chef  Albert  Norden  erst  im  März  des  gleichen  Jahres 
getroffen  hatte.  Im  August  1964,  sechs  Wochen  nachdem  Jugendstudio  DT  64 


436  In  den  Radio-Unterhaltungssendungen  wie  »Mit  dem  Herzen  dabei«  von  Hans-Georg  Ponesky 
und  sozialistischen  Fernseh-Talentshows  wie  Heinz  Quermanns  »Herzklopfen  kostenlos«  (Vgl.  Harald 
Keller:  Talentschuppen  und  Kulturhäuser.  Wie  das  Fernsehen  dem  Nachwuchs  entgegen  kam,  in:  Wolf- 
gang Mühl-Benninghaus  (Hg.):  Drei  Mal  auf  Anfang.  Fernsehunterhaltung  in  Deutschland,  Berlin:  Vistas 
2006,  S.  281-290,  besonders  S.  286-288).  emotionalisierte  der  DDR-Rundfunk  die  sozialistische  Erzie- 
hung und  kam  trotz  politischer  und  ästhetischer  Enge  den  Unterhaltungsbedürfnissen  der  Bevölkerung 
entgegen.  (Vgl.  Wolfgang  Mühl-Benninghaus:  Von  den  Schwierigkeiten  mit  der  Unterhaltung,  in:  Ders. 
(Hg.):  Drei  Mal  auf  Anfang,  2006,  S.  11-44,  S.  40).  Ein  ähnliches  Verfahren  strengte  das  Rundfunkkomi- 
tee schließlich  bei  der  Weiterführung  von  DT  64  an:  Eine  Stärkung  der  jugendpolitischen  Sendungen  sei 
ja  nun  nicht  mehr  zu  verhindern,  da  diese  Frage  nun  mit  der  Profilierung  der  Sender  verbunden  sei, 
brachte  der  Kaderverantwortliche  der  Rundfunkverwaltung,  Erich  Lange,  auf  der  Komiteesitzung  zur 
Weiterführung  des  Festivalsenders  DT  64  am  2.  Juni  1964  vor  und  stützte  den  Vorschlag  der  Intendantin 
des  Berliner  Rundfunks.  Es  könne  vielleicht  eine  gute  Idee  sein,  »das  Jugendstudio  öfter  zu  senden  [...], 
fünf  mal  in  der  Woche«,  weil  es  eine  Sendung  sei,  »die  gern  gehört  wird  von  der  Jugend.«  (Vgl.  BArch  B, 
DR  6/494  unpag.,  (Pfister)  Protokollmitschrift,  S.  4). 


nun  im  Berliner  Rundfunk  eingerichtet  worden  war,  traf  man  sich  erneut,  um  die 
Perspektivplanung  für  den  Rundfunk  den  neuen  Gegebenheiten  anzupassen.437 

Schwerpunkt  der  Strategieüberlegungen  war  die  mittelfristige  Einführung 
des  »Informations-  und  Unterhaltungsprogramms«  im  DDR-Rundfunk.438 
Auf  der  Sitzung  vor  dem  Deutschlandtreffen  hatte  man  festgelegt  dass  Radio 
DDR  I das  neue  Konzept  umsetzen  solle.439  Das  war  eine  Niederlage  für  den 
Berliner  Rundfunk  gewesen,  der  dazu  gerne  sein  UKW-Versuchsprogramm  Ber- 
liner Welle  genutzt  hätte.440  Kurz  danach  aber  hatte  die  Sonderredaktion  DT  64 
durch  seine  Berichterstattung  auf  dem  Deutschlandtreffen  im  Mai  1964  die  bis 
dahin  bestehenden  Grenzen  zwischen  Information  und  Unterhaltung  aufge- 
weicht. DT  64  zeigte  jenseits  aller  Theorie,  wie  ein  solches  »Informations-  und 
Unterhaltungsprogramm«  sich  anhören  müsste,  um  Erfolg  zu  haben.  Also 


437  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/107  unpag.,  Abteilung  Agitation,  Protokoll  über  die  gemein- 
same  Beratung  der  Agitationskommission  mit  dem  Staatlichen  Rundfunkkomitee  über  die  Perspektive  des 
Deutschen  Demokratischen  Rundfunks  und  das  Verhältnis  zwischen  Rundfunk  und  Fernsehen  am  13.8. 
1964,  Berlin  17.8.1964,  S.  1-10,  [Teilnehmer:  Norden,  Singer,  Lamberz,  Paula  Acker,  Achim  WolfF,  Heinz 
Stadler,  Nielsen,  Inge  Schmidt,  SRK:  Eisler,  Grimmer,  Adameck,  Kleinert,  Classen,  Ehrich]  Die  General- 
linie der  Entwicklung  für  den  Deutschen  Demokratischen  Rundfunk  bis  1980,  eine  Komiteevorlage  (Nr. 
48/64)  des  Intendanten  von  Radio  DDR,  Wolfgang  Kleinert,  wird  diskutiert.  Eisler  sprach  sich  »gegen 
engere  organisatorische  Beziehungen  zwischen  Rundfunk  und  Fernsehen,  (gegen)  die  Bildung  eines  Kolle- 
giums für  ideologische  Fragen  beim  Staatlichen  Rundfunkkomitee  [...]  (und  gegen)  den  Vorschlag,  einem 
Intendanten  alle  Inlandsprogramme  zu  unterstellen«  aus.  Ebd.,  S.  2. 

438  Ein  »Informations-  und  Unterhaltungsprogramm«  biete  die  Chance,  hatte  der  Bereich  Rund- 
funk und  Fernsehen  der  ZK- Abteilung  Agitation  bereits  im  Frühjahr  1964  zur  Vorbereitung  eines  Gesprä- 
ches mit  dem  Rundfunkkomitee  geschrieben,  die  Bevölkerung  schneller  und  umfassender  zu  informieren, 
da  »wir  dringend  das  Gegengewicht  zu  Deutschlandfunk«  brauchen.  (Vgl.  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 
2/9.02/66  unpag.,  Abteilung  Agitation  ZK,  Sektor  Rundfunk/Fernsehen  Vorschläge  für  die  Aussprache 
mit  den  Genossen  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees,  Berlin  6.3.1964,  S.  1-6,  S.  2). 

439  Das  SRK  legte  gemeinsam  mit  der  ZK-Agitationsabteilung  fest,  »das  Programm  von  Radio  DDR 
I ist  allmählich  so  zu  verändern,  dass  es  mehr  und  mehr  den  Charakter  eines  Informations-  und  Unterhal- 
tungsprogramms annimmt.«  (Vgl.  BArch  B,  DR  6/492  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  12/ 
64  der  Außerordentlichen  Komiteesitzung  vom  23.3.1964,  S.  1-8,  S.  2.  Tagesordnung:  Entwicklung  des 
Deutschen  Demokratischen  Rundfünks). 

440  Bezüglich  der  Berliner  Welle  des  Berliner  Rundfünks  entschied  sich  das  SRK  im  März  1964 
dafür,  dass  Westberlin-Programm  mittelfristig  nur  noch  über  Ultrakurzwellen  und  »nur  zu  bestimmten 
Tageszeiten«  auszustrahlen.  Dabei  war  den  Komiteemitgliedern  daran  gelegen,  zumindest  in  den  Abend- 
stunden »seriöses  Musikprogramm«  zu  senden.  (Vgl.  BArch  B,  DR  6/492  unpag.,  Sekretär  des  Komitees, 
Vötter,  BP  Nr.  12/64  der  Komiteesitzung  vom  23.3.1964,  S.  7.) 


I77 


stand  die  zuvor  getroffene  Entscheidung  auf  dem  Treffen  im  August  1964  noch 
einmal  zur  Debatte.  Der  Berliner  Rundfunk  hätte  gute  Argumente  gehabt,  die 
Umsetzung  des  »Informations-  und  Unterhaltungsprogramms«  an  sich  zu  rei- 
ßen, wenn  die  Intendanz  ihrerseits  bereit  gewesen  wäre,  DT  64  zu  einem  eige- 
nen Sender  unter  ihrem  Dach  zu  entwickeln.  Das  geschah  aber  nicht,  sondern 
der  Berliner  Rundfunk  fügte  sich  in  die  Vergabe  an  Radio  DDR  I und  versuchte 
parallel  auch  ohne  den  Segen  von  oben  eher  schlecht  als  recht  seine  Berliner 
Welle  in  diese  Richtung  zu  profilieren. 

Eine  Vorlage  des  Radio  DDR-Intendanten  Wolfgang  Kleinert,  die  den  Dis- 
kussionsstand weit  vor  dem  Deutschlandtreffen  der  Jugend  1964  abbildete, 
diente  als  Grundlage  der  August-Aussprache.  Die  weitestgehenden  Überlegun- 
gen sahen  ein  »operatives  Massenprogramm«,  ein  »hochkulturell  ausgerichte- 
tes Programm  der  musisch-ästhetischen  Erziehung  und  Bildung«  und  ein 
»Programm  der  politischen  Information  und  der  Unterhaltung«  vor.  Dieses 
war  als  Servicewelle  für  Koffer-  und  Autoradiobesitzer  angelegt.  Ein  Programm 
für  die  Hauptstadt  der  DDR  war  darin  ebenfalls  festgeschrieben,  das  nach 
Möglichkeit  in  der  ganzen  Republik  empfangbar  sein  sollte.441  Ein  Programm 
für  Westdeutschland,  eines  für  Westberlin  und  für  das  Ausland  bezeichnete 
Kleinert  als  weitere  Eckpfeiler  der  medialen  Präsenz  des  DDR-Rundfunks. 

Einen  Jugendsender  allerdings  sah  dieses  Papier  nicht  vor  und  auch  nach 
dem  Deutschlandtreffen  1964  vermied  es  Radio  DDR-Intendant  Kleinert  nicht 
ohne  eigene  Interessen  in  seiner  Vorlage  im  Namen  des  SRK,  einen  solchen 
Sender  als  notwendiges  und  tragendes  Element  einer  zukünftigen  Ausrichtung 
anzusehen.  Dem  widersprach  niemand,  auch  der  Berliner  Rundfunk  nicht.  Der 
SRK-Beschluss  von  2.  Juni  1964,  Jugendstudio  DT  64  in  das  Programm  des  Ber- 
liner Rundfunks  einzuflechten,  blieb  auch  auf  der  Konferenz  der  Rundfunkspit- 
zen mit  der  ZK-Abteilung  Agitation  und  Propaganda  im  August  Konsens. 


441  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/121  unpag.,  Wolfgang  Kleinert  (Intendant  Radio  DDR), 
Komiteevorlage  48/64,  Der  Deutsche  Rundfunk  und  seine  Perspektive,  o.D.,  S.  1-9,  S.  2.  (ca.  Ende  April 
1964)  Siehe  auch  SAPMO-BArch  DY  30/IV  A 2/9.02/202  unpag.  Arbeitsgruppe  für  Perspektivplanung 
des  Staatlichen  Rundfunkkomitees,  Generallinie  der  Entwicklung  für  den  Deutschen  Demokratischen 
Rundfünkbis  1980,  29.11.1963,  S.  1-8. 


178 


4.3.4  Die  Ausdehnung  der  Sendezeit  von  Jugendstudio  DT  64  bis  1965 


Sendezeit  war  auch  im  Berliner  Rundfunk  die  wichtigste  Währung,  um  die  in 
Verteilungskonflikten  gestritten  wurde.  In  der  August-Beratung  1964  zwischen 
SRKund  Agitationsabteilung  des  ZK  wurden  auch  die  Sendungen  v on  Jugend- 
studio DT  64  innerhalb  des  Hauptstadtprogramms  diskutiert.  War  die  Sendung 
von  ihrem  Start  im  Berliner  Rundfunk  im  Juni  1964  an  von  16.30  bis  18.30  Uhr 
ausgestrahlt  worden,  rückte  sie  nun  auf  15.30  bis  18.00  Uhr  vor.  Auf  dem  alten 
Sendeplatz  hatte  man  zudem  Pulsschlag  der  Zeit , eine  tagesaktuelle,  kommentie- 
rende Reportage-Sendung  der  Chefredaktion  Politik,  die  zwischen  18  und 
18.30  Uhr  übertragen  wurde,  zur  Sendezeit  des  Jugendstudios  hinzugerechnet. 
Der  Pulsschlag  wurde  nun  im  Anschluss  an  das  Jugendprogramm  gesendet,  das 
so  eine  volle  Stunde  hinzugewann.44’  Nebeneffekt  dieser  Entflechtung  zweier 
profilprägender  Programmelemente  durch  den  Komiteevorsitzenden  Eisler 
war  eine  Glättung  des  Vorabendprogrammes  des  Berliner  Rundfunks.  Dass  es 
überhaupt  zu  einer  Vermengung  beider  Sendungen  gekommen  war,  ist  mit  dem 
Versuch  der  Intendanz  zu  erklären,  die  Streueffekte  der  kultur-  und  jugendpoli- 
tischen Ambivalenzen  einzugrenzen,  die  im  Programm  von  Jugendstudio  DT  64 
enthalten  waren.  Im  Zuge  der  zeitlichen  Ausdehnung  der  Jugendsendungen  des 
Berliner  Rundfunks  war  die  Profilierung  der  Abendsendungen  als  Weg  zu  verste- 
hen, propagandistische  Ausgewogenheit  herzustellen.  Diese  Erweiterung  trat 
zum  September  1964  in  Kraft.44'’ 

Bereits  ein  halbes  Jahr  später  beschloss  das  Komitee  eine  erneute  Verlänge- 
rung um  eine  Stunde.  Da  der  Berliner  Rundfunk  jetzt  Pulsschlag  der  Zeit  aber 
wieder  in  Jugendstudio  DT  64  eingliederte,  blieb  dem  Jugendprogramm  selbst 
davon  nur  eine  halbe  Stunde.444  Dieses  erneute  Störmanöver  der  Intendanz 
gegen  das  Jugendprogramm  führte  natürlich  nicht  dazu,  dass  sich  Jugend-  und 
Politikredaktion  gestalterisch  aufeinander  zu  bewegten.  Die  Bruchlinien  inner- 


442  BArch  B,  DR  6/602  unpag.,  Sekretariat  des  Vorsitzenden,  Aktennotiz,  Betr.:  Programm  des  Ber- 
liner Rundfunks,  Berlin  15.8.1964,  S.  1. 

443  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  KV  77/64,  24.8.1964.  Betreff:  Jugendstudio  DT  64. 

444  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  16/65,  Berlin  20.4. 
1965,  S.  1. 


119 


halb  des  frühen  Abendprogramms  des  Berliner  Rundfunks  blieben  weiterhin 
deutlich  hörbar.  Die  auch  für  Hörer  offensichtliche  Einhegung  von  DT  64  bot 
den  jugendlichen  Nutzern  jeden  Nachmittag  Anlass,  vom  Berliner  Rundfunk 
weg  zu  einem  Westsender  zu  wechseln.  Erst  1972  war  der  Berliner  Rundfunk 
endgültig  bereit,  Pulsschlag  der  Zeit  aus  dem  Sendefenster  des  Jugendprogram- 
mes herauszunehmen. 

4.3.5  »...  weil  ich  nicht  möchte,  dass  DT  64  totgeritten  wird.«  Die  verhin- 
derte Ausdehnung  von  Jugendstudio  DT  64  auf  das  Wochenende  1965 

Auch  nachdem  der  Berliner  Rundfunk  angefangen  hatte,  sich  mit  dem  SRK-Ent- 
scheid  zur  Weiterführung  von  DT  64  in  seinem  Programm  zu  arrangieren,  gab 
es  Interessen  von  außen,  den  Jugendfunk  weiter  auszubauen.  Die  FDJ  zum  Bei- 
spiel forderte  anhaltend,  dass  der  staatliche  Rundfunk  eine  Servicewelle  für  die 
DDR-Jugend  einrichten  möge,  die  noch  länger  am  Tag  sendet  und  auch  am 
Wochenende  zu  empfangen  ist.  Die  Jugendredaktion  selbst  hatte  indes  andere 
Probleme.  Bereits  durch  die  ansich  erfreuliche  Erweiterung  der  Sendezeit  im 
April  1965  war  sie  in  erhebliche  organisatorische  Nöte  geraten.445  Eine  gleich 
gebliebene  Zahl  von  Redakteuren  und  Mitarbeitern  hatte  nun  mehr  Beiträge  in 
einer  kürzeren  Vorbereitungszeit  sendefähig  zu  präsentieren.  An  den  Betrieb 
eines  eigenständigen  Jugendsenders  war  da  gar  nicht  zu  denken. 

Davon  unbeeindruckt  fabulierte  die  FDJ  weiterhin,  was  in  ihren  Augen  ein 
Jugendprogramm  alles  zu  leisten  habe.  Dazu  gehörte  der  Anspruch,  dass  der 
Verband  und  dessen  inhaltliche  Positionen  bei  Jugendstudio  DT  64  kommuni- 
ziert werden  müssten.446  Im  Oktober  1964  forderte  die  Agitationsabteilung  des 
FDJ-Zentralrates  erneut,  DT  64  zu  einem  eigenständigen  Jugendsender  auszu- 
bauen, der  dann  über  starke  und  weit  reichende  Frequenzen  verfügen  sollte. 
Damit  steckte  sich  der  Zentralrat  ein  ehrgeiziges  medienpolitisches  Ziel. 


445  BArch  B,  DR  6/93  unpag.,  Jugendstudio  DT  64,  Siegmar  Krause,  an  Chefredaktion  BR,  Welche 
Voraussetzung  müssen  geschaffen  werden,  um  auch  am  Wochenende  Sendungen  von  Jugendstudio  DT  64 
ausstrahlen  zu  können?  Berlin  17.6.1965,  S.  1-4,  S.  1. 

446  SAPMO-BArch,  DY  24/1556  II  unpag.,  Sekretariat  des  Zentralrates  der  FDJ,  Protokoll  der  Sit- 
zung Nr.  1 10  vom  3 1.8.1965,  Anlage  4:  Die  Aufgaben  des  Jugendstudios  DT  64,  S.  1-26. 


180 


Für  einen  solchen  neuen  Jugendsender  hatte  man  bereits  recht  konkrete 
Vorstellungen:  Er  sollte  sich  in  einem  Ganztagsprogramm  an  die  Jugend  der 
DDR  und  auf  Langwelle  besonders  an  die  Jugend  Westdeutschlands  und  West- 
berlins richten  und  sollte  die  Jugendredaktionen  von  Radio  DDR  und  Berliner 
Rundfunk,  später  dann  auch  des  Deutschlandsenders,  vereinigen.447  Die  FDJ- 
Pläne  zur  Schaffung  einer  zentralen  Jugendredaktion  im  DDR-Rundfunk  hat- 
ten dabei  nicht  die  Absicht,  die  dünne  Personaldecke  zu  verstärken,  sondern 
durch  nur  noch  einen  Ansprechpartner  den  Einfluss  des  Jugendverbandes  auf 
das  Programm  zu  erhöhen. 

Wie  schon  im  Mai  1964,  als  die  FDJ  schon  einmal  die  Schaffung  eines 
eigenständigen  Jugendsenders  gefordert  hatte,  konnte  sich  der  Jugendverband 
auch  im  Frühjahr  1965  nicht  gegen  das  SRK  durchsetzen.  Als  sich  das  abzeich- 
nete, forderte  die  FDJ,  Aas  Jugendstudio  DT  64  im  Berliner  Rundfunk  wenigstens 
auf  das  Wochenende  auszuweiten.  Dieser  Wunsch  wurde  in  der  Folge  disku- 
tiert. So  zeigte  der  Redaktionsleiter  des  Jugendstudios  DT  64,  Siegmar  Krause, 
im  Juni  1965  der  Chefredaktion  des  Berliner  Rundfunks  einige  Varianten  auf,  wie 
Jugendsendungen  am  Wochenende  zu  realisieren  wären.  Jugendsendungen  am 
Wochenende  müssten  die  »Interessen  der  Arbeiterjugend  in  ganz  Deutsch- 
land«448 vertreten,  schrieb  er.  Für  ein  solches  Programm  wäre  am  Sonnabend- 
nachmittag zwischen  15.00  und  17.00  Uhr,  vor  Herbert  Kütters  Sch/ager-ABC, 
durchaus  Platz.  Zumindest  wäre  es  eine  Alternative  zu  Club  1 8 und  dem  monat- 
lichen Treffpunkt  1 6/40  des  RIAS  im  eigenen  Programm  gewesen.  DT  64- Sen- 
dungen am  Wochenende  hätten  die  Möglichkeit,  so  Krause,  die  politische  und 
erzieherische  Seite  stärker  zu  akzentuieren.  Im  täglichen  Programm  ginge  die- 
ser Aspekt  oftmals  verloren.  Krause  war  allerdings  selbst  nicht  für  eine  Ausdeh- 


447  SAPMO-BArch,  DY  24/531  II  unpag.,  [Zentralrat  der  FDJ]  Abt.  Agitation/Propaganda,  Peter 
Seifert,  an  die  Ideologische  Kommission  beim  Büro  des  Zentralrates  der  FDJ,  Betr.:  »Die  ideologische  Ar- 
beit der  FDJ  bis  1970  - Die  Funktion  der  Massenkommunikationsmittel  bei  der  sozialistischen  Be- 
wusstseinsbildung der  Jugend«,  Berlin  14.12.1964,  S.  38. 

448  BArch  B,  DR  6/93  unpag.,  Jugendstudio  DT  64,  an  Chefredaktion  Berliner  Rundfunk,  Anschrei- 
ben zur  Ausarbeitung  »Jugendstudio  DT  am  Wochenende«,  S.  1.  Krause  war  Mitglied  der  Ideologischen 
Kommission  des  FDJ -Zentralrates.  SAPMO-BArch,  DY  24/5.09  I unpag.,  Vorlagen  der  Abt.  Agitation/ 
Propaganda  des  ZR  an  die  Ideologische  Kommission  des  ZR,  24.  Sitzung  der  Ideologischen  Kommission 
vom  28.10.1964.  Otto  Bark  ist  für  die  Hochschule  für  Bibliothekswesen  in  Berlin,  Siegmar  Krause  für  die 
Musikhochschule  Weimar  zuständig. 


nung  seines  Jugendstudios  DT  64  auf  das  Wochenende.  Da  er  wusste,  dass  die 
Intendanz  nicht  bereit  sein  würde,  andere  Programmteile  durch  die  Stärkung 
des  Jugendprogrammes  zu  schwächen,  schlug  er  bewusst  eine  Sendezeit  vor,  die 
bereits  mit  etablierten  Formaten  besetzt  war.  Mit  diesem  Trick  gab  er  der  Chef- 
redaktion des  Berliner  Rundfunks  Argumente  an  die  Hand,  um  das  Ansinnen  der 
FDJ  gekonnt  zu  parieren.  Und  der  Plan  ging  auf:  Eine  Woche  später  legte  der 
stellvertretende  Chefredakteur  des  Berliner  Rundfunks,  Klaus  Kröber,  gegen- 
über dem  Rundfunk-Komitee  dar,  dass  »eine  solche  Verlängerung  in  höchstem 
Maße  imzweckmäßig«449  wäre.  Durch  Einführung  eines  Jugendprogrammes 
anstelle  beliebter,  »seit  Jahren  eingeführter  und  hörerwirksamer  Wochenend- 
standardsendungen« würde  man  Hörer  verlieren.  Gerade  Zielgruppen  über  25 
Jahren  hätten  so  Grund  zum  RIAS  und  zum  Sender  Freies  Berlin  abzuwandern. 
Mit  dieser  Darstellung  erreichte  die  Chefredaktion  des  Berliner  Rundfunks 
wunschgemäß,  dass  das  SRK  im  August  1965  die  vorgebrachten  Bedenken  bil- 
ligte und  »im  Interesse  der  Erfüllung  der  großen  politischen  Aufgaben  des  Ber- 
liner Rundfunks«  45(1  einer  Programmerweiterung  für  DT  64  auf  das  Wochenen- 
de eine  Absage  erteilte. 

4.3.6  Der  Berliner  Rundfunk  als  Sender  der  Jugend.  Ein  Vorschlag  der 
Perspektivplanabteilung  für  die  Entwicklung  des  DDR-Rundfunks  1966/  67 

Hatte  man  bisher  einen  Jugendsender  immer  abgelehnt,  erklärte  im  Sommer 
1966  plötzlich  ein  Papier  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  (SRK)  die  Errich- 
tung eines  solchen  Jugendsenders  zu  einem  wichtigen  Entwicklungsziel  des 
Rundfunks  in  der  DDR.451  Was  war  passiert? 

Mitte  der  Sechziger  Jahre  arbeitete  sowohl  der  Osteireichische  Rundfunk 
(ORF)  in  Wien  wie  auch  die  britische  BBC  in  London  daran,  ein  unterhaltendes 


449  BArch  B,  DR  6/93  unpag.,  Berliner  Rundfunk,  Chefredaktion,  an  Sekretariat  des  Komitees,  Be- 
rieht:  Prüfung  der  Programmerweiterung  von  DT  64  über  das  Wochenende,  Berlin  24.6.1965,  S.  1. 

450  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staadiches  Rundfunkkomitee,  Sekretariat  des  Komi- 
tees, BP  Nr.  30/65  der  Komiteesitzung  vom  3.8.1965,  S.  2. 

451  BArch  B,  DR,  6/814  a unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  32/66  der  Komiteesitzung 
vom  30.8.1966,  S.  6. 


182 


Vollprogramm  für  jugendliche  Zielgruppen  zu  entwickeln  und  einzuführen.452 
Das  war  auch  dem  SRK-Perspektivplaner  Gralow  nicht  entgangen.  Unter  Ver- 
weis auf  diese  internationalen  Entwicklungen  schlug  er  1966  vor,  über  ein  täg- 
lich siebenstündiges  Jugendprogramm  nachzudenken,  das  anstelle  des  bisheri- 
gen Programmes  der  Berliner  Welle  gesendet  werden  könne. 

Auf  einer  klärenden  SRK-Sitzung  im  August  1966  beruhigte  Komiteevor- 
sitzender Eisler  zunächst  die  Gemüter  der  Chefredaktion  des  Berliner  Rund- 
funks, indem  er  bemerkte,  dass  ja  nicht  zwingend  zwischen  dem  Hauptstadtsen- 
der  und  einem  Jugendsender  entschieden  werden  müsse.  Im  folgenden  wurde 
aber  auch  der  Vorschlag  aus  der  Planungsabteilung  abgeschmettert. 45  3 

Die  neue  Qualität  dieser  Vorlage  bestand  indes  darin,  dass  sie  nicht  von 
Außen  gekommen,  sondern  im  Herzen  der  Rundfunkverwaltung  selbst  entstan- 
den war.  Die  Agitationsabteilung  des  ZK  hatte  die  Ausarbeitung  dieser  Planvor- 
lage zuvor  durchgewunken.  Außerdem  war  sie  mit  dem  stellvertretenden  Vor- 
sitzenden des  Komitees,  Reginald  Grimmer,  abgestimmt  gewesen.  Die  »Hör- 
barkeit von  DT  64«,  das  »Zurückdrängen  der  Einflußnahme  des  Feindes« 
sowie  die  neuen  Ergebnisse  der  Meinungs-  und  Hörerforschung  waren  darin 
eingearbeitet.454 

4.3.7  Jugendradio  DT  64.  Zu  lange  gewartet 

Der  Weg  zur  Eigenständigkeit  von  DT  64  blieb  ein  steiniger.  Erst  nach  den 
Weltfestspielen  1973  änderte  sich  dies  schrittweise.  Doch  musste  das  Jugendra- 
dio noch  bis  1986  warten,  bis  es  tatsächlich  ein  vollwertiger  Sender  wurde,  der 
während  und  nach  der  friedlichen  Revolution  in  der  DDR  1989  kurze  Zeit 
noch  einmal  an  Bedeutung  gewann,  1993  aber  abgewickelt  wurde. 


452  1967  wurden  diese  Jugendprogramme  eingefiihrt:  Ö3  in  Österreich  und  Radio  1 in  England.  Ed- 
ward  Larkey:  Pungent  Sounds.  Constructing  Identity  with  Populär  Music  in  Austria,  New  York:  Peter 
Lang  1993,  S.  57.  Maria  Wolf:  Auf  Atherwellen.  Persönliche  Radiogeschichte(n),  Wien/  Köln/  Weimar: 
Böhlau  2004,  S.  46. 

453  BArch  B,  DR  6/814  a unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  32/66  der  Komiteesitzung  v. 
30.8.1966,  S.  11. 

BArch  B,  DR  6/  814  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  an  die  Genossen  Intendanten,  Betr.: 
Erarbeitung  einer  Vorlage  zur  Wirksamkeit  und  Erfahrungen  nach  der  Neuprofilierung  der  Rundfunk- 
sender der  DDR,  Berlin  26.8.1966,  S.  1-2,  S.  1. 


is3 


SFB  vmd  RIAS  waren  mit  ihren  Jugendprogrammen  erst  ab  1968  eine  wirk- 
liche Referenzgröße  für  den  ostdeutschen  Jugendfunk.  Die  Beharrungskräfte  in 
der  sozialistischen  Rundfunkverwaltung  erzeugten  jedoch  eine  strukturelle 
»Lücke«,  die  dann  auch  von  den  in  den  1980er  Jahren  eingeleiteten  und 
schließlich  1986  und  1987  im  Jugendradio  DT  64  umgesetzten  Veränderungen 
nicht  mehr  auszufüllen  und  zu  beseitigen  war.455  Mit  Einrichtung  von  Jugend- 
studio DT  64  als  Jugendhörfunkprogramm  im  Berliner  Rundfunk  hatte  der  Osten 
Mitte  der  1960er  Jahre  den  Westen  mehr  als  eingeholt.  Jedoch  nach  20  Jahren 
des  Verzögerns  war  in  den  späten  1980ern  das  duale  Rundfunksystem  der  Bun- 
desrepublik nicht  mehr  zu  überholen,  obwohl  die  medienpolitischen  Akteure  in 
der  DDR  dann  einen  Jugendsender  wünschten  und  etablierten. 

4.4  Der  SFB  und  dessen  Jugendsendungen.  Eine  Geschichte  der  Begrenzungen 

Der  SFB  richtete  seinen  Blick  auf  den  freien  Teil  Europas.  Er  war  die  Brücke 
für  Berliner  Belange,  Präsenzen  und  Repräsentationen  im  bundesrepublikani- 
schen Radio-  und  Fernsehprogramm.  In  seinem  eigenen  Verständnis  leistete  er 
aber  auch  die  Verständigung  nach  Osteuropa  und  erklärte  den  DDR-Bürgern 
»sachlich  und  objektiv«  die  Welt.  Mit  Hilfe  dieser  Erzählung  forderte  die 
Rundfunkanstalt  die  Absicherung  ihrer  finanziellen  Bedürfnisse  ein.  Popmusik 
und  Popkultur  gehörten  lange  nicht  zu  dieser  Narration.  Hörfunk  für  Jugendli- 
che war  bis  1965  nur  bruchstückhaft  vorhanden  und  wurde  dann  bis  zur  Pro- 
grammreform 1967  an  den  Rand  des  SFB-Wochenprogramms  gelegt.  Wir —um 
zwanzig  kam  im  Oktober  1965  erstmals  an  einem  Sonntagabend.4'’6  Vor  einer 
Opernübertragung  störte  es  nur,  wenn  die  Liebhaber  klassischer  Musik  zu  früh 
auf  SFB  I wechselten  und  dann  »diese«  Musik  vor  »ihrer«  Musik  ertragen 
mussten.  Im  Umgang  mit  transnationaler  Popmusik  und  der  jugendlichen  Ziel- 
gruppe tat  sich  der  SFB  in  den  1960er  Jahren  schwer. 

Der  SFB  war  mit  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat  im  Bereich  der  Jugendsen- 


455  Edward  Larkey:  Rockradio,  2007,  S.  93. 

456  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  Sit- 
zung des  Hörfunkausschusses  am  11.10.1965,  S.  2.  [MdA,  Dach,  Dr.  Hirschfeld,  Msg.  Klausener,  Inten- 
dant Steigner,  Programmdirektor  Schütz,  HA  Familie/Bildung  WallnischJ. 


184 


düngen  allerdings  früher  präsent  und  konsequenter  als  andere  HRD-Anstalten. 
Dass  diese  Sendungen  in  das  Feierabendprogramm  gelangten,  hieß  indes  nicht, 
dass  sich  die  Vorbehalte  dagegen  schlagartig  auflösten.  Hieran  wird  eine  Verzö- 
gerungsgeschichte erkennbar,  in  deren  Verlauf  verschiedene  Abwehrhaltungen 
im  SFB  abgebaut,  aber  andere  Umgrenzungen  errichtet  wurden. 

4.4.1  Das  SFß-Programm  und  die  institutioneile  Zusammenarbeit  mit  dem 
Senat  vor  der  Einführung  von  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat 

Die  Jugendredaktion  des  SFB  war  kein  vor  politischem  Einfluss  geschützter 
und  abgeschirmter  Raum.  Ihr  kam  die  Aufgabe  zu,  die  Anstrengungen  der  offi- 
ziellen Westberliner  Jugendpolitik  dar-  und  deren  Institutionen  vorzustellen. 
Für  berichtenswert  Gehaltenes  kam  aus  der  Senatsverwaltung  für  Jugend  und 
Sport,  den  Bezirksämtern  und  den  Berliner  Jugendverbänden,  nicht  aber  aus 
dem  studentischen  Milieu,  von  nicht-organisierten  Jugendlichen  oder  aus  der 
subkulturellen  Szene. 

Die  SFB-Jugendredaktion  verfügte  nicht  über  eigene  Sendungen,  sondern 
musste  versuchen,  ihre  Themen  im  übrigen  Programm  unterzubringen.  Die 
Notwendigkeit,  »relevante«  Themen  anbieten  zu  müssen,  führte  in  der  Praxis 
schnell  dazu,  dass  die  Redakteure  Wünschen  der  Berliner  Senatsverwaltungen 
entgegenkamen,  da  führende  Politiker  immer  ein  Argument  für  die  Wichtigkeit 
des  eigenen  Beitrags  waren.  Es  entwickelte  sich  eine  enge  Kooperationsbezie- 
hung vor  und  hinter  der  Kamera,  was  auf  dem  Sender  nicht  selten  einer  »Hof- 
berichterstattung« gleichkam.457 


457  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  4945,  Abt.  Jugendfunk  Hör- 
funk,  Susanne  Fijal,  an  Abteilung  Jugend  und  Sport  (FS),  Herbert  Schmidt,  Mitschrift  eines  Gespräch  mit 
Herrn  Wehowski,  Referent  für  Kulturelles  beim  Senator  für  Jugend  und  Sport,  Betr.:  Jugendkonzerte  des 
Senats,  Berlin  27.1 1.1963,  S.  1-2,  S.  1.  [Kopien  an  Programmdirektor  (Fernsehen),  Fischer,  Programmdirek- 
tor (Hörfunk),  Dr.  Teichmann].  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr. 
3721,  Susanne  Fijal/  Familienprogramm  an  Herrn  Lauströer/  Jugendsendungen  HF,  26.11.1970,  S.  1. 


4.4.2  Der  SFB  macht  keinen  Jugendfunk,  die  »Zone«  macht  ihn. 

Die  Kritik  des  Arbeitskreises  »Funk,  Fernsehen,  Film«  1964 

Besorgte  Westberliner  Jugendpolitiker  beklagten  Mitte  der  1960er  Jahre,  dass 
das  SFR-Programm  - trotz  dessen  medialer  Unterstützung  des  jugendpoliti- 
schen Kurses  der  Senatsverwaltung  für  Jugend  - inzwischen  deutliche  Schwä- 
chen aufweise.  Selbst  die  Ostberliner  Konkurrenz  sei  in  dieser  Programmsparte 
weniger  schwerfällig  als  der  SFB.  Das  zumindest  hielt  der  Arbeitskreis  »Jugend, 
Funk  und  Fernsehen«  der  Landesrundfunkanstalt  vor.  Die  eingeladenen  Ju- 
gendexperten der  verschiedenen  Berliner  Bezirksämter  sowie  Jugendheimleiter, 
Jugendpfleger  und  Schuldirektoren  befanden,  dass  »der  Jugendfunk  des  SFB« 
nach  ihren  Erfahrungen  »bei  der  Jugend  nahezu  unbekannt«  sei.  Das  führten 
sie  vor  allem  auf  »Form  und  Inhalt  der  Sendungen«458  zurück.  Die  Jugendex- 
perten erklärten,  die  musikalischen  Interessen  der  Jugend  hätten  sich  bereits 
vom  »Jazz«  gelöst  und  sich  Modeströmungen  wie  »Twist«  und  »Flully  Gully« 
zugewandt.  Damit  befanden  sich  die  Teilnehmer  des  Arbeitskreises  deutlich 
näher  am  Puls  der  jugendkulturellen  Entwicklungen  als  der  SFB.  »In  die  Schla- 
gersendungen«, schlugen  die  Experten  vor,  solle  man  »wertvolle  Beiträge  wie 
Diskussionen,  Gespräche,  Kurzbesuche  in  Jugendfreizeitheimen«459  einfügen. 
Die  Jugendheimleiter  und  Erziehungsbeamten  wiesen  ausdrücklich  daraufhin, 
dass  der  Rundfunk  in  M[ittel]deutschland  auf  diese  und  ähnliche  Weise  nicht 
ganz  erfolglos  arbeitet.«460  Der  süffisant  verpackte  Verweis  auf  Jugendformate 
im  DDR-Rundfunk  stieß  die  SFF-Verantwortlichen  bewusst  vor  den  Kopf,  um 
dringenden  Flandlungsbedarf  anzumahnen. 


458  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  4945,  SFB-Fernsehen,  Abt. 
Jugend  und  Sport,  Friedrich  Arndt  an  SFB-Schulfunk,  Herrn  (Eberhard)  Cyran,  Tagungsbericht  der  5. 
Arbeitstagung  »Jugendhilfe  in  gemeinsamer  Verantwortung«,  Thema  Jugend,  Funk,  Fernsehen,  am  12.2. 
1964,  Berlin  14.2.1964,  S.  1-2,  S.  1. 

459  Ebd.,  S.  2. 

460  Ebd.,  S.  2. 


186 


4.4.3  Töne  für  die  »Zone«.  Die  Einführung  von  s-f-beat  im  März  1967 


Erst  drei  Jahre  später,  1967,  wurde  das  Jugendprogramm  des  DDR-Rundfunks 
tatsächlich  zu  einem  Bezugspunkt  für  Programmentscheidungen  im  SFB-YLör- 
funk.  Am  6.  März  1967  461  ging  s-f-beat  auf  Sendung.  Nur  durch  Erwähnung  des 
gegnerischen  Programms  war  dessen  Einführung  dem  Rundfunkrat  überhaupt 
zu  vermitteln  gewesen.462 

Das  neue  Format  forderte  die  SFF-Stammhörerschaft  heraus:  Sie  war 
Beschauliches  wie  Konzerte  des  Musikkorps  der  Berliner  Schutzpolizei  ge- 
wöhnt. Ab  März  1967  brüllten  plötzlich  langhaarige  Engländer  wie  Mickjagger 
aus  den  »Volksempfängern«  auf  den  Häkeldeckchen.463  Auch  senderintern  und 
auf  den  Straßen  herrschte  1967  Unruhe.  Der  SFB  versuchte  weiterhin  Lokalpa- 
triotismus und  Hochkultur  mit  der  Kleinteiligkeit  der  Berlin  Cold  War  Culture 
der  1950er  Jahre  zu  verbinden,  und  geriet  in  den  späten  Sechziger  Jahren  - wie 
andere  etablierte  Medien  auch  - in  den  Strudel  der  transnationalen  Protestbe- 
wegungen und  der  plötzlichen  Sichtbarkeit  von  Subkulturen.  In  seinen  Hör- 
funkprogrammen wurde  nun  verhandelt,  ob  das  freie  Westberlin  im  vietname- 
sischen Dschungel  verteidigt  werde  oder  der  demokratische  Rechtsstaat  seinen 
liberalen  Prägungen  gegen  eine  Notstandsgesetzgebung  erkämpfen  müsse.  Im 
mehrseitig  politisierten  Westberlin  stieß  der  SFF-Jugendhörfunk  auf  Begren- 
zungen, die  als  Fragen  getarnt  waren:  Was  will  die  Berliner  Jugend  tatsächlich? 
Was  unterscheidet  »normale«  Jugendliche  von  bärtigen  und  schlampig  angezo- 
genen »Extremisten«?  Dürfen  Fritz  Teufel,  Dieter  Kunzeimann  oder  Rudi 
Dutschke  vor  ein  SFB-Mikrofon  gelassen  werden? 

In  dieser  Konstellation  war  bereits  die  Musik  politisch  aufgeladen,  die  bei 


461  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2702/11,  Schreiben  von 
Susanne  Fijal,  Familien-  und  Jugendprogramm  des  Sender  Freies  Berlin,  an  Raoul  Hoffmann,  München, 
22.5.1969,  S.  1. 

462  SFB-Programmdirektor  Eberhard  Schütz:  Der  SFB  unternehme  mit  s-f-beat  den  Versuch,  »der  im 
Ostrundfunk  ausgestrahlten  Musiksendung  mit  Informationen  zu  begegnen  und  die  jungen  Menschen  für 
die  SFB-Sendungen  zu  gewinnen.«  (Vgl.  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin, 
Nr.  2016,  Protokoll  der  Sitzung  des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  Berlin  27.2.1967,  S.  1- 
4,  S.  2.) 

463  TV  Hören  und  Sehen,  (1966)  H.  29,  Sendewoche  16.7-22.7.1966,  19.7.1966.  Siehe  TV  Hören  und 
Sehen,  (1967)  H.  9,  Sendewoche  25.2.1967  bis  3.3.1967,  28.2.1967,  S.  40. 


is7 


s-f-beat  lief:  Schwarzer  Soul  vom  Motown  Label  war  genauso  »heiß«  wie 
Northern-Soul  aus  Manchester  und  Wigan  oder  die  lärmenden  Gitarrensoli 
von  Pete  Townshend,  John  Entwistle-Bassläufe  und  Keith  Moons  dröhnendes 
Schlagzeug.  Popmusik  war  für  die  Jugend  erfrischend  unverständlich.  Eltern 
und  Lehrer  hingegen  fürchteten  um  die  deutsche  Kulturnation.  Popmusik  ver- 
setzte die  akustische  Kartografie  Westberlins  in  Bewegung. 

Dafür  sei,  so  der  Hörfunkprogrammdirektor  Teichmann,  ein  »Programm- 
block E-Musik  von  16.00  bis  18.30  Uhr  im  2.  Programm  an  allen  Wochentagen 
von  Montag  bis  Freitag«  eingefügt  worden,  in  dem,  wie  der  Programmdirektor 
dem  Vertreter  der  Berliner  Musikhochschulen,  Puchelt,  versicherte,  die  Beteili- 
gung Berliner  Musikschaffender  »in  jedem  erdenklichen  und  vertretbaren 
Maße  entsprochen  werde.«464  Bislang  liefen  auf  SFB  II  Musikprogramme  wie 
Wir  unterhalten  Sie,  Flotte  Rhythmen  und  die  Beat-Party.  s-f-beat  ersetzte  die 
Beat-Party  und  wurde  von  klassischer  Musikerziehung  und  einem  längeren  In- 
formationsblock umschlossen.466 

Ein  Jahr  später  beschäftigte  sich  der  Programmausschuss  unter  dem  Punkt 
»Programmaussprache«  erneut  näher  mit  den  Sendungen  der  SFR-Jugendre- 
daktion.  Eine  Protokollnotiz  vom  29.  Februar  1968  vermerkte,  »dass  alle  Mit- 
glieder in  den  kommenden  Wochen  die  Sendungen  >SF-beat<  und  >wir  - um 
zwanzig<  verfolgen  sollten.«467  Auf  einer  späteren  Sitzung  wollte  sich  der  Aus- 
schuss noch  einmal  damit  befassen.  Eine  Ansammlung  von  Höreindrücken, 
Befindlichkeiten,  vermuteten  Aussagen  und  kritischen  Bemerkungen  zum 
Jugendprogramm  ließen  es  dem  Aufsichtsgremium  notwendig  erscheinen,  über 
diese  Sendungen  des  SFB  eingehend  zu  beraten.  Unter  dieser  Oberfläche 
schwelten  die  Befürchtungen,  dass  »radikale  Tendenzen«  innerhalb  der  Redak- 
tion Jugendsendungen  bestanden.  Diese  mussten  im  Programmausschuss  kri- 


464  Ebd.,  S.  4. 

465  TV  Hören  und  Sehen,  H.  9,  28.2.1967,  25.2.-3.3.1967,  S.  40. 

466  TV  Hören  und  Sehen,  H.  10,  7.3.1967,  4.3.-10.3.1967,  S.  44. 

467  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  Sit- 
zung  des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  29.2.1968,  S.  4.  [Anwesend:  Intendanz,  Hoyzer 
(DGB),  Dr.  Goez,  Hausmann,  Dr.  Hirschfeld,  Klemann  (Jüdische  Gemeinde  zu  Berlin),  Entschuldigt: 
Claus,  Grass,  Puchelt,  Schmidt]. 


tisch  zur  Sprache  gebracht  werden.  Die  Hinwendung  zu  einem  ganzen  Pro- 
grammfeld erzeugte  eine  Problematisierung  und  dauerhafte  Sensibilisierung 
der  Ausschussmitglieder.  Diese  Problematisierung  zeigte  an,  dass  es  gegensätz- 
liche Meinungen  gab,  wie  die  Sendungen  an  die  Adressatengruppe  Jugend  nun 
im  SFB  zu  gestalten  seien,  welche  Meinungen  darin  mindestens  Vorkommen 
sollten  und  vor  allem  wie  diese  Sendungen  zu  klingen  hatten. 

Beispielsweise  erörterte  der  Programmausschuss  die  vom  Vertreter  der 
Berliner  Hochschulen  vorgebrachte  Beschwerde,  dass  eine  »Passage  aus  der 
Hörfunksendung  wir  - um  zwanzig«  die  Lehrmethoden  an  der  TU  und  die 
Tätigkeit  von  Tutoren  nicht  im  Sinne  der  Universitätsleitung,  also  »verzerrt«, 
dargestellt  habe.468  Der  neue  Intendant  Franz  Barsig  brachte  zum  Ausdruck,  so 
das  Protokoll,  dass  es  innerhalb  der  Programmdirektion  bereits  konkrete  Pla- 
nungen für  eine  Hochschulsendung  gebe,  in  der  »dieses  Problem  und  andere 
(Hochschulreform  usw.)  in  aller  Ausführlichkeit  behandelt  werden  sollen.«469 
Bislang  berichtete  nur  die  Jugendredaktion  über  hochschulpolitische  Fragen, 
weil  sich  die  Chefredaktion  und  andere  SFF-Redaktionen  für  die  Berliner 
Hochschulpolitik  nur  wenig  interessierten. 

Auf  die  Frage  eines  Programmausschussmitgliedes  »wie  das  Echo  aus  Ost- 
berlin  auf  die  Sendung  >sf-beat<  sei«,  berichtete  Barsig,  dass  der  SFB  »mit  die- 
ser Sendung  offenbar  ein  Gegengewicht  zu  DT  64  und  dem  Freiheitssender 
gefunden«  habe.470  Die  Bedenken,  die  sich  an  aufrührerische  Wirkungen  des 
SFF-Jugendfunks  und  umstürzlerische  Tendenzen  innerhalb  der  Jugendredak- 
tion festmachten,  waren  mit  dieser  Aussage  erst  einmal  wieder  aus  dem  Sicht- 
feld der  Rundfunkräte  gerückt.  Einige  Tage  später  hielt  das  Rundfunkratspro- 
tokoll vom  10.  Juni  1968  fest,  dass  der  Programmausschuss  am  25.  Juni  über  die 
wichtigsten  Änderungen  der  Hörfunkprogrammstruktur  beraten  werde.  Dabei 


468  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  Sit- 
zung  des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  13.12.1967,  S.  3. 

469  Ebd.,  S.  3. 

470  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  Sit- 
zung Nr.  1 des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  5.6.1968,  S.  2. 


189 


war  ein  Punkt  »die  Verstärkung  des  Programms  für  die  Jugend.«471  Das  Sit- 
zungsprotokoll stellte  zumindest  die  darüber  geführte  Diskussion  nicht  dar.477 
Allerdings  stärkte  der  SFB  fortan  das  popmusikalische  Profil  des  Montagabends 
mit  Wolfgang  Kraeszes  Anything  Goes,  einem  programmatischen  Titel. 

Intendant  Barsig  bekräftigte  Anfang  Juni  1968,  wiederum  mit  Verweisen 
auf  Jugendstudio  DT  64  und  den  Deutschen  Freiheitssender  904,  das  Engagement 
des  SFB  gegenüber  dieser  Zielgruppe. 

Um  Programmideen  in  der  SFF-Hierarchie  durchzusetzen,  benutzte  die 
Jugendredaktion  das  Ostberliner  Kontrastprogramm.  Im  Frühjahr  1971 477  be- 
obachtete die  Jugendredaktion  des  SFB  zwei  Wochen  lang  Jugendstudio  DT  64 
und  die  Sendung  Junge  Leute  Heute  ( Deutschlandsender ).  Sie  legte  anschließend 
in  einer  Expertise  dar,  dass  der  DDR-Rundfunk  auch  bereits  am  Sonnabend- 
nachmittag zwischen  zwei  und  fünf  Uhr  Jugendpolitik  und  Musik  in  einem 
mehrstündigen  Sendeblock  verpacke.  Einige  Monate  vorher  hatte  der  SFB- 
Jugendredakteur  Alfons  Lauströer  eine  neue  Debatte  über  andere  inhaltliche 
Ausrichtungen  der  beiden  Sendereihen  ausgelöst.474  Lauströers  Idee,  auch 
sonnabends  s-f-beat  zu  senden  und  als  »Autoren«-Sendung  anzulegen,  konnte 
mit  dem  Verweis  auf  das  Angebot  des  DDR-Rundfunks  Nachdruck  verliehen 
werden.  Allerdings  erhielt  s-f-beat  den  Sonnabend-Platz  erst  am  2.  Juni  1973  im 
Zuge  des  Sommerprogramms. 

Die  SFF-Intendanz  vermittelte  den  Multiplikatoren  in  den  Aufsichtsgre- 
mien mit  der  Einführung  von  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat  das  Bild  einer  ide- 
enreichen Rundfunkanstalt,  die  die  besonderen  Belange  der  Berliner  Jugend  in 


471  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  12. 
Sitzung  des  Rundfunkrates  vom  10.  Juni  1968,  S.  1.  [Anwesend.  Mitglieder  des  Rundfunkrates,  Intendant 
Barsig,  (Programmdirektor  Hörfunk)  Blässer,  (Justitiar)  Mittas,  (stellv.  Programmdirektor)  Dr.  Pechei,  Dr. 
Bergfried  (Intern.  Verbindungen),  Kröger  (Presseabteilung),  Grassme  (Presse-  und  Informationsamt  des 
Senats  von  Berlin),  Entschuldigt:  Dach,  Gießmer,  Hoyzer,  Grass,  Puchelt,  Signola]. 

472  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016,  Protokoll  der  Sit- 
zung Nr.  2 des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  25.6.1968. 

473  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3721,  (Abt.  Jugendsen- 
dungen), Jugendsendungen  im  DDR-Hörfunkprogramm,  16.3.  bis  8.4.1971,  Berlin  (ca.  April  1971),  S.  1- 
11,  S.  1. 

474  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3721,  Susanne  Fijal/  Fa- 
milienprogramm an  Herrn  Lauströer/  Jugendsendungen  HF,  26.1 1.1970,  S.  1. 


ihren  Sendungen  abbildete.  Dafür  waren  in  der  Berichterstattung  und  in  der 
musikalischen  sowie  sprachlichen  Präsentation  auch  »neue«  und  unkonventio- 
nelle Wege  zu  beschreiten.  Eine  freiheitlich  orientierte  und  objektiv  berichten- 
de Rundfunkanstalt,  die  für  die  (Gesamt)-Berliner  Interessen  eintrat  und  gerne 
westliche  Liberalität  nach  »Außen«,  gegenüber  der  DDR,  demonstrierte  muss- 
te diese  Verschiedenheiten  aushalten  können  und  wollen.  Zumal  dann,  wenn 
die  SFF-Jugendsen  düngen  die  jugendliche  Zielgruppe  gegen  die  östlichen  Ein- 
flüsse imprägnierten,  weil  sie  systemisch  bedingte  »Beweglichkeit«  und  »Frei- 
heit« des  Westens  verdeutlichten.  Die  Ostberliner  Konkurrenz  war  bis  dahin 
stets  eine  Kenngröße,  wenn  der  SFB  neue  Hörfunkprodukte  bei  den  Gremien 
durchsetzte.  Mit  der  rhetorischen  Bezugnahme  auf  den  »Gegner«  und  dessen 
Propaganda  waren  der  SFF-Programmausschuss  für  die  Veränderungen  einzu- 
nehmen. 

Die  Intendanz,  die  Programmdirektion  Hörfunk,  die  Hauptabteilung 
Familie  und  Bildung  sowie  die  Abteilung  Jugendsendungen  des  SFB  hatten  zwi- 
schen 1964  und  1965  verstärkt  Konzeptionen  über  mögliche  Jugendhörfunk- 
sendungen besprochen,  verworfen  und  wieder  neu  entwickelt.475  Als  wir-  um 
zwanzig  einen  Sendeplatz  am  Sonntagabend  erhielt,  verdeutlichte  der  Redak- 
teur der  SFF-Schulfunksendungen,  Paul  Wallnisch,  am  11.  Oktober  1965  vor 
dem  Hörfunkausschuss,  über  den  pädagogischen  Anspruch  hinaus  habe  der 
SFF-Schulfunk  »noch  die  besondere  Aufgabe  - besonders  nach  dem  Bau  der 
Mauer  - den  jungen  Hörern  im  anderen  Teil  Deutschlands  in  schulfunkgemä- 
ßer Form  ungefärbtes  informatives  Wissen  zu  vermitteln.« 

4.4.4  s-f-beat\  Sozialdemokratisch,  fortschrittlich,  Beat.  Eine  politisierte 
Stunde  Popmusik. 

Die  mediale  Inszenierung  und  Gegeninszenierung  der  studentischen  Aktivitä- 
ten 1967  und  1968  hatten  nicht  nur  im  öffentlich-rechtlichen  Rundfunk  und 
Fernsehen  der  Bundesrepublik  Befremden  über  die  »unruhige  Jugend«,  ihre 
Sprechchöre  und  Demonstrationslosungen  erzeugt.  Die  inhaltlichen  und  musi- 


475 


Zeitzeugeninterview  mit  Susanne  Fijal,  Bispingen,  15.12.2006. 


kalischen  Profile  von  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  konnten  von  Mitgliedern 
des  Programmausschusses  nun  als  »radikalisiert«  und  »extremistisch«  wahrge- 
nommen werden.  Der  Intendant  wachte  über  »Sauberkeit«,  »Sachlichkeit«  und 
»Verfassungstreue«  der  Sendungen,  damit  ihm  die  im  Rundfunkrat  und  Pro- 
grammausschuss vertretenen  Berliner  Parteien  und  Verbände  keine  allzu  große 
Nachsichtigkeit  unterstellten. 

Die  Zugriffsrechte  auf  Themen  wie  die  Jugendpolitik  des  Senats  und  des 
Bundes  lagen  nominell  bei  der  Chefredaktion  Politik.  Das  bildete  die  haupt- 
sächliche Konfliktkonstellation,  da  die  Redaktionen  Familie,  Bildung  und 
Jugend  der  Programmdirektion  unterstellt  waren.  Die  Zeitfunk-Redaktion 
beanspruchte  aber  die  Hoheit  über  die  politische  Berichterstattung  aus  Ber- 
lin.476 Themen  und  Ereignisse,  die  junge  Berliner  Erwachsene,  Studenten  und 
Schüler  interessierten,  sollten  auch  in  der  Jugendsendung  zu  hören  sein.  Das 
beinhaltete  auch  Fragen  danach,  welche  Blickwinkel  die  Berichterstattung 
zuließ  und  wie  die  Debatten  um  journalistische  Sorgfaltspflichten  an  korrekten, 
»objektiven«  und  handwerklich  »richtig«  umgesetzten  Themen  geführt  wur- 
den. Nicht  nur  die  Vertreter  der  Berliner  Hochschulen  mussten  angesichts  der 
Berichte  und  Kommentare  der  SFF-Jugendredaktion,  die  die  fehlende  Binnen- 
pluralität an  den  Universitäten  und  das  antiquierte  Kommunikationsverständ- 
nis der  Ordinarien  kritisierte  sowie  die  allgemeine  Medienpräsenz  der  studenti- 
schen Jugend  Westberlins  in  den  Jahren  1967  und  1968  geradezu  erschrocken 
sein.  Für  die  Berliner  Polizei  galt  ähnliches,  nicht  nur  hinsichtlich  ihrer  Stra- 
ßenpolitik, sondern  auch  gegenüber  ihrem  späteren  Verhalten  bei  Räumungen 
von  besetzten  Häusern. 

Als  eine  musikdominierte  Jugendsendung  markierte  s-f-beat  eine  Scheideli- 
nie zwischen  verschiedenen  Öffentlichkeiten,  zwischen  der  offiziellen  Westber- 
liner Jugendpolitik  sowie  subkulturellen  und  linken  politischen  Gegenbewe- 
gungen. Die  Hauptabteilung  Musik  des  SFB  ging  in  den  klassischen  Konzertsä- 
len der  Stadt  ein  und  aus,  die  s-f-beat- DJs  waren  im  Quasimodo  oder  im  Blue 
Flatne  eher  anzutreffen  als  im  Schöneberger  Sportpalast.  Für  die  Jugendsendung 
arbeiteten  zunächst  drei  Moderatoren,  die  gleichzeitig  auch  die  Platten  aufleg- 


476  Zeitzeugeninterview  Susanne  Fijal,  Bispingen  15.12.2006. 


192 


ten.  1970  waren  es  fünf  Sprecher  - eine  Frau  und  vier  Männer.  Jeder  von  ihnen 
hatte  einen  festen  Sendetag  und  konnte  »ohne  Einspruch  der  Redaktion  die 
Musik«  selbst  auswählen.  Henning  Vosskamp  hatte  den  Montag  und  Juliane 
Bartel  den  Dienstag.  Uli  Herzog  bespielte  den  Mittwoch.  Donnerstag  war 
Hans  Dieter  Frankenberg  an  der  Bandmaschine  und  freitags  schließlich  Hans 
Rainer  »Pfeifen«-Lange.477 

Montag  und  Dienstag  waren  bei  s-f-beat  vorwiegend  Underground-Tage, 
an  denen  hauptsächlich  progressive  Musik  lief.  Der  Donnerstag  war  von  Jazz, 
Rock  und  Underground  geprägt.  Freitags  lief  progressiver  und  konventioneller 
Jazz  sowie  weißer  und  schwarzer  Blues.  Herzog  beschrieb  in  einer  Anmoderati- 
on »unseren  Hörerkreis  [...]  zwischen  14  und  etwa  35  Jahre  [...],  wobei  die  ganz 
jungen  Hörer  in  den  letzten  zwei  Jahren  mehr  die  Sendungen  der  Treffpunkt- 
Kollegen  vom  RIAS  bevorzugen.  «478 

Herzog  wollte  über  den  Sender,  für  seine 
Idee  werben,  an  einem  s-f-beat- Tag  leichter  zu  konsumierende  Popmusik  zu 
präsentieren,  s-f-beat  leuchtete  auf  popmusikalische  Strömungen  aus  Nischen, 
so  stellte  es  Herzog  dar.  Einfachheit,  Geradlinigkeit,  Konzentration  auf  die 
Stimme,  auf  die  Melodie,  auf  den  Titel,  wollte  Herzog  nach  zweieinhalb  Jahren 
s-f-beat  wieder  zur  Geltung  verhelfen.  Und  auch  wieder  ein  wenig  zurück  zum 
Stil  und  zum  Erscheinungsbild  der  Anfangszeit,  so  wie  er  es  empfand,  zu  den 
prägnanten  Hits  des  heißen  Beat-Sommers  1967.  »Das  war  eine  Konzeption. 
Standpunkte.  Persönliche.  Das  ist  es,  was  Sie  im  Mittwoch  s-f-Beat  erwartet. 
Standpunkte  können  sich  ändern.  Aber  nicht  gleich.«479  Durch  die  Anrede 
»Sie«  blieben  die  Hörer  auf  Distanz.  Die  SFR-Jugendredaktion  behandelte  ihre 
Zuhörer  immerhin  als  Kommunikationspartner.  Das  war  einen  deutlichen 
Schritt  davon  entfernt,  Hörfunkkonsumenten  als  Subjekte  von  akustischer 
Erziehungs-  und  Aufklärungsarbeit  zu  betrachten. 

Um  die  jungen  Hörer  als  Musik-  und  Informationskunden  zu  begreifen,  die 
jeden  Abend  sechzig  Minuten  Sound  konsumierten,  musste  sich  die  implizite 


477  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/20,  s-f-beat-  Sendung 
Nr.  917,  Mittwoch  4. 11. 1970,  18.30-19.30  Uhr,  Ulrich  Herzog:  Live-Sprecher,  Musikauswahl;  Hans  Rainer 
Lange:  Musikauswahl,  Selbstbeschreibung  von  s-f-beat,  o.D.  (Nov.  1970),  o.A.  (Uli  Herzog),  S.  1-2,  S.  1. 

478  Ebd.,  S.  1. 

479  Ebd.,  S.  2. 


J93 


Kalte  Krieg-Ausrichtung  des  SFR-Jugendfunks  erst  auflösen.  Diese,  für  öffent- 
lich-rechtliche Rundfunkanstalten  der  Bundesrepublik  durchaus  sehr  weite 
Interpretation  klanglicher  Spielbarkeiten  und  kreativen  Freizügigkeiten,  be- 
stimmte sich  aus  dem  Selbstverständnis,  als  eine  mediale  »Brücke«  in  die  DDR 
zu  fungieren. 

Wiederholte  Nachfragen  des  Programmdirektors  oder  des  Intendanten, 
oftmals  von  den  Anmerkungen  aus  den  persönlichen  Umfeldern  ausgelöst, 
bezogen  sich  auf  die  »missglückten  Beiträge«,  die  ihnen  als  nicht  »verständ- 
lich« erschienen.  Gerade  gegenüber  der  Mitwirkung  von  freien  Mitarbeitern  in 
der  sf-beat-Sendxing  vom  18.  August  1970 480  blieb  Programmdirektor  Schütz 
»nach  solchen,  offenbar  improvisierten  Auftritten  von  Herrn  Kraesze  völlig 
ratlos«  zurück.  Er  verstand  nicht,  was  dieser  »so  hoch  geschätzte  Mitarbeiter 
eigentlich  sagen  wollte.«  Schütz  vermutete,  dass  dieser  es  selbst  nicht  wisse. 
Und  wenn  dies  der  Fall  sei,  so  könne  er  doch  nicht  solchen  Unsinn  tatsächlich 
für  sendefähig  halten  und  in  einer  Jugendsendung  des  SFB  verbreiten,  s-f-beat 
war  eine  schräge,  ausgepflippte  Musterung  im  städtischen  Klangraum  Berlin, 
die  zwar  aus  der  Charlottenburger  Masurenallee  stammte,  aber  das  »objektive« 
und  »sachliche«  Selbstbild  des  SFB  häufig  verzerrte  und  bewußt  verschob. 
Genau  darin  lag  der  popkulturelle  Reiz,  den  die  Sendung  für  die  aufmüpfigen 
Berliner  Jugendlichen  erzeugte  und  auf  die  Oberfläche  des  öffentlich-rechtli- 
chen Rundfunks  in  einer  Stadt  einschrieb,  in  der  die  Reste  des  Krieges  noch 
sichtbar  und  der  Kalte  Krieg  der  Bilder  und  Worte  ansonsten  allabendlich  aus 
dem  Fernseh-  und  Hörfunkstudio  kam  und  aus  den  Empfangsgeräten  klang. 

4.4.5  Kritik  zum  Sonntag.  Das  Jugendmagazin  wir  - um  zwanzig 

Die  Grenzen  zwischen  frechem  und  nachfragendem  Journalismus,  Unsinn  und 
den  Zwängen  ästhetischer  Ausgewogenheit  waren  instabil.  Sie  waren  im  SFB, 
und  nicht  nur  dort,  eher  als  Übergangszonen  zu  kennzeichnen.  Daraus  ergab 
sich  allzu  häufig  ein  Wechselspiel  aus  eindrucksgeleiteter  Programmkritik  von 


480  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3721,  Programmdirektion, 
Eberhard  Schütz,  an  [Abt.  Familie  und  Jugend]  Frau  Fijal,  9.9.1970,  S.  1. 


I94 


»oben«,  der  Rechtfertigung  und  Widerlegung  durch  die  Redaktion  und  der 
teilweisen  Entkräftung  von  Vorwürfen.  Die  zahlreichen  Wiederholungen  die- 
ser Mechanismen  verdichtete  ein  Bild  der  SFB-Jugendsendungen,  das  sich  aus 
fehlender  »Ausgewogenheit«,  ungenügender  Recherche  und  Distanzlosigkeit 
speiste.  Das  positive  Berlin-Bild,  welches  der  SFB  zeichnete,  sollte  nicht  von 
den  engagierten  Jugendsendungen  dauerhaft  überschrieben  werden. 

Hörfunkprogrammdirektor  Hans-Georg  Berthold  hatte  sich  im  Februar 
1974  bereits  auf  dem  telefonischen  Dienstweg  bei  Abteilungsleiterin  Fijal  über 
die  wir  - um  zwanzig- Sendung  vom  3.  Februar  1974  beschwert.  Er  fragte  nach 
dem  internen  Diskussionsstand  bezüglich  der  künftigen  Gestaltung  dieser  Sen- 
dungen.481 Berthold  hatte  sich  das  Band  der  Sendung  angehört,  immerhin  hat- 
ten ihm  dabei  »nur  die  letzten  20  Minuten  Anlaß  zum  Arger  geboten.«  Es  kam 
demnach  öfters  vor,  dass  Berthold  mehr  als  das  letzte  Drittel  der  Sendezeit  für 
unzureichend  geplant  erschien.  Die  vorproduzierten  Teile  hätten  durchaus 
einen  bestimmten  Informationswert  gehabt,  gestand  Berthold  zu.  Allerdings 
habe  der  Hörfunkdirektor  »ein  ungutes  Gefühl«  gehabt,  denn  die  »die  Präsen- 
tation der  männlichen  Gesangskünstler,  die  neuerdings  im  äußeren  Habitus 
dem  femininen  Modetrend  folgen«,  habe  vielmehr  »wie  eine  Werbung  für 
deren  Plattenerzeugnisse«  gewirkt.482  Berthold  stellte  gegenüber  Fijal  und 
Kabel  die  Frage  - natürlich  bezog  er  die  Äußerung  auf  sein  rein  subjektives 
Empfinden  -,  ob  die  Auswahl  der  Teilnehmer  an  dem  Live-Gespräch  von  der 
Redaktion  glücklich  gewählt  gewesen  sei,  denn  die  Aussagen  wie  auch  die  Dis- 
kussionsleitung empfand  Berthold  als  hilflos.  Wolle  man  »schon  ein  neues  Phä- 
nomen auf  der  gesellschaftlichen  Szene  erklären«,  dann  habe  der  Redakteur  tat- 
sächlich kompetente  Fachleute  zu  suchen.  Diese  Sendung  habe  ihn  veranlasst, 
wieder  darüber  grundsätzlich  nachzudenken,  ob  es  im  Rahmen  einer  Jugend- 
sendung sinnvoll  sei,  »über  Randgruppen  der  Gesellschaft  zu  berichten.«  Das 
würde  insbesondere  dann  gelten,  wenn  der  Jugendfunk  helfen  wolle,  gesell- 


481  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2669,  Programmdirekti- 
on, Klaus  Georg  Berthold  an  Frau  Fijal  und  Dr.  Kabel,  7.2.1974,  Betr.:  »Wir  um  20«  vom  3.2.1974,  S.  1. 
(Kopie  an  Dr.  Proebster). 

482  Ebd.,  S.  1. 


J95 


schaftliche  Missstände  zu  beseitigen.  Das  sei  natürlich  wichtig  und  die  Notwen- 
digkeit natürlich  unstrittig.  Solche  Themen  würden  »zunehmend  eine  Bevor- 
zugung« in  den  Sendungen  des  Jugendfunks  erlangen,  so  Bertholds  Eindruck. 
Er  sei  sicher,  dass  »neben  den  Absonderlichkeiten  und  kritikwürdigen  Zustän- 
den in  aller  Welt  auch  bei  uns«,  in  Berlin,  »Themen  auffindbar  sein  müssen,  die 
dem  Arbeits-  und  Freizeitalltag  näher«  seien.  Genauso  glaubte  der  Hörfunkdi- 
rektor,  verspreche  es  Erfolg,  »auch  heute  noch  nach  Jugendlichen«  zu  forschen, 
»die  nicht  unter  unserer  Gesellschaftsordnung  leiden  müssen.«  Damit  gewänne 
wir  - um  zwanzig  eine  positive  Grundausrichtung,  regte  der  Hörfunkdirektor 
an.  Die  war  für  Berthold  nicht  erkennbar.  Er  schloss  das  Schreiben  mit  der 
deutlichen  Aufforderung,  »wenn  Sie  darüber  hinaus  Ihre  Aufmerksamkeit  dar- 
auflenken könnten,  dass  auch  in  den  Originalaufnahmen  möglichst  allzu  vulgä- 
re Ausdrücke  der  Sexualsprache  keine  Verwendung  finden.«483  So  hatte  der 
SFB  nicht  zu  klingen  und  dadurch  erwachsene  Hörer  zu  erschrecken.  Genauso 
wenig  war  der  Hörfunkdirektor  der  Auffassung,  dass  das  »Schlecht-Reden«  von 
Berliner  Zuständen  ein  wirksames  Mittel  der  akustischen  »Berlin-Werbung« 
darstelle. 

Während  des  Jahres  1974  suchte  die  Intendanz  einen  neuen  Programm- 
platz für  wir  - um  zwanzig.  Intendant  Barsig  wollte  in  seinem  Schreiben  an  die 
Hauptabteilung  Bildung  und  Familie  im  August  1974  den  Überlegungen  der 
Strukturkommission  nicht  vorgreifen.484  »Trotz  mancher  Schwächen  und 
unnötiger  Angriffe«,  zum  Beispiel  gegen  den  früheren  sozialdemokratischen 
Berliner  Gewerkschafter  Ernst  Scharnowski,  sei  die  Jugendsendung  in  der 
Summe  weiterhin  zu  vertreten.  Scharnowski  war  Mitbegründer  des  rechtslasti- 
gen Bundes  Freier  Bürger,  der  an  der  Abgeordnetenhauswahl  1974  teilnahm, 
und  dessen  Verständnis  von  »Volk«  von  wir  - um  zwanzig  kritisiert  wurde.  Bar- 
sig meinte,  dass  eine  Abhandlung  über  diesen  Begriff  nicht  in  wir  - um  zwanzig 
vorzukommen  habe,  da  dafür  das  dritte  SFF-Programm  zuständig  sei.  Ferner 
bemängelte  Barsig  handwerkliche  Nachlässigkeiten,  die  sich  darin  niederge- 


483  Ebd.,  S.  1. 

484  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2669,  Intendant  Barsig  an 
Herrn  Berthold,  Herrn  Dr.  Kabel,  Herrn  Lauströer,  Betr.:  Wir  um  Zwanzig  vom  25.8.1974,  Berlin 
5.9.1974,  S.  1-2. 


196 


schlagen  hätten,  »vorschnelle  Parallelen  zum  Faschismus  herzustellen.« 
Schließlich,  so  betonte  der  frühere  Sprecher  des  SPD-Bundesvorstandes,  habe 
Bundeskanzler  Willy  Brandt  im  1972er  Bundestagswahlkampf  viel  vom  »Stolz 
auf  das  Land«  und  »Stolz  auf  das  Volk«  gesprochen.  Er  und  Programmdirektor 
Proebster  empfahlen  der  Jugendredaktion,  »auf  diesem  Gebiet  in  Zukunft  vor- 
sichtiger zu  sein.  Alles  in  allem:  Die  Sendefähigkeit  als  solche  wird  von  uns 
nicht  bestritten.«485  Hier  setzte  die  interne  Programmaufsicht  Grenzen.  Sie 
bestimmte,  dass  SFB-Jugendsendungen  nur  dann  als  gelungen,  informativ  und 
lehrreich  gelten  konnten,  wenn  sie  auch  »objektiv«  und  »ausgewogen«  waren. 
Barsings  Forderung  stellte  unverholen  die  bisherigen  inhaltlichen  Schwerpunk- 
te von  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat  in  Frage.  Die  Überzeugung,  dass  die 
Jugendsendungen  im  SFB  notwendig  waren  und  zu  ihm  passten,  begründete 
die  SFB-Intendanz  Ende  der  1960er  Jahre  mit  der  Anziehungskraft  der  »gegne- 
rischen« Programme.  Spätestens  1973  traten  Formen  »inhaltlicher«  Einhe- 
gung in  den  Vordergrund.  Über  diese  wurde  wiederkehrend  Kritik  an  der  Pro- 
grammgestaltung- und  ausrichtung  von  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  geübt 
und  - von  diesem  Standpunkt  aus  - als  mangelhaft  bezeichnet. 

4.4.6  Der  »ausgewogene«  SFB  und  die  »Causa  Spritulla«. 

Mitglieder  des  Rundfunkrates  begannen  ab  Ende  der  1960er  Jahre  parteiüber- 
greifend  damit,  die  Politisierung  der  SFF-Jugendsendungen  als  eine  einseitige 
»Radikalisierung«  zu  verstehen.  Dadurch  veränderte  sich  das  ursprüngliche 
Gebot  der  »Ausgewogenheit«  schrittweise.  Es  entwickelte  sich  eine  informelle 
Verständigungspraxis  über  personalpolitische  Disziplinierungen  und  gestalteri- 
sche Einschränkungen.  Ein  Beispiel  dafür  ist  der  SFB- interne  Umgang  mit 
Kommentaren  von  Hans-Erich  Spritulla,  die  die  Beziehungen  zwischen  Berlin 
und  der  Bundesrepublik  behandelten  und  sich  gegen  die  Einsatzmethoden  der 
Berliner  Polizei  wandten. 

In  der  Sendung  wir  - um  zwanzig  vom  4.  Juni  1967,  zwei  Tage  nach  dem 
Tod  Benno  Ohnesorgs  vor  der  Deutschen  Oper  während  des  Schah-Besuchs, 


Ebd.,  S.  2. 


z97 


forderte  Redakteur  Hans-Erich  Spritulla,  der  vor  Ort  gewesen  war,  in  einer 
Live-Diskussion  mit  drastischen  Worten  eine  objektivere  Berichterstattung 
über  die  Vorkommnisse.  Im  Verlauf  dieser  Diskussion  kam  die  Sprache  auf  die 
»Politische  Polizei«.  Der  Moderator  Hans-Werner  Kock  fragte,  ob  ein  politi- 
scher Polizist  einen  Demonstranten  herausziehen  und  ihn  verprügeln  dürfe. 
Spritulla  berichtete  sehr  emotional:  »Ich  hab  noch  nie  so  etwas  so  böses  gese- 
hen. Und  sie  prügelten  ihn  durch  ein  Loch  in  der  Polizeikette  und  dahinter 
weiter.«486  Innensenator  Wolfgang  Büsch  kam  deswegen  1967  in  arge 
Bedrängnis  und  legte  sein  Amt  kurz  darauf  nieder.  Für  Spritulla  hatte  sein  enga- 
giertes Stellungnehmen  im  Jahre  1967  noch  keine  personalrechtlichen  Konse- 
quenzen, allerdings  wird  er  sich  damit  auch  wenig  Freunde  gemacht  haben. 

Sein  fortgesetztes  Eintreten  für  Themen  der  Studentenbewegung  aber  führ- 
te anderthalb  Jahre  später,  im  Februar  1969  dazu,  dass  er  aus  der  Jugendredaktion 
entfernt  und  in  die  Hauptabteilung  Politik  strafversetzt  wurde,  in  die  direkte 
Obhut  des  Politik-Chefs.  In  der  Sitzung  des  Programmausschusses  vom  24. 
Februar  1969  hatte  SFR-Intendant  Franz  Barsig  in  der  Angelegenheit  Spritulla 
auf  einseitige  Tendenzen  verwiesen,  die  er  hinsichtlich  der  Gestaltung  von  s-f-beat 
und  wir -um  zwanzig  an  Spritulla  festmachte.487  Barsig  begründete  die  Strafver- 
setzung damit,  dass  die  Jugendsendungen  »z.  T.  einseitige  Tendenzen  gehabt 
hätten,  für  die  der  genannte  Redakteur  mitverantwortlich  gewesen  sei.«488 


486  Rundfunk  Berlin-Brandenburg,  Historisches  Archiv,  0900581,  »Wir-um-Zwanzig«,  Vorfälle  beim 
Schah-Besuch,  4.6.1967,  86’45”.  SFB-Journalist  Hans-Werner  Kock  moderierte  diese  hitzige  Diskussion  in 
wir  - um  zwanzig.  [Umschnitt  des  Mitschnitts,  Zur  Vorführung  im  Rundfunkrat  am  6.6.1967,  20.  Uhr] 
Gesprächsleitung:  Hans-Werner  Kock,  Gesprächsteilnehmer:  Wolfgang  Büsch,  Innensenator,  Peter  Dehn, 
Student,  Mitglied  des  akademischen  Senats,  Alfred  Gleitzke,  Vorsitzender  der  Berliner  »Falken«,  Günter 
Grass,  Schriftsteller,  der  Charlottenburger  Polizei-Oberrat  Overrath-Iwicki,  Hans-Erich  Spritulla,  SFB- 
Jugendfunk,  Jürgen  Wohlrabe,  CDU,  Mitglied  des  Abgeordnetenhauses.  Siehe  dazu  auch  Meike  Vogel: 
Der  2.  Juni  1967  als  Kommunikationsereignis.  Fernsehen  zwischen  Medienritualen  und  Zeitkritik,  in: 
Frank  Bösch/  Norbert  Frei  (Hg.):  Medialisierung  und  Demokratie  im  20.  Jahrhundert  (=  Beiträge  zur 
Geschichte  des  20.  Jahrhunderts;  5),  Göttingen:  Wallstein  2006,  S.  207-241. 

487  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016/1,  Protokoll  der  4.  Sit- 
zung des  Programmausschusses  am  Montag  24.2.1969,  Berlin  24.2.1969,  S.  3. 

488  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016/1,  Protokoll  der  4.  Sit- 
zung des  Programmausschusses  am  Montag  24.2.1969,  S.  1-4,  S.  3.  Anwesend:  Die  Mitglieder  des  Pro- 
grammausschusses, Herr  Hannemann,  Dr.  Hirschfeld  (a.G.)  Intendant,  Dr.  Pechei,  Schütz,  Kröger.  Entschul- 
digt: Herr  Dach. 


198 


Wenige  Monate  später  beschäftigte  die  »Causa  Spritulla«  noch  einmal  die 
SFF-Gremien.489  In  einem  Mittagskommentar  am  4.  August  1969  zu  den  »bru- 
talen« Ausschreitungen,  die  sich  bei  der  Überführung  von  Wehrdienstflüchtlin- 
gen in  die  Bundesrepublik  zwei  Tage  zuvor  ereigneten,  hatte  Hans-Erich  Spri- 
tulla kritisiert,  dass  die  Berliner  Polizei  daran  nicht  unschuldig  gewesen  sei.  Ihm 
falle  es  schwer,  so  Spritullas  Kommentar,  Verständnis  für  das  Vorgehen  der 
Polizei  aufzubringen.  Der  Einsatz  erschien  ihm  »zum  Teil  völlig  sinnlos«,  wes- 
halb er  auf  eine  unzureichende  und  unvernünftige  Einsatzleitung  schloss.490 
Spritulla  zweifelte  am  Rechtsverständnis  des  Innensenators  und  früheren 
Jugendsenators  Kurt  Neubauer.  Dieser  hatte  mit  der  Äußerung,  dass  die  Berli- 
ner Ordnungshüter  »auch  künftig  mit  allen  gesetzlich  zulässigen  Mitteln  gegen 
kriminelle  Exzesse  vorgehen«  werden,  die  politische  Verantwortung  für  den 
Polizeieinsatz  übernommen.  Spritulla  polemisierte  gegen  das  demokratische 
Selbstverständnis  des  wehrhaften  Berliner  SPD-Politikers.  Ein  »wirklicher 
Rechtsstaat«  müsse  einen  »Teil  dieser  gesetzlich  zulässigen  Mittel  auch  gegen 
die  Führung  der  Polizei«491  anwenden. 

Infolge  dieses  erneuten  Vorpreschens  Spritullas  in  vom  SFB  unerwünschte 
politische  und  stellungnehmende  Sphären,  forderte  der  SFF-Programmaus- 
schuss  im  August  1969  Richtlinien  ein,  wie  künftig  mit  Kommentierungen  ähn- 
licher Ereignisse  umgegangen  werden  solle.  Der  Programmausschuss  war  sich 
einig,  dass  es  nicht  angehen  könne,  »mit  derartigen  Kommentaren  bzw.  einsei- 
tiger Berichterstattung  Berlin  als  eine  Stadt  mit  erschwerten  Lebensbedingun- 
gen« darzustellen.  Vielmehr  habe  der  SFB  »mit  einer  klaren  und  sachlichen 
Berichterstattung  insbesondere  für  jugendliche  Arbeitskräfte«492  zu  versuchen, 
Berlin  für  diese  attraktiver  zu  machen.  Um  die  senderspezifische  »Ausgewogen- 


489  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016/1,  Protokoll  der  Sit- 
zung  des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  5.8.1969,  S.  1. 

490  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Sender  Freies  Berlin, 
Redaktion  Politik/Hörfunk,  Herr  Spritulla,  Mittagskommentar  4.8.1969,  Betr.:  Schlagstockeinsatz  der  Ber- 
liner Polizei  gegen  Demonstranten  anlässlich  des  Protests  gegen  die  Überführung  einiger  Bundeswehrflüch- 
tigen nach  Westdeutschland,  S.  1-3,  S.  2. 

491  Ebd.,  S.  3. 

492  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2016/1,  Protokoll  der  Sit- 
zung des  Programmausschusses  des  Sender  Freies  Berlin,  5.8.1969,  S.  2. 


199 


heit«  wieder  herzustellen,  dachte  sich  die  Intendanz  etwas  besonderes  aus. 
Ende  August  1969  brachte  ein  anderer  Kommentator  aus  der  Chefredaktion 
Politik,  Otto  Reimer,  mit  seinen  Ausführungen  zu  »neuen  APO -Gewalttaten 
wegen  des  Ausfliegens  von  Deserteuren«493  einen  Gegen diskurs  zu  Spritullas 
Meinung  ins  Programm.  Der  Programmausschuss  hatte  diesen  Kommentar 
zuvor  bis  ins  Detail  diskutiert. 

4. 5.  Jugendsendungen  in  der  Rundfunklandschaft  Berlin.  Versuchsanstalten  der 
Adaption,  der  Kopie  und  der  Weiterentwicklung.  Eine  Zusammenfassung 

Die  Hereinnahme  der  Jugendformate  wir  - um  zwanzig  und  s-f-beat  ins  SFB- 
Programm  rechtfertigte  die  Intendanz  gegenüber  dem  Programmausschuss  mit 
dem  »attraktiven«  gegnerischen  Programm  DT  64  auf  der  Welle  des  (Ost-)Ber- 
liner  Rundfunks.  Weil  die  neuen  Jugendredaktionen  aber  diszipliniert  werden 
sollten  - hier  kommt  die  Trägheit  einer  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalt 
hinsichtlich  Programminnovationen  zum  Tragen  - wurden  sie  auf  unattraktiven 
Sendeplätzen  eingesetzt  oder  eingehegt,  wir  - um  zwanzig  wurde  am  Rand  des 
SFF-Programms  platziert  und  blieb  dort,  weil  etablierte  Redaktionen  sich 
durch  eine  Aufwertung  bedroht  wähnten,  s-f-beat  wurde  auf  SFB  II  zwar  in  die 
Prime-Time  gelegt,  aber  von  einem  E-Musik-Programm  eingerahmt.  Die 
Jugendredaktionen  wiederum  saßen  solche  Herrschaftsmaßnahmen  aus,  da  sie 
wussten,  dass  diese  hauptsächlich  symbolischen  Charakter  gegenüber  den  Gre- 
mien hatten. 

Bis  Mitte  der  1970er  Jahre  hatten  sich  Jugendsendungen  im  SFB  aufgrund 
ihrer  Rückbindung  an  die  Zielgruppe,  die  ihren  aufklärerischen  und  kritischen 
Charakter  sowie  den  Einsatz  neuer  Popmusik  schätzte,  verfestigt.  Eine  Bezug- 
nahme auf  die  »DDR«  und  die  »DDR-Jugend«  trat  dem  gegenüber  als  Recht- 
fertigungsstrategie in  den  Hintergrund.  Intendanz  und  Aufsichtsgremien  aber 
konnten  immer  weniger  mit  dem  Jugendprogramm  anfangen  und  diskreditierten 


493  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Sender  Freies  Ber- 
lin,  Redaktion  Politik/Hörfunk,  Otto  Reimer,  Mittagskommentar  Montag  28.8.69,  Neue  APO-Gewaltta- 
ten  wegen  des  Ausfliegens  von  Deserteuren,  S.  1-2. 


200 


dessen  zunehmend  politischere  Haltung  als  »Aufmüpfigkeit«  und  als  radikale 
Systemkritik. 

Trägheiten  und  Beharrungen  waren  auch  beim  RIAS  auszumachen.  Erst  im 
Oktober  1968  wertete  dieser  seine  Jugendsendungen  tatsächlich  auf  und  rückte 
RIAS -Treffpunkt  endgültig  vom  Rand  seines  Wochenprogramms  auf  zentrale 
Sendeplätze.494  Ab  diesem  Zeitpunkt  setzte  man  den  RIAS -Treffpunkt  zwischen 
16  und  18  Uhr  eindeutig  als  Kontrastprogramm  gegen  Jugendstudio  DT  64  ein. 

Der  Berliner  Rundfunk  in  Ostberlin  hatte  seine  Jugendfunksendungen  1961 
auf  drei  Nachmittage  in  der  Woche  gelegt.  Das  Staatliche  Rundfunkkomitee 
wehrte  sich  sowohl  1960  wie  1964  gegen  die  Ideen  der  Abteilung  Jugend  des 
ZK  der  SED  und  des  Jugendverbandes  FDJ,  einen  Jugendsender  mit  eigener 
Frequenz  einzurichten.  Da  auch  die  Leitung  des  Berliner  Rundfunks  einen 
eigenständigen  Jugendsender  verhindern  wollte,  führte  sie  stattdessen  mit 
Jugendstudio  DT  64  im  Juni  1964  selbst  ein  ausgedehntes  Jugendprogramm  ein. 
Im  Jahre  1967  kam  das  Thema  eines  eigenständigen  Jugendsenders  DT  64  im 
Zuge  der  Perspektivplanung,  in  welche  Richtung  sich  der  Rundfunk  bis  in  die 
1980er  Jahre  entwickeln  solle,  im  SRK  noch  einmal  zur  Sprache.  Es  fand  sich 
aber  weiterhin  keine  Mehrheit  für  einen  DDR-Jugendsender. 

Hörfunk  für  Jugendliche  entwarf  in  den  1960er  Jahren  Räume,  in  denen  die 
Geschwindigkeit  musikalischen  Konsums  stilistische  Gemeinschaften  erzeugte 
und  Grundmuster  von  Gleichzeitigkeiten  und  Wechselwirkungen  zwischen 
Hörern,  Produzenten,  Rundfunkredakteuren  und  Radio-DJs  schuf.  Jugendstu- 
dio DT  64,  s-f-beat,  wir  - um  zwanzig  und  RIAS-Treffpunkt  erzeugten  neue  Zeit- 
einteilungen und  schufen  dadurch  Verschiebungen  und  Identifikationen  durch 
die  gespielte  Musik  und  das  Reden  darüber.495  Die  Beantwortung  von  Quizfra- 
gen und  Hörermusikwünsche  regten  zum  Austausch  zwischen  Rundfunk  und 
Hörerschaft  an.  So  konstituierte  sich  eine  »sound  community«,  welche  die 
symbolischen  und  sozialen  Umwelten  innerhalb  des  städtischen  Raumes  abbil- 


494  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 502-03-00/0074,  [Programmdirektion  Kul- 
turelles  Wort,  Redaktion  Treffpunkt]  Wochenplanung  RIAS-Treffpunkt,  Berlin  Frühjahr  1971,  S.  1. 

495  Jody  Borland:  Radio  Space  and  Industrial  Time.  The  Case  of  Music  Formats,  in:  Tony  Bennett/ 
Simon  Frith/  Lawrence  Grossberg/ John  Shepherd/  Graeme  Turner  (Hg.):  Rock  and  Populär  Music.  Poli- 
tics,  Policies,  Institutions,  London/ New  York:  Routeledge  1993,  S.  104-118,  S.  114. 


201 


dete,  und  der  Redakteure  und  Hörer  gleichermaßen  angehörten.  Als  Jugend- 
hörfunkprogramme  malten  s-f-beat,  Jugendstudio  DT  64  und  RIAS -Treffpunkt 
die  unterschiedlichen  Hör-  und  Klangbilder  des  geteilten  Berlins  in  die  Köpfen 
seiner  Zuhörer.  Sie  durchmaßen  die  Stadt  entlang  jugendkultureller  Trenn- 
und  Trendlinien. 

5.  Musikpolitik  im  geteilten  Berlin.  Aushandlungen  von  Hörfunksound  und 
Einarbeitungen  von  Popmusik  (1962-1973) 

Welche  Musik  in  Hörfunksendungen  eingesetzt  wird  - also  welche  Musikfarbe 
Airplay  erhält  - wird  inzwischen  von  Computerprogrammen  bestimmt.  In 
Wiederholungsschleifen  - den  Rotationen  - kehren  einige  Titel  häufiger  wie- 
der als  andere.  Entweder  gibt  das  Klangformat  einer  Rundfunksendung  vor, 
welche  Titel  gespielt  werden  oder  eine  Musikredaktion  entscheidet  wöchent- 
lich, welche  Stücke  bei  der  Zielgruppe  besser  »funktionieren«  als  andere.496 

Der  Sound  von  Rundfunkstationen  ist  das  Ergebnis  von  Aushandlungen 
und  Herrschaftsbeziehungen.  Die  Mediascape  von  sozialistisch-zentralistisch 
organisierten  Rundfunksystemen  entsteht  - trotz  ihrer  vermeintlich  vertikalen 
Durchherrschung  - durch  eine  vielschichtige  Gemengelage  aus  Mechanismen 
der  Selbstverwaltung  und  Formen  der  Außenlenkung.  Auch  in  der  öffentlich- 
rechtlichen  Medienlandschaft  der  Bundesrepublik  bildeten  sich  Bereiche  her- 
aus, in  denen  sich  Selbstverwaltung  und  die  Anspruchshaltungen  externer  Auf- 
sichtsgremien überschnitten. 

Musikpolitik  war  und  ist  mit  der  gesellschaftlichen  Umwelt  und  der 
Mediennutzung  der  Hörer  verbunden.  Was  die  Institutionen  der  Außenlen- 
kung in  der  DDR  - wie  die  Abteilungen  Agitation  und  Kultur  des  ZK  sowie  das 
Ministerium  für  Kultur  - unter  spielbarer  Musik  im  sozialistischen  Hörfunk 
verstanden,  war  eine  Ebene.  Eine  andere  und  ebenso  wichtige  war,  wie  die  Pro- 
grammgestalter ihre  Vorstellungen  von  Musik  mit  den  Sounderwartungen  ver- 
schiedener Zielgruppen  abglichen.497  Das  Staatliche  Rundfunkkomitee  (SRK) 


496  Siehe  dazu:  Wolfgang  Gushurst:  Popmusikim  Radio,  2000. 

497  Siehe  Konrad  Dussel:  Rundfunk,  in:  Arnold/  Classen  (Hg.):  Radio  in  der  DDR,  2004,  S.  301-321. 


202 


- ab  1969  hieß  es  nur  noch  Staatliches  Komitee  für  Rundfunk  - war  dem  Mini- 
sterrat der  DDR  unterstellt.  Es  hatte  quasi  den  Status  eines  Ministeriums  für 
audiovisuelle  Kommunikation  politischer  Inhalte.  Es  konnte  die  ihm  auferleg- 
ten politisch-ideologischen  Erziehungsaufgaben  nur  erfüllen,  wenn  das  Ange- 
bot tatsächlich  auch  verschiedene  Hörerwartungen  berücksichtigte.  Da  das 
SRK  Musik  auch  selbst  produzierte  und  dann  über  seine  Frequenzen  verbreite- 
te, bildete  es  die  kulturpolitische  Linie  der  SED  nicht  einfach  nur  ab,  sondern 
prägte  und  entwickelte  sie  auch  entscheidend  weiter.  Unter  Bezugnahme  auf 
die  parteilichen  Codes  und  Sprechweisen  wurden  darin  die  unterschiedlichen 
ästhetischen,  kommerziellen  und  ideologischen  Interessenlagen  ausgehandelt. 

Auch  beim  Sender  Freies  Berlin  und  beim  Rundfunk  iw  Amerikanischen  Sektor 
gab  es  Aushandlungskonflikte  um  Klänge  und  Sound,  welche  auf  die  Justierun- 
gen eines  ästhetischen  Selbstverständnisses  verwiesen. 

Die  Musikredaktionen  der  Sender  entschieden  über  die  Spielbarkeit  von 
Titeln  und  Stilen.  Die  Tanzorchester  der  Rundfunksender  spielten  diese  Stücke 
neu  ein.  Auf  diese  Weise  arbeiteten  sie  auch  internationale  Trends  ein.  Komponi- 
sten, Arrangeure  und  Musiker  verdienten  an  der  Häufigkeit  der  Musikeinsätze. 
Musikverlage  verdienten  daran  nur  bedingt,  nämlich  wenn  die  Aufnahmen 
eines  Rundfunk-Tanzorchesters  in  Lizenz  übernommen  und  bei  einem  anderen 
Rundfunksender  eingesetzt  wurden.  Musikredakteure  waren  und  sind  wichtige 
Akteure  hinsichtlich  der  kommerziellen  Verwertung  von  Musiktiteln.  Sie  öffne- 
ten oder  schlossen  Zugänge  zu  den  finanziellen  Ausschüttungen  von  Sende- 
rechten.498 Ein  Disk-Jockey  bei  Radio  Luxemburg  spielte  beispielsweise  Schall- 
platten von  einer  Plattenfirma  zu  einer  bestimmten  Zeit,  weil  der  Musikverlag 
sich  die  Sendezeit  kaufte.  Das  ging  bei  öffentlich-rechtlichen  Sendern  so  nicht. 
Aber  mit  Schallplattenmusik  war  Sendezeit  auch  dort  kostengünstiger  zu  füllen 
als  mit  den  selbstproduzierten  Titeln  der  eigenen  Orchester.  Auch  deshalb 
gerieten  die  Musikredaktionen  unter  Druck,  ihre  bislang  ihnen  zustehenden 
Kontroll-  und  Zugriffsrechte  auf  die  Sendefähigkeit  und  Spielbarkeit  von 
Titeln  zu  verteidigen. 


498  Für  diesen  Bereich  wären  die  ökonomischen,  juristischen  und  ästhetischen  Interessen-  und  Kon- 
fliktlagen  auch  in  ihrer  internationalen  Verflechtung  noch  genauer  am  Beispiel  der  Gesellschaften  zur 
Wahrung  der  musikalischen  Aufführungsrechte  in  der  DDR  und  der  Bundesrepublik  zu  untersuchen. 


2°3 


Die  Verfahren,  durch  die  Spielbarkeit  von  Musik  ermittelt  wurde,  verscho- 
ben sich  zusehends.  Beim  SFR-Jugendmagazin  s-f-beat  wechselte  die  Zuständig- 
keit darüber,  welche  Musik  in  die  Sendung  kommt,  täglich  zwischen  den  Mode- 
ratoren. Der  nicht-moderierende  Sprecher  wählte  die  Musik  aus,  während  ein 
anderer  Kollege  die  Regler  in  der  Aufnahmeleitung  bediente.  Ähnlich  verfuhr 
auch  der  RIAS -Treffpunkt.  Jugendstudio  DT  64  des  Berliner  Rundfunks  hatte 
einen  eigenen  Musikredakteur.  Dieser  gehörte  formal  zur  Abteilung  Tanz-  und 
Unterhaltungsmusik  und  stellte  täglich  neue  Kompromisse  mit  den  Anforde- 
rungen und  Idealvorstellungen  sozialistischer  Musikpolitik  her. 

5.1  DDR 

5.1.1  Die  Musikpolitiken  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  (SRK) 

Die  primäre  Funktion  von  Musik  im  DDR-Rundfunk  war,  den  Aufbau  und  Sieg 
des  Sozialismus  voranzubringen.  Der  DDR-Rundfunk  könne  diese  Aufgabe  nur 
dann  erfüllen,  »wenn  alle  seine  Sendungen  so  beschaffen  sind,  dass  sie  von  der 
größtmöglichen  Zahl  von  Hörern  aller  Schichten,  aller  Berufe  und  aller  Alters- 
stufen gern  gehört  und  verstanden  werden.«499  Musik  spiele  bei  der  ästheti- 
schen Erziehung  und  geistigen  Formung  des  sozialistischen  Menschen  eine 
herausragende  Rolle,  schrieb  Wilhelm  Penndorf,  Leiter  der  Musikabteilung 
von  Radio  DDR  im  Juni  1960  in  einem  Referat  für  eine  Musikkonferenz  des 
Senders.  Der  Rundfunk  sollte  zum  guten  musikalischen  Geschmack  erziehen, 
aber  auch  musikalische  Fähigkeiten  bei  den  Arbeitern  und  Bauern  wecken,  um 
sie  an  die  bürgerliche  Tätigkeit  des  Musizierens  heranzuführen.  Um  das  zu 
schaffen,  durften  keine  Zielgruppen  vernachlässigt  werden,  musste  der  DDR- 
Rundfunk  den  besten  Mix  aus  den  progressiven  Musikstücken  der  Hoch-  und 
Popkultur  der  vergangenen  Jahrzehnte  sowie  das  Beste  aus  der  aktuellen  sozia- 
listischen Produktion  spielen.  Zu  dieser  Mischung  zählten  Opern,  russische 
und  sowjetische  Komponisten  des  späten  19.  und  des  20.  Jahrhunderts,  Operet- 


499  BArch  B,  DR  6/469  unpag.,  Musikalische  Oberleitung  Radio  DDR,  Wilhelm  Penndorf,  Diskussi- 
onsgrundlage  zur  Musikkonferenz  von  Radio  DDR  (Donnerstag  23.  Juni  1960  in  Leipzig),  Berlin  8.6.1960, 
S.  1-8,  S.  1. 


204 


tenmelodien,  Gassenhauer  aus  der  Weimarer  Republik,  Musicalsongs,  Arbei- 
terlieder und  Schlager.  Ab  Anfang  der  1960er  Jahre  konnten  auch  Anleihen  an 
Swing,  Jazz  und  Bossa  Nova  darin  Vorkommen.  Die  freie  Verfügbarkeit  anderer 
Angebote  - sprich  der  westlichen  Konkurrenz  - nahm  Penndorf  als  »ernstzu- 
nehmende Realität«  war,  und  sah  dies  als  Herausforderung  an,  auf  die  unter- 
schiedlichen musikalischen  Bedürfnisse  der  Programmkonsumenten  einzuge- 
hen. Diese  müsse  der  DDR-Rundfunk  berücksichtigen,  wenn  er  nicht  Gefahr 
laufen  wolle,  »über  die  Köpfe  der  Massen  hinweg  zu  senden«  und  somit  »dem 
Gegner  das  Feld«500  zu  überlassen.  Die  Einarbeitung  international  bedeuten- 
der Musikstile  war  solange  zulässig  und  gerechtfertigt,  wie  die  Hörer  dadurch 
emotional  angesprochen  wurden  und  über  diesen  Weg  die  Produkte  sozialisti- 
scher Erziehungsintention  aufnahmen.  Das  Populäre  war  in  dieser  Vorstellung 
von  sozialistischer  Musikpolitik  enthalten.  Es  war  ein  wichtiger  und  notwendi- 
ger Teil  des  Profils,  das  die  klangliche  Erkennbarkeit  und  bestenfalls  auch  die 
Unterscheidbarkeit  sicherte.  Von  der  Musikpolitik  im  DDR-Rundfunk  wurde 
gefordert,  gleichzeitig  eine  sozialistische  Musik  zu  entwickeln  und  deren  Ein- 
satz ständig  zu  kontrollieren.  Im  Verlauf  der  Debatten  um  die  Musikproduktion 
bei  den  Sendern,  deren  Zentralisierung  und  Vereinheitlichung,  der  Herstellung 
jugendgemäßer  Tanzmusik  und  den  Einsatzquoten  westlicher  Künstler  und 
Komponisten  wurde  alle  Energie  darauf  verwendet,  dieses  Ziel  immer  wieder 
zu  bekräftigen.  Die  Wirklichkeit  dessen,  was  als  Musiktitel  in  den  Äther 
geschickt  wurde,  blieb  oftmals  weit  von  den  Bekräftigungsritualen  der  Parteili- 
nie entfernt.  Auch  die  60-zu-40-Prozent-Relation  von  Musikstücken  aus  sozia- 
listischer und  kapitalistischer  Produktion  erwies  sich  als  durchaus  belastbare 
und  auslegbare  Regelung. 

5.1.2  Die  verschleppte  Organisation  sozialistischer  Musik  im  DDR-Rundfunk 

Im  Juli  1962  beschloss  das  Staatliche  Rundfunkkomitee  (SRK),  die  Musikpro- 
duktion zu  zentralisieren  und  die  Verantwortung  für  diesen  Bereich  dem  stell- 


Ebd,  S.  l. 


205 


vertretenden  Vorsitzenden  des  SRK  zu  übertragen.301  Das  war  zu  diesem  Zeit- 
punkt Gerhart  Eisler.  Damit  war  die  Hoffnung  verbunden,  eine  einheitliche 
Musikpolitik  zu  sichern.  Bis  dahin  hatte  ein  Intendant  eines  Senders  - in  diesem 
Falle  Wolfgang  Kleinert  von  Radio  DDR  selbst  - die  Musikpolitik  im  Auftrag 
des  SRK  mit  den  Verantwortlichen  von  Radio  DDR,  Berliner  Rundfunk  und 
Deutschlandsender  abgestimmt.  Welche  Musikstücke  mit  welchen  Künstlern 
aber  aufgenommen  wurden  und  wie  dieses  Material  dann  eingesetzt  wurde, 
darüber  herrschten  die  Chefredakteure  der  Musikabteilungen.  Kleinert  drängte 
im  Sommer  1962  auf  eine  Zusammenlegung.502 

Der  SRK- Vorsitzende  Hermann  Ley  hatte  gegenüber  dem  ZK-Sekretär 
für  Agitation  Albert  Norden  einige  Monate  zuvor  deutlich  zu  machen  versucht, 
dass  »eine  Zusammenfassung  der  drei  Musikabteilungen  zu  einer  Abteilung« 
keine  finanziellen  Einsparungen  einbringen,  sondern  lediglich  zur  Eintönigkeit 
im  Musikprogramm  führen  würde.503  Ley  setzte  sich  mit  dieser  Position  nicht 
durch.  Das  war  ein  weiterer  Punkt,  der  die  kurz  darauf  erfolgte  Ersetzung 
durch  seinen  Stellvertreter  Gerhart  Eisler  rechtfertigte.  Eisler  hatte  fortan  die 
Planungen  des  Musikprogramms  inne.  Wenig  später  übernahm  Reginald 
Grimmer,  der  zuvor  Abteilungsleiter  in  der  ZK-Abteilung  Agitation  gewesen 
war,  diese  Aufgabe.  Grimmer  hatte  mindestens  einmal  monatlich  mit  dem  Lei- 
ter der  Abteilung  Musikproduktion,  den  drei  Oberleitern  Musik  und  einem 
Vertreter  des  Fernsehfunks  darüber  zu  beraten.  Dadurch  sollten  die  bestehen- 
den unterschiedlichen  Produktionspolitiken  im  Bereich  Musik  zumindest  lang- 
fristig angeglichen  werden.  Die  Oberleiter  der  Sender  erhielten  einige  Monate 
später  den  Titel  Chefredakteur  Musik.  Sie  waren  für  die  musikalische  Pro- 
grammgestaltung verantwortlich,  vergaben  die  Produktionsaufträge  und  unter- 
standen den  Intendanten.304  Sie  gingen  auch  gegen  die  sogenannten  »schwarzen 
Archive«  in  den  Musikredaktionen  vor.  Damit  waren  die  privaten  Mitschnitte 


501  BArch  B,  DR  6/480  unpag.,  Staatliches  Rundfunkkomitee,  Sekretär  des  Komitees,  Otto  Langer 
geänderte  Vorlage  Nr.  79/62,  Berlin  17.7.1962,  S.  1-3,  S.  1. 

502  BArch  B,  DR  6/480  unpag.,  Intendanz  Radio  DDR,  Wolfgang  Kleinert,  Komiteevorlage  KV 
73/62,  Berlin  26.6.1962,  S.  1. 

504  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/12 1 unpag.,  Abteilung  Agitation,  Bemerkungen  zur  Diskussi- 
on mit  den  Genossen  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  15.7.1964,  S.  1-13,  S.  4. 


206 


unliebsamer  Titel  aus  dem  Westrundfunk  gemeint,  die  die  DJs  und  Programm- 
gestalter in  den  Schubladen  hatten. 

Im  Mai  1965  meldete  der  Musikchef  des  Berliner  Rundfunks,  Eberhard  Fee- 
sche,  dass  erst  durch  einen  vorangegangen  Komiteebeschluss  »negative«  und 
»bürokratische«  Erscheinungen  beseitigt  werden  konnten,  die  sich  »im  Zu- 
sammenhang mit  der  im  Prinzip  positiv  zu  beurteilenden  Schaffung  der  Zentra- 
len Musikproduktion  (ZMP)  herausgebildet  hatten.«505  Nun  erst  werde  »eine 
neue  fruchtbare  Zusammenarbeit  aller  Mitarbeiter  auf  musikalischem  Gebiet« 
möglich.  Ob  dies  tatsächlich  auch  dem  Wortlaut  dieser  Vorlage  entsprechend 
der  Fall  war,  ist  eher  zu  bezweifeln.  Als  Haupthindernis  erkannte  Feesche,  dass 
die  ZMP  die  führende  »politisch-ideologisch-künstlerische  Rolle«  beanspruche 
und  somit  zwischen  den  Chefredakteuren  Musik,  den  Musikredaktionen,  den 
Künstlern  und  den  Produzenten  »für  Leerlauf  und  Praktizismus  sowie  für 
schlechtes  Betriebsklima«  sorge. 

Aber  nicht  nur  zwischen  der  ZMP  und  den  Musikredaktionen  in  den 
Rundfunksendern  waren  Formen  der  Kooperation  nur  mit  Mühe  zu  erreichen. 
Das  galt  umso  mehr  für  die  verschiedenen  Interessen  hinsichtlich  einer  »sozia- 
listischen« Musikpolitik,  die  die  Klangkörper  des  Rundfunks,  der  Komponi- 
stenverband, VEB  Deutsche  Schallplatte,  das  Ministerium  für  Kultur,  die  ZK- 
Abteilung  Kultur  und  der  Jugendverband  FDJ  daran  banden.  Da  der  DDR- 
Rundfunk  in  viel  stärkerem  Maße  als  die  beiden  Westberliner  Sender  gerade 
Tanz-  und  Schlagermusik  selbst  produzierte,  bestanden  Netzwerke  zwischen 
Musikproduzenten,  Textdichtern  und  Redakteuren.  Diese  »networks«  wirkten 
vor  allem  in  den  Sendern.  Musikredakteure  schrieben  die  Titel  oftmals  selbst, 
wussten  auch  eher,  welche  Stile  anzubieten  waren  und  setzten  die  Aufnahmen 
im  Programm  ein.  Das  führte  zur  Benachteiligung  anderer  Komponisten  und 
der  volkseigenen  Musikverlage,  die  diesen  Umstand  in  Beschwerden  an  überge- 
ordnete Stellen  betonten.  Die  zeitgenössischen  Polemiken  in  Fachzeitschriften 
gegen  den  DDR-Rundfunk  müssen  auch  vor  diesem  Hintergrund  bewertet 


505  BArch  B,  DR  6/80  unpag.,  Kollegium  Musik,  Feesche,  Komiteevorlage  44/65,  Gegenwärtiger  Stand 
der  Arbeit  in  der  Musikproduktion,  Züge  ihrer  Weiterentwicklung  sowie  notwendige  Veränderungen  in  der 
ZMP,  Berlin  25.5.1965,  S,  1-6,  S.  1. 


werden.  Dieser  Konflikt  um  die  Monopolisierung  von  Musikeinsätzen  löste 
sich  auch  dann  nicht  auf,  als  das  Kollegium  Musik  des  SRK  sich  ab  1967  erneut 
bemühte,  nachprüfbare  Kriterien  zu  benennen  und  diese  durchzusetzen. 306 

Der  Intendant  des  Deutschlandsenders , Kurt  Ehrich,  verlangte  im  August 
1969  auf  einer  außerordentlichen  Sitzung  des  Komitees  für  Rundfunk,  dass  es 
künftig  »ein  verantwortliches  Komiteemitglied  für  Fragen  der  Musik«  geben 
müsse,  welches  »die  persönliche  Verantwortung  für  die  musikpolitischen  Auf- 
gaben in  der  obersten  Führung  des  Hauses«507  wahrnehme,  Parteibeschlüsse 
durchsetze  und  die  Musikpolitik  des  Rundfunks  nach  Außen,  gegenüber  den 
Institutionen  der  DDR-Kulturpolitik  vertrete.  Ehrich  beleuchtete  damit  ein  in 
der  Musikfrage  formal  seit  1962  gelöstes,  aber  trotzdem  fortbestehendes  Pro- 
blem innerhalb  des  zentralistischen  DDR-Staatsrundfunks.  Die  Magazinsen- 
dungen im  DDR-Rundfunk  hatten  eigene  Musikredakteure.  Das  galt  auch  für 
Jugendstudio  DT  64. 508  Der  Rundfunk  benötige  eine  Musikstruktur  und  eine 
Musikkonzeption,  die  »unter  Leitung  erfahrener  Musikpolitiker«  entworfen 
und  umgesetzt  werde,  betonte  Reginald  Grimmer,  der  amtierende  Komiteevor- 
sitzende zu  dieser  Zeit.  Grimmer  hatte  aber  genau  diese  endgültige  Klärung 
während  seiner  Zuständigkeit  für  den  Musikbereich  - er  war  seit  1962  dafür 
verantwortlich  - selbst  nicht  herbeiführen  können.  Dieser  Missstand  legte  den 
Schluss  nahe,  dass  es  in  der  sozialistischen  Musikpolitik  die  ganzen  1960er 
Jahre  hindurch  keine  konsequent  durchgehaltene  Strategie  gab.  Das  änderte 
sich  auch  nicht  in  den  1970er  Jahren. 

Der  Intendant  des  Berliner  Rundfunks,  Hans  Frenzei,  versprach  sich  1969 
von  der  Zentralisierung,  dass  das  Musikprogramm  seines  Senders  bunter  und 
ideenreicher  werde.  Er  verliere  zwar  »etwas  an  unmittelbarem  Einfluß«,  be- 
komme dafür  aber  »mehr  Farbe  ins  Programm.«  Mit  Jugendstudio  DT  64  hatte 
er  auf  seiner  Welle  bereits  eine  bestimmte  Klangfarbe  in  der  Moderation  und 
Musikgestaltung.  Das  erschien  Frenzei  aber  zu  einseitig.  Wenn  die  Gestaltung 


506  BArch  B,  DR  6/1 3 3 unpag-,  Kollegium  Musik,  Ernst  Feesche,  Betr.:  Stellungnahme  zur  gegenwär- 
tigen  Situation  in  der  Schlager-  und  Tanzmusik,  Berlin  8.2.1968,  S.  1-22,  S.  2. 

507  BArch  B,  DR  6/818  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Pfister,  Protokoll  der  außerordentlichen 
Komiteesitzung  vom  8.8.1969,  S.  1-7,  S.  3.  Tagesordnungspunkt  I:  Probleme  der  Musik. 

508  Ebd.,  S.  3. 


208 


einer  Tanzmusiksendung  nun  vollends  in  die  Hände  dieser  zentralen  Musikre- 
daktion überginge,  könne  die  Chefredaktion  und  die  Intendanz  künftig  »nicht 
mehr  eingreifen«,  wenn  »falsche«  Musik  im  Programm  gespielt  werde,  ergänz- 
te der  Intendant  von  Radio  DDR,  Rolf  Schmidt.  Der  Kollege  Frenzei  vom  Berli- 
ner Rundfunk  sah  dies  ähnlich,  betonte  zudem,  dass  gerade  Jugendstudio  DT  64 
einen  eigenen  Musikredakteur  habe.  »Bei  dem  jetzigen  Unterstellungsverhält- 
nis rufen  wir  die  Musikredakteure  an  und  sprechen  das  ab.  Wenn  es  ein 
getrennter  Apparat  ist,  wird  es  viel[e]  Probleme  geben.«509  Grimmer  konterte, 
dass  »augenblicklich  Stunden  um  Stunden«  vergehen  würden,  »um  festzustel- 
len auf  wessen  Konto  diese  oder  jene  Musiksendung«  gehe.  Dieser  Normal- 
Zustand  wäre  beseitigt,  versprach  sich  Grimmer,  wenn  klare,  das  hieß  zentrali- 
sierte Verantwortlichkeiten  bei  der  Gestaltung  von  Musiksendungen  bestün- 
den. Die  Arbeitszeit  von  Entscheidungsträgern,  die  eingesetzt  wurde  um  sol- 
chen »Fehlern«  nachzugehen,  muss  durchaus  beträchtlich  gewesen  sein.  Der 
Entwurf  einer  Musikkonzeption  für  alle  DDR-Rundfunksender  lag  erst  zwei 
Jahre  später  vor. 

5.1.3  Sozialistische  Musik.  Das  Reden  über  Musik 

»Saubere  Gefühlswelt«  und  »Zukunftsoptimismus«  waren  Zuschreibungen, 
die  die  sozialistische  Musikpolitik  zunächst  rhetorisch  erzeugte  und  dann  auch 
akustisch  zu  produzieren  hatte.  Alfred  Kurella,  Vorsitzender  der  Kulturkom- 
mission des  Politbüros,  verurteilte  auf  der  SED-Kulturkonferenz  Ende  April 
1960  die  »musikfremde  Zersetzung  der  europäischen  Musiktradition«  und  sah 
die  Aufgabe  sozialistischer  Kulturpolitik  darin,  »kunstvolle  Einfachheit,  Ideen- 
tiefe, melodischen  und  harmonischen  Reichtum,  Volkstümlichkeit  und  Ver- 
ständlichkeit der  musikalischen  Aussage«510  zu  vereinen.  Gegenüber  dieser 
»reinen«  Lehre  herrschte  beim  Rundfunk  unverhohlener  Pragmatismus.  Auch 


509  Ebd.,  S.  5. 

510  Alfred  Kurella,  Schlußwort  der  vom  Zentralkomitee  der  SED,  dem  Ministerium  für  Kultur  und 
dem  Deutschen  Kulturbund  vom  27.  bis  29.4.1960  im  VEB  Elektrokohle,  Berlin,  abgehaltenen  Konferenz, 
Berlin,  Dietz  Verlag  1960,  S.  397-461,  S.  438. 


209 


wenn  das  so  nicht  gesagt  wurde,  rechtfertigte  das  Massenpublikum  und  die 
dadurch  erzielte  Massenwirksamkeit  so  ziemlich  alles.  Radio  DDR-Musikchef 
Wilhelm  Penndorf  sah  im  Juni  1960  die  Aufgabe  des  Rundfunks  besonders 
darin,  Musik  »mit  den  Grundprinzipien  unserer  sozialistischen  Kulturrevolu- 
tion« zu  verbinden.  Musikstile,  die  »die  größten  Massen  zu  begeistern  vermö- 
gen, haben  hierbei  den  Vorrang  vor  solchen,  deren  Wirkungsgrad  beschränkt 
ist.«  Das  bedeutete  im  Endeffekt  bereits  Anfang  1960  eine  Profilierung  des 
Rundfunkmusikprogramms  auf  einen  »mittleren  Geschmack«  hin.  Sie  schuf 
Raum  für  eine  an  Radio  Luxemburg  oder  am  BBC  Light  Programme  orientierte 
Veränderung  des  Musiksounds  im  sozialistischen  Rundfunk.  Zu  dieser  bekann- 
te sich  freilich  keiner  der  verantwortlichen  Musikchefs  der  Sender.  Penndorf 
betonte  zwar  »Sauberkeit  in  der  Aussage«,  wollte  aber  neue  Produktionsme- 
thoden einschließen.  Er  stellte  die  Notwendigkeit  heraus,  »vor  allem  unsere 
jugendlichen  Hörer«511  zu  erreichen.  So  machte  er  die  Stärkung  des  populären 
Musiksounds  mit  Kurellas  Positionen  vereinbar. 

5. 1.3.1  Die  eigene  Kulturpolitik  des  Rundfunks.  Eine  Argumentationsfigur 
der  Kritik 

»Luxemburg«  fasste  all  das  zusammen,  was  sozialistische  Kulturpolitik  als  ver- 
achtenswert und  dekadent  brandmarkte.512  In  erster  Linie  waren  das  natürlich 
die  Kommerzialisierung  und  die  Einführung  kapitalistischer  Produktions-  und 
Absatzmethoden.  Aber:  Der  DDR-Rundfunk  hatte  sich  in  einem  grenzüber- 
schreitenden Wettbewerb  zu  behaupten.  Dieser  zeigte  sich  insbesondere  an  den 
attraktiven  Hörfunkklängen  der  ernsten  und  unterhaltenden  Musikgenres.  Das 
galt  für  VEB  Deutsche  Schallplatten  und  den  Komponistenverband  so  nicht. 

Im  Vorfeld  der  Musikkonferenz  des  DDR-Rundfunks  in  Leipzig  im  Juni 
1960  hatte  der  DDR-Komponistenverband  eine  Kampagne  angeschoben,  die 


511  BArch  B,  DR  6/469  unpag-,  Penndorf,  Diskussionsgrundlage  zur  Musikkonferenz  von  Radio  DDR 
(Donnerstag  23.  Juni  1960  in  Leipzig),  Berlin  8.6.1960,  S.  4. 

512  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/9.06/285  foliert,  Sekretär  des  Verbandes  Deutscher  Komponisten  und 
Musikwissenschaftler,  Gerhard  Bab,  an  Abteilung  Kultur  des  ZK  der  SED,  Peter  Czerny,  Betr.:  Information 
in  Zusammenhang  mit  den  Problemen,  die  in  der  Zusammenarbeit  des  Koordinierungsausschußes  für  Tanz- 
musik durch  das  unverständliche  Verhalten  des  Rundfunks  entstanden  sind,  Berlin  8.6.1960,  Bl.  75-76. 


2IO 


einige  ZK-Politiker  und  Mitglieder  des  Politbüros  wie  Alfred  Neumann  und 
Alfred  Kurella  auf  die  fehlende  Kooperation  des  Staatsrundfunks  hinwies.513 
Gerhard  Bab,  Sekretär  des  Komponistenverbandes,  betonte  gegenüber  Peter 
Czerny  von  der  ZK-Abteilung  Kultur,  dass  Lothar  Kähne,  Produktionsleiter 
bei  der  Deutschen  Schallplatte,  mit  dem  derzeitigen  amtierenden  Musikbevoll- 
mächtigten des  Rundfunks,  Max  Spielhaus  von  Radio  DDR,  eine  Aussprache 
über  Produktionsfragen  geführt  habe.  Es  war  wohl  eher  ein  handfester  Streit. 
Kähne  hielt  die  von  Spielhaus  eingereichten  Titel  für  nicht  produktionswürdig. 
Spielhaus  entgegnete,  dass  ihm  dies  nichts  ausmache,  da  »sie  sowieso  bereits  im 
Rundfunk  produziert«514  würden.  Der  Musikverantwortliche  des  Rundfunks 
kündigte  eine  neue  Schlageraktion  an,  weil  die  Rundfunkproduktion  »langwei- 
lig und  uninteressant«  sei  und  »man  die  Hörer  mehr  an  das  Radio  fesseln« 
wolle.  Die  Rundfunksender  beauftragten  einen  bestimmten  Kreis  von  Kompo- 
nisten, neue  Schlager  zu  schreiben,  »die  Elemente  des  Slow-rock  u.  a.  >moder- 
ne<  Rhythmen  enthielten,  um  das  Niveau  von  >Radio  Luxemburg<  zu  errei- 
chen.« Besonders  Mitarbeiter  des  Rundfunks  kämen  dafür  in  Betracht.  Das  war 
für  die  Lobbyarbeiter  des  Komponistenverbandes  so  nicht  hinnehmbar,  da  es 
den  größten  Teil  ihrer  Klientel  einfach  ausschloss.  Deshalb  setzte  Bab  auch  das 
Schlüsselwort  »Luxemburg«  ein,  um  dies  als  Fehlentwicklung  hervorzuheben. 
Er  beschuldigte  den  Rundfunk,  eine  eigene  Kulturpolitik  zu  betreiben  und 
nicht  mit  dem  Komponistenverband  und  der  »Schallplatte«  zusammenzuarbei- 
ten. Gerade  diese  beiden  Akteure,  so  Bab  als  einer  ihrer  Interessenvertreter, 
seien  in  der  Lage,  für  einen  abgestimmte  sozialistische  Musikpolitik  zu  sorgen. 
Mit  dieser  Kritik  am  Rundfunk  war  es  den  DDR-Komponisten  und  ihrem  Ver- 
band möglich,  die  eigene  Unzulänglichkeit  zu  überdecken. 


513  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/9.06/285  foliert,  Abteilung  Kultur,  (Peter  Czerny)  an  Gen.  Alfred 
Neumann,  Information  über  Fragen  der  Tanzmusikproduktion,  Berlin  21.6.1960,  Bl.  73.  SAPMO-BArch, 
DY  30  IV  2/2.028/42  unpag.,  Abteilung  Kultur  ZK,  Jochen  Mückenberger,  an  (Leiter  Abt.  Agitation  und 
Propaganda)  Albert  Norden,  Betr.:  Information  über  Fragen  der  Tanzmusikproduktion,  Berlin  21.6.1960, 
S.  1-2,  S.  1. 

514  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/9.06/285  foliert,  Sekretär  des  Verbandes  Deutscher  Komponisten  und 
Musikwissenschaftler,  Gerhard  Bab,  an  Abteilung  Kultur  des  ZK  der  SED,  Peter  Czerny,  Betr.:  Information 
in  Zusammenhang  mit  den  Problemen,  die  in  der  Zusammenarbeit  des  Koordinierungsausschußes  für  Tanz- 
musik durch  das  imverständliche  Verhalten  des  Rundfunks  entstanden  sind,  Berlin  8.6.1960,  Bl.  75-76,  Bl.  76. 


5.1.3 .2  Das  sozialistisch  Populäre.  Massenverbundenheit  als 
Rechtfertigungsstrategie  des  Rundfunks 

Das  Populäre  in  der  Musik  war  stets  eher  unzureichend  mit  den  kulturpoliti- 
schen Positionen  der  SED  in  Einklang  zu  bringen.  Dennoch  rechtfertigte  der 
DDR-Rundfunk  das  Erreichen  bestimmter  Zielgruppen  - auch  in  Westberlin 
und  in  geringerem  Maße  in  der  Bundesrepublik  - mit  der  Durchsetzung  solcher 
»Musikfarben«.  Obwohl  das  Musikprogramm  des  DDR-Rundfunks  über- 
durchschnittlich von  Unterhaltungsmusik  geprägt  war,  war  das  sozialistisch 
Populäre  so  tief  mit  den  Sounderwartungen  der  nicht-jugendlichen  Hörfunk- 
konsumenten verbunden,  dass  es  jugendkulturell  ausdeutbaren  sozialistischen 
Pop  nicht  erzeugte. 

Der  Komiteevorsitzende  Hermann  Ley  begründete  dies  im  März  1962 
gegenüber  dem  ZK-Agitationssekretär  Albert  Norden  mit  dem  Hinweis,  dass 
besonders  nach  dem  Mauerbau  der  Anteil  populärer  Musik  erhöht  worden  sei. 
Diese  Erweiterung  des  unterhaltungsmusikalischen  Proßls  habe  das  Staatliche 
Rundfunkkomitee  zulassen  müssen,  so  Ley,  weil  »RIAS  und  Sender  Luxem- 
burg« ab  1958  enger  zusammengearbeitet  und  deshalb  zahlreiche  DDR-Bezirke 
Gegenmaßnahmen  verlangt  hätten.  Dies  habe  dazu  geführt,  dass  der  DDR- 
Rundfunk  »leichtere  Musik  im  Nachmittagsprogramm«  stärker  berücksichtigt 
habe.  Die  westliche  Konkurrenz  habe  das  SRK  dazu  gezwungen,  rechtfertigte 
sich  Ley,  zwischen  Maßnahmen  für  eine  sozialistische  Musikpolitik  und  einer 
klanglichen  Anziehungskraft  zu  entscheiden.  Letztlich  habe  es  sich  als  falsch 
erwiesen,  »Luxemburg  mit  Luxemburg  austreiben  zu  wollen.«515  Im  Februar 
1962  hatte  das  SRK  Manfred  Engelhardt  vom  Berliner  Rundfunk  noch  vorge- 
worfen, dass  er  »die  ideologischen,  politischen  und  ethischen  Aufgaben  unserer 
Musikpolitik  in  unserem  Kampf  um  den  Sieg  des  Sozialismus«516  klarer  benen- 
nen müsse.  Dabei  hatte  Engelhardt  bereits  in  der  von  ihm  erarbeiteten  Be- 


515  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/2.028/90  unpag.,  Hermann  Ley,  an  Albert  Norden,  Betr.:  Analyse 
unserer  Musikarbeit,  Berlin  3.3.1962,  S.  1-5,  S.  1. 

516  BArch  B,  DR  6/478  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Beschlussprotokoll  Nr.  7/62  der  Komitee- 
sitzung vom  27.2.1962,  S.  1-5.  Tagesordnungspunkt  1:  Die  Aufgaben  der  Musik  im  Rundfunk  bei  der 
Herausbildung  des  neuen  sozialistischen  Menschen. 


Schlußvorlage  die  »sozialistisch-realistischen  Werke  und  [die]  Werke  der  Ver- 
gangenheit« als  Bestandteil  der  sozialistischen  deutschen  Musikkultur  benannt, 
die  Bekämpfung  »dekadenter  Einflüsse«517  gefordert  und  frische,  mitreißende 
und  optimistische  Kompositionen  angekündigt,  die  »Ausdruck  einer  sauberen 
Gefühlswelt«  seien.  Der  musikalische  Oberleiter  des  Berliner  Rundfunks , Eber- 
hard Kluge,  bekräftigte  in  der  weiteren  Diskussion  gegenüber  der  Musikredak- 
tion die  weiterhin  gültigen  Positionen  der  SED -Kultur konferenz  von  1960. 
Demnach  habe  der  sozialistische  Rundfunk  den  Fortbestand  der  »humanisti- 
schen Kultur«  zu  sichern.  Allerdings  erreiche  der  Berliner  Rundfunk  nicht  unbe- 
dingt ein  höheres  Niveau  in  seinen  Musiksendungen,  wenn  er  »auf  das  eine 
oder  das  andere  Genre«  verzichte  - also  wenn  beispielsweise  Jazz  und  Volksmu- 
sik gänzlich  zugunsten  von  gängigen  Operettenmelodien  ausgeblendet  würden. 
Es  könne  in  der  Musikpolitik  des  Berliner  Rundfunks  und  der  anderen  DDR- 
Sender  »weder  unwichtige  Genres  der  Musik,  noch  unwichtige  Sendezeiten« 
geben.518 

Ein  Jahrzehnt  später,  nach  dem  VIII.  Parteitag  1971  galt  es,  die  musikali- 
schen Geschmäcker  der  Konsumenten  mit  der  Auswahl  des  Musikprogramms 
zu  treffen,  sprich:  die  musikalischen  Interessen  der  Arbeiterklasse  »noch  mehr 
zum  Ausgangspunkt  für  alle  Überlegungen,  Planungen  und  Entscheidun- 
gen«519 zu  machen.  Der  Publikumsgeschmack  war  aber  schon  längst  die  zen- 
trale Kategorie  für  das  Musikprogramm.  Ursel  Apel  vom  Sektor  Rundfunk  der 
ZK- Agitationsabteilung  und  Rolf  Schmidt,  Intendant  von  Radio  DDR,  erneuer- 
ten indes  im  Oktober  1971  den  erzieherischen  Anspruch  des  Rundfunks,  »brei- 
te Hörerschichten  der  Werktätigen«  an  Musik  und  deren  klassische  und  pro- 
gressiv-moderne sozialistische  Traditionslinien  heranzuführen.  Noch  werde  die 
Tanzmusik  gerade  in  den  Jugendsendungen  einseitig  betont,  von  Popmusik  aus 


517  BArch  B,  DR  6/478  unpag.,  Manfred  Engelhardt,  Vorlage  23/62,  Zur  Musik  im  Rundfunk,  Berlin 
21.2.1962,  S.  1-6,  S.  1. 

518  BArch  B,  DR  6/606  unpag.,  Eberhard  Kluge,  Musikalischer  Leiter  Berliner  Rundfunk,  Entwurf 
zu  einem  Referat  in  der  GO  Musik,  o.D.  (1962),  S.  1-23,  S.  8. 

BArch  B,  DR  6/444  unpag-,  Entwurf  der  Konzeption  zur  inhaltlichen  und  leitungsmäßigen  Ver- 
wirklichung der  sozialistischen  Musikpolitik  im  Staatlichen  Komitee  für  Rundfunk,  ohne  Datum,  S.  1-32, 
S.  4.  [Zur  Sitzung  am  12.10.1971  eingereicht,  Gennossin  Apel  (Abteilung  Agitation),  Gen.  Rolf  Schmidt]. 


2I3 


der  DDR  und  kapitalistischer  Produktion  bestimmt.  Es  wäre  daher  wünschens- 
wert, wenn  die  Musikprogramme  Lied,  Song  und  Chanson  stärker  einbeziehen 
würden.  So  zeichneten  Apel  und  Schmidt  ein  Wunschbild  sozialistischer 
Unterhaltungsmusik.520  DDR-Tanzmusik  besitze  kein  eigenes  sozialistisches 
Profil,  stempelten  die  Autoren  die  bisherigen  Bemühungen  in  diesem  Feld  ab. 
Wegen  des  Einflusses  des  Gegners  sei  es  nun  aber  notwendig,  »eine  offensive 
Politik  für  unsere  DDR-Tanzmusik  mit  Vielfalt  und  Vielseitigkeit  zu  betrei- 
ben.«521 Dafür  müsse  eine  Produktionsgruppe  Tanzmusik  geschaffen  werden, 
die  für  alle  Musikprogramme  der  Rundfunksender  zuständig  sei.  Dadurch  soll- 
te wohl  auch  das  klangliche  Ausscheren  von  Jugendstudio  DT  64  eingedämmt 
werden.  Im  Februar  1973  strich  der  Komiteevorsitzende  Rudi  Singer  heraus, 
dass  sich  der  Rundfunk  bemühe,  die  »negativen  Auswirkungen«  harter  und  lau- 
ter Beatmusik  in  den  Hörfunkprogrammen  einzugrenzen.  Ähnliches  galt  auch 
für  den  Deutschen  Fernsehfunk,  der  in  Unterhaltungsshows  und  Jugendsendun- 
gen besonderen  Wert  auf  das  äußere  Erscheinungsbild  der  Künstler  legte.522 

Die  Hauptabteilung  Musik  habe  mit  den  Chefredakteuren  diese  Ausspra- 
che ausgewertet  und  sich  entschlossen,  nun  eine  »offensive  Musikpolitik«  zu 
betreiben,  indem  sie  eigene  Titel  aus  DDR-Produktion  und  Titel  aus  den  Bru- 
derländern stärker  popularisiere.  Sie  beachte  dabei  natürlich  das  60:40-Verhält- 
nis525  sowohl  in  den  Frühprogrammen,  in  den  Magazinsendungen  und  in  den 
ersten  Abendachsen.  »Bei  Jugendstudio  DT  64  ist  dies  nicht  möglich  bzw.  nicht 
realistisch  durchzuhalten.« 524  Für  die  Jugendsendung  des  Berliner  Rundfunks 
galten  hinsichtlich  des  Musikeinsatzes  westlicher  Produktionen  inzwischen 


520  Ebd.,S.  11. 

521  Ebd.,  S.25. 

522  BArch  B,  DR  6/765  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Pfister,  BP  8/73  der  Komiteesitzung  vom 
27.2.1973,  S.  1-10,  S.  5.  Tagesordnungspunkt  2:  Zu  Fragen  unserer  Musik  und  Unterhaltungspolitik. 

523  In  der  60:40-Regelung  drückt  sich  das  Verhältnis  von  in  der  DDR  und  im  sozialistischen  Ausland 
verlegter  und  produzierter  Musik  (60  Prozent)  zu  der  im  kapitalistischen  Ausland  produzierten  und  verleg- 
ten Musik  (40  Prozent)  aus.  Bei  jeder  öffentlichen  Aufführung  von  Musik  in  der  DDR  war  dieses  Verhältnis 
einzuhalten. 

524  BArch  B,  DR  6/765  unpag.,  Komiteesitzung  vom  27.2. 197 3, Information  des  Gen.  Fliegei  über  die 
Auswertung  der  Beratung  zu  Fragen  unserer  Musik  und  Unterhaltungspolitik  in  der  Leitung  der  HA 
Musik  mit  den  Chefredakteuren  der  Sender,  S.  7-9,  S.  7. 


2I4 


Sonderkonditionen,  die  schon  lange  vor  den  X.  Weltfestspielen  1973  nicht 
mehr  diskutiert  wurden.  Auch  wenn  sich  die  Argumentationsfiguren  bezüglich 
sozialistischer  Musikpolitik  hin  und  her  verschoben,  war  das  tatsächliche 
Musikprogramm  von  DT  64  schon  vor  1973  davon  ausgenommen. 

5.1.4  Sozialistische  Musik.  Die  Aufnahme  von  Musik 

Die  Produktionspolitik  des  Rundfunks  war  wesentlich  stärker  von  den 
Geschmäckern  der  Redakteure,  den  verfügbaren  Musikstücken  und  den  »vor- 
gestellten« Hörererwartungen  geprägt  als  von  der  Beschlusslage  zur  sozialisti- 
schen Musikpolitik.  Diese  bildete  zwar  den  entscheidenden  rhetorischen 
Bezugspunkt.  Aber  jenseits  davon  ging  es  bei  der  Aufnahme  von  Musiktiteln 
darum,  entweder  gefällige  Gebrauchsmusik  zu  erzeugen,  emotionalisierendes 
Klangmaterial  zu  erhalten  oder  über  die  Neueinspielung  von  zum  Beispiel  älte- 
ren Blues-Stücken  geschmackserziehend  zu  wirken.  Dieser  Aspekt  äußerte  sich 
auch  in  der  Praxis,  Volks-  und  heimattümelnde  Lieder  wie  die  Kompositionen 
Herbert  Roths  durch  andere  Besetzungen  und  Arrangements  so  weitgehend  zu 
verfremden,  dass  sie  für  die  Ohren  der  Musikredakteure  erträglich  wurden.  An 
den  Aufstellungen  der  Zentralen  Musikproduktion  (ZMP)  wird  deutlich,  wel- 
che Einarbeitungen  internationaler  Stile  in  den  Sound  des  sozialistischen 
Rundfunks  möglich  waren."'25  Zudem  wird  erkennbar,  wie  wenig  Titel  dabei 
tatsächlich  entstanden. 

Im  September  1962  spielte  Günter  Gollasch  und  das  Tanzorchester  des 
Berliner  Rundfunks  die  Gerd  Natschinski-Komposition  »Ein  Schiff  geht  auf  die 
Reise«526  ein.  Walter  Bartel,  später  Musikredakteur  bei  DT  64,  und  die  »Jazz- 
Optimisten«  nahmen  im  Oktober  1962  den  »Beale-Street-Blues«  und  »Some 


525  BArch  B,  DR  6/606  unpag.,  Zentrale  Musikproduktion  an  Reginald  Grimmer,  Produzierte  Tanz- 
musiktitel,  Berlin  ca.  März  1963,  S.  1.  September  1962,  146  Titelproduktionen.  Oktober  1962,  106,  No- 
vember 1962,  102,  Mam-Boulette  Mambo;  Hüpfen;  Martin-Möhle  Combo,  Radio  Novi  Sad  Orchester,  K: 
Hajo  Lehmann  - Robert  Hauber.  Dezember  1962,  112,  Januar  1963,  92,  Rennsteig-Lied,  Ludwig  Lustig 
mit  seinen  Dixielanders,  Herbert  Roth,  Februar  1963,  1 19.,  März  1963,  49. 

526  URL:  http://www.discogs.com/image/R-150-554716-1130864581.jpeg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010] 


2I5 


of  these  Days« 527  von  William  C.  Handy  und  Shelton  Brooks  auf.  »Die  Caros« 
spielten  das  Herbert  Roth-Lied  »Komm’  doch  mit  in  den  Thüringer  Wald«. 
»Die  Vier  Teddies«528  brachten  »Ein  Bummel  durch  Berlin«  auf  Band.  Das 
Tanzorchester  Leipzig  unterstützte  sie.  Marta  Kuäerova  und  Bohumil  Zemann 
sangen  »The  garden  of  roses«529,  ein  Cowboy-Lied,  wie  es  erklärend  in  dem 
Schreiben  an  den  stellvertretenden  SRK- Vorsitzenden  Reginald  Grimmer  hieß. 
Das  Väclav-Kuäera-Ensemble  gab  diesem  getragenen  und  im  Original  fast 
schwermütigen  Titel  eine  ausreichende  Instrumentierung.  Im  November  hatte 
die  Martin  Möhle-Combo  den  »Mam-Boulette  Mambo«  aufgenommen,  den 
der  Mitarbeiter  der  Musikredaktion  Hajo  Lehmann  geschrieben  hatte.  Das 
Orchester  Novi  Sad  des  jugoslawischen  Rundfunks  lieferte  im  selben  Monat 
den  Titel  »Hüpfen«  von  Robert  Hauber.  Im  Januar  1963  hatte  die  Zentrale 
Musikproduktion  dann  Herbert  Roths  Volksmusiktitel  »Rennsteig-Lied«  von 
Ludwig  Lustig  mit  seinen  »Dixielanders«  aufnehmen  lassen.  Diese  Kombinati- 
on zeigte  auf  die  Bemühungen  der  Musikproduktion,  Musikstile  und  Lieder 
umzuarbeiten,  die  ihrem  Geschmacksempfinden  entgegenstanden.  Herbert 
Roths  Heimatlieder  wollten  die  Konsumenten  hören,  die  Musikredakteure 
nicht. 

Die  Geschmackskonflikte,  die  sich  in  den  Besprechungen  über  die  aufge- 
nommenen Lieder  ausdrückten,  verwiesen  auf  die  Zerrüttungen  zwischen  der 
ZMP,  den  Musikabteilungen  der  Sender  sowie  deren  Tanz-  und  Unterhaltungs- 
musikredaktionen selbst.550  Hauskomponist  Volkmar  Schmidt,  mit  seiner 
Combo  ein  durchaus  wichtiger  DDR-Jazzmusiker,  setzte  im  November  1962 
mit  dem  Tanzorchester  des  Berliner  Rundfunks  die  Titel  »Wenn  du  mich  nicht 
mehr  kennst«  und  »A  la  Gospel«  um.  Das  erste  Stück,  der  Unverfänglichkeit 
halber  ohne  Text,  kanzelte  die  ZMP  als  »ausgesprochenen  Unsinn,  völlig  ver- 


527  Gesungen  von  Sophie  Tucker,  URL:  http://www.sfmuseum.org/hist2/days.html,  URL:  http:// 
www.jass.com/sheltonbrooks/images/sotd.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

528  URL:  http://amiga-schlager.republika.pl/images/vierteddies.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

529  Joe  Maxwell,  The  Garden  of  Roses,  Johann  C.  Schmid/ James  E.  Dempsey,  Edison  Amberol  434, 
1910,  URL:  http:// cylinders.library.ucsb.edu/search.php? queryType=@attr+ 1=1 02 0&num=  1 &query=cylin- 
derl827  [Zugriff:  5.9.  2010]. 

530  BArch  B,  DR  6/128  unpag.,  Abgehörte  Schlager  des  Deutschlandsenders  und  des  Berliner  Rund- 
funk. Erstproduktion  vom  November  1962,  11.1.1963,  S.  1-4. 


21 6 


jazzt«  ab.  Das  zweite  Stück  enthalte  »blöde  Bläserei  am  Anfang«,  sei  »ohne 
Melodie«  und  erhielt  die  Bewertung  »das  Ganze  ist  mies«.  Die  Aufnahme  »TU 
104«531  von  Werner  Pfüller  war  in  den  Augen  der  ZMP  »sehr  rhythmisch«, 
habe  aber  eine  »dekadente  Blasart  am  Anfang«.  »Für  den  anspruchsvollen 
Titel«  - schließlich  handelte  es  sich  um  einen  neuen  sowjetischen  Flugzeugtyp 
- sei  »die  Musik  überhaupt  nicht  genügend.  «532 

Hajo  Fiebigs  »Feuerstuhl- 
Boogie«  brächte  sogar  »Friedliche  auf  die  Barrikade.«533  Immerhin  wäre  eine 
Melodie  zu  erkennen,  fanden  die  Kritiker.  Die  Auftragsstücke  des  Berliner 
Rundfunks,  klagten  die  ZMP-Mitarbeiter,  würden  ausschließlich  auf  Rhythmus 
setzten.  »Heiß  ist  zwar  alles,  aber  meist  nichtssagend«,  so  das  Urteil.534 

5. 1.4.1  Die  Einfügungen  internationaler  Stile  in  die  Tanz-  und 
Unterhaltungsmusik  im  Jahr  1964 

Im  Herbst  1964  meldete  die  ZMP  deutliche  Verbesserungen  in  der  Tanz- 
musik im  Rundfunk.5-’5  Das  bedeutete  zum  einen,  dass  mehr  Titel  auch  tatsäch- 
lich auf  Band  festgehalten  wurden,  dass  Schlager  mit  Frauenstimmen  an  Bedeu- 
tung gewannen  und  dass  harmoniegetränkte  und  eingängige  Unterhaltungsmu- 
sik - »Easy-Listening«  - die  klangliche  Erscheinung  des  DDR-Rundfunks 
künftig  prägen  sollten.  Das  wurde  als  Standard  »sozialistischer«  U-Musik  im 
Rundfunk  gesetzt,  obwohl  die  Stücke  in  erheblichem  Maße  auf  die  Swing-  und 
Jazzästhetik  der  späten  1940er  Jahre  verwiesen.  Zum  anderen  bestand  aber  die 
Konkurrenzlage  zwischen  Rundfunkmitarbeitern,  ehemaligen  Kollegen  und  im 
Komponistenverband  organisierten  Künstlern  weiter.  Im  Juli  1964  standen  fünf 
Kompositionen  von  Rundfunkmitarbeitern  fünfzehn  Stücke  von  formal  frei- 


531  URL:  http://www.skybird-ev.de/drs/1960/tul04af.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

532  BArch  B,  DR  6/128  unpag.,  Abgehörte  Schlager  vom  November  1962,  11.1.1963,  S.  3. 

533  Ebd.,  S.  3.  Vier  Jahre  später  wurde  der  Titel  dann  von  AMIGA  veröffentlicht.  [Amiga  8 50  068,  1966] 
URL:  http://www.discogs.com/image/R-782229-1158236310.jpeg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

534  Ebd,  S.  4. 

535  BArch  B,  DR  6/80  unpag.  Zentrale  Musikproduktion,  Sektor  Unterhaltungs-  und  Tanzmusik,  W. 
Fischer,  Tanzmusik  -Neuproduktionen,  5.10.1964,  S.  1-5.  [Ablage  Grimmer,  Stellvertretender  Vorsitzender 
des  SRK] 


2I7 


schaffenden  Künstlern  gegenüber.  Von  diesen  freien  Komponisten  hatten  aber 
Gerhard  Honig  und  Hajo  Fiebig  vorher  in  den  Musikredaktionen  von  Berliner 
Rundfunk  und  Radio  DDR  gearbeitet.  Den  Ralf  Petersen-Titel  »Jolly,  Dolly, 
Ding«  sang  Julia  Axen.  Ihr  richtiger  Namen  war  Christa  Lübbe."’36  Begleitet 
wurde  sie  vom  Orchester  Günther  Kretzschmer.  Wilhelm  Penndorf  brachte 
seinen  Titel  »Big  Band-Fanfare«  zur  Aufnahme.  Walter  Eichenberg  und  das 
Rundfunk-Tanzorchester  Leipzig  spielten  »Sommerfest  am  Meeresgrund«  im 
Big-Band-Sound  ein.  »Blues  für  G.  G.«  von  Hanno  Kretzschmar  und  »Martin ’s 
Madison«  nahm  die  ZMP  mit  der  Martin-Möhle-Combo  auf.  Mit  dem  Instru- 
mental-Surfstück  »Condore«  waren  Theo  Schumann  und  seine  Band  vertreten. 
In  dieser  Produktionseinheit  gingen  dann  auch  Titel  wie  »Strandbikini«  von 
Rudi  Werion  oder  Heinz  Kunerts  »Happy,  happy  day«  als  erziehende  Musik- 
stücke für  die  sozialistischen  Rundfunkkonsumenten  durch.  Das  »Itsy  Bitsy 
Teenie  Weenie  Honolulu«  ließ  der  Sektorenleiter  für  Tanz-  und  Unterhal- 
tungsmusik gegenüber  Grimmer  unerwähnt.  Im  September  1964  hatte  der 
Bandleader  Martin  Möhle  die  akustischen  Long  Drink-Adaptionen  »Bananen- 
Cobbler«,  »Cuba-Rum«,  »Ananas-Cocktail«,  »Gin  Fizz«  und  »Curacao«  im 
Produktionsplan  untergebracht  und  deckte  damit  ein  Sechstel  der  Kapazität  in 
diesem  Monat  ab.  Die  Titel  entführten  die  Hörer  in  weitläufige  Hotel-Bars  und 
ließen  den  alltäglichen  unzureichenden  MITROPA-Service  für  einige  Takte 
Tanzmusik  vergessen.  Diese  durchweg  hörbaren  Tanzmusiktitel  fügten  sich  in 
ein  »Light  Programme«,  das  nach  Außen  vorgab  sozialistisch  zu  sein.  Das 
Klangmaterial,  das  die  Geschmackskonflikte  überstand,  konservierte  einen 
Tanzmusiksound,  in  welchem  die  Musikstile  der  1950er  Jahre  noch  als  zu- 
kunftsweisend und  modern  angesehen  wurden.  Die  Musikproduktion  des  SRK 
blockierte  dadurch  die  Einarbeitung  von  Musikstilen  wie  Jazz  und  Skiffle.  Sie 
tat  sich  auch  bei  instrumentaler  Surfmusik  oder  dem  finnischen  Letkiss-Sound 
schwer. 

Mit  dieser  schmalen  Produktionslage  war  die  Sendezeit  von  Jugendstudio 
DT  64  dauerhaft  nicht  zu  füllen.  Um  einen  hohen  Wiederholungsgrad  der 


536  Julia  Axen,  Jolle-Dolly-Ding,  Ralf  Petersen/  Dieter  Schneider,  Orchester  Günter  Kretschmer,  Ver- 
lag  Lied  derZeit,  21.7.64,  1’45  (Tonmeister  Crasser)  [Archivsignatur  ZMP,  3 MT  10730]  URL:  http://www. 
ralf-petersen.de/archiv2.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


immer  gleichen  Musikstücke  zu  vermeiden,  musste  also  auf  andere  musikalische 
Quellen  zugegriffen  werden.  Nur  über  die  Popularität  von  DT  64  konnten  den 
jugendlichen  Konsumenten  politische  Inhalte  und  die  Attraktivität  der  FDJ 
vermittelt  werden.  Martin  Möhles  »Bananen-Coppler«  war  ein  solides  Tanz- 
musikstück, aber  mit  Blick  auf  die  inzwischen  von  AFN,  BFN,  Radio  Luxemburg 
und  Deutscher  Freiheitssender  904  geprägten  Soundwahrnehmungen  jugendli- 
cher Konsumenten  fast  nicht  sendbar. 

5.1 .4.2  Rundfunksound  und  Produktionspolitik  in  der  Nachwirkung  des 
11.  Plenums  1965/  66 

In  einer  Notiz  an  den  ZK-Abteilungsleiter  Kultur,  Siegfried  Wagner,  schrieb 
Peter  Czerny  einen  Monat  vor  dem  1 1 . Plenum,  dass  das  »Musikprogramm  von 
DT  64  [...]  in  einem  verhältnismäßig  breiten  Rahmen  westliche  Tanzmusik 
stärker  als  früher«  verbreite.  Weiterhin  entstehe  der  Eindruck,  dass  das  Musik- 
programm von  DT  64  »keine  prinzipiellen  Unterschiede«  hinsichtlich  der 
»leichten  Musik  des  Westens  und  des  Sozialismus«  ziehe.  Zum  Teil  erklangen 
»im  DT  64  auch  Titel«,  die  Czerny  als  »reaktionär«  und  »dekadent«  auffass- 
te.537 Die  ZK- Kulturabteilung  hatte  diese  Musikstücke  in  einem  mit  der  Agita- 
tionsabteilung abgestimmten  Artikel  »NATO-Politik  und  Tanzmusik«  1961 
benannt. 538  Gemeint  waren  u.  a.  der  1958  erschienene  Titel  »Ich  bin  kein 
schöner  Mann«  des  englischen  Sängers  Billy  Sanders,539  die  deutsche  Version 
von  »Tom  Dooley«540  (im  1959er  Original  gespielt  vom  »Kingston  Trio«)  und 
der  von  Bibi  Johns  gesungene  Titel  »Nachts  in  der  Bar«541  aus  dem  Film 


537  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/159  unpag.,  [ZK  der  SED],  Abt.  Kultur,  Aktennotiz,  Betr.: 
Ursachen  für  das  Überhand  nehmen  negativ  dekadenter  Erscheinungen  in  den  Gitarrengruppen,  Berlin 
11.11.1965,  S.  1-2,  S.  1. 

538  Michael  Rauhut:  Beat,  1993,  S.  23-26. 

539  Billy  Sanders,  Ich  bin  kein  schöner  Mann,  7«,  Electrola  E 21  034,  1958. 

Nilsen  Brothers,  Tom  Dooley,  7”,  Electrola  21053,  1959.  URL:  http://static.rateyourmusic.com/ 
album_images/s906008.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

Bibi  Johns  und  Peter  Alexander  & Orchester  Adalbert  Luczkowski,  Aber  Nachts  in  der  Bar,  Heino 
Gaze/Günther  Schwenn,  B-Seite:  Liebling  bleib  bei  mir,  7”,  Polydor  20338  EPH,  1958.  URL:  http://cover- 
galerie.org/DATEN/P/PETER% 2 0 ALEXANDER/Peter% 2 OAlexander.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


219 


»Wenn  Frauen  schwindeln«.  DT  64  habe  diese  Stücke  mehrfach  eingesetzt,  so 
Czerny,  auch  nachdem  die  ZK-Kulturabteilung  den  Bannstrahl  auf  diese  Titel 
gerichtet  hatte.  Vier  Jahre  später,  1965,  hielten  sich  nur  noch  die  wirklich  lini- 
entreuen Musikredakteure  im  Rundfunk  an  diese  Vorgabe. 

Am  4.  April  1965  war  im  Neuen  Deutschland  der  Artikel  »Butler’s  Boogie« 
erschienen.  Darin  behauptete  der  Autor,  Heinz  Stern,  es  gebe  »keine  imperiali- 
stische oder  sozialistische  Tanzmusik«,  sondern  man  könne  nur  »in  Walzer, 
Tango,  Twist  [...]  Big  Beat,  Old-Time-Jazz  u.  a.  «542 

unterteilen.  Er  leugnete 

damit,  »die  bewußtseinsbildende  Kraft  der  Musik  und  ihre  ideologische  Deter- 
miniertheit«543, hieß  es  in  einer  ersten  Ausarbeitung  zur  staatlichen  Kulturpo- 
litik im  Bereich  der  Tanzmusik.  Darauf  bezog  sich  der  musikpolitische  Referent 
der  ZK- Abteilung  Kultur,  Peter  Czerny,  im  November  1965  und  knüpfte  daran 
die  Forderung  nach  einem  »sauberen«  Musikprogramm  bei  Jugendstudio  DT  64. 

Dieser  politische  Wille  stieß  aber  bereits  bei  Produktionsaufträgen  und  den 
von  der  Chefredaktion  Musik  eingeleiteten  Sofortmaßnahmen  in  der  Tanzmu- 
sik an  seine  Grenzen.544  Die  Anerkennung  und  Wirksamkeit  der  DDR-Tanz- 
musik  sei  erheblich  gewachsen,  bekräftigte  die  Abteilung  Musik  des  Kulturmi- 
nisteriums im  Dezember  1965.  Mit  der  von  ihr  1958  eingeführten  60:40-Rege- 
lung  sei  der  »dominierende  Ausschließlichkeitsanspruch  der  westlichen  Schla- 
gerproduktion« überwunden  worden.  Zwar  habe  man  »reaktionäre  ideologi- 
sche Einflüsse  der  westlichen  Schlagerindustrie«  wie  »Söldnerromantik,  Ver- 
herrlichung asozialer  Erscheinungen  und  die  Verunglimpfung  der  Frau«  in  der 
Entwicklung  der  sozialistischen  Tanzmusik  - weitgehend  - ausschalten  können, 
dennoch  sei  der  Gegner  weiterhin  im  Vorteil.  Westdeutschland  stelle  »jährlich 
4000  Neukompositionen«  her,  während  in  der  DDR  »nur  etwa  1000  Titel«  zur 


542  BArch  B,  DR  1/8783  unpag.,  [Ministerium  für  Kultur]  Abteilung  Musik,  Vorlage:  Die  Verbesse- 
rung  der  Lage  auf  dem  Gebiet  der  Tanzmusik,  (3.  Entwurf),  Berlin  6.12.1965,  S.  5. 

543  BArch  B,  DR  1/8729  unpag.,  [Ministerium  für  Kultur,  Abteilung  Musik]  Vorlage:  Änderung  der 
Leitungstätigkeit,  der  Arbeitsweise  und  der  Aufgabenstellung  auf  dem  Gebiet  der  heiteren  Muse,  insbe- 
sondere auf  dem  Gebiet  der  Tanzmusik,  (2.  Entwurf),  Berlin  7.5.1965,  S.  3. 

544  BArch  B,  DR  6/117  unpag.,  Chefredaktion  Musik,  Radio  DDR,  Sofortmaßnahmen  für  das 
Gebiet  der  Tanzmusik,  Berlin  23.10.1965,  S.  1-5. 


220 


Aufnahme  und  Vervielfältigung  gelangen  würden.545  Im  Februar  1966  redu- 
zierte die  Musikabteilung  des  Kulturministeriums  diese  Zahl  sogar  auf  500 
Titel.546  Der  Rundfunk  brauchte  wesentlich  mehr  Titel,  um  Doppel-  und 
Mehrfacheinsätze  zu  vermeiden.  Die  Musikproduktion  des  Rundfunks  brauchte 
zu  lange,  um  sich  für  einen  Titel  zu  entscheiden.  Sie  musste  dafür  auch  die 
Künstler  und  Kapellen  disponieren.  Gelangte  die  Aufnahme  schließlich  ins  Pro- 
gramm, erhielt  sie  zu  wenig  Einsätze,  weil  sie  den  Musikgestaltern  dann  nicht 
mehr  gefiel  oder  ein  Entscheidungsträger  außerhalb  des  Rundfunks  das  Stück 
nicht  hören  wollte.  Dadurch  verstärkte  die  Musikproduktion  Auseinanderset- 
zungen um  sozialistische  Musik  eher  als  sie  tatsächlich  zu  lösen.  Unter  diesen 
Bedingungen  waren  »Verbesserungen«  bei  der  Tanzmusikproduktion  des 
DDR-Rundfunks  graduelle  Hebungen  von  einem  niedrigen  auf  einen  etwas 
weniger  niedrigen  Stand.  Dies  setzte  sich  auch  bei  den  Produktionsaufträgen 
zwischen  September  1966  und  März  1967  fort.547 

Der  Schallplatteneinkauf  in  Westberlin  hingegen  war  eine  schnelle  Mög- 
lichkeit, um  den  Bestand  in  den  verschiedenen  musikalischen  Stilen  zu  erwei- 
tern. Dafür  war  zum  Beispiel  die  Musikalien-  und  Tonträgerhandlung  Bote  und 
Bock  im  Bezirk  Tiergarten  eine  Anlaufstelle.548  Der  inoffizielle  Tausch  von  Bän- 
dern mit  anderen  sozialistischen  Rundfunksendern  war  eine  weitere  beliebte 
Praxis,  da  es  über  den  Verwaltungsweg  nicht  möglich  war,  attraktive  Stücke 
innerhalb  weniger  Wochen  zu  erhalten.  Czernys  kulturpolitische  Forderungen 
nach  einer  »sauberen«  Tanzmusik  scheiterten  an  der  Wirklichkeit.  Die  Musik- 


545  BArch  B,  DR  1/8783  unpag.,  [Ministerium  für  Kultur]  Abteilung  Musik,  Vorlage:  Die  Verbesse- 
rung  der  Lage  auf  dem  Gebiet  der  Tanzmusik,  Schlußfolgerungen  für  die  Leitungstätigkeit  und  Maßnah- 
meplan, (3.  Entwurf),  Berlin  6.12.1965,  S.  1-20,  S.  3. 

546  BArch  B,  DR  1/8783  unpag.  [Ministerium  für  Kultur]  Abteilung  Musik,  Vorlage:  Die  Verbesse- 
rung der  Lage  auf  dem  Gebiet  der  Tanzmusik,  Schlußfolgerungen  für  die  Leitungstätigkeit  und  Maßnah- 
meplan, (4.  Entwurf),  Berlin  18.2.1966,  S.  1-26,  S.  4. 

BArch  B,  DR  6/117  unpag.,  Aufnahmeleitung  Musik,  Aufgenommene  Titel  September  1966  Tanz- 
musik Berliner  Rundfunk,  Berlin  18.10.1966,  S.  1-2.  Beispiel:  Harold  M.  Kirchstein,  Winnetou,  Orchester 
Siegfried  Mai.  BArch  B,  DR  6/117  unpag.,  Aufnahmeleitung  Musik,  Aufgenommene  Titel  März  1967 
Tanzmusik  Berliner  Rundfunk,  Berlin3.4.1967,  S.  1-2.  Beispiel:  Theo  Schumann,  Bornholm,  Theo-Schu- 
mann-Combo. 

548  Zeitzeugeninterview,  Manfred  Kühn,  Potsdam,  4.5.2004. 


gestaltung  des  DDR-Rundfunks  arbeitete  internationale  Musikstile  ein.  Das 
vollzog  sich  in  der  Musikproduktion  zögerlicher  als  im  täglichen  Musikpro- 
gramm. Und  bei  Jugendstudio  DT  64  galten  wieder  andere  Regelungen. 

5.1.5  Das  Verhältnis  60:40 

1958  hatte  das  DDR-Kulturministerium  eine  gesetzliche  Regelung  durchge- 
setzt, durch  welche  bei  der  öffentlichen  Aufführung  von  Musik  in  der  DDR 
jeweils  sechzig  Prozent  der  Titel  aus  heimischer  Produktion  oder  den  sozialisti- 
schen Bruderstaten  und  vierzig  Prozent  der  Musikstücke  aus  westlichen  Län- 
dern zu  kommen  hatten.  Wenig  später  beschloss  das  SRK  ein  verschärftes  Ver- 
hältnis von  80:20. 549  Bei  der  tatsächlichen  Umsetzung  aber  stieß  das  Rundfunk- 
komitee auf  massive  Widerstände.  So  wies  zum  Beispiel  der  Komponistenver- 
band der  DDR  die  Rundfunkredakteure  darauf  hin,  »sie  hätten  sich  genau  an 
60:40  zu  halten«,  da  sonst  »die  Schallplatte«  ihre  Verpflichtungen  aus  Verträ- 
gen mit  dem  kapitalistischen  Ausland  nicht  mehr  erfüllen  könne.  Außerdem 
hätten  die  »für  die  Rundfunkmusik  arbeitenden  Komponisten  bei  ihrer  ersten 
Abrechnung  der  hohen  Anzahl  von  DDR-Titel[n]  einen  geringeren  Geldbe- 
trag« bekommen  als  sie  vorher  bei  einem  niedrigeren  Anteil  von  Eigenproduk- 
tionen erhalten  hatten.  Der  Komponistenverband  setzte  eine  Halbierung  der 
Tantiemen  für  die  beim  Rundfunk  angestellten  Komponisten  durch  und  verhalf 
somit  seinen  Mitgliedern  zu  höheren  Vergütungen. 

Das  Verschieben  des  Musikverhältnisses  und  die  Reaktion  des  Komponi- 
stenverbandes brachte  die  Produktion  von  DDR-Titeln  nahezu  zum  Erliegen, 
weil  damit  kein  Geld  mehr  zu  verdienen  war.  Deshalb  standen  nun  »immer 
weniger  DDR-Titel  für  die  Tanzmusik  und  Unterhaltungsmusik  zur  Verfü- 
gung.«550 Diese  Fehlentwicklung  sollte  sich  in  den  1960er  Jahren  fortsetzen. 

Der  stellvertretende  Vorsitzende  des  SRK,  Reginald  Grimmer,  wies  im  Juli 
1963  seinen  früheren  ZK-Kollegen,  Siegfried  Wagner,  den  Abteilungsleiter 


549  SAPMO-BArch,  DY  30/  TV  2/2.028/90  unpag.,  Vorsitzender  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees, 
Hermann  Ley,  an  Albert  Norden,  Betr.:  Analyse  unserer  Musikarbeit,  Berlin  3.3.1962.  Anlage:  Analyse  des 
Musikprogramms  des  Deutschen  Demokratischen  Rundfunks,  3.3.1962,  S.  1-5,  S.  2. 

550  Ebd.,  S.  2. 


222 


Kultur,  eindringlich  darauf  hin,  welche  Konsequenzen  eine  weitere  Verschär- 
fung der  60:40-Regel  nach  sich  ziehen  würde.  Das  SRK  wehrte  sich  dagegen 
und  führte  die  Erfolge  des  Rundfunks  »bei  der  Entwicklung  unserer  eigenen 
Tanzmusik«551  an.  Grimmer  verdeutlichte,  warum  eine  solche  Verschärfung 
ins  Leere  laufe.  Die  SED-Kulturpolitik  habe  sich  »bisher  mit  der  administrati- 
ven Lösung  des  Problems  lächerlich  gemacht.«  Grimmer  warnte  davor,  »statt 
neuer  Ideen  mit  neuen  Überspitzungen« 552  aufzuwarten.  Zweitens  könnten  bei 
einer  Verschärfung  progressive  westliche  Künstler  wie  Yves  Montand  oder  der 
amerikanische  Bürgerrechts-Aktivist  und  Jazz-Musiker  Paul  Robeson  nicht 
mehr  gespielt  werden.  Und  da  die  Verlagsrechte  der  »volkstümlichen  Melodien 
von  Gershwin,  Ziehrer,  Eisbrenner,  Lehar,  Dostal,  Kollo,  Künneke  usw.«  - also 
Swingsound  der  Nachkriegszeit  und  die  leichten  Operettenmelodien  des  späten 
Kaiserreiches  und  der  Weimarer  Zeit  - nicht  in  Ostberlin  liegen  würden,  wären 
diese  Stücke  nicht  mehr  einsetzbar.  Würde  das  Aufführungsverhältnis  tatsäch- 
lich verschärft  werden,  so  Grimmer,  müsse  der  Rundfunk  bestimmte  Senderei- 
hen und  Programmfolgen  der  Unterhaltungsmusik  aus  dem  Programm  heraus- 
nehmen, obwohl  sich  diese  sehr  großer  Beliebtheit  bei  Hörern  erfreuen  würden 
und  außerdem  bewusst  von  den  DDR-Sendern  gegen  bestimmte  Schwerpunk- 
te der  gegnerischen  Programme  gestellt  würden.  Die  Möglichkeiten  zur  kultu- 
rellen Profilierung  nach  Außen  und  nach  Innen  würden  dadurch  erheblich  ein- 
geschränkt werden.  Ähnlich  argumentierte  Grimmer  übrigens  auch  ein  Jahr 
später  in  einem  Brief  an  den  stellvertretenden  Kulturminister  Wendt.555  Im 
November  1965  schrieb  die  zweite  Anordnung  des  Kulturministeriums  zur 
Aufführung  von  Tanz-  und  Unterhaltungsmusik  in  Gaststätten,  Konzerthallen 
und  im  Rundfunk  das  Verhältnis  von  60  Prozent  zu  40  Prozent  endgültig  fest 
und  beendete  diese  offizielle  Diskussion.  Damit  waren  aber  die  Mechanismen 
nicht  beseitigt,  diese  Regelungen  kulturpolitischer  »Ausgewogenheit«  umzu- 
formen und  bei  der  täglichen  Gestaltung  des  Musikprogramms  zu  unterlaufen. 


551  BArch  B,  DR  6/594  unpag.,  [Stellvertretender  Vorsitzender  des  SRK]  Reginald  Grimmer  an  Leiter 
Abt.  Kultur  ZK,  Siegfried  Wagner,  Betr.:  Weitere  Gestaltung  des  Musikprogramms,  Berlin  2.7.1963,  S.  1-3, 
S.  1.  [Das  Schreiben  befindet  sich  auch  im  Bestand  Albert  Nordens  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  A 2/2 .02 8/65] 

552  Ebd.,  S.  1. 

553  BArch  B,  DR  6/584  unpag.,  Stellvertretender  Vorsitzender  des  SRK,  Reginald  Grimmer,  an  stell- 
vertretender Minister  für  Kultur,  Staatssekretär  Erich  Wendt,  Berlin  29.4.1964,  S.  1. 


223 


5.1.6  Die  Melodie  des  Jugendkommuniques  und  des  Deutschlandtreffens  1964 


Der  Sound  des  DDR-Rundfunks  entsprach  1963  nicht  der  Melodie  des  SED- 
Jugendkommuniques  aus  dem  gleichen  Jahr.  Er  war  rückwärts  gewandt,  obwohl 
die  SED-Kultur-  und  Jugendpolitik  stets  das  Vorwärtsschreiten  betonte.  Der 
»Musik«-Sound  und  der  »Wort«-Sound  des  Festivalsenders  DT  64  während 
des  Deutschlandtreffens  1964  setzte  eine  neue  Klangspur  im  DDR-Rundfunk. 

5. 1.6.1  »Berlin  ist  jung«.  Die  Melodie  der  Hausherren  von  morgen  im 
Vorfeld  des  Deutschlandtreffens 

Im  April  1964  zeigte  sich  das  Rundfunkkomitee  mit  den  Liedern  unzufrieden, 
die  für  das  Deutschlandtreffen  bis  dahin  produziert  worden  waren.  Nur  »Singe, 
Freie  Deutsche  Jugend«,  gesungen  vom  Zentralen  Pionierchor  »Edgar  Andre«, 
dem  Mädchenchor  und  der  Instrumentalgruppe  des  Berliner  Rundfunks , gefiel 
den  Mitgliedern  des  SRK.  »Blaue  Fahnen«,  »Wir  fahren  nach  Berlin«  und  der 
von  Schauspieler  Gerry  Wolf  gesprochene  Titel  »Leute,  wie  ist  denn  die 
Lage?«  erfüllten  die  hohen  Anforderungen  nicht.  »Baut  Berlin«,  »Stadt  der 
Freundschaft«  oder  das  von  Hermann  Hähnel  gesungene  »Berlin  ist  jung« 
überzeugten  genauso  wenig  wie  das  von  Schlagersängerin  Bärbel  Wachholz 
gesungene  »Heute  sind  alle  Straßen  voll  Musik.« 554  Die  Verantwortlichen  im 
Rundfunkkomitee  forderten  für  das  Deutschlandtreffen  Lieder,  die  in  das  Pro- 
gramm passen  würden,  nach  denen  man  marschieren  könne,  die  »eine  Atmo- 
sphäre der  Freude  und  des  Stolzes  auf  das  Erreichte«  schaffen  würden  und  die 
die  DDR  als  »unsere  Heimat  besingen.«555  Es  wurde  bemängelt,  dass  die 
Melodien  vieler  Lieder  zu  kompliziert  seien  und  dass  ein  Lied  »mit  einer  einfa- 
chen Begleitung«  fehle.  Der  Titel  sollte  vom  Text  her  verständlich  sein  und 
eine  eingängige  Melodieführung  besitzen.  Komiteemitglieder  hielten  in  dieser 


554  BArch  B,  DR  6/493  unpag.,  [Zentrale  Musikproduktion,  Martin  Hattwig],  Für  die  Kommissions- 
sitzung  am  31.3.1964:  Lieder  zum  Deutschlandtreffen,  S.  1-2.  »Gitarren  im  Mai«,  2’45”  wurde  am  9.3. 
1964  aufgenommen,  URL:  http://www.ralf-petersen.de/archiv2.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

555  BArch  B,  DR  6/493  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  Nr.  16/64  der  Komiteesitzung  vom 
7.4.1964,  S.  1-4,  S.  2.  Tagesordnungspunkt  I:  Abhören  von  Liedern  zum  Deutschlandtreffen 


224 


Diskussion  Songs,  wie  sie  Kurt  Weill  geschrieben  hatte,  für  jugendgemäß,  weil 
sie  selbst  davon  in  ihrer  Jugendzeit  geprägt  worden  waren.  Auch  die  vom  SRK 
gebildete  Auswahlkommission  hielt  wenig  später  die  neuen  Lieder  für  »nicht 
massenwirksam  genug.  «556 

Der  Zeitdruck  und  der  Handlungsbedarf  vor  dem 
Deutschlandtreffen  beförderten  einen  hektischen  Aktionismus.  In  der  Komi- 
teesitzung vom  5.  Mai  1964  fiel  erneut  ein  Lied  durch. 

Der  Song  »Wir  singen  schon  heute  die  Lieder  von  morgen«  erfüllte 
schließlich  die  Erwartungen.  Der  Titel  von  Perry  Friedman  und  Ralf  Petersen 
stieß  auf  breite  Zustimmung.557  Die  von  der  Zentralen  Musikproduktion  neu 
vorgelegten  Lieder  erfüllten  nun  die  Erwartungen  des  SRK.  Sie  wurden  vom 
Komitee  als  einprägsam,  als  zum  »zum  Mitsingen  und  Marschieren«  geeignet 
eingestuft.  Zudem  sei  in  ihnen  auf  übertriebenes  Pathos  verzichtet  worden.  Die 
Titel  seien  »ab  sofort«  zu  senden. 

Die  Diskussion  über  die  Lieder  für  das  Deutschlandtreffen  wirkt  wie  ein 
Nebenschauplatz,  der  mit  Bedeutung  aufgeladen  wurde,  um  über  das  nicht 
reden  zu  müssen,  was  bei  diesem  auf  97  Stunden  angelegten  Sonderprogramm 
zu  senden  war.  Nur  durch  Zugriffe  auf  andere  musikalische  Einflüsse,  in  erster 
Linie  auf  Popmusik  aus  dem  kapitalistischen  Ausland  war  das  strukturelle  Defi- 
zite in  der  Musikproduktion  des  Rundfunks  mit  dessen  Repräsentationsbedürf- 
nis in  Einklang  zu  bringen.  Diese  bewussten  kulturpolitischen  Abweichungen  - 
auch  von  der  60:40-Quote  - rechtfertigte  die  Spitze  des  SRK  mit  der  zu  erwar- 
tenden Anziehungskraft  und  Popularität. 

5. 1.6.2  Der  »Wort«-Sound  des  Senders  DT  64  während  des  Pfingsttreffens 
1964,  mitgeschnitten  vom  Monitordienst  des  RIAS 

Die  akustische  Komposition  des  DT  64-Programmes  an  diesem  Pfingstwo- 
chenende  war  schnell  und  knapp,  der  »Wort«-Sound  frech  und  lakonisch.  Die 


556  BArch  B,  DR  6/493  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  Beschlußprotokoll  Nr.  18/64  der 
Komiteesitzung  vom  21.4.1964,  S.  1-7,  Tagesordnungspunkt  I.  a.)  Abhören  neuer  Lieder,  S.  3. 

557  Ebd.,  S.  3 Lieder:  »Wir  müssen  Frieden  haben«,  Perry  Friedman,  »Wir  singen  schon  heute  die 
Lieder  von  morgen«,  Ralf  Petersen/  Dieter  Schneider,  12.4.1964,  2’40,  URL:  http://www.ralf-petersen. 
de/archiv2.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


225 


bedächtige  Phrasenhaftigkeit  der  sonst  im  sozialistischen  Rundfunk  üblichen 
Redeweise  war  verschwunden. 

Um  von  allen  Punkten  der  Stadt  berichten  zu  können,  an  denen  Veranstal- 
tungen stattfanden,  hatten  die  Rundfunktechniker  mit  der  Deutschen  Post, 
»die  ganze  Stadt  mit  einem  Netz  von  Anschlussstellen  für  die  Übertragungswa- 
gen überzogen.  Wir  konnten  also  sehr  schnell  von  einem  Punkt  zum  anderen 
und  konnten  live  berichten.  «558 

Diese  Lösung  umging  die  Widrigkeiten  der 
bestehenden  technischen  Infrastruktur. 

Am  Freitag,  dem  15.  Mai  1964  lief  von  20.05  bis  20.50  Uhr  ein  Wunsch- 
konzert mit  Grüßen  an  Freunde  und  Verwandte.5"’9  Der  SRK- Vorsitzende  Eis- 
ler empfahl  danach  mit  seinem  wienerischen  Zungenschlag  den  DT  ^-»Kun- 
dendienst«. Diese  Bezeichnung  versprach  Service  und  Hilfsbereitschaft.  Das 
waren  Aspekte,  die  bis  dahin  nicht  im  DDR-Rundfunk  vorgekommen  waren. 
Nach  den  21.00-Uhr-Nachrichten  brachte  DT  64  eine  längere  Reportage- 
Strecke  mit  Schaltungen  zu  den  Sonderzügen  in  Plauen  und  Meiningen.  Die 
jungen  Meininger  Mädchen  erzählten  dem  Reporter  vom  »Gütezeichen  Q«, 
der  höchsten  in  der  DDR  erreichbaren  Qualitätsstufe,  die  sie  mit  ihrem  VEB 
erreicht  hätten  und  nun  zum  Deutschlandtreffen  mitbrächten.  Sie  interessier- 
ten sich  aber  nicht  sonderlich  für  die  Nachfragen  des  Rundfunkjournalisten. 
Das  merkte  auch  die  Moderatorin  Gretel  Ortner  und  unterbrach  die  Leitung 
nach  Meiningen  für  ein  paar  Takte  Musik.  Dann  versuchte  sie  es  mit  dem  Kol- 
legen, der  am  Bahnhof  Plauen  gut  gelaunte  junge  FDJler  befragen  wollte.  Die 
jungen  Menschen  polterten  bierselig  durch  die  Zugabteile.560  Sie  erläuterten 
dem  Journalisten  pflichtgemäß,  warum  sie  als  Neuerer  nach  Berlin  fahren  dürf- 
ten und  warum  das  eine  Auszeichnung  sei. 

Das  Deutschlandtreffen  sei  »ungeheuer  populär«,  so  der  Kommentator 


558  Zeitzeugeninterview,  Siegmar  Krause,  Berlin  15.4.2002. 

559  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403 -01-05/0001,  [RIAS-Monitordienst],  Sen- 
der DT  64,  Freitag  15.5.1964,  20.05-20.50  Uhr.  S.  1-15,  S.  1.  [Eigene  Nummerierung,  H.S.].  Siehe  DRA, 
R-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  DOK  1725/Band.  1 u.  2,  Deutschland- 
treffen der  Jugend  1964.  Live-Schaltungen  zu  den  Demonstrationen,  Abschlussveranstaltung. 

560  DeutschlandradioKultur,  Senderarchiv  RIAS,  B001714,  Vor  Ort  in  Meiningen,  Plauen,  Wismar 
- Abfahrt  zum  Deutschlandtreffen.  Gläsernes  Studio  in  Berlin. 


22Ö 


Rolf  Knebel.  Das  ließe  sich  auch  daran  erkennen,  dass  »die  Kollegen  von  der 
anderen  Seite«  eifrig  die  Gelegenheit  ergreifen  würden,  »ein  kleines  Extraho- 
norar einzustreichen.«  Der  Existenzkampf  bei  RIAS  und  SFB  sei  »hart  wie  das 
bekannte  Brett  vor  dem  Kopf.«561  Der  SFB  habe  beim  Morgenkommentar 
einen  »journalistischen  Volltreffer  ans  Mikrofon  gelassen.«  Es  folgte  eine  origi- 
nale Einspielung,  in  der  sich  SFF-Kommentator  Gottfried  Paulsen  mit  dem 
Deutschlandtreffen  und  dem  Lied  »Wer  singt  heute  schon  die  Lieder  von  mor- 
gen« [Der  Liedtitel  wurde  vom  SFB  falsch  zitiert.]  auseinandersetzte.  DT  64 
zerpflückte  diesen  Beitrag  satirisch,  wies  auf  den  »Unsinn«  der  SFB-Argumen- 
tation  hin  und  spielte  das  Lied  »gleich  hinterher.«562 

Um  5.5 1 Uhr  am  ersten  Festivaltag  berichtete  DT 64,  dass  das  »RIAS-Not- 
programm  [...]  Schreckliches  vom  Pfingsttreffen  zu  berichten«  gewusst  habe.  In 
Reaktion  auf  einen  Originalkommentar  des  RIAS  behauptete  der  DT  64-Spre- 
cher,  die  RLdS-Kollegen  in  der  Kufsteiner  Straße  nun  aufklären  zu  wollen. 
Seine  satirische  Zuspitzung  blieb  der  Nachwelt  erhalten,  weil  es  der  RIAS- 
Monitordienst  seinerseits  aufzeichnete:  »Mindestens  90%  aller  Jugendlichen 
wurden  gewaltsam  zu  dieser  Veranstaltung  [getrieben].  Ihren  Unmut  über  diese 
Gewaltmaßnahmen  versuchten  die  jungen  Menschen  durch  lautes  Singen  und 
durch  Aufstampfen  mit  dem  linken  Fuß  zu  überdecken.« 

In  der  Abendsendung  vom  16.  Mai  1964  brachte  DT  64  einen  Stimmungs- 
bericht aus  dem  Cafe  Warschau.  Dort  herrsche  auf  der  Tanzfläche  »eine  ölsardi- 
nenbüchsenähnliche  Enge«.  Es  gäbe  viele  Tanzflächen  auf  der  Karl-Marx-Allee 
und  überall  sei  etwas  los,  hieß  es  aus  dem  gläsernen  DT  64-Studio  am  Alexan- 
derplatz. Ostberlin  kam  an  diesen  Pfingsttagen  auch  nachts  nicht  zur  Ruhe.  Das 
veranschaulichte  ein  DT  64-Reporter,  der  sich  in  der  Oranienburger  Straße 
»mit  den  nächtlichen  Milchfahrern  unterhielt.«563 

In  der  Nacht  zum  Pfingstmontag  nahm  DT  64  den  RLdS-Bericht  über  eine 
Modenschau  in  der  Karl-Marx-Allee  vom  Sonntagabend  auf  die  Schippe.  »Bis- 
her« sei  der  Osten  »nur  grau,  allenfalls  rotkariert«  gewesen,  »wenn  es  sich  um 


561  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  [RIAS-Monitordienst], 
Sender  DT  64,  Freitag  15.5.1964,  23.30  Uhr.  S.  2. 

562  Ebd.,  S.  3,  23.30  Uhr. 

563  Ebd.,  S.  6,  01.25  Uhr. 


227 


die  Mode  handelte.«  Die  Stimme  von  R IA .S  - C h c f r c d ak tc u r Hanns-Peter  Herz 
wurde  mit  dem  lobenden  Hinweis  eingespielt,  dass  »in  Ostberlin  ansprechende 
Modelle  über  den  Laufsteg  gingen.«  Solche  Zugeständnisse  an  den  Osten, 
tönte  DT  64,  liefen  der  offiziellen  Meinung  in  der  Bundesrepublik  entgegen. 
Herz  läge  doch  ansonsten  immer  auf  der  richtigen  politischen  Linie.  Er  möge 
sich  vorsehen,  bat  der  Festivalsender,  sonst  bekäme  er  Arger  »mit  denen  da 
oben.«564  Eine  Stunde  später  hatte  DT  64  wieder  etwas  »Schreckliches«  vom 
ÄZ/fS'-Notprogramm  zu  berichten.  »Selbst  das  >Freundschaft<-Rufen«  müssten 
die  FDJler  üben,  habe  der  RIAS  erklärt.  Ein  junger  Westdeutscher  beschwerte 
sich  im  RIAS,  weil  er  an  der  Treptower  Freilichtbühne  »zum  Tanz  kein  Mäd- 
chen bekommen«  habe,  da  immer  ein  Jugendlicher  der  Partei  dabei  gewesen 
wäre.  Der  DT  64-  Sprecher  verriet  den  »Trick«.  Demnach  seien  alle  Jugendli- 
chen der  DDR  vor  dem  Festival  »zum  Schönheitsoperateur  gegangen«,  daher 
hätten  den  SED-Mädchen  der  »westdeutsche  Junge  nicht  mehr  so  gut  gefal- 
len.«565 Nach  zwei  Musiktiteln  meldete  sich  ein  Außenreporter  vom  Camping- 
platz an  der  Wuhlheide  und  fragte  Jugendliche,  ob  ihnen  das  Lachen  befohlen 
worden  wäre.  Der  Westberliner  Innensenator  Heinrich  Albertz  hatte  dies  zuvor 
im  RIAS  behauptet. 

DT  64  wies  »RIAS-Meldungen  über  Krawalle  am  vergangenen  Abend  auf 
der  Karl-Marx-Allee«  zurück,  bei  denen  die  Volkspolizei  angeblich  »dressierte 
Hunde«  eingesetzt  habe.  DT  64  riet  den  Festival-Teilnehmern,  dem  Rat  des 
RIAS  zu  folgen,  »möglichst  Ansammlungen  von  mehr  als  10.000  Menschen  zu 
vermeiden.«  Wenig  später  berichtete  DT  64  von  560.000  Teilnehmern,  darun- 
ter 1000  aus  Westberlin  und  tausende  westdeutsche  Jugendliche.566  Das  Fest  sei 
eine  »Wolke«,  sagten  Jugendliche  auf  der  Friedrichsstraße  ins  DT  ^-Mikro- 
fon. Ähnliche  Stimmungsbilder  gingen  kurz  nach  Mitternacht  von  »einer  ande- 
ren Sprechstelle«567  ein,  protokollierte  der  Monitor-Dienst  des  RIAS. 

Die  Laune  im  Studio  des  Ostberliner  Sondersenders  stieg  in  der  Nacht  noch 


564  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  [RIAS-Monitor]  DT  64, 
18.5.1964,  S.  8,  01.05  Uhr.  [RIAS,  17.5.1964,  20.10  Uhr], 

565  Ebd.,  S.  9,  07.42  Uhr. 

566  Ebd.,  S.  11,  14.25  Uhr. 

567  Ebd.,  S.  13,  Dienstag  19.5.1964,  00.15  Uhr. 


weiter  an.  Eine  Stunde  später  gingen  »dpa-Ersatznachrichten  des  Honorarson- 
derberichterstatters  van  der  Lulle«  über  den  Äther.  Der  betonte,  dass  »die 
Unfähigkeit  des  Pankower  Regimes«  sich  darin  zeige,  dass  »man  nichts  anderes 
als  Twist  und  Sonderzüge  abfahren  lassen  konnte.568  Gegen  7.20  Uhr  endete 
das  Programm  des  Senders  DT  64,  so  das  Mitschnittprotokoll  des  RZTS-Moni- 
tors  mit  einer  Glosse  über  die  Meldung  einer  westdeutschen  Nachrichtenagen- 
tur, nach  welcher  »auf  jeden  Westdeutschen  [...]  rund  10  SED-Funktionäre« 
gekommen  seien,  die  noch  dazu  in  Dialektik  geschult  gewesen  seien.  »Die 
Hälfte  aller  Pfingsttreffen-FDJler«,  rechnete  DT  64  zum  Abschluss  vor,  »waren 
alte  Agitatoren  aus  dem  Parteiapparat.«569  In  den  Mitschnitsprotokollen  des 
RZ/fS-Monitordienstes  finden  sich  keine  Hinweise  darüber,  welche  Musik  DT 
64  eigentlich  spielte.  Die  sprachliche  Agitation  des  Gegners  stand  im  Mittel- 
punkt dessen,  was  als  aufschreibenswert  angesehen  wurde.  Dieser  »Wort«- 
Sound  von  DT  64  war  witzig,  hämisch  und  unterhaltsam. 

Auch  wenn  aus  dem  RLdS'-Protokoll  nicht  ersichtlich  wird,  welche  Titel 
genau  gespielt  wurden,  war  es  DT  64  plötzlich  möglich,  flotte  westliche  Tanz- 
musik über  den  Sender  laufen  zu  lassen.  Das  hatte  der  Redaktionsleiter  Jugend- 
funk des  Berliner  Rundfunks  Siegmar  Krause  und  die  Sonderredaktion  DT  64 
mit  dem  Komiteevorsitzenden  Gerhart  Eisler  im  Vorfeld  ausgehandelt.  Mit 
dem  Argument,  dass  man  so  dem  Musikgeschmack  der  westdeutschen  Gäste 
entgegen  komme,  war  dieses  Zugeständnis  abzutrotzen  gewesen.  »Alles  hat 
diese  Beatles  gehört.  Also  bin  ich  zu  Eisler.  Ich  habe  gesagt:  Pass  auf!  Willste, 
dass  dieser  Sender  auch  gehört  wird?  Ohne  Musik  kommen  wir  nicht  aus  und 
wir  kommen  auch  nicht  aus  ohne  einen  erheblichen  (lacht)  Anteil  an  westlicher 
Musik,  Tanzmusik.  Sie  werden  die  Beatles  hören.  Darauf  kannst  du  dich  verlas- 
sen, sagte  ich  zu  Eisler.  Aber  dann  werden  sie  nicht  DT  64  hören.  Wenn  sie  [die 
Jugendlichen]  sie  [die  Beatles]  hören  sollen,  dann  sollen  sie  es  bei  uns  hören. 
Und  dann  hat  der  >Alte<  [Eisler]  gesagt:  Ja.  Macht  das  mal!  Wir  haben  dann  da 
nicht  über  urheberrechtliche  Fragen  und  Tantiemen  uns  den  Kopf  zerbrochen. 


Ebd.,  S.  14,  03.35  Uhr. 
Ebd.,  S.  15,  07.20  Uhr. 


229 


Nichts,  gar  nichts.  Wir  haben  die  einfach  gespielt.  Und  es  schlug  ein  wie  eine 
Bombe.«570 

Das  Sonderprogramm  während  des  Pfingsttreffens  war  auch  für  den  Komi- 
teevorsitzenden Gerhart  Eisler  eine  Möglichkeit,  die  Beharrungskräfte  inner- 
halb der  Rundfunksender  aufzulockern.  Mit  der  praktischen  Erfahr-  und  Erleb- 
barkeit  eines  anderen,  anziehenderen  DDR-Rundfunks  waren  nun  auch  die  mei- 
nungsbildenden Entscheidungsträger  im  Politbüro  und  dem  SED-Apparat  zu 
überzeugen  oder  zumindest  ruhig  zu  stellen,  die  den  Ertrag  einer  offensiveren 
Kulturpolitik  anzweifelten.  Die  DDR-Sender  waren  in  der  Lage,  Massenverbun- 
denheit, Popularität  und  effektive  Propaganda  auf  diese  Weise  herzustellen. 

Ein  Lehrer  aus  Gransee,  Bezirk  Potsdam,  dankte  dem  Rundfunkkomitee, 
dass  es  »während  des  grandiosen  Pfingsttreffens  für  die  Jugend  einen  eigenen 
Sender«  geschaffen  hatte.  Der  Lehrer  fand,  dass  durch  die  »Sendungen  des  DT 
64«  weniger  Jugendliche  »zum  Sender  Luxemburg  oder  anderen  interessanten 
Sendern  griffen.  Auch  an  den  Kofferradios  bestimmter  Gruppen  von  Jugendli- 
chen tönte  unser  Sender.«571  Das  fasste  insbesondere  Eisler  als  Bestätigung  sei- 
ner Idee  auf,  die  Anziehungskraft  des  DDR-Rundfunks  in  diesem  Feld  deutlich 
zu  steigern.  Der  Junglehrer  hatte  abschließend  vorgeschlagen,  dass  der  Festi- 
valsender nun,  nach  dem  Deutschlandtreffen,  als  eigenständiger  Jugendsender 
weitergeführt  werden  könne.  Und  fügte  einen  praktischen  Tipp  an:  Der  Ver- 
suchsbetrieb könne  mit  der  Urlaubssaison  beginnen,  da  ab  Juli  die  Schulferien 
anfangen  würden.  Am  2.  Juni  1964  stritt  das  Staatliche  Rundfunkkomitee  über 
einen  solchen  Jugendsender  und  zum  Ferienanfang  am  29.  Juni  1964  ging 
Jugendstudio  DT  64  dann  tatsächlich  auf  Sendung. 

5.1.7  Der  Klang  von  Jugendstu  dio  DT  64.  Die  Soundscape  sozialistischer 
Herrschaft  sverhältnisse 

Der  Sound  von  Jugendstudio  DT  64  unterschied  sich  deutlich  vom  Klangbild  des 
übrigen  DDR-Rundfunks.  Während  des  Pfingsttreffens  1964  war  westliche 


570  Zeitzeugeninterview,  Siegmar  Krause,  Berlin,  15.4.2002. 

571  BArch  B,  DR  6/563  unpag.,  Brief,  Klaus  S.,  Betr.:  Sender  »DT  64«,  Gransee  20.5.1964,  S.  1. 


230 


Popmusik  plötzlich  spielbar  gewesen.  Auch  in  der  Folge  wollten  die  Redakteu- 
re beim  Jugendfunk  nicht  darauf  verzichten.  Dass  das  Staatliche  Rundfunkko- 
mitee (SRK)  im  Juni  1964  sich  dazu  durchringen  konnte,  das  zuzulassen  und 
den  ehemaligen  Festivalsender  zur  ausgeweiteten  Nachmittagssendung  beim 
Berliner  Rundfunk  umzuwandeln,  ist  mit  dem  Wunsch  des  Staats-  und  Parteiap- 
parates zu  erklären,  die  Jugend  der  DDR  wieder  für  den  Sozialismus  zu  begei- 
stern. Jugendstudio  DT  64  vertrat  die  Position  der  »Hausherren  von  morgen« 
im  Sinne  einer  äußerst  fortschrittlichen  Auslegung  des  gleichnamigen  Jugend- 
kommuniques vom  September  1963. 

Um  das  Zustandekommen  des  typischen  DT  64-Sounds  zu  verstehen,  muss 
man  die  verschiedenen  Konfhktlinien  beachten,  die  bei  Aushandlung  von  »sau- 
berer sozialistischer  Tanzmusik«  aufeinander  trafen.  Mitspieler  in  diesem  Rin- 
gen waren  die  altbekannten  Kombattanten:  der  Komponistenverband,  VEB 
Deutsche  Schallplatte,  die  Musikabteilung  des  Kulturministeriums,  der  Musik- 
referent der  ZK-Abteilung  Kultur,  die  ZK-Abteilungen  Agitation  und  Jugend, 
die  FDJ  und  die  Führungsspitze  des  DDR-Rundfunks.572 

Die  ZK-Abteilung  Kultur  kritisierte  vor  und  nach  dem  1 1 . Plenum  die  kul- 
tur-  und  musikpolitische  Linie  des  Rundfunks.  Das  tat  sie  deshalb,  um  sich 
gegen  die  für  Massenmedien  allein  zuständige  Abteilung  Agitation  des  ZK  zu 
profilieren.  Die  von  Kurt  Turba  geleitete  ZK-Abteilung  Jugend  hatte  mit  dem 
Jugendkommunique  auch  Bewegung  in  die  Umsetzung  der  SED-Kulturpolitik 
gebracht.  Die  Reichweite  der  ZK-Abteilung  Kultur  war  in  den  Rundfunk  hin- 
ein deutlich  begrenzt.  Einen  Zugriff  auf  die  Musikpolitik  des  Rundfunks 
erreichte  sie  trotz  des  1 1 . Plenums  nicht. 

Um  einigermaßen  attraktive  und  zeitgemäße  Musik  im  Hörfunkprogramm 
einsetzen  zu  können,  betrieb  das  SRK  eine  Produktionspolitik,  die  sich  von 
AMIGA,  dem  Unterhaltungsmusiklabel  des  VEB  Deutsche  Schallplatte,  ab- 
setzten sollte.  AMIGA  verkaufte  dann  weniger,  wenn  der  Rundfunk  andere 
Stile  und  Künstler  popularisierte,  die  eben  nicht  in  den  HO-Kaufhäusern  und 
Schallplatten-Bars  zu  kaufen  waren.  Rundfunk  und  »Schallplatte«  arbeiteten 


572  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/159  unpag.,  [ZK  der  SED]  Abteilung  Kultur,  Vorschlag  für 
die  Bildung  der  Arbeitsgruppe  Tanzmusik,  Berlin  30.1 1.1964,  S.  1. 


23I 


gegeneinander,  was  durch  die  fehlende  Kommunikation  untereinander  noch 
verschärft  wurde.  Es  sollte  noch  drei  weitere  Jahre  dauern,  bis  die  Kontrahen- 
ten durch  Druck  von  »oben«  begannen,  miteinander  zu  kooperieren.573 

5. 1.7.1  Die  neue  Melodie  des  Jugendkommuniques  in  Jugendstudio  DT  64. 

Eine  Analyse  der  Abteilung  Jugend  und  Erziehung  des  RIAS  vom  November 
1965 

Zwischen  dem  7.  und  21.  November  1965  hörte  sich  die  RMS-Jugendredaktion 
das  Jugendprogramm  des  Berliner  Rundfunks  an.  Neunmal  hatten  Richard  Kit- 
schigin, Hans-Günter  Goldbeck-Löwe  und  Detlev  Eric  Otto  »mitgehört,  mit- 
geschrieben, Zeiten  mitgestoppt.«574  Die  Jugendredakteure  stellten  fest,  wel- 
che Präsentationstechniken  von  Musik,  Information  und  Ideologie  DT  64  an- 
wendete. Die  RMS-Redakteure  verdeutlichten  in  ihrem  Papier,  dass  sich  der 
gegnerische  Rundfunk  zu  verändern  begann. 

Auch  ihnen  fiel  auf,  dass  sich  Jugendstudio  DT  64  deutlich  vom  übrigen 
DDR-Rundfunkprogramm  unterschied:  statt  eines  langweiligen  reglementier- 
ten Verlautbarungsprogrammes  wurden  dort  schnell  fließende  Sendungen  mit 
deutlich  zurückgenommenen  Zwischenmoderationen  gebracht.575  Auch  war 
die  Höreransprache  mit  »Hallo,  Freunde«  oder  »Tschüs  bis  morgen«576  darauf 
ausgerichtet,  bestehende  Distanzen  zu  verringern  und  eine  verbindliche  Nähe 
zu  den  Hörenden  zu  erzeugen.  Dabei  setzte  DT  64  auf  ein  kameradschaftliches 
oder  anbiederndes  »Du«  und  ersetzte  dadurch  das  respektvoll  distanzierte  »Sie«. 


573  BArch  B,  DR  1/8784  unpag.,  [Ministerium  für  Kultur]  Abteilung  Musik,  Maßnahmen  zur  Ent- 
wicklung  und  zur  Propagierung  der  DDR-Tanzmusik,  Berlin  20.10.1967,  S.  1-8,  S.  2. 

574  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/0001,  RIAS  Berlin,  Kulturelles 
Wort , Abt.  Jugend  und  Erziehung,  Eckhart  Bethke,  DT  64.  Eine  Untersuchung  des  RIAS-Jugendfunks 
November  1965,  S.  1-7,  S.  1. 

Meine  Auslegung  der  RIAS -Expertise  zu  Jugendstudio  DT  64  wendet  sich  gegen  die  Interpreta- 
tion, die  jüngst  angeboten  wurde.  Christian  Könne:  Hörfunk  im  Kalten  Krieg,  in:  Michael  Lemke  (Hg.): 
Schaufenster,  2006,  S.  363-387,  S.  385.  Anders  als  Könne  betone  ich  erstens  das  Eigeninteresse  der  RIAS- 
Jugendredaktion  hinsichtlich  ihrer  senderinternen  Profilierung.  Zweitens  überzeichnete  Könne  die  Sog- 
wirkung des  1 1 . Plenums. 

576  Ebd.,  S.  6. 


232 


Die  Jugendfunker  des  RIAS  merkten  an,  dass  mindestens  32  Personen  als 
Reporter,  Moderatoren,  Hörerbriefredakteure  und  redaktionelle  Mitarbeiter  an 
der  Produktion  von  DT  64  mitwirkten.  Das  war  für  eine  Jugendsendung  ein 
immenser  Personalaufwand.  Ob  DT  64  von  Band  gefahren  oder  live  moderiert 
wurde,  konnte  die  RLdS-Jugendfunkredaktion  nicht  »einwandfrei  klären.«577 
Ein  gerissenes  Band  bestätigte  aber  die  Vermutung,  dass  DT  64  große  Teile  sei- 
nes Programms  auf  Bändern  vorproduziert  hatte,  was  auch  beim  RIA S-Jugend- 
funk  das  übliche  und  gängige  Verfahren  war.578 

5. 1.7. 1.1  Jugendstudio  DT  64  als  Experimentierfeld  des  DDR-Rundfunks 

DT  64  nahm  - und  diesen  Zusammenhang  verdeutlicht  auch  der  musikbezoge- 
ne Teil  der  RIAS-Analyse  vom  November  1965  - was  die  Verbindung  von  Mo- 
deration, Wort  und  Musik  anging,  Entwicklungen  des  sozialistischen  Hörfunks 
bereits  Mitte  der  1960er  Jahre  vorweg.  Jugendstudio  DT  64  als  Programmfläche 
war  von  der  politischen  Berichterstattung  durch  Pulsschlag  der  Zeit  und  der 
Wehrerziehung  im  Soldatemnagazin  umgeben  und  unterbrochen.  Das  geschah 
aus  der  Angst  heraus,  die  Hörer  könnten  das  Programm  nicht  mehr  als  zum 
DDR-Rundfunk  gehörend  identifizieren. 

Die  Musiktitel  und  die  musikalische  Beiträge  bestimmten  eine  DT  64- Sen- 
dung und  füllten  zwei  Drittel  der  Sendezeit  aus.  Das  waren  ungefähr  140  Minu- 
ten. Durchschnittlich  kamen  5 5 Titel  pro  Sendung  zum  Einsatz,  die  - wenn  die 
Zahlen  der  RLdS-Redaktion  stimmen  - im  Durchschnitt  etwa  eine  Länge  von 
2’48”  hatten.  Zu  »hot  music«  zählten  die  RZ/fS-Jugendfunker  Beat,  Traditional 
Jazz,  Schlager  und  lateinamerikanische  Tanzmusik.  Unter  »slow  music«  ordne- 
ten sie  Modern  Jazz,  Traditional  Jazz,  Schlager,  Volkslied,  Chanson,  Marsch 
und  klassische  Musik  ein.  Von  den  32  »hot« -Titeln,  die  DT  64  einsetzte,  ordne- 
te der  RdS-Jugendfunk  fünfzehn  Stücke  dem  neuen  Klangbild  des  Beat  zu  (47 


577  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 504-01-04/0001,  Eckhart  Bethke,  DT  64. 
November  1965,  S.  1. 

578  DeutschlandradioKultur,  Tonbandarchiv  Bestand  RIAS,  Auftragsnummer:  250-879,  Abt.  Jugend 
und  Erziehung,  Autor:  Hans-Christian  Kirsch/  Christian  Grosse-Mogwitz-Pestel,  Aufnahmetag:  12.2. 
1963,  Bd.  I,  28’40,  Sendung:  Aus  dem  Ghetto  ins  Gelobte  Land,  Lieder  und  Geschichten  des  jüdischen 
Volkes. 


233 


Prozent),  durchschnittlich  fünf  Jazz-Songs  (15,6  Prozent),  elf  Schlagertitel 
(34,4  Prozent)  und  immerhin  ein  Lied  mit  lateinamerikanischen  Rhythmen.579 
Die  Aufführungsverhältnisse  verteilten  sich  nach  diesen  RIAS-Zahlen  auf  »öst- 
liche Eigenproduktionen«  (32,7  Prozent),  westliche  Originale  (29,1  Prozent) 
und  die  »Imitationen  westlicher  Titel«  (38,2  Prozent).  Das  heisst  also,  dass 
mehr  als  60  Prozent  der  Musiktitel  aus  östlicher  Produktion  oder  Imitationen 
westlicher  Titel  waren.  Damit  hielt  DT  64  das  Aufführungsverhältnis  formal 
ein.  Legte  man  die  Adaptionen  von  Westtiteln  als  nicht-sozialistische  Stücke 
aus  - ungeübte  Hörer  überhörten  diese  feinen  Grenzziehungen  - dann  hätte 
man  von  der  bewussten  Verbreitung  »westlicher  Einflüsse«  durch  den  Rund- 
funk sprechen  können. 

In  den  70  Minuten  »Wort«,  die  in  einer  DT  64-Sendung  enthalten  waren, 
fielen  27  Minuten  auf  Politik  (38,6  Prozent)  und  19  Minuten  auf  Kultur  (27,1 
Prozent).  Quiz  und  Ratespiele  waren  mit  etwa  neun  Minuten  pro  Sendung  an 
dritter  Stelle  (12,8  Prozent).  Hörerbeteiligung  machte  mit  sieben  Minuten  ein 
Zehntel  aus,  Aktuelles  umfasste  sechs  Minuten  und  die  Zivischentexte  blieben  mit 
zwei  Minuten  sehr  spärlich.  DT  64  setzte  am  häufigsten  Interviews  (18  Prozent) 
ein,  danach  kamen  Reportagen  und  lediglich  sechs  Prozent  machten  Diskus- 
sionen aus.  Die  Länge  der  Wortbeiträge  war  am  häufigsten  2’40”  lang.580  Es 
war  eine  Herausforderung,  die  langatmigen  Ausführungen  von  SED-/  FDJ- 
Funktionären  und  Betriebsleitern  auf  weniger  als  drei  Minuten  zu  verringern. 
Um  DEFA-Produktionen  zu  bewerben,  spielte  DT  64  Filmszenen  ein,  wie  zum 
Beispiel  einen  Ausschnitt  aus  »Ohne  Pass  in  fremde  Betten.« 

Unter  »Aktuelles«  ordneten  die  RIAS-Autoren  auch  andere  Service-orien- 
tierte  Informationen  ein:  so  zum  Beispiel  »Reportagen  über  Weihnachtseinkäufe 
(3’07”),  den  Einsatz  der  Winterdienstkommission  (2 ’20”)  oder  den  Aufruf,  Heiz- 
kessel für  einen  Jugendklub  zu  spenden.«581 

Solche  Berichte  zeichneten  sich  durch  Anschaulichkeit,  Handlung  und 
Hörerteilhabe  aus.  Um  Hörerteilhabe  ging  es  zum  Beispiel,  wenn  Gerhard  Auer- 


579  Ebd.,  S.  2. 

580  Ebd.,  S.  2. 

581  Ebd.,  S.  5. 


234 


bach  in  Die  Funkfahrschule  mit  dem  Automobilclub  der  DDR  eine  »Schein- 
werferprüfung« als  Sicherheitstest  mit  Hörerkontakt  durchführte.  Zu  dieser 
Form  des  Redens  mit  den  Konsumenten  gehörte  es  auch  - so  nahm  es  die  West- 
berliner Konkurrenz  wahr  - dass  täglich  fünfzehn  Minuten  lang  ein  Hörer- 
Wunschkonzert  gespielt  wurde.  Dabei  überwogen  Volkslieder,  Chansons  und 
klassische  Stücke. 

Die  RIAS-Beobachter  stellten  fest:  »Musiken  werden  so  gut  wie  gar  nicht 
angesagt.«582  Das  kann  ganz  einfach  erklärt  werden.  Im  politischen  Klima  vor 
dem  II.  Plenum  1965  war  es  durchaus  ratsam,  wenn  die  Redaktion  auf  Hinwei- 
se zu  bestimmten  Titeln  und  Interpreten  konsequent  verzichtete.582 

5. 1.7. 1.2  Mischungsverhältnisse.  Sozialistische  Herstellungsversuche  einer 
Soundscape  des  Pop 

In  einer  Sendung  des  Ost-Berliner  Jugendfunks  liefen  - so  stellten  es  die  West- 
berliner Journalisten  fest  - deutlich  häufiger  »heiße«  (60  Prozent)  als  »gemä- 
ßigte« Musikstücke«.  Der  Anteil  von  »hot« -Musik  ragte  mit  knapp  80  Minuten 
über  den  gesamten  »Wort« -Anteil  hinaus.  Beatmusik  bei  Jugendstudio  DT  64 
lief  im  Stile  von  »Hey  Mr.  Postman«,  »Schwimmen  lernt  man  im  See«  (nach 
Manuela),  »Tennessee-Waltz«  als  schnellere  gitarrenlastige  Beat-Version.584 
Schlagertitel  - im  Durchschnitt  waren  es  bei  DT  64  elf  in  einer  Sendung  - klan- 


582  Ebd.,  S.  6. 

583  BArch  B,  DR  6/791cunpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  BP  40/65  der  Sitzung  vom  26.10.  1965, 
S.  1-4,  S.  2.  Tagesordnungspunkt  II:  Sofortmaßnahmen  Tanzmusik. 

584  The  Marvelettes,  Please  Mr.  Postman,  Georgia  Dobbins/William  Garrett/Brian  Holland/Robert 
Bateman/Freddie  Gorman,  B-Seite:  Twistin  Postman,  7”,  Tamla  T 54046,  1961,  2’3 1 ”,  URL:  http://upload. 
wikimedia.org/wikipedia/en/c/ca/Marvelettes-please-mr-postman.jpg  [Letzer  Zugriff:  5.9.2010].  The  Beatles, 
ffom  the  album  With  The  Beatles,  Parlophone  PMC  1206  and  PCS  3045,  22.11.1963,  2’36”.  The  Beades, 
Please  Mr.  Postman/Hold  me  tight,  7”  Odeon  O 22  741,  Mai  1964,  URL:  http://hitparade.ch/  cdimages/ 
the_beades-please_mister_postman_s.jpg  [Letzer  Zugriff:  5.9.2010].  Manuela  & The  Five  Dops,  Schwim- 
men lernt  man  im  See,  Jack  Segal/Gloria  Shayne/Georg  Buschor,  B-Seite:  In  meinem  Kalender,  7”,  Tele- 
funken  U 55778  1964.  Original:  Petty  Page,  King/  Stuart,  1950.  Sam  Cooke,  Tennessee-Waltz,  Sam 
Cooke,  B-Seite:  Good  Times,  7”,  RCA  8368,  July  1964. 


235 


gen  wie  »Das  fünfte  Rad  am  Wagen«  (nach  Siw  Malmkwist).  Der  Song  er- 
schien, gesungen  von  Rosemarie  Ambe,  auf  dem  staatlichen  AMIGA-Label.585 
Hinzu  kamen  finnische  Letkiss-Instrumental586  oder  Ray-Conniff-Melodien. 
Langsame  Schlagertitel  klangen  wie  »Lover  come  back  to  me«  mit  der  Sänge- 
rin Billie  Holiday,  »Abendlied«  oder  »Bonanza«.587  Die  1956  von  Dizzie  Gille- 
spie  aufgenommene  und  auf  Verve  Records  (Verve  MGV  8198,  VE2  2521) 
erschienene  Interpretation  von  »Lover  come  back«  wäre  sogar  für  das  Nacht- 
programm des  RIAS  zu  wild  gewesen. 

Der  Anteil  von  Traditional  Jazz-Titeln  schwankte.  »Creole  Jazz«  mit  Mr. 
Acker  Bilk,  »Tiger  Rag«  (nach  Louis  Armstrong),  »Ice  Cream«  (Chris  Barber) 
und  »Marina«  (Dutch  Swing  College  Band)«588  standen  für  diesen  Stil.  Bei 
Volksliedern  überwogen  russische  (sowjetische),  vietnamesische  und  kubani- 
sche Weisen.  DT  64  käme  ohne  »deutsche  Volkslieder«  aus,  so  der  RIAS- Be- 
richt. Titel  der  Modern  Jazz-Richtung  würden  ebenfalls  zwischen  zwei  und 
dreimal  gespielt,  heißt  es  weiter,  deren  Interpreten  aber  nicht  genannt.  Gemä- 
ßigter Traditional  Jazz  wie  Acker  Bilk’s  1962er  US-Nr.l-Hit  »Stranger  on  the 
shore«  oder  Louis  Armstrongs  »Hello  Dolly«  kämen  selten.''89 

Die  RLdS-Jugendredaktion  machte  bei  DT  64  von  den  55  im  Mittel  pro 
Sendung  eingesetzten  Musikproduktionen  achtzehn  DDR-Titel  aus.  In  glei- 
chem Maße  liefen  Westtitel,  nämlich  sechzehn.  Sie  kamen  oft  in  der  Original- 
version. Besonders  französische  Titel  waren  beliebt,  weil  dadurch  der  Musikre- 
dakteur den  Vorwurf  umging  »Amerikanismen«  einzuführen.  Westdeutsche  In- 


585  Rosemarie  Ambe,  Das  fünfte  Rad  am  Wagen,  B-Seite:  Merci,  Merci,  7”,  Amiga  4505  i 3,  1965. 

586  Siehe  beispielsweise:  Rauno  Lehtinen  & The  Vostock  Allstars,  Lalaika/My  Heart  Belongs  Tb  Daddy, 
7”,  RCA  47-9446,  1963.  The  Original  Finnish  Letkis  Band,  Letkis  No.  2/Letkis-Party,  Telefunken  U 55  833, 
1963.  Rauno  Lehthinen  & His  Orchestra,  Letkiss  Cha-Cha/Blue  Day,  7”,  RCA  47-9627,  1965. 

587  Billie  Holiday  & Stan  Getz  Quintet,  Lover  Come  Back  to  Me,  Siegmund  Romburg/Oscar  Ham- 
merstein II,  EP  Storyville  Records  (J)  32JDS  142,  1951. 

588  Mr.  Acker  Bilk,  Creole  Jazz  A-Seite:  Stars  and  Stripes  Forever,  7”,  Columbia  SCD2155  1961. 
Dutch  Swing  College  Band,  Marina,  Rocco  Granata,  LP  Ice  Cream,  Mercury  842  626-2,  1959. 

588  Mr.  Acker  Bilk,  Strangers  on  the  Shore,  Acker  Bilk,  B-Seite:  Take  My  Lips,  7”,  Columbia  DB47 5 0, 
1961.  Es  war  die  Titelmelodie  der  gleichnamigen  BBC-Familienserie,  die  im  September  1961  anlief. 
URL:  http://www.televisionheaven.co.uk/sots.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Louis  Armstrong,  Hello 
Dolly,  Jerry  Herman,  7”,  Kapp  13  001,  1964. 


236 


terpreten  wie  Manuela,  Conny  Froboess  und  die  männliche  Countrystimme 
Ronny  alias  Wolfgang  Rohloff  ,q°  wurden  kopiert. 

Glaubten  die  RCfS-Redakteure,  mit  ihrer  Untersuchung  im  Herbst  1965 
gezeigt  zu  haben,  dass  der  DT  64-Sound  wesentlich  von  »West-Titeln«  be- 
stimmt wurde,  verkannten  sie  hierbei,  das  viele  Stücke  Adaptionen  bekannter 
Nummern  waren,  die  der  DDR-Rundfunk  produzieren  ließ. 

DT  64  griff  zu  diesem  Zeitpunkt  vermehrt  auf  nicht-englischsprachige 
Songs  zu.  Das  gesetzlich  erlaubte  Aufführungsverhältnis  unterschritt  Jugendstu- 
dio DT  64  jedenfalls  bei  weitem  nicht.  Dennoch:  DT  64  war  auch  zu  diesem 
Zeitpunkt  eine  schnelle  und  flüssige  Sendung  mit  vielen,  kurz  aneinander  ge- 
fügten Einzelthemen,  mit  Hörer  animierenden  Beteiligungsspielen,  Geldprei- 
sen und  Theaterkarten  und  einer  Prise  aktueller  politischer  Kommentierung. 

Über  die  Konstruktion  des  gegnerischen  Funkprogramms  als  personell  und 
zeitlich  hoch  gerüstete  kommunistische  Propagandainstitution  ließ  sich  die 
eigene  Relevanz  und  Existenzberechtigung  des  RLdS-Jugendfünks  betonen.591 
Die  Darstellung  der  gegnerischen  Fortschritte  wurden  als  Argument  benutzt, 
die  eigenen  Jugendprogramme  auszubauen.  Bis  dahin  hatte  der  RIAS  jugendli- 
che Hörer  noch  nicht  als  meinungsbildende  zukünftige  Zielgruppe  wahrge- 
nommen. Diesen  Lernprozess  hatte  der  amerikanische  Sender  in  Berlin  auf 
dem  Feld  des  Jugendfunks  erst  noch  vor  sich.  Der  Berliner  Rundfunk  war  zu  die- 
sem Zeitpunkt  weiter.  Das  1 1 . Plenum  bremste  diese  Entwicklung  für  eine  ge- 
wisse Zeit  aus,  hielt  sie  aber  nicht  auf. 

5. 1.7. 2 Jugendstudio  DT  64  in  der  kultur-  und  medienpolitischen 
Auseinandersetzung  vor  dem  11.  Plenum  (1965) 

Mit  der  Argumentation,  die  Jugendlichen  hätten  »ja  laufend  Gelegenheit,  ihre 
Idole  über  Deutschlandfunk,  Luxemburg  oder  AFN  und  auch  Freiheitssender« 
zu  hören,  begründete  Max  Spielhaus  vom  Sender  Dresden,  warum  sozialistische 


590  Zum  Beispiel:  Ronny,  Einen  kleine  Träne,  Wolfgang  Roloff/I  [ans  Hee,  B-Seite:  Sweetheart,  es  war 
schön,  7”,  Telefunken  U 55555,  1964,  URL:  http://covergalerie.0rg/DATEN/R/RONNY/Ronny.htm 
[Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

591  Ebd.,  S.  7. 


237 


Künstler  den  Erwartungen  der  Konsumenten  stärker  entsprechen  müssten. 
Diese  Stationen  waren  seiner  Ansicht  nach  »im  Raum  Dresden  Hauptsender  der 
Jugend«,  oder  würden  zumindest  von  einem  großen  Teil  häufig  gehört.  West- 
sänger kämen  zudem  beim  Ostpublikum  an,  weil  sie  ihre  Titel  besser  und 
geschickter  verkaufen  würden.  Darauf  lege  nämlich  die  DDR-Schlagermusik 
keinen  Wert.  Wollte  man  »am  Ball  bleiben«,  dann  müssten  von  »unseren  Sän- 
gern Titel  geschrieben  werden,  die  ihnen  Gelegenheit  zur  Entfaltung  ge- 
ben.«592 Funk,  Platte  und  Kulturministerium  müssten  sich  bald  auf  eine 
Lösung  dieses  Mangels  verständigen,  denn  ansonsten  könnten  »wir  einer  Ent- 
wicklung entgegengehen,  die  uns  sehr  schmerzlich«  treffen  würde.  Schließlich 
habe  die  Jugend  früher  schon  »ihre  Tanzmusik  nicht  nach  den  Regeln  und 
Anordnungen  zentraler  Verwaltungen«  bestimmt,  sondern  »noch  immer  nach 
ihrem  eigenen  Geschmack,  der  sich  meist  sehr  im  Gegensatz  zur  Vorstellung 
der  älteren  Generation«  bewege.595  Auch  die  älteren  Verantwortlichen  im 
DDR-Rundfunk  müssten  diese  Praxis  noch  aus  ihrer  eigenen  Jugend  kennen, 
bemerkte  Spielhaus. 

Diesen  Standpunkt  kann  man  als  eine  Variante  von  Cold  War  Pragmatism 
lesen.  Spielhaus  forderte  einen  jugendgemäßen  »Verkauf«  politischer  Informa- 
tion und  kommunistischer  Erziehung,  indem  man  diese  mit  attraktiver  Musik 
verband.  Genau  das  sollte  Jugendstudio  DT  64  künftig  auszeichnen. 

5.1. 7.2.1  Tanzmusik  und  die  ZK-Abteilung  Kultur  im  Sommer  1965 

Die  ZK- Abteilungen  Agitation,  Jugend  und  Kultur  vereinbarten  mit  Vertretern 
des  Rundfunks,  des  Fernsehens  und  der  FDJ  am  24.  November  1964  die  Bil- 
dung einer  »Arbeitsgruppe  Tanzmusik«.  Diese  sollte  »Klarheit  in  der  Grund- 
konzeption« bringen:  wie  Tanzmusik  in  der  DDR  zu  entwickeln  sei  und  wie  sie 


592  BArch  B,  DR  6/120  unpag.,  [Schriftverkehr  Musik,  Vorsitzender  des  SRK  Gerhart  Eisler]  Inten- 
danz  Radio  DDR,  Senderverbindung,  Information  zu  Fragen  der  Musik,  Berlin  30.7.1964,  S.  1-2,  S.  2. 


gestaltet  werden  könne.594  Peter  Czerny,  der  Musikexperte  von  der  ZK- Kultur- 
abteilung, übernahm  deren  Leitung. 

Twist  und  die  Beatles  hätten  neuartige  Einflüsse  in  die  westliche  Tanzmusik 
eingeführt,  schrieb  Czerny  in  einem  Zwischenbericht  im  Mai  1965.  Rock’n’ 
Roll  hingegen  sei  krasser  musikalischer  »Verfall«.  Allerdings  seien  auch  Twist 
und  Beat  »generell  abzulehnen.«59'’  Entideologisierter  Konsum  von  Musik  sei, 
so  der  Musikpolitiker,  die  größte  Gefahr  für  die  Entwicklung  einer  sozialisti- 
schen Tanzmusik.  Gerade  deshalb  müssten  »solche  Jugend-Tanzkapellen,  die 
eine  große  Popularität  haben«,  dahingehend  beeinflusst  werden,  »neue  Typen 
der  Tanzmusik,  neue  stilistische  Momente,  neue  Tänze  usw.  zu  entwickeln.« 
Weil  diese  in  direktem  »Kontakt  mit  der  Jugend«  stünden,  würde  »von  dorther 
auch  ihre  Verbreitung  durch  die  Zustimmung  der  Jugend  von  unten  her  am 
besten  möglich.« 596  Daran  ist  erkennbar,  dass  Czerny  durchaus  verstand,  wie 
die  Etablierung  neuer  Trends  theoretisch  funktioniert.  Offensichtlich  hatte  er 
aus  dem  Debakel  um  den  1959  vorgestellten  Lipsi- Tanz  gelernt. 

Czerny  stellte  in  seiner  Vorlage  heraus,  dass  DT  64  den  kulturpolitischen 
Prinzipien  der  SED  nicht  vollständig  entspreche.  Da  in  den  Sendungen  das 
Verhältnis  60:40  stark  verschoben  werde,  trete  bei  der  Behandlung  der  Laien- 
tanzkapellen mehr  und  mehr  eine  Liberalisierung  auf.  Natürlich  müsse  Jugend- 
studio DT  64  »eine  moderne,  jugendgemäße  Tanzmusik  bringen«,  die  »auch  die 
wertvollen  internationalen  Anregungen«  aufgreife.  Ausschließlich  englische 
Beatmusik  zu  spielen  wäre  aber  eine  Verengung,  die  kulturpolitisch  nicht  mehr 
tragbar  sei.  Der  Rundfunk  müsse  junge  Talente  aus  der  DDR  wie  die  Sputniks 


594  SAPMO-BArch,  DY  30  rV  A 2/9.06/  159  unpag.,  [ZK  der  SED]  Abteilung  Kultur,  Heinze,  Akte- 
notiz  über  Beratung  am  24.1 1.  zur  weiteren  Entwicklung  der  Führungstätigkeit  im  Bereich  der  Tanzmusik 
und  der  heiteren  Muse,  Berlin  25.11.1964,  S.  1-2.  [Teilnehmer:  Gen  Rudi  Singer  (Abt.  Agitation),  Kurt 
Turba  (ZK,  Leiter  Jugend),  Heinze  (ZK  Kultur)  und  Peter  Czerny  (ZK  Kultur)  sowie  Genossen  vom  Rund- 
funk, Fernsehen  und  vom  Zentralrat  der  FDJ.]  Ferner  Werner  Rackwitz  (Kulturministerium/  Musik),  Wil- 
libald Winkler  (Verlag  Lied  der  Zeit),  Siegfried  Köhler  und  Wolfgang  Kähne  (VFB  Deutsche  Schallplatte), 
der  Leiter  der  Zentralen  Musikproduktion  als  Vertreter  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees,  ein  Vertreter 
von  »Jugendstudio  DT  64«  sowie  der  Kultursekretär  des  FDJ-  Zentralrats,  ein  Mitarbeiter  des  Fernseh- 
funks, ein  Funktionär  des  VDK  und  der  Chefredakteur  von  »Melodie  & Rhythmus«,  Heinz  Hofmann. 

595  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/159  unpag.,  [ZK  der  SED]  Abt.  Kultur,  Zur  Vorlage  über  die 
heitere  Muse,  insbesondere  Tanzmusik,  Berlin  14.5.1965,  S.  1-8,  S.  3. 


oder  die  Butlers  gewinnen,  um  DT  64  anziehend  zu  machen.  Das  Senden  von 
Beat-Musik  störe  die  parteiliche  Kulturpolitik,  so  Czerny  weiter,  da  jede  Tanz- 
kapelle spielen  könne,  was  der  Rundfunk  einsetzt.597  Was  im  sozialistischen 
Rundfunk  gesendet  wurde,  galt  als  in  der  DDR  aufgeführt  und  konnte  künftig 
legal  bei  Konzerten  ins  Programm  aufgenommen  werden. 

Anfang  August  1965  hatte  die  FDJ  der  Kulturabteilung  des  ZK  eine  Ein- 
schätzung des  DT  64-Musikprogramms  vorgelegt.  Hierzu  hatten  Funktionäre 
der  FDJ-Agitationsabteilung  in  der  ersten  Augustwoche  1965  die  Sendung 
überwacht.  Aus  diesem  Bericht  zitiert  Czerny:  »Sehr  stark  ausgeprägt«  sei 
»eine  Häufung  von  Titeln  in  englischer  Sprache  bzw.  Benutzung  engl,  oder 
amerikanischer  Ausdrücke.«  Ständig  - und  das  kann  sich  nur  auf  die  Modera- 
tionen beziehen  - spreche  DT  64  von  »>boys<,  >girls<,  >darlings<,  >Partys< 
usw.«598  Als  charakteristisch  für  viele  Titel,  die  in  den  Sendungen  eingesetzt 
würden,  bezeichn ete  Czerny  in  einer  Anmerkung  zum  FDJ-Protokoll  »eine 
besondere  technische  Behandlung«  der  Singstimme. 

Die  zitierte  FDJ-Studie  stellt  fest:  Am  ersten  und  zweiten  Tag  der  Untersu- 
chung standen  dreißig  Prozent  der  Titel  aus  DDR-Produktion  und  aus  soziali- 
stischen Ländern  mindestens  70  Prozent  Westtitel  gegenüber.  Czerny  merkt 
an,  dass  sich  die  Relation  - vermutlich  aufgrund  eines  Hinweises  aus  dem  Kul- 
turministerium - »plötzlich  und  ruckartig  zu  etwa  50  zu  50  %«  verschob.  Den 
Eindruck,  dass  bei  Jugendstudio  DT  64  Amerikanismus  vorherrsche,  sucht  Czer- 
ny am  Beispiel  des  Titels  »Das  ist  die  Story  von  Papa  Teil« 599  zu  belegen:  Ros- 
sinis Ouvertüre  zu  Wilhelm  Teil  sei  im  Twiststil  erklungen.  Schillers  Freiheits- 
held, so  Czerny,  habe  wie  ein  »whisky-saufender  Held«  gewirkt.  Abschließend 
schlug  Czerny  unter  Bezugnahme  auf  die  FDJ-Studie  vor,  eine  weitere  »Stich- 
probe« aus  dem  DT  64-Programm  zu  nehmen. 

Bemühungen  von  Jugendstudio  DT  64,  ein  kapitalismuskritisches  Bild  der 
amerikanischen  Demokratie  zu  zeichnen,  hatten  zur  Folge,  dass  man  sich  um- 


597  Ebd.,  S.  7. 

598  SAPMO-BArch,  DY  30  TV  A 2/9.06/159  unpag.,  [Abteilung  Kultur]  Peter  Czerny,  Betr.:  Einschät- 
zung  DT  64,  Berlin  26.8.1965,  S.  1-2,  S.  1.  [Gen.  Wagner,  Heinze,  Röder;  Heinz  Kimmei  zur  Kenntnis 

599  Charlie  Cotton  und  seine  Twist-Makers,  Wilhelm  Teil  Twist,  Giacomo  Rossini,  B-Seite:  Hully 
Gully  Holiday,  7”,  Ariola  10  354,  1963,  2’25. 


240 


fänglich  mit  den  USA  beschäftigte.  Das  konnte  unter  dem  Brennglas  des 
»Amerikanismus«-Vorwurfes  natürlich  auch  schnell  und  gründlich  falsch  ver- 
standen werden.  Allerdings  ist  der  politische  Anspruch  der  Jugendredaktion  in 
Bezug  auf  amerikanische  Themen  durchaus  ambivalent.  Wenn  beispielsweise 
die  AMIGA- Veröffentlichung  »American  Folk  Blues-Festival  64«600  bei  einer 
Rezension  das  Thema  »Sklaverei«  und  »Apartheid«  setzte,  dann  war  ein  An- 
schluss zum  Thema  »Los  Angeles«  geschaffen.  In  diesem  Beitrag  beschäftigte 
sich  Jugendstudio  DT  64  mit  den  am  11.  August  1965  im  Stadtteil  Watts  ausge- 
brochenen Unruhen  der  dort  lebenden  afro-amerikanischen  Bevölkerungs- 
mehrheit.601 Daran  ließ  sich  die  Bedeutung  des  Civil  Rights  Movements  her- 
ausarbeiten. So  konnte  Amerika  als  negative  Imaginierung  in  einer  Jugendsen- 
dung des  DDR-Rundfunks  behandelt  werden,  aber  auch  die  entsprechende 
Musik  gespielt  werden. 

5.1. 7.2.2  Jugendstudio  DT  64  im  Herbst  1965 

Zum  besseren  Verständnis  lohnt  ein  erneuter  Blick  in  die  bereits  erwähnte  Pro- 
grammbewertung der  FDJ:  Jugendstudio  DT  64  unterstütze  die  sozialistische 
Erziehung  und  Formung  junger  Menschen,  so  die  Agitationsabteilung  des 
FDJ-Zentralrats  im  August  1965.  Die  Sendung  nehme  dazu  aber  den  Stand- 
punkt von  Jugendlichen  und  ihre  Blickwinkel  ein.  Sie  respektiere  - fand  die 
Agitationsabteilung  des  FDJ -Zentralrates  - »ihr  kritisches  Denken  wie  die 
Liebe  zum  Modernen,  auch  zur  flotten  Musik.«  Weil  Jugendstudio  DT  64  auf 
diese  Weise  die  Jugend  in  der  DDR  ansprechen  würde,  höre  es  die  Zielgruppe 
auch  »nach  Arbeit  und  Schule,  im  Strandbad  oder  an  der  berühmten 
>Ecke<.«602  Genau  diese  jungen  Hörer  wünschte  die  FDJ  immer  schon  zu 
erreichen,  jedoch  hatte  sie  enorme  Schwierigkeiten,  sich  tatsächlich  mit  den 
Jugendlichen  auseinander  zu  setzen.  Im  Hörfunk  - namentlich  DT  64  - sah  die 


600  American  Folk  Blues  Festival,  Amiga  850  043, 1964,  URL:  http://www.wirz.de/music/afbf/grafik/ 
a8500434.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010] 

601  BArch  B,  DR  6/561unpag.,  Berliner  Rundfunk,  Senderprotokoll  Dienstag  17.8.1965,  S.  1-5. 
Peter  Gauglitz:  Harter  Beat  und  weiche  Kissen,  in:  Eulenspiegel,  12.  Jg.  (Oktober  1965)  Nr.  42 

(H.  3),  S.  8-9  und  14. 


24i 


FDJ  die  Möglichkeit,  dies  zu  bewerkstelligen  ohne  sich  organisatorisch  zu 
überfordern. 

Der  Jugendverband  hatte  es  im  Zuge  seines  seit  April  1965  geänderten  kul- 
turpolitischen Kurses  geschafft  - z.B.  durch  den  von  ihm  durchgeführten  Gitar- 
renwettbewerb - sich  dem  Beat -Trend  zu  nähern  und  war  im  Begriff,  diesen  zu 
vereinnahmen. 

Das  brachte  aber  auch  Probleme  mit  sich.  So  konnte  die  FDJ  auch  für  das 
Sichtbarwerden  von  jugendkulturellen  Erscheinungen  im  öffentlichen  Raum 
mit  verantwortlich  gemacht  werden.  Das  geschah  zum  Beispiel  hinsichtlich  neu 
im  Stadtbild  Ostberlins  auftretender  Gruppen.  So  wurden  die  FDJ  und  Jugend- 
studio DT  64  für  die  Beatfans  verantwortlich  gemacht,  die  sich  im  Zwischenge- 
schoss des  Lichtenberger  U-Bahn-Tunnels  trafen.  Auslöser  dieser  Diskussion 
war  - neben  der  Berichterstattung  der  BILD-Zeitung  über  Ausschreitungen 
anlässlich  des  Rolling  Stones-Konzertes  in  der  West-Berliner  Waldbühne  - eine 
im  Ost-Berliner  Satiremagazin  »Eulenspiegel«  erschienene  Fotostrecke.603 
Fleinz  Kimmei,  in  der  Kulturabteilung  des  ZK  zuständig  für  die  kulturelle  Mas- 
senarbeit, regte  am  22.  Oktober  1965  an,  die  audiovisuellen  Massenmedien  auf 
ein  »gemeinsam  abgestimmtes  Aktionsprogramm  für  die  Arbeit  mit  der  Ju- 
gend« zu  verpflichten.  Jugendstudio  DT  64  solle  künftig,  so  die  Überlegung, 
»nicht  schlechthin  über  kritische  Erscheinungen  in  unserer  Gesellschaft«  be- 
richten, sondern  »das  aktive  Mitgestalten  des  gesellschaftlichen  Lebens  in 
DDR  hervorheben.«604  Die  politische  Ausrichtung  der  »Wort«-Beiträge  hielt 
Kimmei  für  durchaus  annehmbar.  Aber  deren  Wirkung  werde  durch  die  »pau- 
senlose, eintönige,  betäubende,  die  geistige  Beweglichkeit  hemmende  Musik« 
ständig  aufgehoben.  Ursprünglich  war  Kimmei  im  Sommer  1960  als  FDJ- 
Sekretär  des  Zentralrates  ein  wichtiger  Fürsprecher  eines  DDR-Jugendsenders 
gewesen,  der  den  Einfluss  der  ideologischen  Diversion  aus  Westberlin  und  der 


603  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/89  unpag.,  Zentralkomitee  der  SED,  Abteilung  Kultur,  Sek- 
tor  kulturelle  Massenarbeit,  H.  Kimmei,  Vorschläge  zur  Erhöhung  des  Niveaus  der  Kulturarbeit  unter 
der  Jugend,  Berlin  22.10.1965,  S.  1-6,  S.  5. 

604  SAPMO-BArch,  DY  3 0 IV  A 2/9.06/89  unpag.,  Zentralkomitee  der  SED,  Abteilung  Kultur,  Sek- 
tor  kulturelle  Massenarbeit,  H.  Kimmei,  Vorschläge  zur  Erhöhung  des  Niveaus  der  Kulturarbeit  unter  der 
Jugend,  Berlin  22.10.1965,  S.  1-6,  S.  5. 


242 


Bundesrepublik  mindern  sollte.  Nun,  im  Herbst  1965,  bewertete  er  die  Sendung 
kritischer.  Angesichts  anderer  Protagonisten  in  der  nachfolgenden  Debatte  kann 
seine  Haltung  allerdings  als  immer  noch  wohlwollend  bezeichnet  werden. 

5. 1.7.2. 3 Das  Staatliche  Rundfunkkomitee  und  Jugendstudio  DT  64 
im  Oktober  1965 

Das  Staatliche  Rundfunkkomitee  (SRK)  und  die  Abteilung  Agitation  des  ZK 
steuerten  frühzeitig  die  musikalische  Gestaltung  von  DT  64  um.  Sie  leiteten 
konkrete  Maßnahmen  ein,  um  der  vom  ZK-Sekretariat  ankündigenden  Verhär- 
tung der  kulturpolitischen  Linie  begegnen  zu  können. 

Am  26.  Oktober  1965  ließ  sich  das  SRK  von  DT  64- R e dak ti on sicher  Sieg- 
mar Krause  die  aktuellen  Überlegungen  zur  Sendearbeit  erläutern.  Die  Rund- 
funkexpertin der  ZK- Abteilung  Agitation,  Inge  Schmidt,  wollte  einen  »inhaltli- 
chen und  persönlichen  Eindruck  von  den  DT  64-Machern«  erhalten.  Die  In- 
tendanz und  der  Musik-Chef  des  Berliner  Rundfunks,  Eberhard  Feesche,  erklär- 
ten, wie  der  »Hauptstadtsender«  Jugendpolitik  und  Tanzmusik  behandelte.  Die 
Runde  diskutierte  ausführlich  »über  die  mit  dem  Programm  von  DT  64  ver- 
bundenen Probleme.«  Der  SRK- Vorsitzende  Eisler  unterstrich  dabei  »die  Ver- 
antwortung des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  für  DT  64.« 605  Er  stärkte  der 
Intendantin  des  Berliner  Rundfunks,  Classen,  den  Rücken  und  bekräftigte  dar- 
über sein  Interesse  am  Weiterbetrieb  der  Jugendsendung. 

Der  Wortanteil  von  DT  64  müsse  aber  »überarbeitet  und  interessanter 
gestaltet  werden«,  vermerkt  das  Protokoll.  Gleichzeitig  seien  mehr  und  längere 
Wortbeiträge  in  den  Programmablauf  einzubauen,  wobei  die  Hinweise  der  Par- 
teileitung, insbesondere  die  ZK-Argumentationen,  zu  beachten  seien.606  Das 
bedeutete,  dass  Reportagen,  Kommentare,  Porträts  oder  Schallplatten-  und 
Buchvorstellungen  klarer  und  schärfer  ideologisch  hervorzutreten  hatten  und 


605  BArch  B,  DR  6/791c  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Vötter,  Beschlußprotokoll  BP  40/65  der  Sit- 
zung  vom  26.10.1965,  S.  1-4,  S.  2.  Tagesordnungspunkt  II.  Sofortmaßnahmen  Tanzmusik. 

606  Ebd.,  S.  2. 


243 


sich  diese  Verlagerung  auch  auf  den  Musikanteil  auswirken  sollte.  Den  Vor- 
schlag »Experten  aus  den  Sendern  und  Kollegien«  zu  fragen,  ob  sie  nicht  zu- 
sammen mit  der  DT  64-Redaktion  Ideen  beraten  und  mit  Beiträgen  an  den 
Sendungen  mitarbeiten  würden,  nahmen  die  Komiteemitglieder  positiv  auf. 
Ferner  sollte  mindestens  ein  Vertreter  von  DT  64  ab  sofort  - darauf  einigten 
sich  die  Intendanten  und  Chefredakteure  - »an  den  zentrale  Argumentationen 
des  Komitees  teilnehmen.« 

Inge  Schmidt  betonte  zusammenfassend,  dass  der  Sektor  Rundfunk/  Fern- 
sehen der  ZK-Abteilung  Agitation  »DT  64  sowie  die  Hilfe  des  gesamten  Rund- 
funks für  das  Jugendstudio  als  Schwerpunkt  seiner  Arbeit«607  betrachte.  Damit 
beanspruchte  die  ZK-Abteilung  weiterhin  die  alleinige  Verantwortung  für  alle 
die  DDR-Massenmedien  betreffenden  Belange.  Entscheidend  und  bemerkens- 
wert ist  aber  ein  anderer  Aspekt:  Das  SRK  räumte  in  dieser  Sitzung  Jugendstu- 
dio DT  64  das  Recht  ein,  aktuelle  Fragen  seines  Programmgebietes  in  den 
Komiteesitzungen  behandeln  zu  lassen.  Damit  hatte  Jugendstudio  DT  64  quasi 
den  Status  eines  Senders  erlangt,  obwohl  es  weiterhin  nur  ein  Nachmittagspro- 
gramm des  Berliner  Rundfunks  war.  Im  Jahr  zuvor  hatten  die  Intendanten  der 
DDR-Sender  diese  Aufwertung  noch  erfolgreich  abgewehrt. 

Die  ZK-Abteilung  Agitation  betonte  einige  Tage  später,  dass  sich  durch 
ihre  Einflussnahme  auf  die  sozialistische  Erziehung  und  Tanzmusik  im  Rund- 
funk schon  einiges  bewegt  habe.  »Die  vorliegenden  Einschätzungen  der  Sen- 
dungen von  DT  64«  vom  21.  bis  28.  Oktober  1965,  die  die  Agitationsabteilung 
vom  Rundfünkkomitee  erhalten  habe,  würden  eindeutig  beweisen,  dass  »das 
Kollektiv  von  DT  64  unmittelbar  nach  der  Auswertung  der  Sekretariatssitzung 
[des  ZK  vom  18.  Oktober  1965]  im  Rundfunk  Unsicherheit  ergriffen  hatte.« 
Als  direkte  Folge  davon  sei  »ein  Abfall  des  Niveaus  der  Sendungen«  zu  bemer- 
ken gewesen.  Der  [eben  dargestellte]  SRK-Beschluss  von  Sofortmaßnahmen 
(am  26.  Oktober)  habe  die  Unsicherheiten  aber  beseitigen  können.  Deswegen 
habe  die  Sendung  am  28.  Oktober  bereits  wieder  »einen  sehr  guten  Gesamtein- 


607  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  A2/9.02/66  unpag.,  Sektor  Rundfunk  und  Fernsehen,  1.  Stand  der  Aus- 
wertung  der  Sekretariatssitzung  über  Jugendfragen  in  DT  64,  Berlin  29.10.1965,  S.  1-3,  S.  3. 


2 44 


druck«608  hinterlassen.  Rudi  Singer,  Leitender  Mitarbeiter  in  der  Agitationsab- 
teilung des  ZK  (und  direkter  Vorgesetzter  von  Rundfunkexpertin  Inge 
Schmidt)  analysiert  in  einem  Schreiben  an  die  ZK-Jugendabteilung:  »Bis  zum 
25.10.  gab  es  zwar  keine  >Verstöße<  gegen  die  Linie,  wie  sie  in  der  Sekretariats- 
sitzung festgelegt  war«,  aber  das  sei  eindeutig  zu  Lasten  der  Spritzigkeit  in  den 
Wortbeiträgen  gegangen.  Diese  bezeichnete  Singer  als  »teilweise  oberflächlich 
und  langweilig.«  Die  Polemik  sei  zu  kurz  gekommen,  »einigen  Glossen  fehlte 
der  zündende  Witz«,  äzte  Singer  weiter.  »Aktionen  während  dieser  Zeit«  seien 
zudem  »ungenügend  vorbereitet«  gewesen  und  hätten  »kaum  Resonanz  bei 
den  Jugendlichen«  gefunden.609  Das  »Kollektiv  von  DT  64«  habe,  so  Singer, 
überstürzt  versucht,  »die  Hinweise  des  Sekretariats  umzusetzen.«  Nun  aber 
würden  der  Berliner  Rundfunk  und  die  Redaktion  DT  64  mit  »Geschick  und  der 
notwendigen  Schärfe«  vorgehen,  um  »Anglizismen,  Gammler  und  schlechtes 
Benehmen«  aufs  Korn  zunehmen.  Davon  würden  »gute  Taten  von  Jugendli- 
chen« beispielhaft  abgesetzt. 

Nach  dem  Sofortmaßnahmen-Beschluss  des  SRK  Ende  Oktober  1965 
sahen  sich  die  Musikverantwortlichen  im  Rundfunk  ermutigt,  neue  Bands  zu 
suchen,  die  spielbare  Tanzmusik  anboten.  Man  könnte  sagen,  sie  wollten  eine 
Art  »DDR-Pop  « erfinden. 

Die  Ergebnisse  dieser  Suche  wurden  dem  SRK  Ende  November  1965  vor- 
gelegt. Gegen  drei  neu  produzierte  Titel  der  Berliner  Gruppe  »Team  4«,  die 
Eingang  in  das  Musikprogramm  von  DT  64  erhalten  sollten,  hatte  das  Komitee 
»keine  Einwände.«610  Hartmut  König  hatte  »Die  bessere  Seite  gehen  wir«, 
»Das  Lied  von  uns«  und  »Unsere  Träume«  geschrieben  und  arrangiert.  Er 
sang,  Team  4 begleitete  ihn.  Die  Texte  fanden  in  der  SRK-Sitzung  besonderen 


608  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/  66  unpag.,  [ZK  der  SED]  Abteilung  Agitation,  Rudi  Singer, 
an  Abteilung  Jugend,  Gen.  Kurt  Turba,  Betr.:  Auszüge  aus  Einschätzungen  zum  Stand  der  Auswertung  der 
Sekretariatssitzung  über  Jugendfragen  im  Sender  DT  64,  im  Deutschen  Fernsehfunk  und  in  der  Bezirks- 
presse der  Partei,  Berlin  8.11.1965,  S.  1-7.  S.  1.  Stand  der  Auswertung  der  Sekretariatssitzung  über  Jugend- 
fragen in  DT  64,  Berlin  8.1 1.1965  [Die  Sendungen  von  DT  64  vom  21.  bis  28.  Oktober  1965]. 

609  Ebd.,  S.  1. 

610  BArch  B,  DR  6/792  unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  BP  45/65  der  Sitzung  vom  30.1 1.1965,  S. 
1-5,  S.  2. 


245 


Anklang.  Diese  seien  »inhaltlich  besser  als  viele  Schlagertexte.«  Die  Zentrale 
Musikproduktion  möge  doch,  so  die  Empfehlung  der  Intendanten  und  Chefre- 
dakteure, »sich  gemeinsam  mit  den  Mitarbeitern  von  DT  64  darum  bemühen, 
solche  Texte  mit  unseren  Künstlern  produzieren  zu  lassen.«611 

Sozialistischer  Beat  mit  entschiedenen  Texten,  wie  ihn  »Team  4«  anbot, 
sollte  nun  zu  einem  Rollenmodell  werden.  Das  Interesse  des  Rundfunks  an  der 
Einarbeitung  dieses  Sounds  lag  an  dessen  Bindungskraft  hinsichtlich  junger 
Hörer.  Hinzu  kam,  dass  ein  absoluter  Bann  des  Beats  - so  wie  es  sich  die 
Kulturabteilung  des  ZK  vorstellte  - bei  Jugendstudio  DT  64  gar  nicht  durchzu- 
halten gewesen  wäre.  Ein  entscheidender  Grund  dafür  war  der  Umstand,  dass 
die  Zentrale  Musikproduktion  des  DDR-Rundfunks  zu  wenig  Titel  aufgenom- 
men hatte,  die  geeignet  gewesen  wären,  eine  tägliche,  mehrstündige  Jugendsen- 
dung zu  füllen.  Deshalb  war  dem  Rundfunk  daran  gelegen,  nicht  erneut  »aus 
politischen  Gründen«  auf  einen  weiteren  international  hoch  gehandelten 
Musikstil  offiziell  verzichten  zu  müssen.  Eine  Band  wie  »Team  4«  konnte  man 
den  jugendlichen  Hörern  anbieten.  Sie  wirkte  zwar  brav,  ihre  Texte  waren  par- 
teilich und  kapitalismuskritisch,  aber  die  Musik  wirkte  in  gewisser  Weise  bri- 
tisch. So  konnte  sozialistischer  Beat  klingen. 

5. 1.7.2 .4  Beatmusik  und  die  Kritik  am  DDR-Rundfunk  vor  und  auf  dem  11. 
Plenum  1965.  Eine  Auseinandersetzung  zwischen  den  Abteilungen  Agitation 
und  Kultur  des  ZK  der  SED 

Für  die  Musikpolitik  in  der  DDR  war  das  Kulturministerium  und  die  ZK- 
Abteilung  Kultur  zuständig.  Für  den  sozialistischen  Rundfunk  und  den  Deut- 
schen Fernsehfunk  aber  trug  wiederum  die  Abteilung  Agitation  des  Zentralkomi- 
tees die  Verantwortung.  Dieser  Zielkonflikt  um  Zuständigkeiten  entzündete 
sich  nun  im  Zusammenhang  mit  dem  1 1 . Plenum  des  ZK. 


611  Ebd.,  S.  2.  [VEB  Deutsche  Schallplatte  brachte  Lied  von  den  Träumen  und  Lied  von  Uns  1966  als 
erste  Single  von  Team  4,  Amiga  450  552  heraus.  Im  gleichen  Jahre  veröffentlichte  das  Label  Die  Strasse 
und  Ich  zeig’  den  Weg,  Amiga  450591]  Birgit  Rauhut/  Michael  Rauhut:  Amiga.  Die  Diskographie  aller 
Rock-  und  Pop-Produktionen  1964-1990,  Berlin:  Schwarzkopf  & Schwarzkopf  1999,  S.  442.  URL:  http:// 
www.ostbeat.de/Fotos/ThomasNatStrasse.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


246 


Rudi  Singer  von  der  Agitationsabteilung  war  daran  gelegen,  gegenüber 
Kurt  Turba  von  der  Abteilung  Jugend  herauszustellen,  dass  der  Rundfunk  sich 
bereits  seiner  Verantwortung  bewusst  geworden  sei.  So  würden  die  Beschlüsse 
des  Sekretariats  des  Zentralkomitees  vom  18.  Oktober  1965  über  die  Vorberei- 
tung des  Plenums612  sowie  die  Festlegungen  über  die  Vorkommnisse  des 
Rowdytums  in  der  DDR  und  die  notwendigen  Veränderungen  in  der  Jugend- 
politik in  den  Sendungen  bereits  umgesetzt,  betonte  Singer.  »Die  anfängliche 
Überspitzung  durch  die  Herausnahme  bestimmter  Titel«  habe  DT  64  nun 
überwunden,  fand  Singer.  Jedoch  dürfe  nicht  übersehen  werden,  »dass  das  ge- 
genwärtige Niveau  der  Musikprogramme  nur  gehalten  werden  kann,  wenn  das 
Angebot  an  guter  Tanzmusik  schnell  erweitert«612  werde.  Für  den  Rundfunk, 
auch  die  musikalische  Gestaltung  der  Sendungen,  war  Singers  Agitationsabtei- 
lung verantwortlich.  Dort  empfand  man  die  Veränderung  als  ausreichend  und 
betrachtete  diese  Frage  für  Funk  und  Fernsehen  als  gelöst.  ZK-Sekretär  Albert 
Norden,  der  die  Agitationsabteilung  im  Politbüro  vertrat  und  zudem  ein  lang- 
jähriger Weggefährte  des  SRK- Vorsitzenden  Eisler614  war,  stand  als  Vorgesetz- 
ter Singers  hinter  ihm.  Ohne  Norden,  der  im  Politbüro  Ulbrichts  zu  dieser  Zeit 
über  erheblichen  Einfluss  verfügte,  wäre  eine  solche  Position  gegenüber  ande- 
ren ZK-Abteilungen  gar  nicht  aufrecht  zu  erhalten  gewesen. 

Die  ZK-Abteilung  Kultur  als  Gegenspieler  der  Agitationsabteilung  nahm 
eine  andere  Haltung  dazu  ein.  In  einem  Schreiben  an  Kurt  Turba  (von  der 


612  Siehe  SAPMO-BArch,  DY  30  J IV  2/3/1.121,  Sekretariat  des  Zentralkomitees,  Sitzungsproto- 
koll  Nr.  81  vom  18.10.65  - Zusammensetzung  von  Arbeitsgruppen  zur  Ausarbeitung  der  neuen  herange- 
reiften Probleme  in  Vorbereitung  der  1 1. Tagung.  Siehe  SAPMO-BArch,  DY  30  J IV  2/3/1.118,  Sekretari- 
at des  Zentralkomitees,  Sitzungsprotokoll,  Sitzungsprotokoll  Nr.  78  vom  11.10.1965.  Zu  einigen  Fragen 
der  Jugendarbeit  und  dem  Auftreten  von  Rowdygruppen. 

613  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.02/66  unpag.,  [Abteilung  Agitation]  Rudi  Singer  an  Kurt  Turba, 
Betr.:  Auswertung  der  Sekretariatssitzung  über  Jugendfragen  im  Sender  DT  64,  Berlin  8.11.1965,  S.  2. 

614  Hans  Teubner:  Der  deutsche  Freiheitssender  29,8  als  Führungsorgan  der  KPD  im  antifaschisti- 
schen Kampf,  in:  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Arbeiterbewegung,  7.  Jg.  (1965)  H.  6,  S.  1022- 
1036.  Heinz  Priess:  Spaniens  Himmel  und  keine  Sterne.  Ein  deutsches  Geschichtsbuch.  Erinnerungen  an 
ein  Leben  und  ein  Jahrhundert,  Berlin:  edition  ost  1996.  Norbert  Podewin:  Albert  Norden.  Der  Rabbi- 
nersohn im  Politbüro,  Berlin:  edition  ost  2003.  Ronald  Friedmann:  Ulbrichts  Rundfunkmann.  Eine  Ger- 
hart-Eisler-Biographie,  Berlin:  edition  ost  2007.  Kurt  Hager,  nun  der  Verantworliche  für  Kultur  und  Wis- 
senschaft im  ZK,  war  übrigens  Redakteur  bei  dem  von  Eisler  geleiteten  Deutschen  Freiheitssender  29.8 
während  des  spanischen  Bürgerkrieges  gewesen. 


247 


Abteilung  Jugend)  beklagte  Heinz  Kimmei  (von  der  ZK-Abteilung  Kultur), 
dass  es  eben  keine  »exakt  ausgearbeitete  Konzeption  für  die  Entwicklung  des 
geistig-kulturellen  Lebens  unter  der  Jugend«  gebe. 

Als  Hintergrund  muss  man  sehen,  dass  die  ZK-Kulturabteilung  ihren  Ein- 
fluss auf  den  Rundfunk  ausbauen  wollte.  Dazu  war  es  zunächst  nötig,  die  ZK- 
Agitationsabteilung  zurück  zu  drängen.  Das  tat  man  aber  nicht  direkt,  sondern 
spielte  gleichsam  über  Bande,  indem  man  die  Abteilung  Jugend  dazu  bringen 
wollte,  sich  stärker  gegenüber  der  Abteilung  Agitation  zu  positionieren.  Zu- 
gleich barg  der  Vorwurf  der  Untätigkeit  an  die  ZK-Jugendabteilung  die  Chan- 
ce, sich  - auf  deren  Kosten  - selbst  zu  profilieren. 

In  seinem  Schreiben  an  Turba  formulierte  Kimmei  musik-  und  jugendpoli- 
tische Vorschläge  der  ZK-Kulturabteilung.  Erst  wenn  »alle  Organe,  die  auf  das 
geistig-kulturelle  Leben  der  Jugend  Einfluß  haben«,  systematisch  daran  arbei- 
ten würden,  dass  »die  Jugend  den  Weg  zur  gebildeten  Nation«615  beschreite, 
könne  von  einer  einheitlichen  Durchmessung  des  sozialistischen  Jugendlebens 
gesprochen  werden.  Ziel  einer  ganzheitlichen  Jugendkulturpolitik  müsse  es 
sein,  so  Kimmei,  die  organisierten  und  nicht-organisierten  DDR-Jugendlichen 
»an  die  Schätze  der  Kirnst  und  Literatur«  heranzuführen.  Das  betraf  die  FDJ 
genauso  wie  die  Massenmedien,  und  damit  auch  Jugendstudio  DT  64.  Populäre 
Schlagermusik  könne  darin  enthalten  sein,  so  Kimmei  weiter,  sofern  man  dabei 
die  bislang  vorherrschende  »kritiklose  Übernahme  dekadenter  Erscheinungen 
der  heutigen  kapitalistischen  Vergnügungsindustrie«616  endlich  überwinde. 
Und  Kimmei  präzisiert:  Beatmusik  könne  einen  Platz  in  der  DDR  haben,  wenn 
die  Gitarrengruppen  systematisch  fachlich  qualifiziert  und  die  »gesamte  poli- 
tisch-ideologische Erziehungsarbeit  unter  ihnen«  verbessert  würde. 

Siegfried  Wagner,  Leiter  der  ZK-Kultur,  argumentierte  kurz  vor  Beginn 


615  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  A 2/9.06/89  unpag.,  Stellvertretender  Leiter  der  [ZK-] Abteilung  Kul- 
tur,  Heinz  Kimmei,  an  Abteilung  Jugend,  Kurt  Turba,  Betr.:  Vorschläge  der  Abteilung  Kultur  für  den 
Beschluß  der  Ideologischen  Kommission  beim  ZK  der  SED  zur  Verbesserung  der  Arbeit  unter  der 
Jugend<,  Berlin  11.11.1965,  S.  1.  [Anlage:  Abteilung  Kultur,  Vorschläge  für  einen  Beschluß  der  Ideologi- 
schen Kommission  - Teilabschnitt  Kulturelle  Arbeit  unter  der  Jugend,  Berlin  1 1.1 1.1965,  S.  1-7]. 

616  Ebd.,  S.  3 Kimmei  übernahm  seine  Ausführungen  zum  Deutschen  Fernsehfunk  und  den  Sendern 
des  demokratischen  Rundfunks  sowie  DT  64  (S.  5.)  wortgleich  aus  seiner  Ausarbeitung  vom  22.10.1965. 


248 


des  1 1 . Plenums  auf  gleicher  Ebene.  Das  »lässige,  bis  wild  ungezügelte  Beneh- 
men« vieler  Laienmusiker  steigere  sich  bislang  dazu,  eine  »tierische  oder  ans 
idiotische  grenzende  Pose«  zur  Schau  zustellen,  schrieb  er.  Das  grenze  an  »gei- 
stigen Terror«,  so  Wagner  weiter,  der  auf  diese  Weise  als  amerikanische  Lebens- 
weise in  der  DDR  Verbreitung  fände.617  Wagners  drastische  Vorwürfe  richte- 
ten sich  gegen  die  Tanzmusik,  die  der  staatliche  Rundfunk  in  seinen  Musikpro- 
grammen einsetzte  und  drückte  gleichzeitig  aus,  dass  die  Agitationsabteilung 
des  ZK  ihrer  Verantwortung  dafür  nicht  nachkäme. 

Wagner  bezog  sich  auf  eine  Festlegung  der  Ideologischen  Kommission  des 
Politbüros.618  Diese  hatte  vier  Wochen  zuvor,  am  19.  November  1965,  die 
Abteilung  Agitation  angewiesen,  den  Diskurs  um  Jugend  und  sozialistische 
Erziehung  in  den  DDR-Medien  noch  stärker  zu  kontrollieren.619  Die  bereits 
erfolgte  Umsetzung  des  SRK-Beschlusses  über  Sofortmaßnahmen  (von  Ende 
Oktober  1965)  bei  Jugendstudio  DT  64  reichte  der  Ideologischen  Kommission 
noch  nicht  aus.  Vom  SRK  verlangte  sie,  das  »Niveau  der  Sendungen  von  Ju- 
gendstudio DT  64«  zu  erhöhen.  Das  Jugendstudio  DT  64  müsse  dadurch  »aktiv 
an  der  patriotischen  und  sozialistischen  Erziehung  der  Mädchen  und  Jungen 
der  DDR«  mitwirken.620  Diese  Verschärfung  der  Vorgaben  kann  als  Erfolg  der 
ZK-Kulturabteilung  gesehen  werden,  die  sich  in  der  Ideologischen  Kommissi- 
on dafür  eingesetzt  hatte.  Daran  wollte  Wagner  vier  Wochen  später  noch  ein- 
mal eindringlich  erinnern,  zumal  das  11.  Plenum  direkt  bevorstand. 

Die  Agenda  des  1 1 . Plenums  wurde  maßgeblich  vom  Sekretär  des  ZK  be- 
stimmt. Das  war  zu  diesem  Zeitpunkt  Erich  Honecker.  Die  einzelnen  ZK- 
Abteilungen  reichten  ihre  Berichte  ein,  die  der  ZK-Sekretär  dann  auf  dem  Ple- 


617  SAPMO-BArch,  DY  30  rV  A 2/9.06/159  unpag.,  [ZK  der  SED]  Abteilung  Kultur,  (Entwurf) 
Gutachten  zur  Beat-Musik,  Berlin  13.12.1965,  S.  1-3,  S.  2. 

618  Aufgabe  der  Ideologischen  Kommission  war  die  Richtliniensetzung  über  alle  Politikfelder  hin- 
weg. Alle  ZK-Abteilungen  und  die  Bezirke  entsandten  Vertreter,  die  zusammen  mit  ausgewählten  Partei- 
granden die  ideologischen  Rahmungen  der  SED-Politik  aushandelten,  ohne  dass  ein  Politbürobeschluss 
dazu  gefällt  werden  musste. 

619  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/16/19  unpag.,  [Abteilung  Jugend  des  ZK]  Vorbereitung  eines  Be- 
schlusses über  die  ideologische  Arbeit  unter  der  Jugend  vom  19.1 1.65,  Aufgaben  der  Abteilung  Agitation 
(Zum  Beschlußentwurf  über  die  Jugendarbeit),  Berlin  12.11.1965,  S.  1-3. 

620  Ebd.,  S.  2. 


2 49 


num  vortrug.  So  war  es  der  Kulturabteilung  möglich,  ihre  Position  Erich 
Honecker  in  den  Mund  zu  legen.  Die  ZK-Kulturabteilung  bereitete  ein  Rede- 
manuskript vor,  in  dem  sie  ihren  Angriff  gegen  die  Agitationsabteilung,  den  sie 
mittels  Kritik  an  den  Massenmedien  im  Vorfeld  bereits  begonnen  hatte,  zur 
Vollendung  brachte.  Darin  heißt  es:  »Uber  eine  lange  Zeit  hat  DT  64  in  seinem 
Musikprogramm  einseitig  die  Beat-Musik  propagiert.  In  den  Sendungen  des 
Jugendsenders  wurden  in  nicht  vertretbarer  Weise  die  Fragen  der  allseitigen 
Bildung  und  des  Wissens  der  jungen  Menschen  der  verschiedensten  Bereiche 
der  Kunst  und  Literatur  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  außer  Acht  gelas- 
sen.«621 Der  Zentralrat  der  FDJ  habe  die  Beat -Musik  fehlerhaft  beurteilt,  habe 
sie  »als  die  Musik  der  protestierenden  Jugend  in  den  westlichen  Ländern 
Europas«  gesehen  und  diesen  Musikstil  als  »musikalischen  Ausdruck  im  Zeital- 
ter der  technischen  Revolution«  akzeptiert.  Honecker  hielt  sich  in  seinem  Ple- 
numsvortrag eng  an  diese  Vorlage  der  Kulturabteilung.  Er  sagte:  Der  Gegner 
nutze  diese  Art  von  Musik,  »um  durch  die  Übersteigerung  der  Beat-Rhythmen 
Jugendliche  zu  Exzessen  aufzuputschen.«622  »Niemand  in  unserem  Staate«, 
tönte  Honecker,  »hat  etwas  gegen  eine  gepflegte  Beat-Musik.«  Sie  könne  »je- 
doch nicht  als  alleinige  und  hauptsächlichste  Form  der  Tanzmusik  betrachtet 
werden.«  Das  Jugendkommunique  (vom  September  1963)  konnte  in  Hone- 
ckers  Augen  »kein  Blankoscheck«  sein,  der  »Selbstlauf,  Tatenlosigkeit,  Zurück- 
haltung und  lässige  ideologische  Eckensteherei«  rechtfertige.623  Die  Kulturab- 
teilung war  in  ihrem  Redemanuskript  noch  weiter  gegangen:  Es  sei  »eine  fal- 
sche Methode,  sich  mit  jungen  Menschen  vor  allem  darüber  zu  unterhalten,  was 
noch  nicht  in  Ordnung«624  sei.  Dies  war  ein  Frontalangriff  auf  DT  64  und  des- 
sen Interpretation  des  Jugendkommuniques. 


621  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/4  unpag.,  [ZK-Abteilung  Kultur]  Entwurf  für  den  Abschnitt 
»Probleme  der  ideologischen  Arbeit  der  Partei  im  kulturellen  Bereich,  Berlin,  o.D.  S.  1-12,  S.  8.  [An  Gen. 
Honecker  und  Gen.  Hager  gegeben,  2.12.1965]. 

622  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/1/336  foliert,  Stenografische  Niederschrift  der  11.  Tagung  des  Zen- 
tralkomitees, unkorrigierte  Fassung,  Erich  Honecker,  Bericht  des  Politbüros  an  das  Zentralkomitee,  Bl.  7- 
122,  Bl.  90. 

623  Ebd.,  Bl.  112. 

624  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/4  unpag.,  [ZK-Abteilung  Kultur]  Entwurf  für  den  Abschnitt 
»Probleme  der  ideologischen  Arbeit  der  Partei  im  kulturellen  Bereich,  S.  8. 


25° 


Der  Redebeitrag  des  Leipziger  Bezirkssekretärs  Paul  Fröhlich  schlug  in 
dieselbe  Kerbe.  Dies  nutzte  allerdings  nicht  nur  der  ZK-Kulturabteilung,  son- 
dern drückte  auch  das  gemeinsame  Interesse  Fröhlichs  und  Honeckers  aus, 
Ulbricht  anhand  seiner  Jugendpolitik  zu  demontieren.  Fröhlich,  der  bereits  im 
Umfeld  der  Leipziger  Beat-Demonstration  (am  31.  Oktober  1965)  massive  Kri- 
tik geübt  hatte,  betonte  in  seinem  Redebeitrag  auf  dem  1 1 . Plenum,  dass  eine 
gewisse  Zeit  lang  die  Jugend-  und  Kulturpolitik  der  Partei  verzerrt  worden  sei. 
So  hätten  »in  widerwärtigster  Weise  dekadente  Lebensformen  in  Gestalt  der 
Beatles  und  anderer«  in  der  DDR  an  Bedeutung  gewonnen  und  es  sei  eine 
»Überschwemmung  unserer  Umgangssprache  mit  Anglizismen«623  erfolgt. 

Die  Strategie  der  ZK-Abteilung  Kultur,  die  die  Bloßstellung  der  Agitati- 
onsabteilung zum  Ziel  hatte,  unterstützte  auch  der  lang  gediente  Kulturpoliti- 
ker  Alfred  Kurella,  indem  er  in  seiner  Rede  auf  dem  Plenum  bemängelte,  dass 
ZK-Abteilungen  nebeneinander  und  gegeneinander  arbeiten  würden.  Damit 
meinte  er  natürlich  die  beiden  Widersacher  im  ZK,  wobei  er  klarmachte,  dass 
er  die  Haltung  der  Kulturabteilung  unterstützte  und  die  Agitationsabteilung 
dagegen  arbeite.  So  entstehe  der  Eindruck  von  mindestens  zwei  Kulturpoliti- 
ken, weil  diese  Organe  »von  verschiedenen  - sagen  wir  einmal  - Auslegungen 
der  allgemeinen  Beschlüsse  der  Partei  auf  diesem  Gebiet«  ausgehen  und  ver- 
schiedene Methoden  in  Fragen  der  Kultur626  wählen  würden.  Bei  bestimmten 
Gruppen,  »die  agitierende  Aufgaben  auch  für  Fernsehen,  Rundfunk  und 
Unterhaltung«  inne  hätten,  sei  weiterhin  die  Meinung  vorhanden,  dass  es  egal 
sei,  was  man  mache,  »Hauptsache  ist,  der  Saal  ist  voll.«627  Die  DDR  müsse 
»nicht  jeden  Dreck,  der  vom  Westen  kommt,  bei  uns  im  Rundfunk  stundenlang 
nachmachen.«628  Damit  stellte  Kurella  den  Formen  der  Agitation,  wie  sie  Nor- 
den (von  der  ZK-Agitationsabteilung)  vertrat,  ein  schlechtes  Zeugnis  aus. 

Ulbricht  mahnte  am  zweiten  Tag  das  Auditorium:  »Liebe  Freunde!  Sind 
wir  denn  wirklich  nur  angewiesen  auf  die  monotonen  westlichen  Tänze?«  In 


625  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/1/336  foliert,  Paul  Fröhlich,  BL  Leipzig,  Bl.  123-140,  Bl.  132. 

626  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/1/336  foliert,  Alfred  Kurella,  stellvertretender  Vorsitzender  des  Mi- 
nisterrates  Bl.  272-282,  Bl.  277. 

627  Ebd.,  Bl.  278. 

628  Ebd.,  Bl.  279. 


25I 


der  UdSSR  und  den  anderen  sozialistischen  Ländern  seien  »genügend  herzli- 
che und  temperamentvolle  Tänze«  vorhanden.  Diese  würden  ausreichen,  so 
Ulbricht,  damit  sich  die  Jugend  austoben  könne.  Das  stenographische  Protokoll 
des  Plenums  verzeichnete  allgemeine  Zustimmung.  Trotzdem,  so  Ulbricht, 
würden  einige  Kunstschaffende  meinen,  die  DDR  könne  »in  kultureller  Bezie- 
hung vor  allem  von  Texas  lernen.«  Ulbricht  verlangte:  »Mit  der  Monotonie  des 
Jay,  jeh,  jeh,  und  wie  das  alles  heißt,  sollte  man  doch  Schluß  machen!«629  Und 
forderte  dazu  auf,  diejenigen,  die  den  westlichen  Stil  kopieren,  einfach  auszula- 
chen. Das  wirke  möglicherweise  besser,  »als  wenn  wir  lange  mit  ihnen  über 
diese  Fragen  diskutieren.« 

Ulbricht  steigerte  sich  in  das  Thema  hinein  und  bezog  sich  schließlich  auf 
Kurellas  Äußerungen  vom  Vortag.  »Ist  es  denn  wirklich  so,  dass  wir  jeden  Dreck, 
der  vom  Westen  kommt,  kopieren  müssen?«  Ulbricht  wollte  die  Bevölkerung 
fragen,  ob  sie  »mit  eigenem  Verstand,  mit  eigenen  Kenntnissen  und  eigener 
schöpferischer  Arbeit  großes  leisten  könne«  und  setzte  ein  nationalistisches  Ver- 
ständnis deutscher  Kulturnation  gegen  »den  Einfluß  der  amerikanischen  Le- 
bensweise, der  amerikanischen  Unkultur,  des  Lebensstils  aus  Texas.«630  Bezieht 
man  Ulbrichts  Ausführungen  auf  Jugendstudio  DT  64,  könnte  man  sagen,  dass  es 
sich  zumindest  in  der  musikalischen  Gestaltung  seiner  Sendungen  nicht  immer 
auf  dem  Boden  des  Sozialismus  und  der  sozialistischen  Kulturpolitik  befunden 
hatte.  Der  DDR-Rundfunk  musste  sich  den  Vorwurf  gefallen  lassen,  dass  er 
Verrohung,  Brutalität  und  überbordende  Individualisierung  (zusammengefasst 
in  der  Wortmarke  »Texas«)  nicht  konsequent  genug  attackiere. 

Die  ZK- Kulturabteilung  ging  gestärkt  aus  dem  1 1 . Plenum  hervor,  ohne 
allerdings  erweiterten  Einfluss  auf  den  Rundfunk  zu  erhalten.  Eine  eng  gefasste 
Konzeption  sozialistischer  Kulturpolitik  bestand  nun  neben  einem  eher  auf  ein 
Massenpublikum  zielenden  Verständnis,  wie  es  die  Agitationsabteilung  und  das 
SRK  vertreten  hatten.  Die  Jugendprogramme  von  Rundfunk  und  Fernsehen 
konnten  erzieherische  Aufgaben  dann  weiterhin  übernehmen,  wenn  sie  die 


629  SAPMO-BArch,  DY  30 IV 2/1/337  foliert,  Protokoll  des  2.  Beratungstages  der  11.  Tagung  des  ZK, 
16.12.1965.  Referat  Walter  Ulbrichts  über  Probleme  des  Perspektivplanes  bis  1970,  Bl.  3-92,  Bl.  57. 

630  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  2/1/337  foliert.  Bl.  75. 


252 


Grundlinien  der  Plenumsdiskussion  beachteten.  Das  hatte  die  Agitationsabtei- 
lung des  ZK  sicherzustellen.  Das  1 1 . Plenum  zerrieb  zwar  die  Jugendpolitik  der 
Partei,  entzog  aber  der  Agitationsabteilung  nicht  den  Einfluss  auf  den  Rund- 
funk und  dessen  Kulturpolitik.  Die  mit  DT  64  eingeleitete  Profilierung  im 
Rundfunk  wurde  nicht  gestoppt.  Das  Plenum  stärkte  die  ideologischen  Inhalte, 
ohne  jedoch  das  DT  64-Klangbild  dauerhaft  zu  korrigieren. 

5. 1 .7.3  Die  Auswertung  des  1 1 . Plenums  im  Berliner  Rundfunk  und  bei  DT  64. 
Die  Belebung  alter  Fronten  zwischen  Rundfunk  und  Schallplatte 

Die  Nachwirkung  des  II.  Plenums  machte  sich  in  der  Musikgestaltung  im 
Rundfunk  bemerkbar.  Das  Verhältnis  zum  VEB  Deutsche  Schallplatte  wurde 
dadurch  nicht  gefördert. 

In  den  künstlerischen  Bereichen  herrschte  nach  dem  1 1 . Plenum  eine 
große  Unsicherheit,  berichtete  Inge  Nielsen  von  der  Abteilung  Agitation  (Sek- 
tor Rundfunk/  Fernsehen)  im  Januar  1966.  »Was  darf  überhaupt  noch  behan- 
delt werden,  wenn  Mängel  und  Schwierigkeiten  nicht  mehr  gezeigt  werden  sol- 
len?«631 lautete  die  Kritik  gegenüber  übereilten  und  nervösen  Entscheidungen. 
Inmitten  der  Unsicherheiten  befand  sich  auch  DT  64.  Zumindest  fegte  die  Lei- 
tung des  Berliner  Rundfunks  mit  eisernem  Besen  durch  das  eigene  Programm, 
konzentrierte  sich  zunächst  auf  »Sendungen,  die  der  Aufgabenstellung  des  11. 
Plenums  nicht  entsprachen.  «632 

Der  Berliner  Rundfunk  bemühe  sich  spürbar, 
berichtete  der  Sektor  Rundfunk/  Fernsehen  an  Albert  Norden,  »den  Forderun- 
gen des  1 1 . Plenums  auch  auf  dem  Gebiet  der  Musik  Rechnung  zu  tragen.«  Die 
Musikredaktion  setze  weniger  Tanzmusiktitel  mit  Anglizismen  ein.  Vorerst 
könne  aber  der  Berliner  Rundfunk,  »nicht  völlig  auf  sie«  verzichten,  weil  es  zu 
wenig  spielbare  Tanzmusiktitel  gebe.  Bei  DT  64  gebe  es  vor  allem  Diskussionen 


631  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/2.028/60  foliert,  [Büro  Albert  Norden]  Abt.  Agitation,  Bericht  der 
Arbeitsgruppe  Agitation  zur  Untersuchung  einiger  Probleme  der  Leitungstätigkeit  und  der  politischen 
Erziehungsarbeit  im  Deutschen  Fernsehfunk,  Berlin  14.1.1966,  Bl.  205-216,  Bl.  207. 

632  SAPMO-BArch,  DY  30 IV  A 2/9.02/5  unpag.,  [Abteilung  Agitation,  Sektor  Rundfunk/Fernsehen] 
Die  sichtbaren  Auswirkungen  des  1 1 . Plenums  auf  kulturpolitischem  Gebiet  in  der  »Berliner  Zeitung«, 
»Sächsischen  Zeitung«,  im  Berliner  Rundfunk  und  im  Fernsehfunk,  (ca.  Januar  1966),  S.  1-6,  S.  4. 


darüber,  so  Nielsen  weiter,  »was  unter  gepflegter  Beat-Musik  zu  verstehen«  sei. 
Der  Berliner  Rundfunk  habe  nach  dem  1 1 . Plenum  der  Forderung  nach  »Sau- 
berkeit, Anstand  und  Moral  im  Programm  Rechnung«  getragen.  Dieses  Vorge- 
hen übte  massiven  Druck  auf  die  anderen  Redaktionen  aus,  sich  entlang  dieser 
Linie  neu  auszurichten.  Nach  außen  und  gegenüber  dem  Staatlichen  Rund- 
funkkomitee konnte  der  Berliner  Rundfunk  diesen  Aktionismus,  der  sich  nur  in 
bestimmten  Sendesparten  auswirkte  und  nur  bestimmte  Sendungen  traf,  als 
Handlungsfähigkeit  verkaufen.  Jetzt  behandelte  die  Intendanz  des  Berliner 
Rundfunks  Jugendstudio  DT  64  wieder  wie  eine  gewöhnliche  Nachmittagssen- 
dung, allerdings  kamen  andere  Redaktionen  in  der  Auswertung  des  1 1 . Plenums 
wesentlich  stärker  in  Bedrängnis. 

Erst  im  April  1966  legte  Jugendstudio  DT  64  in  einer  Komiteevorlage  dar, 
wie  kreativ  die  Redaktion  die  neuen  »alten«  Arbeitsschwerpunkte  »der  ideolo- 
gischen Erziehung,  der  Mobilisierung  für  den  Jugendverband,  die  wissenschaft- 
lich-technische Revolution,  die  sozialistische  Heimat  und  deren  Schutz  durch 
den  Ehrendienst  in  der  NVA«  nun  ausfüllen  würde.  DT  64-Redaktionsleiter 
Siegmar  Krause  sprach  in  dieser  Ausarbeitung  auch  die  nach  wie  vor  fehlenden 
ausgewiesenen  Experten  und  Spezialisten  für  Politikbereiche  an.  DT  64  habe 
sich,  so  Krause,  »nach  dem  Hinweis  des  Plenums  gerichtet.«  Und  beklagt  sich 
alsdann:  »Wir  senden  melodiöse  und  musikalisch  sauber  gemachte  Beat -Auf- 
nahmen nach  wie  vor  in  unserem  Programm,  werden  dafür  allerdings  verschie- 
dentlich - besonders  aber  von  >Amiga<  - heftig  attackiert.«633  Das  zerrüttete 
Verhältnis  zwischen  Rundfunk  und  dem  anderen  Musikproduzenten  in  der 
DDR,  dem  VEB  Deutsche  Schallplatte,  wurde  nach  dem  II.  Plenum  wieder 
deutlicher  sichtbar.  Die  »Schallplatte«  hielt  dem  Rundfunk  eine  verfehlte 
Musikpolitik  vor.  Hämische  Neujahrsgrüße  schickte  der  Chefproduzent  der 
AMIGA,  Lothar  Kähne,  an  Wilhelm  Penndorf,  den  Chefredakteur  Musik  von 
Radio  DDR-,  »Auf  die  negativen  Auswirkungen,  die  von  DT  64  über  eine  gewis- 
se Zeitspanne  auf  unsere  Kulturpolitik  ausgingen«,  habe  Kähne  Penndorf  »in 


633  BArch  B,  DR  6/794  unpag.,  Sekretär  des  Komitees,  Beschlußprotokoll  13/661  der  Komiteesitzung 
vom  12.4.1966,  S.  1-7  TOP  1:  DT  64-Programmfragen  und  Probleme  der  Arbeit,  Vorlage  37/66,  Jugend- 
studio DT  64,  Siegmar  Krause,  Komiteevorlage  Nr.  37,  Unsere  Arbeit  nach  dem  11.  Plenum,  Berlin  2.4. 
1966,  S.  1-8,  S.  3. 


254 


der  Vergangenheit  wiederholt  persönlich«  aufmerksam  gemacht.  Zudem,  so 
Kähne,  habe  er  diesen  Eindruck  bereits  im  März  1965  schriftlich  dem  DT  64- 
Redaktionsleiter  Krause  mitgeteilt.  »Leider«,  gab  Kähne  Bedauern  vor,  seien 
diese  Bemerkungen  »unbeantwortet  und  auch  unbeachtet  geblieben.«634  Weil 
er  nicht  wolle,  dass  dieser  Hinweis  »wie  andere  Dinge«  in  der  Rundfunkhierar- 
chie versande,  habe  er  sich  erlaubt,  gleichzeitig  eine  Kopie  an  Eisler  und  den 
Leiter  der  Musikabteilung  des  Kulturministeriums,  Rackwitz,  zu  schicken. 
Penndorf  konterte:  Die  Stimmen,  die  AMIGA  produziere  und  veröffentliche, 
besäßen  keine  Bühnenwirksamkeit,  kein  Aussehen  und  keine  persönliche  Aus- 
strahlung.635 Die  Vorwürfe  gegenüber  DT  64  wies  er  aufs  Schärfste  zurück,  er 
kenne  keine  »negativen  Auswirkungen  von  DT  64  auf  unsere  Kulturpolitik.« 
Er  wisse  nur,  dass  »DT  64  als  Übernahme  von  ausländischen  Schallplattenfir- 
men eine  Reihe  von  Titeln  gesendet«  habe,  »bei  denen  es  allein  dem  Rund- 
funk« obliege,  die  Lizenzangelegenheiten  zu  klären.  Diese  Titel,  ätzte  Penn- 
dorf zurück,  »zeichneten  sich  in  manchen  Fällen  dadurch  aus,  dass  sie  anspre- 
chend arrangiert,  gut  interpretiert  waren.«  Seiner  Ansicht  nach  erfüllten  die 
Musiktitel  der  AMIGA-Produktion  diese  Anforderungen  nur  selten.  Und  um 
Kähne  zu  düpieren,  erwähnte  Penndorf,  das  »Titel  wie  >Never  mind<,  >Take  it 
easy<,  die  auch  von  DT  64  ausgiebig  gesendet  wurden«636  aus  der  Produktion 
des  VEB  Deutsche  Schallplatte  stammten.  Kähne  hatte  diese  in  seinem  Brief 
fälschlicherweise  zu  der  Kategorie  >illegale  Westtiteb  gezählt.  Richtig  sei,  das 
könne  Penndorf  zugestehen,  dass  »auch  DT  64  in  einigen  speziellen  musikpo- 
litischen Fragen  nicht  aufmerksam  genug  gewesen  war.«637  Aber  er  befinde 


634  BArch  B,  DR  6/596  unpag.,  Produktionsleitung  Amiga,  Kähne,  an  Radio  DDR,  Chefredakteur 
Musik,  Wilhelm  Penndorf,  Berlin  5.1.1966.  S.  1-2,  S.  2.  [Kopien  an  Gen  Prof.  Eisler  und  Dr.  Werner 
Rackwitz  (Ministerium  für  Kultur)] . 

635  BArch  B,  DR  6/596  unpag.,  Wilhelm  Penndorf,  Chefredakteur  Musik,  an  VEB  Deutsche  Schall- 
platten - Amiga  - Genosse  Kähne,  Berlin  13.1.1966,  S.  1-3,  S.  1. 

636  Ebd.,  S.  2.  Der  Titel  »Never  mind«  von  Cliff  Richard,  1959  eingespielt,  dürfte  es  eher  nicht  auf 
eine  Amiga-Produktion  geschafft  haben.  Dafür  aber  der  Titel  »Nevada«  von  der  Theo  Schumann 
Combo:  LP  Big  Beat  II,  Amiga,  8 50  049,  1965.  URL:  http://www.discogs.com/image/R-804402- 
1160496848.jpeg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  Christian  Schafrik  & Orchester  Günther  Kretschmer,  Take 
It  Easy,  Günther  Kretschmer/  Dieter  Schneider,  LP  Amiga-Express,  8 50  053,  1966.  URL:  http://www. 
discogs.com/image/R-628184-1140509088.jpeg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

637  Ebd.,  S.  3 


255 


sich  in  guter  Gesellschaft  und  meinte  damit  AMIGA,  was  vom  Schallplattenla- 
bel sehr  nachtragend  bemerkt  wurde. 

Siegfried  Wagner  von  der  Kulturabteilung  des  ZK  schrieb  Anfang  Mai 
1966  an  Erich  Honecker,  »dass  das  Musikprogramm  von  DT  64  wiederum 
wesentlich  gegen  die  Prinzipien  der  Kulturpolitik  unserer  Partei«638  verstoße. 
Der  Kulturpolitiker  schlussfolgerte,  ausgehend  von  einer  Programmbeobach- 
tung des  volkseigenen  Schallplattenproduzenten  vom  März  1966639,  dass  DT 
64  wieder  »in  nicht  unerheblichem  Maße  westliche  Schlagertitel«  sende.  In 
dieser  Aussage  schwang  eine  Andeutung  mit,  die  der  Agitationsabteilung  erneut 
Nachlässigkeit  unterstellte.  Die  Folge  sei,  dass  DT  64  auch  weiterhin  die 
gesetzlichen  Bestimmungen  im  Musikprogramm  nicht  einhalte,  wieder  »libera- 
lisierend« wirke  und  bei  der  Jugend  »falsche,  an  dekadenten  westlichen  Vorbil- 
dern orientierte  Bedürfnisse«640  wecke.  Arbeiterlieder  und  Agitprop-Songs 
von  Brecht,  Weill  und  Ernst  Busch  sowie  das  Jugendlied,  also  das  »reichhaltige 
Erbe  unserer  sozialistischen  Musikkultur«  bliebe  ungenutzt.  Mit  diesem  Erbe 
konnte  Honecker  etwas  verbinden.  An  den  neun  Sendetagen  im  März  hatte  DT 
64  insgesamt  356  Titel  im  Programm  gehabt.  Davon  habe  die  »Schallplatte«  77 
Titel  erkannt,  die  »illegal  zur  Sendung«  gelangt  seien,  also  »nicht  legal  über 
unsere  Verlage  in  die  DDR  eingeführt  wurden.«  Die  Direktion  »Schallplatte« 
erwähnte  Cliff  Richard  The  Shadmvs,  die  Dänen  Jan  & Kjeld,  Rita  Pavone,  Ricky 

Nelson,  Gert  Böttcher  und  natürlich  The  Beatles .641  Die  Kulturabteilung  des  ZK 


638  SAPMO-BArch,  DY  30  W A 2/9.06/159  unpag.,  Leiter  der  Abteilung  Kultur,  Siegfried  Wagner, 
an  Genossen  Erich  Honecker,  Betr.:  Musikprogramm  von  DT  64,  Berlin  4.5.1966,  S.  1-3.  [Verteiler: 
Honecker,  Hager,  Lamberz]. 

639  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/159  unpag.,  Künstlerischer  Leiter  der  VEB  Deutsche  Schall- 
platten, Dr.  Siegfried  Köhler,  Produktionsleiter,  AMIGA,  Wolfgang  Kähne,  Betr.:  Analyse  des  Musikpro- 
gramms  des  Senders  DT  64,  Berlin  7.4.1966,  S.  1-3.  [Zeitraum:  7.,  8.,  9.,  11.,  14.,  15.,  16. ,17.,  18.3.1966]. 

40  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  A 2/9.06/159  unpag.,  Siegfried  Wagner  an  Genossen  Erich  Honecker, 
Musikprogramm  von  DT  64,  Berlin  4.5.1966,  S.  2. 

641  Cliff  Richard  & The  Shadows,  Es  war  keine  so  wunderbar  wie  du,  Carl  Ulrich  Blecher/  Bruce 
Welch/  HankMarvin/  Brian  Bennett/  John  Rostill,  B-Seite:  Es  könnte  schon  morgen  sein,  7”,  Columbia  C 
22  962,  Mai  1965.  URL:  http://hitparade.ch/cdimages/cliff_richard_the_shadows-es_war_keine_so_wun- 
derbar_  wie_du_s.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  We  Say  Yeah,  Yeah,  Yeah  engl.  Big  Beat,  S.  1:  Cliff 
Richard  & The  Shadows,  We  say  yeah  yeah,  EP  The  Young  Ones,  Columbia  SEG  8159  1962.  Manuela  und 
die  5 Boys,  Schenk  mir  dein  Herz  als  Talisman,  A-Seite:  Schneemann,  7”,  Telefunken  55807,  1963.  URL: 


256 


musste  sich  darüber  unzufrieden  zeigen,  weil  ihre  Bemühungen  darum,  eine 
ihrer  Auffassung  nach  sozialistische  Musikpolitik  im  DDR-Rundfunk  zu  eta- 
blieren, keine  Früchte  trugen.  Trotz  der  erfolgreichen  Durchsetzung  der  eige- 
nen Position  auf  dem  11.  Plenum,  musste  die  Abteilung  Kultur  zur  Kenntnis 
nehmen,  dass  die  Agitationsabteilung  alleinigen  Einfluss  auf  die  Musikpolitik 
des  Rundfunks  hatte. 

5. 1.7. 4 Jugendstudio  DT  64  und  die  Akte  der  Popularisierung.  Singebewegung, 
DDR-Rockund  die  X.  Weltfestspiele  der  Jugend  und  Studenten  (1967-1973) 

In  den  Jahren  danach,  bis  zu  den  X.  Weltfestspielen  1973,  begann  DT  64  seinen 
Aktionsradius  über  Berlin  hinaus  zu  weiten  und  reiste  durch  die  Bezirke  der 
DDR.  Mit  und  über  Jugendstudio  DT  64  schuf  der  Berliner  Rundfunk  verschiede- 
ne Medien-  und  Veranstaltungsereignisse.  Wenn  der  Staatsrundfunk  aus  Ost- 
berlin als  DT  64  in  eine  Kreisstadt  kam,  um  einen  Brigade-  oder  Schülerwettbe- 
werb zu  übertragen,  dann  ragte  dies  aus  der  alltäglichen  Ereignislosigkeit  her- 
aus. Der  Hörfunk  zeigte  als  Institution  im  öffentlichen  Raum  Präsenz  und  er- 
zeugte eine  kurzfristige,  aber  erinnerte  Veränderung  des  kulturellen  Lebens. 

Jugendstudio  DT  64  förderte  maßgeblich  die  von  der  FDJ  als  Gegentrend  zu 
Beatmusik  gesetzte  Singebewegung.  Somit  griff  auch  der  Rundfunk  die  »wach- 
sende Bedeutung  des  aktuell-politischen  Liedschaffens  (Antikriegs,-  Oster- 
marschlieder, Folklore-Songs  etc.)«  als  neuen  Musiktrend  auf.  DT  64  unter- 
stützte den  Jugendverband  dabei,  die  Beatwelle  »durch  eine  neue  Welle  des 
organisierten  Singens«642  auszugleichen.  Durch  Beiträge  und  Reportagen 


http://stars-on-7-inch.com/Listen/Ieldec/U-55. 000%20(Telefunken)/teld_U-55. 807.jpg  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010].  Udo  Jürgens  & Orchester  Rudi  Bauer,  So  wie  eine  Rose,  Udo  Jürgens/Carl  Ulrich  Blecher,  A- 
Seite:  Siebzehn  Jahr,  blondes  Haar,  7”,  Vogue  DV  14390,  1965.  The  Beatles,  I Wanna  Hold  your  Hand, 
John  Lennon/Paul  McCartney,  »Yesterday«  (John  Lennon)  Doppel-LP  EMI  PCSP  717,  1965.  URL: 
http://hitparade.ch/cdimages/the_beatles-1962_1966_a.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

642  BArch  B,  DR  6/795  unpag.,  Sekretariats  des  Komitees,  Komiteevorlage  Nr.  90/66,  Betr.:  Jugend- 
lied, Stand  und  Entwicklung  auf  dem  Gebiet  der  Volks-,  Kinder-  und  Jugendmusik,  speziell  auf  dem  Sektor 
Jugendlied,  Berlin  1.8.1966  (Protokoll  16.8.66).  (Abstimmung  erfolgte  mit  Manfred  Kühn  (DT  64),  Ebel, 
Verwaltung/Finanzen,  Erich  Lange/Kader)  S.  1-5,  S.  1.  (Vgl.  Lutz  Kirchenwitz:  Folk,  Chanson  und  Lie- 
dermacher in  der  DDR.  Chronisten,  Kritiker,  Kaisergeburtstagssänger,  Berlin:  Dietz  1993.  Olaf  Schäfer: 


hatte  DT  64  »positive  musikalische  Geschmacksbildung«  64  ^ bei  den  Laienmu- 
sikern anzuregen.  Die  Förderung  der  Singebewegung  war  für  DT  64  eine  gute 
Gelegenheit,  über  kostengünstige  Produktionen  Sendezeit  zu  füllen.  Ferner 
federte  dieses  Aufgreifen  eines  absolut  gewünschten  Musikstils  die  bestehende 
akustische  Kennung  von  Jugendstudio  DT  64  ab.  Die  popkulturelle  Tiefenwir- 
kung der  Singebewegung  ist  an  den  hochgradig  politisierten  und  gleichsam 
poetischen  Texten  des  DDR-Rock  abzulesen.  In  den  Tanzsälen  dominierten 
1967  weiterhin  die  Beatcombos  und  Laientanzkapellen. 

5. 1.7. 4.1  Jugendstudio  DT  64  als  Produzent  von  Ereignissen 

War  die  offizielle  Aufgabe  von  Jugendstudio  DT  64  weiterhin  die  nachhaltige 
sozialistische  Erziehung  der  Jugend,  profilierte  sich  die  Sendung  in  den  Jahren 
nach  dem  1 1 . Plenum  in  seiner  Zielgruppe  als  geduldete  Option,  die  Ökonomie 
der  sozialistischen  Langeweile  zu  durchbrechen.  Den  zweijährigen  Geburtstag 
beging  DT  64  am  29.  Juni  1966  im  Zentrum  der  Landjugend  in  Leipzig.  In  der 
Mitmach-Sendung  Marktplatz  unserer  Sensationen  wurde  dreieinhalb  Stunden 
lang  der  »Abschluß  der  Lehrlingsspartakiade  und  die  Republiksieger  in  den 
wichtigsten  Berufen«  übertragen.  Am  30.  Juni  1966  streute  DT  64  in  seine  Sen- 
dung Live-Schaltungen  aus  den  Regionalstudios  von  Radio  DDR  ein  und  be- 
richtete von  den  Höhepunkten  der  Woche  der  Jugend  und  der  Sportler  aus 
Weimar,  Dresden  und  Schwerin.644  Die  Marke  DT  64  war  also  bereits  im  Früh- 
jahr 1966  nicht  mehr  nur  auf  den  Berliner  Raum  begrenzt.  Auch  wenn  sich  die 
Frage  neuer  oder  eigener  Frequenzen  noch  nicht  wieder  stellte,  schärften  diese 
Zuschaltungen  das  performative  Image  eines  Jugendsenders  für  die  gesamte 
DDR. 

Auch  über  das  Pfingsttreffen  in  Karl-Marx-Stadt  berichtete  DT  64  im  Mai 
1967  wieder  mit  einem  Sonderstudio.  »Zum  Treffen  junger  Sozialisten«  im 


Pädagogische  Untersuchung  zur  Musikkultur  der  FDJ.  Ein  erziehungswissenschaftlicher  Beitrag  zur  Tota- 
litarismusforschung  (=  Dissertation;  FU  Berlin),  Berlin: Wissenschaftlicher  Verlag  1998). 

643  Ebd.,  S.  2. 

644  BArch  B,  DR  6/585  unpag.,  Sekretär  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees,  Vötter,  an  Koll.  Brand- 
wein, Amt  für  Jugendfragen,  Betr.:  Sendebeiträge  zur  diesjährigen  Woche  der  Jugend  und  Sportler,  Berlin 
24.  8.1966,  S.  1-2,  S.  2. 


25s 


Vorfeld  des  20.  Jahrestages  der  Republik  dehnte  der  Berliner  Rundfunk  seine 
vorbereitenden  Sendungen  aus.  Zwei  Frühprogramme  und  zwei  Nachtpro- 
gramme gestaltete  DT  64  zu  diesem  Anlass,  außerdem  lief  das  Programm  zu- 
sätzlich am  Wochenende.64"’  Die  Sondersendungen  weichten  die  Beschränkung 
von  Jugendstudio  DT  64  auf.  Bei  der  Herstellung  musikalischer  und  jugend- 
politischer Ereignisse  in  der  DDR  war  DT  64  inzwischen  zu  einem  wichtigen 
Akteur  geworden. 

5.1. 7.4.2  Akte  der  Popularisierung.  Ost-DJs  1971  in  der  Wahrnehmung  der 
SFR-Jugendredaktion 

Die  Präsentationsweisen  von  DT  64  zu  Beginn  der  1970er  Jahre  waren  vom 
konfrontativen  »Gegner«-Bezug  früherer  Jahre  weit  entfernt.  Diese  Verschie- 
bung machte  die  Jugendredaktion  des  SFB  in  einer  Programmanalyse  der  Ost- 
berliner Konkurrenz  im  Jahr  1971  deutlich. 

Jugendstudio  DT  64  begann  nun  bereits  um  15.35  Uhr  und  endete  gegen  19.30 
Uhr.646  Nach  der  auf  einen  Musiktitel  gesprochenen  Hörerbegrüßung  folgte 
der  Hinweis  auf  die  Vorabendsendung  für  die  NVA-Angehörigen,  das  Soldaten- 
magazin. Nach  zwei  weiteren  Musikstücken,  auf  die  die  professionellen  »Abhö- 
rer« der  SFR-Jugendredaktion  nicht  weiter  achteten,  lief  ein  telefonischer  Be- 
richt vom  Prozess  gegen  die  afro-amerikanische  Bürgerrechtlerin  Angela  Davis. 
Die  aufgewühlte  Stimmung  im  Saal,  im  und  vor  dem  Gerichtsgebäude  übertrug 
der  Reporter  ins  Ostberliner  Studio  und  von  dort  an  die  Rundfunkgeräte  in 
Ost-  und  Westberlin.  DT  64  spielte  dann  den  »Angela-Davis-Protestsong«  in 
englischer  Sprache  und  übersetzte  jede  Strophe  einzeln. 

Dem  folgten  die  Einblendungen  des  DT  64-Kundendienstes,  einer  seit 
1964  bestehenden  Rubrik,  die  damit  verbundene  Rätselfrage  war  von  drei 


645  BArch  B,  DR  6/808  c unpag.,  Pfister,  Beschlußprotokoll  Nr.  21/69  der  Komiteesitzung  am  19.8. 
1969,  S.  1-4,  S.  2.  TOP  I:  Zwischenkontrolle  über  die  Verwirklichung  der  Sendepläne  zum  20.  Jahrestag 
der  DDR. 

DRA,  P.-Bblg,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  SFB,  Nr.  3721,  Abt.  Familienprogramm,  Jugendsen- 
dungen im  DDR-Hörfunkprogramm,  Dienstag  16.3.1971,  Jugendstudio  DT  64  »Junge  Leute  Heute«  - 


Musiktiteln  umschlossen.  In  einem  fünfminütigen  Beitrag  wurden  vier  Lehrlin- 
ge für  Maschinen-  und  Anlagenmontage-Bau  interviewt  und  an  ihrem  Beispiel 
dieser  neue  Beruf  vorgestellt. 

Nach  Grüßen,  einigen  Musiktiteln  sowie  einem  Bericht  über  die  »Kreisde- 
legiertenkonferenz im  Kabelwerk  Oberspree«  begann  Pulsschlag  der  Zeit  um 
17.30  Uhr.  Damit  war  das  Ende  »der  eigentlichen  Sendung  für  junge  Leute«647 
erreicht,  wie  die  SFB-Jugendredaktion  urteilte. 

Jugendstudio  DT  64  war  1971  eine  Musiksendung,  die  in  jeder  halben  Sen- 
destunde ein  »politisches«  Thema  einblendete.  Den  »Wort«-Anteil  erhöhten 
Veranstaltungshinweise,  Buchvorstellungen  und  Beiträge,  die  der  Berufslen- 
kung dienten. 

Die  Präsenz  des  »Disk-Jockeys«  war  in  einer  DT  b4-Sendung  von  ent- 
scheidender Bedeutung.  Moderator  Peter  Salchow  eröffnete  Ende  Juli  1971 
eine  Sendung  folgendermaßen:  »Und  schon  wieder  ist  Jugendstudio  auf  der 
Welle,  von  - ach  ja,  3 Minuten  sind  schon  weg  - aber  bis  19.30  machen  wir 
durch,  wirklich.«  Er  blendete  kurz  Musik  ein.  »Ja,  und  da  haben  wir  heute  wie- 
der«, so  Salchow,  »dieses  bekannte  Telefon:  drrrrei  mal  die  5,  4 drrrrei  eins  in 
Berrrrlin.«648  Wieder  zog  der  DJ  die  Musik  hoch.  Die  Musik,  die  der  >Jockey< 
»aus  der  Rückblendung  immer  wieder  in  den  akustischen  Vordergrund«  holte, 
erzeugte  Schwung  und  ließ  das  Studio  als  hektischen  und  kreativen  Raum 
erscheinen. 

5.1 .7.4.3  Sinnvolle  Freizeitgestaltung  und  die  X.  Weltfestspiele. 

Neue  Aufgaben  für  DT  64 

Die  ZK-Jugendabteilung  schlug  im  Frühjahr  1971  gegenüber  Reginald  Grim- 
mer - inzwischen  Vorsitzender  des  Staatlichen  Komitees  für  Rundfunk  - vor, 
»die  verschiedenen  Präsentationen  sinnvoller  Freizeitgestaltung  stärker  in  den 


647  DRA,  P.-Bblg,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  SFB,  Nr.  372 1,  Jugendsendungen  im  DDR-Hörfunk- 
programm,  16.3.1971,  S.  3. 

648  Jörg  Hansberger:  Der  Discjockey,  in:  Siegfried  Helms  (Hg.):  Schlager  in  Deutschland.  Beiträge 
zur  Analyse  der  Populärmusik  und  des  Musikmarktes,  Wiesbaden:  Breitkopf  & Härtel  1972,  S.  276-294, 
S.  285.  [Diskjockey  Peter  (Salchow),  Jugendstudio  Radio  Berlin,  Ost,  30.7.1971]. 


260 


Mittelpunkt  von  DT  64  zu  rücken,  um  darüber  die  sozialistische  Erziehungsar- 
beit zu  verbessern.«649  In  der  Folge  wurde  der  DT  64-Klub  eingeführt,  der  das 
Soldatenmagazin  ersetzte.  Etwas  später  rechtfertigte  Grimmer  die  Entschei- 
dung des  Berliner  Rundfunks , DT  64  auch  sonnabends  zu  senden,  mit  den  darin 
aufgezeigten  Tipps  für  musikalische  Freizeitbeschäftigung.6''0  Am  30.  Januar 
1971  lief  die  erste  Sendung  des  DT  64-Musikstudios  an  einem  Samstagnachmit- 
tag.651 Musiktitel  der  Dresdner  Musikstudenten  Elektra-Combo  und  der  ungari- 
schen Progressive-Rockband  Omega  gefielen  den  Hörern.6'’2  Die  Zentrale  Tanz- 
musikredaktion gestaltete  für  den  Berliner  Rundfunk  eine  Stereo-Schlagerpara- 
de. DT  64  übernahm  diese  schnell  ins  Programm.  Uber  diese  Wege  sollten  in 
»massenwirksamer  Form  die  erfolgreichsten  DDR-Produktionen«  vorgestellt 
und  das  »DT  64  Musikstudio  >Beat<«655  ergänzt  werden. 

In  der  Vorbereitung  der  X.  Weltfestspiele  ergaben  sich  Entwicklungen,  von 
denen  DT  64  langfristig  profitieren  sollte.  So  förderte  die  »Rhythmus  71«- 
Aktion  (1971)  die  Entstehung  neuer  jugendgemäßer  Tanzmusiktitel.654  Die 


649  SAPMO-BArch,  DY  30  tV  A 2/16/124  unpag.,  Vorsitzender  des  SRK,  Reginald  Grimmer,  an 
Abteilung  Jugend  ZK,  Siegfried  Lorenz,  Betr.:  Gedanken  zur  Programmen  des  Deutschen  Demokrati- 
schen Rundfunks  infolge  der  Aussprache  vom  3.  März  zu  Problemen  der  Freizeitgestaltung  der  Jugend 
und  der  Erziehung  Jugendlicher  im  Freizeitbereich,  Berlin  21.4.1971,  S.  1-4,  S.  1. 

650  Ebd.,  S.  5. 

651  BArch  B,  DR  6/440  unpag.,  Staatliches  Komitee  für  Rundfunk,  Stellv.  Vorsitzender  Dr.  W.  Sydow, 
Komiteevorlage  2/7 1 , Bericht  über  die  Tätigkeit  des  Staatlichen  Komitee  für  Rundfunk  November/De- 
zember 1970,  Berlin  20.1.1971,  S.  1-34,  S.  12.  [Die  Redaktionen  Tanzmusik  und  DT  64  beginnen  nach  Er- 
arbeitung einer  gründlichen  Konzeption  am  30.1.1971  mit  einer  neuen  gemeinsamen  Sonnabend-Nach- 
mittags-Tanzmusik- Reihe  »DT  64-Musikstudio«] . 

652  BArch  B,  DR  6/  440  unpag.,  Internes  Material  nur  für  den  Dienstgebrauch,  DT  64-Postbulletin, 
Januar  1971,  1/1971,  S.  1-5,  S.  3.  Electra,  Schritte,  Bernd  Aust,  LP  Dann  bist  Du  da,  Amiga  8 55248,  1971. 
URL:  http://eastalgia.com/series/amiga/855%20200%20series_files/image026.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9. 
2010],  und  ein  Stück  »Gyöngyhaju  Lany«,  vom  1969  erschienenen  Omega  -Album  »10.000  Lepes«  (Zehn- 
tausend Schritte)  http://www.ostbeat.de/Omega.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

653  BArch  B,  DR  6/446  unpag.,  Weißbach,  Stellvertreter  des  Vorsitzenden  des  Staatlichen  Komitee 
für  Rundfunk,  Führungsvorgabe  für  die  Ausarbeitung  des  Jahresplanes  1972,  Berlin  9.7.1971,  S.  1-27,  S.  6. 
[Endgültige  Fassung  für  die  Sitzung  vom  9.7.1971]. 

654  BArch  B,  DR  6/704  unpag.,  [Sekretär  des  Komitee,  Vötter]  Beschlußprotokoll  3/72  der  Komitee- 
sitzung vom  18.1.1972.,  Tagesordnungspunkt  2:  Konzeption  zur  Weiterführung  der  Arbeit  auf  dem  Gebiet 
der  Tanzmusik«,  S.  1-4,  S.  4.  [Anwesend:  Inge  Schmidt  ZK;  Kollegium  Musik  Hattwig,  Deim,  Fliegei,  Sei- 
dowsky] . 


2ÖI 


polnischen  Beat-Bands  »Czerwony  Gitary«  (Rote  Gitarren)  und  »Skaldowie« 
(Die  Skalden)  waren  Vorbilder  für  die  neue  Tanzmusik-Initiative.  Für  »Rhyth- 
mus 72«  (1972)  kündigte  das  Staatliche  Rundfunkkomitee  60  Beat-Produktio- 
nen und  etwa  100  neue  Schlager  an,  und  begründete  dies  mit  dem  Vorhaben, 
einer  »feststellbaren  Stagnation  innerhalb  der  populären  jugendgemäß  wirksa- 
men DDR-Tanzmusik«  begegnen  zu  wollen.65'' 

Im  ersten  Halbjahr  1973  verband  der  staatliche  Rundfunk  eine  Vielzahl 
unterschiedlicher  Aktionsformen  mit  der  Werbung  für  die  offene,  bunte,  inter- 
nationalistische und  solidarische  DDR.  Im  Juli  1973  bestätigte  das  Rundfunk- 
komitee das  Programmschema  der  Festival- Welle  zu  den  X.  Weltfestspielen.6-''6 
Sie  sollte  »ein  fließendes  Programm«  sein,  »das  die  Vielgestaltigkeit  des  Tages- 
geschehens einfängt.«657  War  DT  64  auch  nicht  alleiniger  Träger  dieser  Festi- 
val-Welle, prägten  die  Mitarbeiter  des  Jugendstudios  und  der  Jugendsendungen 
anderer  DDR-Sender  wesentlich  deren  Profil. 

Der  Berliner  Rundfunk  wurde  weder  im  Vorfeld  der  Weltfestspiele  1973 
noch  in  deren  Nachbereitung  zu  einem  Jugendsender  umgestaltet.  Der  DDR- 
Rundfunk  verschleppte  die  Entscheidung  über  einen  Jugendsender  bis  1986. 
Anlässlich  des  40jährigen  Jubiläums  der  FDJ  am  7.  März  1986  wurde  DT  64  auf 
die  Zeit  von  13  bis  24  Uhr  ausgedehnt.  Im  Dezember  1987  waren  DT  64  und 
die  Sendung  Hallo!  (Stimme  der  DDR)  zum  Jugendradio  DT  64  fusioniert  wor- 
den. Dann  gab  es  täglich  zwanzig  Stunden  Hörfunk  für  Jugendliche  in  der 
DDR658,  in  Westberlin  und  im  westdeutschen  Zonenrandgebiet. 


655  BArch  B,  DR  6/62  3 unpag.,  Kurt  Ehrich,  stellvertretender  Vorsitzender  des  Staatlichen  Komitees 
für  Rundfunk,  an  Eberhard  Fensch,  stellvertretenden  Leiter  der  Abt.  Agitation  beim  ZK  der  SED,  Betr.: 
Kooperation  des  Rundfunks  mit  Schallplatte,  DFF,  Zentralrat  der  FDJ  im  Rahmen  der  Aktion  »Rhythmus 
72«,  Berlin  9.2.1972,  S.  1-2,  S.  1.  [BArch  B,  DR  6/623  unpag.,  Rudi  Singer  an  Eberhard  Fensch,  Betr.: 
Rhythmus  1972,  Berlin  27.11.1972,  S.  1.  »Als  Anlage  die  bereits  angekündigte  Schallplatte  »Rhythmus 
72«.  Viel  Spaß  beim  Abhören.  Die  Lautstärke  kannst  du  ja  selbst  bestimmen.  Ich  möchte  Dir  im  Namen 
unserer  Genossen  dafür  danken,  dass  Du  und  Deine  Genossen  in  der  Zeit  der  Vorbereitung  und  auch 
Durchführung  von  »Rhythmus  72«  so  aktive  Mitgestalter  und  Berater  warst.«]. 

656  BArch  B,  DR  6/767  a unpag.,  Sekretariat  des  Komitees,  Pfister,  BP  26/73  der  Komiteesitzung 
vom  24.7.1973,  S.  1-4. 

BArch  B,  DR  6/  767  a unpag.,  Berliner  Rundfunk,  Org.-Büro  Weltfestspiele,  Programmschema 
der  Festivalwelle  und  des  UKW-Programms,  Berlin  Juli  1973,  S.  1-17,  S.  1. 

658  Edward  Larkey:  Rockradio,  2007,  S.  184. 


2Ö2 


5.1.8  Das  Populäre  als  Versicherung  von  Hörerbindungen  und 
Kommunikation.  Die  Auseinandersetzungen  um  Sound  im  DDR-Hörfunk. 

Ein  Zwischenfazit 

Der  Sondersender  DT  64  während  des  Piingsttreffens  1964  führte  verschiedene 
bereits  vorher  im  DDR-Rundfunk  angelegte  Stränge  populärer  Präsentations- 
weisen zusammen.  Das  umschloss  auch  die  aggressive,  aber  unterhaltende  Agi- 
tation gegen  die  westlichen  »Gegner«.  Die  neue  Melodie,  die  das  SED-Jugend- 
kommunique  1963  ausgesandt  hatte,  übertrug  Jugendstudio  DT  64  an  die  End- 
geräte. Allerdings  war  Popmusik  nicht  mit  den  in  den  Rundfunkanstalten  herr- 
schenden musikästhetischen  Vorstellungen  zu  vereinen.  Für  die  1960er  Jahre 
können  unter  der  Bezeichnung  Popmusik  Stile  eingeordnet  werden,  die  in 
Instrumentierung,  Bearbeitung  und  Präsentation  jenseits  der  Wahrnehmungs- 
horizonte staatssozialistischer  Tanzmusikredakteure  lagen.  Trotzdem  klang  der 
Sound  des  DDR-Rundfunks  in  Jugendstudio  DT  64  durch  die  verwendeten 
westlichen  Musiktitel  deutlich  mehr  nach  Weitläufigkeit  und  Aufgeschlossen- 
heit als  andere  Formate.  In  der  Sendung  Pulsschlag  der  Zeit,  die  im  Anschluss  an 
Jugendstudio  DT  64  lief,  drängten  die  ideologischen  Positionen  der  Partei  deut- 
licher in  den  Vordergrund. 

Die  Beziehungen  innerhalb  des  DDR-Rundfunks  und  gegenüber  kultur- 
und  jugendpolitischen  Institutionen  waren  sehr  spannungsgeladen.  An  der  Mu- 
sikpolitik des  Rundfunks  entzündeten  sich  regelmäßig  Differenzen  zwischen 
den  kulturpolitischen  Institutionen,  wobei  die  Rollen  klar  verteilt  waren.  Dieses 
Konfliktfeld  blieb  bestehen,  weil  die  ZK-Abteilung  Agitation  für  die  Musikpo- 
litik  des  Rundfunks  zuständig  war,  die  ZK-Abteilung  Kultur  diese  Verantwor- 
tung aber  für  sich  beanspruchte.  Auch  das  1 1 . Plenum  löste  die  aufgesplitterten 
Zuständigkeiten  in  der  Musikpolitik  nicht  auf.  Der  Agitationsabteilung  des  ZK 
ging  es  um  ein  konsumentenfreundliches  akustisches  Umfeld  für  Verkauf  von 
Nachrichten,  Informationen  und  Neuigkeiten.  Die  ideologischen  Positionen 
der  Partei  sollten  auch  die  Hörer  erreichen.  Das  sollte  die  sozialistische  Mei- 
nungsbildung vor  eigensinnigen  Gegendeutungen,  Aufschlüsselungen  und 
Umschreibungen  schützen.  Die  ZK-Kulturabteilung  profilierte  sich  an  der 
Musikkritik  gegen  den  Rundfunk  und  zeigte  den  Anspruch,  Nationalkultur  und 
sozialistische  Kultur  zu  verknüpfen  und  gegen  westliche  Einflüsse  zu  schützen. 


263 


Eine  andere  Spannungslinie  ergab  sich  aus  der  Konkurrenz  zwischen  Rundfunk 
und  VEB  Deutsche  Schallplatte.  Die  Institutionen  näherten  sich  zwar  an,  aber 
diese  Entwicklung  musste  moderiert  werden.  Die  strukturelle  Fehlentwicklung 
in  der  Musikproduktion  verlangte  dagegen  wiederkehrende  Sofortmaßnahmen, 
die  die  Verkrustungen  aber  nur  kurzzeitig  auflockern  konnten.  Ab  1967  erreich- 
te das  Kulturministerium  eine  Annäherung  von  Rundfunk  und  »Schallplatte«, 
wobei  sogar  Ansätze  von  Zusammenarbeit  entstanden,  die  vor  dem  1 1 . Plenum 
nicht  vorstellbar  gewesen  wären. 

Nach  dem  »Kahlschlag«-Plenum  1965  schärfte  die  DT  64-Redaktion  ihre 
Programmkonzeption,  während  das  Staatliche  Rundfunkkomitee  (SRK)  und 
der  Berliner  Rundfunk  die  von  den  politischen  Akteuren  der  SED-Spitze  ange- 
mahnten Veränderungen  in  anderen  Bereichen  abarbeiteten.  Das  SRK  über- 
nahm die  Verantwortung  für  die  »kulturpolitische  Fehlentwicklung«  vor  dem 
1 1 . Plenum,  saß  zusammen  mit  der  ZK-Abteilung  Agitation  aber  in  der  Folge 
die  tatsächliche  Anwendung  der  Plenumsbeschlüsse  einfach  aus. 

Ab  Sommer  1966  löste  sich  die  Berichterstattung  von  DT  64  aus  der  Be- 
schränkung auf  Ostberlin  heraus.  Öffentliche  Aktions-  und  Wettbewerbsfor- 
men wie  Marktplatz  der  Sensationen,  Zusammenschaltungen  verschiedener  Re- 
gionalstudios und  tagelange  Sondersendungen  zum  FDJ-Pfingstreffen  1967, 
zum  20.  Jahrestag  der  Republikgründung  1969  oder  den  X.  Weltfestspielen 
1973  zeigten  eine  in  diesem  Programmsegment  vorhandene  Beweglichkeit,  die 
sich  trotz  der  strukturellen  Defekte  und  Beharrungskräfte  im  sozialistischen 
Rundfunk  behauptete. 

DT  64  erzeugte  schon  Ende  der  1960er  Jahre  das  akustische  Bild  eines 
Jugendsenders  für  die  gesamte  DDR,  obwohl  es  nominell  noch  beim  Berliner 
Rundfunk  angesiedelt  blieb.  Die  bestehende  Popularität  der  Sendung  war  die 
ganze  Zeit  hindurch  ein  Bezugspunkt  der  Rechtfertigungsbemühungen  der 
Verantwortlichen  gegenüber  dem  SRK.  Mit  dem  DT  64-Musikstudio  begann 
1971  eine  zweite  Profilierungsphase,  die  zu  Lasten  des  Berliner  Rundfunks  als 
»Hauptstadtsender«  ging.  Zwischen  1969  und  1972  brachen  die  Sendezeit- 
Begrenzungen  von  Jugendstudio  DT  64  nach  und  nach  auf.  Es  sollte  aber  noch 
bis  1987  dauern,  bis  DT  64  zu  einer  eigenen  Sendeanstalt  wurde  - die  dann 
lediglich  noch  drei  Jahre  für  Jugendliche  in  der  DDR  sendete. 


264 


5. 2 Westberlin-Pop.  SFB  und  RIAS  und  der  Lärm  von  den  Rändern  (1 961-1913) 


5.2.1  Der  Sender  Freies  Berlin,  schöne  Melodien  und  der  Pop-Underground 

Der  SFB  hatte  die  Tonfolge  »es-f-b«  als  Pausenzeichen  und  Senderkennung. 
Das  sollte  Beweglichkeit  und  Progressivität  ausdrücken.  Musiktheoretisch  ist 
das  Spiel  mit  Obertönen,  die  sich  auf  einen  bodenständigen  Grundton  B bezie- 
hen, äußerst  reizvoll.  Die  Fokussierung  auf  den  Grundton  B - wie  Berlin  - 
beschreibt  den  Sender  aber  auch  als  Ganzes.  Das  Berlin  des  SFB  war  West-Ber- 
lin, der  »freie  Teil  Berlins«,  zwischen  Weltstadtträumen  und  Schrebergartenge- 
mütlichkeit, Frontstadtrhetorik  und  gut-bürgerlichem  Konservatismus,  das  sich 
zwar  auch  an  die  »Brüder  und  Schwestern  in  der  Zone«  wandte,  aber  der 
Jugend  beider  Stadtteile  keine  Stimme  zu  geben  vermochte. 

Die  Abteilungen  Ernste  und  Leichte  Musik  hatten  über  die  Jahre  eine 
»Klangidentität«659  für  den  SFB  erarbeitet  und  in  zähen  Auseinandersetzungen 
um  die  Bedeutungen  und  Stellenwerte  von  Hochkultur  und  Unterhaltungsmu- 
sik hergestellt.  Auch  Sprechweisen  erzeugten  durch  ihre  Wiederholungen 
einen  wiedererkennbaren  Klang,  die  Stimmen  der  Kommentatoren  prägten 
den  Sound  der  Rundfunkanstalt  ebenfalls.  Der  SFB  unterschied  sich  sprachlich- 
inhaltlich vom  (Ost -)Berliner  Rundfunk  und  hob  sich  graduell  vom  Rundfunk  im 
Amerikanischen  Sektor  (RIAS)  ab. 

Die  SFR-Musikpolitik  bekräftigte  diese  Markierungen.  Dabei  ging  es  da- 
rum, die  Ausstrahlungskraft  des  vergangenen  »demokratischen«  Berlins  der 
1920er  Jahre  in  die  Sechziger  Jahre  hineinzutragen  und  die  unterschiedlichen 
musikalischen  Einflüsse  der  klassischen  Musik  und  der  deutschen  und  anglo- 
amerikanischen  Unterhaltungsmusik  der  Nachkriegszeit  miteinander  in  Bezie- 
hung zu  bringen.  Im  Idealfall  fügten  sich  diese  Teile  zusammen  und  erzeugten 
geringe  Streuverluste. 

Die  klangliche  »Präsenz«  des  Senders  wurde  durch  die  Musikredaktion 
geformt.  Sie  bestimmte,  was  gespielt  wurde,  welche  Musik  neu  angeschafft  oder 


659  Glenn  M.  Hudak:  The  »Sound«  Identity.  Music-Making  & Schooling,  in:  Cameron  McCarthy/ 
Glenn  Hudak/  Shawn  Miklaucic/  Paula  Saukko  (Hg.):  Sound  Identities.  Populär  Music  and  the  Cultural 
Politics  of  Education,  New  York/  Frankfurt:  Peter  Lang  1999,  S.  447-474,  S.  465. 


265 


aufgenommen  wurde  und  sogar,  welche  Tonträger  vom  Musikarchiv  gesammelt 
wurden.  Bereits  zwischen  unterhaltender  Gebrauchsmusik  und  der  »neuen«, 
jugendkulturell  kodierten  Popmusik  bestanden  unüberwindbare  geschmackli- 
che Grenzziehungen.  Setzten  die  Jugendsendungen  s-f-beat  und  wir  - um  zwan- 
zig klanglichen  Ressourcen  ein,  die  sich  jenseits  der  feststehenden  Grenzen  im 
bundesdeutschen  Rundfunk  spielbarer  Musik  befanden,  dann  störte  dies  zwangs- 
läufig das  Klangbild  des  SFB.  Dadurch  erhielt  die  bisherige  Soundscape  des  SFB 
Risse:  Jazz,  Country,  Twist,  Beat,  Soul,  Blues  und  Progressive  Rock  erzeugten 
Erschütterungen  und  Verwerfungen.  In  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  waren 
diese  Stile  kombinierbar.  Diese  Soundscape  Pop  im  SFB  erzeugte  dauerhafte 
Konflikte.  Für  viele  Kollegen  in  der  SFB-Musikredaktion  blieb  diese  Musik 
»Affengeschrei«  und  »Negermusik«,  wie  sich  s-f-beat-ReAzkte.m:  Hans-Rainer 
Lange  erinnert.660 

5. 2.1.1  Schöne  Musik.  Intendanz  und  Programmdirektion  und  die  Bewertung 
der  SFB- Musik 

Um  »schöne«  Musik  zu  spielen,  mussten  in  der  Wahrnehmung  der  Programm- 
direktion andere  Titel  eingesetzt  werden,  als  das  bei  s-f-beat  der  Fall  war.  Pro- 
grammdirektor Eberhard  Schütz  hörte  jeden  Morgen  das  SFB-Frühmagazin 
an.  Er  erkannte  inzwischen,  so  äußerte  sich  Schütz  im  Oktober  1969  gegenüber 
Chefredakteur  Peter  Pechei,  an  den  Zwischenmusiken,  welcher  Moderator  und 
welche  Redaktion  daran  mitwirke.661  Vielmehr  müsste  von  Zwischentexten  in 
einer  Musiksendung  gesprochen  werden,  so  Schütz,  als  von  einer  Wortsendung 
mit  musikalischen  Einspielungen.  Das  Frühprogramm  würde  zwischen  sechs 
und  acht  Uhr  oft  viel  zu  stark  nach  s-f-beat  klingen.  Zu  viele  englische  Gesangs- 
titel würden  dort  laufen,  fand  Schütz,  und  gelegentlich  würde  die  Vorliebe  eines 
Moderators  »für  Trompeten,  Hörner  oder  andere  Bläsersolisten«  überwiegen. 
Der  Programmdirektor  wollte  diese  Klänge  den  Berliner  Arbeitnehmern  in  der 


660  Zeitzeugeninterview  Hans-Rainer  Lange,  Berlin-Marienfelde  8.1.2007. 

661  DRA,  R-Bblg,  Schriftgut  Hörfunk  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Briefwechsel  Chefre- 
daktion, Programmdirektor  Schütz  an  Chefredakteur  Dr.  Pechei,  Betr.:  Zwischenmusiken  im  Frühmaga- 
zin, Berlin  9.10.1969,  S.  1. 


2 66 


frühen  Morgenstunde  nicht  zumuten,  sie  seien  »akustisch  allzu  penetrant.«662 
Der  RIAS  sei  in  dieser  Hinsicht  sehr  viel  geschickter,  weil  er  darauf  mehr  Rück- 
sicht nehme.  Die  Zeitfunk-Mitarbeiter  sollten  sich,  verlangte  Schütz,  mit  den 
Redakteuren  der  Musik-  und  der  Unterhaltungsabteilung  sowie  den  Experten 
der  Technik  darüber  verständigen,  welche  Musik  in  den  Magazinsendungen  des 
Früh-,  Mittags-  und  Abendprogramms  zu  spielen  waren.  Chefredakteur  Pechei 
befürwortete  einige  Tage  später  gegenüber  Programmdirektor  Schütz  ein 
gemeinsames  Gespräch  über  das  Musikprogramm  der  Zeitfunk-Magazine.  Der 
für  den  Hörfunk  zuständige  Stellvertreter  Pecheis,  Dieter  Käufler,  hatte  diese 
Beschwerde  des  Programmdirektors  über  das  zu  »einseitige  Musikprogramm 
der  Magazine«  an  die  Musikredaktion  weitergegeben.  Käufler  entschied,  dass 
die  Musikprogramme  künftig  nicht  mehr  von  den  Moderatoren  eigenmächtig, 
sondern  »nur  im  Zusammenwirken  und  im  Einverständnis«66-’  mit  der  Redak- 
tion Tanzmusik  gestaltet  werden  düften.  Bereits  im  Juni  1968  hatte  Pechei  ge- 
genüber Schütz  betont,  dass  er  eine  enge  Zusammenarbeit  zwischen  Magazin- 
und  Tanzmusik-Redaktion  als  »sehr  dringlich  erforderlich«664  ansah.  Nur  das 
Mittagsmagazin  werde  von  der  Tanzmusikredaktion  musikalisch  betreut,  Früh- 
echo und  das  Vormittagsprogramm  Rund  um  die  Berolina  versorgten  sich  selbst 
mit  Musiktiteln.  Trotz  dieser  Klärungsversuche  war  das  Feld  der  Musikpolitik 
im  SFB  mehr  durch  Abstimmungsverluste  gekennzeichnet  als  durch  tatsächli- 
che Kooperation. 

Die  SEB-Jugendredaktion  erhielt  die  Tonträger  direkt  von  den  Plattenfir- 
men und  spielte  diese  Titel  bereits,  bevor  sie  im  Postfach  des  SEB-Musikarchi- 
ves  eingingen.  Da  wir  - um  zwanzig  am  Sonntagabend  einen  Sendeplatz  am 
Rand  des  ersten  SEB-Programms  hatte,  wog  dies  ab  Herbst  1965  noch  nicht  so 
schwer.  Mit  s-f-beat  veränderte  sich  allerdings  diese  Konstellation. 


662  Ebd.,  S.  1. 

663  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Chefredaktion,  Dr. 
Peter  Pechei  an  Programmdirektor  Eberhard  Schütz,  Betr.:  Musikprogramm  der  Zeitfunk-Magazine, 
Berlin  17.10.1969,  S.  1. 

664  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Chefredakteur  Dr. 
Peter  Pechei  an  Programmdirektor  Eberhard  Schütz,  Betr.:  Zu  klärende  Punkte  im  neuen  Hörfunkpro- 
grammschema, Berlin  27.6.1968,  S.  1-2,  S.  1. 


267 


»Niemand  darf  durch  die  Musik  abgestoßen  und  verärgert  werden.«665  An 
diese  1972  ausgesprochene  Maßgabe  hatte  sich  auch  s-f-beat  zu  halten.  So  stand 
es  in  einem  Positionspapier  der  Chefredaktion  zu  den  Vorschlägen  der  »Strukt- 
urkommission.« Zu  diesem  Zeitpunkt  beriet  die  SFB- Spitze  eine  Programmre- 
form, die  SFB  II  zu  einer  »leichten  Unterhaltungswelle«  umgestalten  sollte.  03 
und  BBC  Radio  1 waren  Vorbilder  für  eine  »leichte  Welle.«666  Das  ästhetische 
Zeichen  »Luxemburg«  wurde  nicht  erwähnt,  weil  es  eine  reflexartige  Ableh- 
nung ausgelöst  hätte.  Aber  eine  ähnliche  stromlinienförmige  Durchhörbarkeit 
wollte  der  SFB  in  seinem  2.  Programm  erzielen.  Herwig  Friedag  hatte  bereits 
einige  Zeit  vorher  03  als  »ein  betont  progressives  Unterhaltungsprogramm  mit 
dicht  gesetzten  Informationsakzenten«  und  mit  stündlichen  Nachrichten  be- 
schrieben.667 Ö3  war  deshalb  erfolgreich,  weil  die  Hörer  jederzeit  leichte,  pro- 
blemlose Musik  konsumieren  konnten  und  der  musikalischen  Klang  und  das 
Programmschema  gleich  blieb.  Beim  SFB  war  dies  weder  1969  noch  1972  in 
dieser  Form  der  Fall.  Der  Sendeplatz  von  s-f-beat  stand  zwar  nicht  in  Frage, 
aber  die  darin  gespielte  Musik  passte  nicht  ins  »leichte«  Gesamtprogramm  der 
zweiten  SFB- Welle. 

5 .2 . 1 .2  Schöne  Musik.  Hörbarkeit  und  Lärm. 

Individuelle  Musikpolitiken  in  s-f-beat 

Um  Hörbarkeit  und  musikalische  Attraktivität  stritt  aber  auch  die  Jugendredak- 
tion selbst.  Dabei  ging  es  um  Andersartigkeiten  und  Vielfalt,  s-f-beat  und  wir  - 
um  zwanzig  waren  akustische  und  auditive  Texte  aus  Meldungen,  Moderationen 


665  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6576,  (Chefredaktion), 
Herwig  Friedag,  Betr.:  Strukturkommission.  Stellungnahme  zum  Programmvorschlag  der  Strukturkom- 
mission als  Beitrag  für  das  Gespräch  am  5.9.  bei  Herrn  Barsig,  Berlin  30.8.1972,  S.  1-9,  S.  3. 

666  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6576,  (Abt.  Unterhaltung) 
Peter  Lichtwitz,  Götz  Kronburger,  Alfred  Jack,  Protokoll  der  Sitzung  der  Programmstruktur-  Kommission 
mit  den  Vertretern  der  Hauptabteilungen  Unterhaltung  und  Musik  am  16.2.1972,  Berlin  24.2.1972,  S.  1-3. 

667  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3011,  Chefredaktion,  Dr. 
Peter  Pechei  an  Programmdirektor  Schütz,  Betr.:  Programmstruktur  und  Produktionsmethoden  des  Hör- 
funks des  Österreichischen  Rundfunks,  Berlin  9.12.1969.  Anlage:  Herwig  Friedag,  Information  und 
Dokumentation  im  Österreichischen  Rundfunk,  Berlin  24.11.1969,  S.  1-10,  S.  2. 


268 


vmd  Musiktiteln.  Sie  waren  schnelle  Aneinanderreihungen  von  Zitaten,  Ein- 
blendungen und  Verweisen.  Dadurch  verwoben  sich  Sounds,  Stile,  redaktionel- 
le Beiträge  und  stimmliche  Präsentation  zu  einem  »Eindrucksteppich.«  Sie  er- 
möglichten die  persönlichen  Kartografien  von  Klängen. 

Wichtig  dafür  waren  auch  »spots«  und  »jingles«.  Das  waren  die  neuen 
Zwischentöne  und  Erkennungsmarken  einer  Sendung,  die  in  aufwendigen  Ver- 
fahren zusammengeschnitten  wurden.  Fünfzehn  verschiedene  Kurzeinspielun- 
gen kamen  bei  s-f-beat  zum  Einsatz.  Schreie  wie  »Oh  no«,  Trommelwirbel  mit 
Geräuschen,  Lachsack-Lachen  oder  ein  enervierender  Heulton668  erschreckten 
Westberliner  Eltern  und  andere  besorgte  Erzieher. 

Die  »Band-Jockeys«  vor  den  Mikrofonen  wählten  die  Musik  selbst  aus.  Die 
Wunsche  der  Hörer,  die  diversen  internationalen  Hitparaden  und  der  persönli- 
che Geschmack  der  Disk-Jockeys  bestimmten  die  Musikzusammenstellung.669 
Drei  Sprecher  hatte  s-f-beat  1968. 670 

1970  prägten  Minderheitenmusiken  das  Klangbild  von  s-f-beat.  So  empfand 
es  zumindest  der  Moderator  Uli  Herzog.  Er  wollte  nicht  nur  ein  politisiertes, 
subkulturell  aktives  Schüler-  und  Studentenpublikum  ansprechen,  sondern 
auch  die  Hörer,  die  in  sechzig  Minuten  s-f-beat  einfach  das  »easy  listening«,  die 
hübsche  Melodie,  das  einfallsreiche  Arrangement,  den  Ohrwurm  konsumieren 
wollten.  Ihm  ging  es  um  Klänge  und  Songs,  die  keine  endlosen  Gitarrensoli 
enthalten  würden,  aber  heraushörbar  seien.671  Underground-Musik  könnten 


668  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/47,  s-f-beat  am 
Dienstag  10.10.1972,  1404.  Sendung.  [1.  SCHREI,  Oh,  no!,  3s;  2.  Trommel  + Einsatz,  Mono,  5 sec;  3. 
Schrei,  Mono,  2 s;  4.  Flash,  9s;  5.  Lachen,  8 s;  6.  Trommelwirbel  2x  + Geräusch,  6s;  7.  Sprechgesang, 
»You’re  the  one«,  Mono,  14s,  8.  Musik  + Geräusch,  15s,  9.  Orgel  + Geräusch,  17s,  10.  Musik  + Geräusch, 
20s,  11.  Away,  22s;  12.  Heulton,  28s,  13.Vibration,  26s;  14.  Musik,  32s,  15.  Summertime  Blues]. 

669  DRA,  R-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2702/1 1,  Ablage,  Allgemei- 
ne Korrespondenz  ab  1968,  SFB/  Abt.  Jugendsendungen,  Ulrich  Herzog,  an  Herrn  Grissemann,  Öster- 
reichischen Rundfunk  Wien,  20.9.1968,  S.  1-2,  S.  2. 

670  Ebd.,  S.  1.  Montags  und  mittwochs:  Ulrich  Herzog,  Dienstag  und  Freitag:  Hans  Rainer  Lange, 
Donnerstag:  Hans-Dieter  Frankenberg. 

671  DRA,  R-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/20,  s-f-beat-  Sendung 
Nr.  917  vom  Mittwoch  4.11.1970,  18.30-19.30  Uhr,  Ulrich  Herzog:  Live-Sprecher,  Musikauswahl;  Hans 
Rainer  Lange:  Musikauswahl,  Selbstbeschreibung  von  s-f-beat,  o.D.  (Nov.  1970),  o.A.  S.  1-2,  S.  1.  (höchst 
wahrscheinlich  ist  Uli  Herzog  der  Verfasser,  da  er  diese  Sendung  moderierte)  S.  1. 


269 


sich  die  Hörer  zu  Hause  auf  dem  eigenen  Plattenspieler  oder  zusammen  mit 
Freunden  anhören,  schlug  Herzog  vor.  Die  sechzig  Minuten  s-f-beat  würden 
dadurch  überfrachtet,  fand  er.  Pink  Floyds  ersten  beiden  Platten  (»The  Piper  at 
the  Gates  of  Dawn«  und  »A  Saucerful  of  Secrets«672),  dem  »Sergeant  Pep- 
per«-Album  der  Beatles  und  der  ersten  Frank  Zappa-Produktion  mit  den 
»Mothers  of  Invention«  bescheinigte  Herzog  noch  gute  Einfälle,  geschickte 
Arrangements,  klare  Melodieführungen  und  eine  Selbstbegrenzung  auf  Drei- 
Minuten-Stücke.  Alles,  was  diese  und  andere  Künstler  danach  aufnahmen,  ging 
ihm  aber  zu  weit,  und  erschien  ihm  als  nicht  im  SFB  spielbar.  Herzog:  »Ich  will 
das  Easy  Listening,  um  Sie  zu  unterhalten  in  dieser  wichtigen  Sendezeit  zwi- 
schen halb  sieben  und  halb  acht  und  um  Sie  dabei  zu  informieren.«673  »El 
Condor  pasa«  oder  auch  »Bridge  over  troubled  water«674  von  Paul  Simon  und 
Art  Garfunkel  sowie  Ray  Dorsets  Band  Mungo  Jerry  mit  »In  the  summerti- 
me«675 führte  Herzog  an,  um  seiner  j'-^^eÄf-Musikkonzeption  Ausdruck  zu  ver- 
leihen. Seine  Mittwochs-Sendungen  klangen  fortan  deutlich  weicher  als  die  sei- 
ner Kollegen. 

5. 2. 1.3  s-f-beat  als  Kompass  für  die  Trends  transnationaler  Popmusik  in  Berlin 

s-f-beat  führte  die  klanglichen  Kennungen  der  urbanen  afro-amerikanischen 
counter-culture  (Soul  und  Disco)  mit  den  Sounds  »weißer«  Mittel-  und  Ober- 
schichtsjugendlicher (Grassroots-Folk,  Hippie  Rock  und  Surf)  zusammen  und 
verschaltete  diese  beiden  mit  den  Ausläufern  der  britischen  Beat -Welle,  die  ab 
Mitte  der  1960er  Jahre  Soul  und  Hard  Rock  aufnahmen.  Dadurch  wurden  diese 
Sounds,  die  als  unterhaltungsindustrielle  Produkte  bereits  aus  den  ursprüngli- 
chen Entstehungskontexten  herausgelöst  waren,  in  neue  Bezugsrahmen  gesetzt. 


672  Pink  Floyd,  A Nice  Pair-The  Piper  at  the  Gates  of  Dawn,  (Harvest)/EMI  Records  1967,  5078- 
50203.  Pink  Floyd,  A Saucerful  of  Secrets,  (Harvest)/EMI  Records  1968,  50  78-50204. 

673  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/20,  4.1 1.1970,  Selbst- 
beschreibung  von  s-f-beat,  S.  1. 

674  Simon&  Garfunkel,  El  Condor  Pasa,  Paul  Simon/  Jorge  Milchberg,  B-Seite:  Why  don’t  you  write 
me,  7”,  CBS  4895,  1970.  Siehe  LP  »Bridge  over  troubled  water«  CBS  S 63  699. 

675  Mungo  Jerry,  In  the  summertime,  Ray  Dorset,  B-Seite:  Mighty  man,  7”,  Pye  Records  DV  1 1077, 

1970. 


270 


Sie  nahmen  wiederum  andere  Bedeutungen  für  die  Berliner  Popkonsumenten  auf. 

»Sinn  des  Musikteils  in  >s-f-beat«<  sei  es,  so  stellte  die  verantwortliche 
Abteilungsleiterin  Susanne  Fijal  gegenüber  der  Programmdirektion  im  Novem- 
ber 1970  heraus,  »Hörer  über  die  aktuelle  Popmusik  zu  informieren.«676  Des- 
halb setzten  die  Moderatoren  auch  die  Tonträger  ein,  sobald  sie  damit  von  den 
Schallplattenfirmen  bemustert  wurden,  ohne  eine  Abspeicherung  im  SFB- Rund- 
funkarchiv abzuwarten. 

Diese  Selbständigkeit  in  der  Musikauswahl  verteidigte  die  Abteilungsleite- 
rin als  Privileg,  denn  darüber  erklärte  sich  die  Popularität  der  Sendung.  Die 
neuesten  Titel  aus  den  US-amerikanischen  und  britischen  Hitparaden  würden 
AFN,  BFBS  und  das  deutsche  FßC-Programm  wesentlich  früher  bringen.  Die 
Zielgruppe  würde  diese  Stücke  auch  in  ihrer  Jugendsendung  erwarten.  Deshalb 
schnitten  die  s-f-beat  Moderatoren  »die  wichtigen  Platten  meist  am  gleichen 
Tage  um«,  an  dem  sie  die  Redaktion  erreichten.  Der  SFB  strebte  danach,  aktu- 
ell zu  informieren.  Das  musste  auch  für  Popmusik  gelten.  Der  Verweis  auf  die 
Osthörer  war  unausgesprochen  daran  angehängt.  1967  konnte  die  SFF-Jugend- 
redaktion  noch  nicht  in  vergleichbarer  Weise  auf  diese  Informationswerte  von 
Popmusik  zugreifen.  Der  Bestand  des  Schallarchivs  »an  aktueller  Beat-Musik 
war  zu  klein,  um  damit  täglich  60  Minuten  füllen  zu  können.  «677 

Die  Abteilung 

Tanzmusik  des  SFB  hatte  dieses  Musikgebiet  nicht  wahrgenommen.  Popmusik 
fand  erst  über  s-f-beat  Eingang  in  das  musikalische  Profil  des  SFB.  s-f-beat  ver- 
nachlässigte dabei  gezielt  deutschsprachige  Titel  und  Künstler.678  Die  Jugend- 
sendung hatte  eine  englischsprachige  sound  identity , die  sich  aus  amerikanischer 
Underground-Musik,  den  Ausläufern  des  britischen  Beats  sowie  einprägsamen 
Frauenstimmen  speiste. 


676  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  2668,  Abteilung  Familien- 
programm,  Susanne  Fijal  an  Programmdirektion,  Herr  Döring,  Betr.:  Musiktitel  in  »s-f-beat«,  Berlin 
27.11.  1970,  S.  1-3,  S.  1. 

677  Ebd.,  S.  2. 

678  Als  frühes  Beispiel:  Am  14.6.1967  lief  »Die  Rose  war  rot«,  komponiert  von  Gerd  Natschinski, 
nach  einem  Text  von  Franz-Josef  Degenhardt.  Der  DEFA-Schauspieler  Gerry  Wolf  sang.  Hansa  Music, 
19478,  1967,  4’05,  Amiga,  8 50  073,  Die  Rose  War  Rot:  Schlagerchansons  Unserer  Tage,  1967.  URL: 
http://  www.discogs.com/image/R-487494-1122022593.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


271 


5. 2. 1.3.1  American  Pop  und  die  britische  Musikszene  nach  »Beat«. 
Die  Vielfalt  der  Stile 


Die  Klangwelt  der  afro-amerikanischen  Minderheit  in  den  USA  wurde  durch 
Blues-  und  Soulmusik  für  junge  Berliner  Hörer  konsumierbar.  Die  innergesell- 
schaftlichen Auseinandersetzungen  in  den  USA  (zum  Beispiel  Free  Speech 
Movement  und  Black  Panthers),  auf  die  dieser  Sound  immer  wieder  verwies, 
konnten  auch  auf  das  Beteiligungsversprechen  in  der  bundesrepublikanischen 
Demokratie  und  deren  Abwehrhaltungen  bezogen  werden.  Die  Prägungen  von 
»race  music«  oder  R’n’B,  die  diese  in  der  US-amerikanischen  Rundfunkland- 
schaft inne  hatten,  verloren  bei  der  Ausstrahlung  in  Deutschland  vollständig 
ihren  Bezugsrahmen. 

Motown  Soul,  Jazz,  Disco-Funk,  Folk,  Country  Rock  und  counter-culture 
waren  auf  privaten  Radiostationen  in  den  Vereinigten  Staaten  nicht  einmal 
annähernd  so  kombinierbar,  wie  die  s-f-beat- DJs  in  ihren  Musikprogrammen 
damit  verfuhren.  Für  s-f-beat  war  spannend,  was  nicht  deutsch  war.  »Weißer« 
Country  Rock  konnte  vor  oder  nach  einem  schwarzen  »Soultitel«  gespielt  wer- 
den, weil  die  Bezüge  und  Verweise  des  Herkunftslandes  USA  nicht  galten. 

Mit  zwei  amerikanischen  »Boygroups«  eröffnete  Hans  Dieter  Frankenberg 
am  11.  September  1967  679  die  s-f-beat- Sendung:  »Soulfinger«  von  Bar-Kays 680 
und  »I  believe  in  nothing«  von  The  Happenings,  der  B-Seite  ihrer  1967er  US- 
Hit-Single  »My  Mammy«.681  Ks  folgte  das  kalifornische  Quintett  Harpers  Bi- 
zarre mit  »Malibu  U«.682  Die  ehemalige  Surf-Band  aus  Santa  Cruz  hatte  von 
Warner  Brothers  ein  verkaufsförderndes  Schwiegersohn-Image  verpasst  be- 


679  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6041/9,  s-f  -beat,  11.9. 
1967,  18.30-19.30  Uhr,  126.  Sendung,  Hans-Dieter  Frankenberg:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Hans- 
Rainer  Lange:  Aufnahmeleitung. 

680  The  Bar-Kays,  Soul  Finger,  Phalon  Jones/Jimmy  King,  B-Seite:  Knucklehead,  7”,  Stax  601014 
1967.  URL:  http://staxrecords.free.fr/barkays.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

681  The  Happenings,  I believe  in  nothing,  Mitchell  Margo/Philipp  Margo/Henry  Medress,  A-Seite: 
My  Mammy,  7”,  London  DL  20839,  1967,  2’30,  URL:  http://www.thehappenings.com  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010],  USA:  T Single  B.T.  Puppy  530,  Release  8/1967. 

Harpers  Bizarre,  Malibu  U,  Bonustrack  der  LP:  Anything  Goes,  USA  Sundazed  Music  Inc.,  1967; 
GER:  Teldec  A7063, 2’30.  URL:  http://thursdays.com/pic200/harpersl716.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


272 


kommen.  Einen  musikalischen  Übergang  legte  Hans-Dieter  Frankenberg  mit 
dem  Stück  »Things  I should  have  said.«683  Der  Song  war  aktuell  »wichtiger« 
als  das  Sloan-und-Barry-Stück  »I  just  stood  and  watched  her  say  goodbye/  She 
closed  the  do-or«,  der  danach  folgte.  Dann  erzählte  Waldemar  Müller,  ein 
deutscher  »Cowboy«  im  Stile  des  »Bonanza«-Vaters  Lome  Greene  die  Ge- 
schichte des  einsamen  »Ringo«.684  Frankenberg  verschob  anschließend  mit 
»Straight  Shooter/  Do  You  Know  What  I Mean«,  einer  B-Seiten-Perle  von  The 
Mamas  & The  Papas 685,  die  Blickrichtung  von  der  Prärie  zum  Flower-Power. 
Die  krachigen  The  Electric  Prunes  aus  Los  Angeles  folgten  mit  »The  Great 
Banana  Hoax«.686  Darauf  folgten  die  Australier  The  Bee  Gees  mit  »Barker  at  the 
U.F.O  ,«<S87^  ß-Seite  der  Hit-Single  »Massachusetts«.  Nach  den  drei  kräftigen 
Bariton-Stimmen  der  Gibb-Brüder  kamen  die  Soulkehlen  der  Supremes  mit 
»The  Happening«688  zur  Geltung.  Nach  den  Nachrichten  wechselte  Franken- 
berg dann  die  Klangfarbe.  Steve  Lawrence 689  freute  sich  in  schmalzigem  Timbre 
in  »Walking  Proud«  über  seine  weibliche  Begleitung.  Sam  and  Dave  sangen  von 
sich  als  »bad  go-getter,  yeah«.  Sie  würden  sich  alles  nehmen,  was  sie  wollten.690 
Und  sie  könnten  keine  Verlierer  sein.  Wilson  Pickett  schrie  den  Gospel  »Land 
Of  1000  Dances«691  und  groovte  den  Herrn  preisend.  Otis  Redding  schloss  mit 


683  The  Grass  Roots,  Things  I should  have  said,  Track  2,  P.F.  Sloan/Steve  Barry,  LP  Let’s  Live  For 
Today,  RCA  Victor  32-279,  1967  2’30.  URL:  http://www.rock.co.za/files/1967_grassroots.jpg  [Letzter  Zu- 
griff 5.9.2010]. 

684  Ferdy  (Waldemar  Müller),  Ringo,  Don  Robertson,  Columbia  C 22874,  1965,  3’15. 

The  Mamas  & The  Papas,  Straight  Shooter,  John  Philips/Lou  Adler,  B-Seite:  Twelve  thirty,  7”, 
RCA  15026,  1967,  2’55.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=koCVMAyHWNO  [Letzter  Zugriff:  5.9. 
2010]. 

686  The  Electric  Prunes,  The  great  banana  hoax,  James  Lowe/Mark  Tulin,  B-Seite:  Wind  up  Toys,  7”, 
Reprise  RS  20607,  July  1967,  3’20.  UKLP  Underground  1967.  URL:  http://members.tripod.com/~shad- 
well/ uground.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

687  The  Bee  Gees,  Barker  at  the  U.F.O,  B-Seite:  Massachusetts,  7”,  Polydor  56192,  Ger,  1967,  1’43. 

688  The  Supremes,  The  Happening,  Brian  Holland/Lamont  Dozier/Edward  Holland  jr./Frank  De 
Vol,  Tamla  Motown  GO  25.550,  1967,  2’30.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=T0HhHva8ZcY 
[Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

689  Steve  Lawrence,  Walking  Proud,  Simmons/Paul  Evans,  A-Seite:  All  The  Way  Home,  7”,  Colum- 
bia 4 42865,  1963,  2’12. 

690  Sam  & Dave,  I Take  what  I want,  Sam;  Dave,  B-Seite:  Sweet  home,  7”,  Stax  708,  1965,  2’25.  URL: 
http://  soulcellar.co.uk/soulduos/samdave.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

691  Wilson  Pickett,  Land  Of  1000  Dances,  Chris  Kenner,  ATL  SC  8129,  1966,  2’23. 


273 


»fa-fa-fa-fa«,  dem  sad  song 692,  an.  Nach  einigen  Worten  Frankenbergs  verlieh 
Mr.  Sexmachine  James  Brown  dem  Jerry  Leiber-  und  Mike  Stoller-Rock’n’Roll- 
Klassiker  »Kansas  City«693  eine  afro-amerikanische  Seele.  Es  war  die  B-Seite 
seiner  aktuellen  1967  bei  Polydor  veröffentlichten  Single  »Let  Yourself  go«. 
Dass  der  Rock’n’Roll  seine  Wurzeln  zurück  erhalte,  dafür  stand  auch  die  Neu- 
einspielung  des  Big-Joe-Turner-Stücks  »Shake,  Rattle  and  Roll«  durch  Ike  und 
Tina  Turner.  Bill  Haley  hatte  1954  mit  seinen  Comets  damit  einen  Welthit. 
Diese  s-f-beat- Sendung  beendete  schließlich  wieder  der  Beat,  im  Hörerwunsch 
des  Tages.  Manfred  Mann  wandte  sich  mit  seinem  Hinweis  »So  long  Dad«69"l'an 
die  unverständigen  männlichen  Erziehungsberechtigten.  Die  Briten  Manfred 
Mann  waren  »Hit  des  Tages«  und  liefen  daher  an  diesem  Tag  außerhalb  der 
Verweisketten.  Die  Kombinationsweisen  der  Strömungen  in  der  populären 
amerikanischen  Musikkultur  widerstrebten  klanglichen  Vereinheitlichungen. 
Sie  widersetzten  sich  im  deutschen  Rundfunk  ansonsten  praktizierten  Beschrei- 
bungs-  und  Einfügungsweisen.  Dies  kann  als  ein  erster  Befund  festgehalten 
werden,  erscheint  aber  als  lohnender  Ansatzpunkt  für  weitere  Studien. 

Auch  hinsichtlich  des  »Beat«  und  dessen  nachfolgenden  musikalischen  Inno- 
vationen aus  dem  Vereinigten  Königreich  stellte  s-f-beat  neuen  Konstellationen  in 
ähnlich  kreativen  Verfahren  her.  Die  x-J-^eÄf-Sendung695  vom  12.  September 
1967  ließ  DJ  Wolfgang  Kraesze  mit  »She’s  not  there«  von  The  Zombies696 
beginnen.  Keith  West  sang  dann  »Grocer  Jack«,  einen  Song,  welchem  die  im 
Refrain  auftretenden  Kinderstimmen  seine  Eingängigkeit  verliehen.  Hymnen- 


692  Otis  Redding,  fa-fa-fa-fa,  Otis  Redding/  Steve  Cropper,  Stax  SMLP,  1966,  2’37. 

693  James  Brown,  Kansas  City,  Jerry  Leiber/Mike  S toller,  A-Seite:  Let  Yourself  Go,  7’,  Polydor  59103, 
1967,  2’59. 

694  Manfred  Mann,  So  long  Dad,  Randy  Newman,  B-Seite:  The  Funniest  Gig,  7”,  The  Fontana 
267723,  1967,  3’00.  UK-Release,  Fontana  TF  862  am  25.8.1967.  URL:  http://www.themanfreds.com/disco- 
graphy.  htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  CTRL:  http://www.planetmellotron.com/images/mannmanfred- 
solong.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

695  DRÄ,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Ftörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6041/9,  s-f-beat,  12.9.  1967, 
Dienstag:  18.30-19.30,  127.  Sendung,  Flans-Rainer  Lange:  Live-Sprecher,  Wolfgang  Kraesze:  Musikaus- 
wahl, Aufnahmeleitung 

696  The  Zombies,  She’s  not  there,  Rod  Argent,  B-Seite:  You  Make  Me  Feel  Good,  7”,  Decca  DL 
25153,  August  1964,  2’21.  URL:  http://zom.thefondfarewells.com/zombio.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


haft  klang  das  Stück  mit  einem  Trompeteneinsatz  aus.697  Mit  dem  frisch  ge- 
pressten Smasher  »Thinking  ain’t  for  me«  schloss  Paul  Jones698  an.  The  Turtles 
wuselten  mit  »The  walking  song«  durch  den  Berliner  Äther.699  Nach  den  Ver- 
anstaltungshinweisen kam  Cliff  Richard  & The  Shadows.  Seine  aktuelle  Single 
»The  Day  I met  Marie«  700  verströmte  Pathos  und  Gefühl.  Das  Lied  zeichnete 
sich  durch  eine  eingängige  Hookline  aus.  Die  Rhythmusgruppe  drückte  im 
Refrain  in  den  Vordergrund.  Den  Beat  treibend  verdeutlichte  das  Quintett  von 
Dave  Clark  mit  »Can’  t You  See  That  She  Is  Mine«701,  dass  auch  Saxophon- 
Einsätze  zur  British  Invasion  gehörten.  Die  Single  schaffte  es  im  Mai  1964 
unter  die  Top  Ten  der  britischen  Hitparade.  Weiter  ging  es  mit  den  Männer- 
stimmen. Rick  Davies  und  The  Kinks  besangen  die  »working  poor«  und  ihre 
Lebens-Sackgassen:  »Dead  End  Street/ Yeah!  Dead  End  Street/ Yeah!«. 702  Sol- 
che Straßen  kannten  auch  die  jungen  Ostberliner  Hörer,  denn  sie  endeten  oft 
genug  an  der  »Mauer«  oder  an  den  anderen  Begrenzungen  des  DDR-Alltags. 

Dann  brach  Kraesze  die  männliche  Dominanz  kurzzeitig  auf,  in  dem  er 
Peggy  Lee  mit  der  Jazzvariante  des  Rock’n’Roll-Hits  »Mohair  Sam«703  spielte. 
Alan  Price  Set  hatten  mit  »The  House  that  Jack  built«  ein  melodiöses  Popstück 
eingespielt,  das  von  der  Bläsergruppe  geprägt  war.  Sie  erreichten  damit  Platz 


697  Keith  West,  Excerpt  from  a teenage  Opera,  Keith  Alan  Hopkins,  B-Seite:  Mark  Wirtz  Orchestra- 
Theme  From  »A  Teenage  Opera«,  7”,  Odeon  O 23  597,  1967  oder  7”,  Parlophone  R 5623,  1967,  4.20. 
URL:  http://  hitparade.ch/cdimg/keith_west-excerpt_from_a_teenage_opera_s_l.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9. 
2010]. 

698  Paul  Jones,  Thinking  ain’t  for  me,  Jones,  B-Seite:  Softly,  7”,  HMV  POP  1602,  UK,  8/1967,  3’21. 

699  The  Turtles,  The  Walking  Song,  Michel  Kaylan,  A-  Seite:  She’d  Rather  Be  With  Me,  7”,  London 
Records  HLU10135,  1967,  2’15. 

700  Cliff  Richard  & The  Shadows,  The  Day  I met  Marie,  HankMarvin,  B-Seite:  Our  Story  Book,  7”, 
Columbia  DB  8245,  8/1967,  2’12. 

701  Dave  Clarke  Five,  Can’tyou  see  that  she  is  mine,  Dave  Clarke/Mike  Smith,  B-Seite:  Because,  7”, 
Columbia  C.  83677,  1964,  2’18.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=0fKIM9dMpKI  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010]. 

702  Ray  Davies  &The  Kinks,  Dead  End  Street,  Lou  Rawls,  B-Seite:  Big  Black  Smoke,  7”,  Emi/Capi- 
tol  K 23508,  1966,  2’45.  UK  Release:  Pye  7N  17222,  November  1966,  The  Netherlands:  Pye  7N  17222, 
2.12.1966. 

703  Peggy  Lee,  Mohair  Sam,  Dallas  Frazier,  LP  Guitars  a la  Lee,  Capitol  ST-2469,  1966,  2’05.  URL: 
http://  www.peggylee.com/pics/covers/peg236.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.  2010]. 


275 


vier  der  UK-Single-Hitparade. 704  Dazu  passte  dann  durchaus  »Barefootin’« 705, 
der  leichtfüssige  Song  des  Soulmusikers  Robert  Parker.  Er  trug  die  Hörer  zu  den 
Nachrichten. 

Mit  Pink  Floyd  und  »Take  up  the  stethoscope  and  walk«706  rückte  die 
Nachrichtenwelt  wieder  in  den  Hintergrund,  und  die  Hörer  kehrten  zurück 
in  die  s-f-beat-Welt  des  Pop.  In  der  Inszenierung  dieser  Sendung  verschränkte 
sich  englischer  Beat:  Alan  Price  Set  und  Pink  Floyd  deuten  mindestens  zwei 
Richtungen  britischer  Musik  an.  Mit  dem  breitwandigen  Tamla  Motown- 
Sound  der  Supremes  war  der  Beat  nur  dann  in  Beziehung  zu  setzen,  wenn  man 
es  darauf  anlegte.  Diana  Ross,  Florence  Ballard  und  Mary  Wilson  intonierten 
divenhaft-lässig,  aber  mit  der  gebotenen  Schnelligkeit  »This  can’t  he  love/ 
because  I feel  so  well/  No  sobs,  no  sorrows,  no  sighs.«707  1967  besetzte  Tamla 
Motown  mit  einem  Tribute-Album  für  Lorenz  Hart  und  Richard  Rodgers  die 
kulturelle  Sphäre  »weißer«  Tin-Pan-Alley-Songs.  Das  »schwarze«  Label  holte 
diese  Ikonen  des  1920er  Jahre-Pop  in  einem  ausschweifend  orchestrierten 
Soulsound  in  die  1960er  Jahre  und  beanspruchte  sie  für  die  afra-amerikanische 
Soundscape. 

Mit  diesem  Hörerwunsch  startete  s-f-beat  auch  in  die  freitägliche  Hit-Sen- 
dung vom  29.  September  1967.  Jimmy  Curtiss  mit  dem  Titel  »Psychedelic 
Situation«  und  Aretha  Franklin  hatte  Wolfgang  Kraesze  an  den  Anfang  ge- 
setzt.708 Keith  West  mit  dem  Thema  seiner  Kinderoper,  »San  Francisco  Nights« 


704  Alan  Price  Set,  The  House  that  Jack  built,  Alan  Price,  B-Seite:  Who  Cares,  7”,  Decca  F.  126  41, 
1967,  3’05. 

705  Robert  Parker,  Barefootin,  Robert  Parker,  B-Seite:  Let’s  go  Baby,  7”,  Island  Records  WI  286, 

1966,  2’35. 

Pink  Floyd,  Take  up  the  stethoscope  and  walk,  Roger  Waters,  LP  The  Piper  at  the  Gates  of 
Dawn,  EMI  SX  6157,  1967,  3’05.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=tz5b7XOT50g  [Letzter  Zu- 
griff: 5.9.2010], 

The  Supremes,  This  can’t  be  love,  Lorenz  Hart/Richard  Rodgers,  LP  The  Supremes  Sing  Rodgers 
& Hart,  Tamla  Motown  STM  659,  1*55.  LTRL:  http://classic.motown.com/images/local/toenails/41ab81 
85-2b87-42el-95a4-5eea38da0af6.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Es  wurde  für  das  am  2 3. 11. 193 8 uraufge- 
fiihrte  Broadway  Musical  »The  Boys  from  Syracuse«  geschrieben. 

708  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6041/12,  s-f  -beat,  29.9. 

1967,  Freitag:  18.30-19.30,  140.  Sendung,  Hans-Rainer  Lange:  Live-Sprecher,  Wolfgang  Kraesze:  Musik- 
auswahl; Aufnahmeleitung.  Jimmy  Curtiss,  Psychedelic  Situation,  Ernie  .Maresca/Jininiy  Curtiss,  B-Seite: 
Gone  but  not  forgotten,  7”,  Ariola  19632,  1967.  LTRL:  http://www.twang-tone.de/jcl.JPG  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010], 


276 


von  Eric  Burdon  und  The  Anim  ah  sowie  das  Solo-Stück  »Death  of  a clown«709 
von  Dave  Davies  - Sänger  und  Gitarrist  von  The  Kinks  - folgten  aufeinander. 
Scott  McKenzie  hatte  sich  in  »San  Francisco«  Blumen  ins  Haar  gesteckt.710  Die 
Bee  Gees  überdehnten  die  Silben  von  »Massachussettes«  im  Refrain  des  Songs. 
Das  Small  Ebm-Stück  »Itchycoo  Park«,  »Tvo  Sisters«  von  The  Kinks  sowie  der 
Marquis  of  Kensington  folgten.711  Die  Rolling  Stones,  die  Soulband  Bar-Kays,  Otis 
Redding  und  Carla  Isabells  »I  dig  Rock’n’Roll  Music«  sowie  Steve  Winwood  & The 
Trajfic  mit  »Hole  in  my  shoes«712  ließen  die  Sendung  ausklingen. 

Beat,  Rock,  Folk  und  Soul  verloren  in  der  medialen  Übertragung  durch  s-f- 
beat  ihre  zuvor  kulturell  eingeschriebenen  Trennlinien.  Vom  Beat  ausgehend, 
der  als  popmusikalische  Modewelle  1967  längst  abgeklungen  war,  ergaben  sich 
neue  Kombinationen.  Eine  war  die  Verknüpfung  mit  Soulmusik  der  Ostküste 
und  der  aus  San  Francisco  kommenden  Hippie-Gegenkultur.  Ein  zweiter  Strang 
ergab  sich  aus  der  Koppelung  von  melodiösen  Frauen-  und  Männerstimmen. 
Das  war  ein  Spiel  mit  Aufwertungen,  das  so  bislang  im  öffentlich-rechtlichen 
Rundfunk  nicht  praktiziert  wurde.  Ein  dritter  Aspekt  ist  der  »Pop-Körper«. 
Dieser  ist  eine  individuelle  Konstruktion  der  Konsumenten,  die  vom  Hörfunk 
präsentierte  musikalische  Einflüsse  mit  dem  Wissen  um  die  visuelle  Erschei- 
nungen der  »Stars«  verbindet  und  daraus  Abgrenzungen  herstellt.  Es  wieder- 
holten sich  zwar  viele  Titel  in  s-f-beat,  aber  die  vielfältigen  Kombinationen 
schufen  jeweils  andere  Bedeutungen. 


709  Dave  Davies,  Death  of  a Clown,  Dave  Davies,  B-Seite:  Love  tili  the  sun  shines,  7”,  UK  PYE  JN 
17356,  1967,  3’00.  [PYE  HT  300114,  Germany]  URL:  http://kinks.it.rit.edu/discography/images/img 
00222.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

Scott  Mc  Kenzie,  San  Francisco,  John  Philipps,  B-Seite:  What's  the  difference,  7”,  CBS  2816, 
Ger,  1967.  http://www.hermann-anschlag.de/index-Dateien/image509.jpg,  URL:  http://www.youtube. 
com/watch?v-SB2tYYYlwMc  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

711  The  Bee  Gees,  Barker  at  the  U.F.O.,  B-Side:  Massachusetts,  Germany  Polydor  56192,  1967, 
1’43.  The  Small  Faces,  Itchycoo  Park,  Steve  Marriot/Ronny  Lane,  B-Seite:  I’m  Only  Dreaming,  7”,  UK 
Immediate  IM  052,  August  1967,  2’35.  [7’,  Germany,  Columbia  C 23  586,  1967].  The  Kinks,  Two  Sisters, 
Ray  Davies,  A-Seite;  Waterloo  Sunset,  7”,  UK,  PYE  24191,  July  1967,  2’10.  [LP  Something  Else,  Germa- 
ny, Ariola  201  091,  1967].  Marquis  of  Kensington,  The  Changing  of  the  Guard,  Mike  Leander,  B-Seite: 
Reverse  Thrust,  7”,  UK  Immediate  Records  52,  1967,  2’28.  [7”,  Germany  CBS  2841,  1967]. 

712  The  Traffic,  Hole  in  my  shoes,  Dave  Mason,  B-Seite:  Smiling  Phases,  7”,  UK  Fontana  269  361 
TF,  1967,  S.  2’50.  [7”,  Island  Records,  WIP  6017,  1967]  URL:  http://www.planetmellotron.com/images/ 
traffic-hole.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


5. 2. 1.3.2  Akustische  Körperbestimmungen.  Gitarrenriffs  und  starke  Frauen 


Der  Beat-Club  auf  Radio  Bremen , später  auch  der  Musikladen  und  die  ZDF-Disco 
sowie  Starschnitte  aus  Jugendzeitschriften,  Schallplattencover  und  der  Besuch 
von  Livekonzerten  ermöglichten  individuelle  Bestimmungen  des  »Pop-Kör- 
pers«.  Dieser  sog  subkulturelle  Gegenzeichnungen  in  sich  auf.  Uber  den  s-f- 
ietff-Musiksound  waren  unterschiedliche  Zitate  von  Körpermodellen  möglich. 

Im  SFR-Hauptprogramm  klangen  Frauenstimmen  lieblich  und  brav  wie 
Doris  Day  oder  Vicky  Leandros.  Das  war  das  Floheitsgebiet  der  Redaktion 
Unterhaltungsmusik  des  SFB  Die  Frauenstimmen  in  der  Musik  von  s-f-beat  hat- 
ten hingegen  andere  akustische  und  körperliche  Images.  Diese  fügten  nicht 
zuletzt  die  Konsumenten  zusammen.  Bobbie  Gentry  oder  Wanda  Jackson  waren 
hartgesotten  und  standfest,  Margie  Hendrix  ruppig,  Dionne  Warwick  verführe- 
risch. Nina  Simone  und  Aretha  Franklin  verbreiteten  Coolness  und  Lebenserfah- 
rung. 

In  der  Sendung  vom  13.  Februar  1968  groovte  Miriam  Makeba 713  mit 
»Pata  Pata«  auf  weichem  Djembengetrommel.  Bobbie  Gentry,  alias  Roberta  Lee 
Streeter,  besang  das  »Mississippi  Delta«.714  Sie  verband  Country  und  Blues. 
Wolfgang  Kraesze  fügte  Madeline  Bell 715  mit  »Picture  me  Gone«  an.  Mit  Bell 
brachte  s-f-beat  nordbritischen  Northern  Soul  zu  Gehör.  Es  folgte  eine  Tamla 
Motown-Veröffentlichung  von  The  Marve/ettes.  »I  need  someone«716,  an  wel- 


7,3  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/4,  18.30-19.30  Uhr, 
Dienstag  13.  Februar  1968,  234.  Sendung,  Hans-Rainer  Lange:  Sprecher;  Wolfgang,  Kraesze  Musikaus- 
wahl und  Aufnahmeleitung  Miriam  Makeba,  Pata  Pata,  Miriam  Makeba/ J.  Ragovoy,  B-Seite:  The  Bailad 
of  a Sad  man,  7”,  Reprise  0606,  1967,  3’10”.  URL:  http://profile.myspace.com/index.cfm?fuseaction=user. 
viewprofile&ffiendID=74776483  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

714  Bobbie  Gentry,  Mississippi  Delta,  Bobbie  Gentry,  A:-Seite:  Ode  to  Bilie  Jean,  7”,  Capitol  K 
23587,  1967,  2’50.  URL:  http://www.hermann-anschlag.de/index-Dateien/image441.jpg  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010]. 

715  Madeline  Bell,  Picture  me  gone,  Chip  Taylor/Al  Gorgoni,  B-Seite:  Go  Ahead  On,  7”,  Philips 
32683 1BF,  1967,  2’40.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=JF9Jd-vlUZA  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

716  The  Marvelettes,  I need  someone,  Dean/Wheater/  Bill  Spoon,  A-Seite:  My  Baby  must  be  a magi- 
cian,  Tamla  Motown  GO  25716,  1967,  2’42. 


che  wiederum  eine  britische  Soul-Nummer  »Let’s  get  together«717  von  Bongi 
& Judy  anschloss.  Anita  Harris 718  mit  »Playground«,  die  rastlose  The  Raelet- 
tes-Sängerin  Margie  Hendrix 719  und  die  Tamla-Super stars  Martha  & The  Vandel- 
las 720  mit  ihrem  1965er  Titel  »Nowhere  to  Run«  tönten  über  Spree  und  Havel. 
Vor  den  Nachrichten  sang  die  Schottin  Lulu  noch  »Love  Loves  To  Love, 
Love«721,  Titelstück  und  erste  Auskopplung  ihres  im  Dezember  1967  erschie- 
nenen Albums.  Mit  Miriam  Makebas  »Malayisha«722  startete  s-f-beat  in  die 
zweite  halbe  Stunde.  Aretha  Franklin  kündigte  energisch  an,  dass  eines  Morgens 
die  Kette  zerbrechen,  sie  nicht  mehr  wie  eine  Verrückte  lieben  werde.723  Auch 
Nina  Simone724  erklärte  in  »It  is  best  the  way  sometime«,  dass  Trennungen 
eben  manchmal  sein  müssten  und  riet,  sich  von  diesem  Arger  nicht  aufzehren 
zu  lassen. 

Kraesze  fügte  daran  Diana  Ross  & The  Supremes  und  Dionne  Warwick 725  an, 
um  dann  zur  weißen  Country-  und  Rocksängerin  Wanda  Jackson  zu  schwenken. 
»Riot  in  Cell  Block  Number  Nine«  war  die  B-Seite  ihrer  1961  bei  Capitol 


717  Bongi  & Judy,  Let’s  get  together,  Nicolas  Ashford/  Valerie  Simpson,  A-Seite:  Running  Out,  7”, 
Buddah  Records/Polydor  201002,  1967,  2’40. 

718  Anita  Harris,  The  Playground,  Anita  Harris/Mike  Margolis,  B-Seite:  Bad  For  Me,  7”,  CBS  2991, 
UK-Release  30.9.1967,  3’00. 

Margie  Hendrix,  Restless,  Syl  Johnson,  A-Seite:  on  the  right  track,  7”,  Mercury  Rec  127303  MF, 

1966,  2’10. 

720  Martha  and  the  Vandellas,  Nowhere  to  run,  Brian  Holland/Lamont  Dozier/Edward  Holland  jr., 
B-Seite:  Motoring,  7”,  Tamla  Motown  STM  925,  April  1965,  2’57. 

Lulu,  Love  Loves  To  Love,  Love,  E.  Levitt/  D.  Thomas,  B-Seite:  You  And  I,  7”,  Columbia  C. 
23658,  UK,  4.11.1967,  1’50.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=7IDgrlI609k  [Letzter  Zugriff:  5.9. 
2010], 

722  Miriam  Makeba,  Malayisha,  Miriam  Makeba,  B-Seite:  Ring  Bell,  Ring  Bell,  7”,  Reprise  RA  0654, 

1967,  2’32.  URL:  http://www.akh.se/makeba/images/ra0654.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

723  Aretha  Franklin,  Chain  of  Fools,  Don  Covay,  B-Seite:  Prove  It«,  7”,  Metronome  ATL  70248, 
1967,  2’45.  [US:#2,  20.1.1968], 

724  Nina  Simone,  It  is  best  the  way  sometime,  Samuel  Waymon,  A-Seite:  (You’ll)  Go  To  Hell,  7”, 
RCA 47-9286,  1967,  2’56.  [LP  »Silk  and  Soul«,  RCA  VICTOR  LSP  3837,  USA  1967]. 

725  The  Supremes,  This  can’t  be  love,  Lorenz  Hart/Richard  Rodgers,  LP  The  Supremes  Sing  Rod- 
gers  & Hart,  Tamla  Motown  STM  659,  1967,  1’50.  Dionne  Warwick,  The  beginning  of  loneliness,  Burt 
Bacharach/  Hai  David,  A-Seite:  Alfi,  7”,  Scepter  Records  12187,  1967,  2’50”.  [UK#  9]. 


erschienen  Single  »Little  Charm  Bracelet«.726  Peggy  Lee 727  beschloss  diese  s-f- 
beat-  Aus  gäbe. 

Starke  deutsche  Frauenstimmen  jenseits  der  Schlagerszene  verkörperten  in 
dieser  Zeit  Inga  Rumpf  (Atlantis/  Frumpy,  Hamburg)  oder  Renate  Knaup  {Amon 
Düül  I,  München)  oder  Nanny  De  Ruig,  die  niederländische  Sängerin  der  pro- 
gressiven Folkband  Hölderlin.  Rumpf  sang  zuerst  bei  der  hanseatischen  Hoo- 
tenanny-Singegruppe  The  City  Preachers,  brachte  dann  ihre  kratzig-raue  Frau- 
enstimme in  den  Krautrock  ein.728  Solche  Bands  spielte  s-f-beat  nicht,  weil  ame- 
rikanische und  britische  Popmusik  der  verschiedenen  Spielarten  konsequent 
das  Musikprogramm  prägten. 

Gitarren  waren  Instrumente  körperlicher  Erweiterungen.  Gitarrenriffs  in 
Musikstücken  ermöglichten  auditive  Entgrenzungen.  Beides  waren  Werkzeuge 
adoleszenter  Männlichkeitskonstruktionen.  Damit  ließen  sich  die  Tanzsäle  und 
Kellerklubs  akustisch  beherrschen.  Hennig  Vosskamp  stieg  im  September  1970 
mit  »Soul  Searchin’«729  {Electric  Flag)  in  eine  Sendung  von  s-f-beat  ein.  Canned 
Heat  folgte  mit  den  treibenden  Bluesstücken  »Let’s  Work  Tögether«  und  »Tur- 
pentine  Moan«.730  Auf  Brian  Angers  Orgelvorspiel  »In  and  Out«731  las  Wolf- 
gang Kraesze  die  Ausgehtipps  vor.  Nach  dem  dampfenden  Canned  Heat- Express 
brausten  Ten  Years  After  mit  »Me  and  my  Baby«  und  »Love  like  a Man«732 


726  Wanda  Jackson.  Riot  in  Cell,  Bloc  Nr.  9,  Mike  Stoller/Jerry  Leiber,  A-Seite:  Little  Charm  Brace- 
let,  Capitol  Records  21752,  1961,  2 ’30. 

727  Peggy  Lee,  Mohair  Sam,  Dallas  Frazier,  LP  Guitars  Ala  Lee,  Capitol  ST-2469,  1966,  2’05. 

Zu  The  City  Preachers:  URL:  http://www.citypreachers.de/ingafeat.html  [Letzter  Zugriff:  5.9. 

2010]. 

729  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686-30,  s-f-beat , 7.9. 
1970,  18.30-19.30  Uhr,  875.  Sendung,  Henning  Vosskamp:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Hans  Dieter 
Frankenberg:  Aufnahmeleitung.  The  Electric  Flag,  Soul  Searchin’,  A-Seite:  Sunny,  7”,  Columbia  44765, 
1969,  2’55.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=KfOBacMVJlU  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

The  Canned  Heat,  Let’  s work  together,  Wilbert  Harrison,  B-Seite:  I’m  her  man,  7”,  Liberty  15 
302,  1970,  2’45.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=ZaeRPTceqsk  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  The 
Canned  Heat,  Turpentine  Moan,  Fito  De  La  Parra/Bob  Hite/Henry  Vestine,  LP  Boogie  with  Canned 
Heat,  Liberty  LBRT181 16,  1968,  2’55. 

731  Julie  Driscoll  & Brian  Auger  and  the  Trinity,  In  and  Out,  Brian  Auger,  LP  Open  (Jools),  ATCO, 
SD  33-258  1967,  2’56.  URL:  http://www.dustygroove.eom/images/products/d/drisco_juli_openakajo_ 
102b.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

732  Ten  Years  After,  Me  and  my  baby,  Love  like  a man,  LP  Cricklewood  Green,  Deram/Decca,  SML 
1065,  1970,  4’20”. 


280 


heran.  Progressiv  rockten  Keith  Emerson  und  The  Nice 733  Bachs  sechstes  bran- 
denburgisches  Konzert  und  holten  das  Klanggewand  des  untergegangenen 
borussischen  Königreiches  in  die  Gegenwart  der  beginnenden  1970er  Jahre. 
Mit  diesem  Stück  verging  sich  s-f-beat  an  einem  akustischen  Heiligtum  deut- 
scher Nationalkultur.  Das  impulsive  »All  Right  Now«734,  die  britische  Num- 
mer Eins  von  Free,  schloss  daran  an.  Die  Londoner  Hardrocker  Atomic  Rooster 
mit  dem  Hammond-Organisten  Vincent  Crane  kündigten  »Friday  the  13th« 
an735  und  jagten  Gitarrenriffs  und  hypnotische  Orgeleinlagen  vor  sich  her.  Das 
war  akustische  Entgrenzung.  Von  zwei  Jingles  eingefasst,  liefen  C actus  mit  einer 
Hochgeschwindigkeits-Coverversion  des  1957  für  Prestige  Records  aufgenom- 
menen Blues  »Parchman  Farm«.  Der  Song  handelte  von  einem  üblen  Gefäng- 
nis in  den  Südstaaten  der  USA.736  Der  Lokomotiven-Jingle  heulte  auf.  Jazzpia- 
nist Jimmy  McGriff  besang  in  »Upperground«  die  oberen  Zehntausend  und 
senkte  den  Geräuschpegel.  Darauf  sprach  Vosskamp  die  Tagestipps.  Danach 
kamen  die  Rolling  Stones  mit  »Memo  front  Turner«737  aus  dem  Soundtrack  des 
1970  erschienenen  Films  »Performance«.738  Dann  klingelte  der  Telefon-Jingle 
die  Nachrichten  ein.  Auf  einen  Feuerwerk-Spot  folgten  Chicago  mit  ihrer  Hit- 
single »25  or  6 or  4«. 739  Darauf  vibrierten  Jimmy  Cliffs  Reggae-Rhythmen  mit 


733  The  Nice,  Country  Pie/Brandenburg  No  6,  Bob  Dylan/Johann  Sebastian  Bach,  LP  The  Five  Brid- 
ges,  Philips  LP  6303  004,  1970,  4’40.  URL:  http://www.connollyco.com/discography/nice/five.jpg  [Letzter 
Zugriff:  5.9.2010]. 

734  Free,  All  Right  now,  Paul  Rodgers/Andy  Fraser,  B-Seite:  Mouthful  of  Grass,  7”,  Island  6014  016, 
1970,  4’10.  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=htuxb-m4-ng  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  LP  Fire 
and  Water,  Island  ILPS  9120,  1970.  URL:  http://hitparade.ch/cdimg/free-all_right_now_s_l.jpg  [Letzter 
Zugriff:  5.9.2010]. 

735  Atomic  Rooster,  Friday  the  1 3 th,  Vincent  Crane,  B-Seite:  Banstead,  7”,  B+C  CB  121  1970,  3’3. 
http://profile.myspace.com/index.cfm?fuseaction=user.viewprofile&friendID=53 790766,  [Beat-Club-Auf- 
tritt  1970]  URL:  http://www.youtube.com/watch?v=UxBNtCZdjOg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

736  Cactus,  Parchman  Farm,  Moses  Allison,  LP  Cactus,  ATCO,  sd-3 3-340,  1970,  3’05. 

737  Mickjigger,  Memo  ffom  Turner,  Mickjagger,  B-Seite:  Natural  Magic,  7”,  Decca  F.  13067, 1970, 4’02. 

738  URL:  http://2  .bp.blogspot.com/_o2  Q YDtLNcLI/TFiYQIKDuoI/AAAAAAAAAb4/dwaPgWT 
sidQ/sl600/Mick+Jagger3.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Regie:  Donald  Cammell/Nicolas  Roeg,  Dar- 
steller: Mickjagger,  James  Fox,  Anita  Pallenberg,  Produktion:  Goodtimes  Enterprises. 

739  Chicago,  25  or  6 to  4,  Robert  Lamm,  B-Seite:  Where  Do  We  Go  From  Here,  7”,  Columbia  45194, 
June  1970,  4’58.  [US  #4;  UK#7]. 


einem  Cat-Stevens-Cover  in  diesen  Herbstabend.740  Richard  Wayne  Penniman 
alias  Little  Richard 741  besang  »Greenwood  Mississippi«  von  seiner  aktuellen 
Single.  John  Mayall  und  die  Bluesbreakers  schlossen  diese  s-f-beat- Ausgabe  mit 
»When  Fm  Gone«742,  einem  Titel  vom  1969er  Doppelalbum  »Blues  Giants«. 

Der  » Pop  «-Sound  von  s-f-beat  vervielfältigte  Erfahrungswelten,  rückte 
Musik  aus  den  Rahmungen  des  »deutschen  Klanges«  heraus.  Den  »Pop-Kör- 
per«  erzeugten  die  Konsumenten  aus  den  Impulsen,  die  die  massenmediale 
Pluralisierung  der  Musik-  und  Lebensstile  und  ihr  eigenes  angehäuftes  Bilder- 
wissen bereithielten.  Ostberliner  s-f-beat- Hörer  hefteten  an  diesen  virtuellen 
»Körper«  andere  Bedeutungen. 

5. 2. 1.4  Die  gesellschaftlichen  Ränder.  Themenauswahl  und  Sound  als 
Kommentierungsverhältnisse 

Die  neue  Generation,  die  ab  Mitte  der  1960er  Jahre  neu  in  die  öffentlich-recht- 
lichen Rundfunkanstalten  kam,  fand  es  spannender  über  aktuelle  Aufbrüche 
von  den  gesellschaftlichen  Rändern  zu  berichten  als  die  vermeintliche  Erfolgs- 
geschichte der  Sozialen  Marktwirtschah  zu  reportieren.  In  den  »Verhältnissen« 
der  Subkulturen  und  deren  Beziehung  zur  Mehrheitsgesellschaft  sahen  die 
hoch  motivierten  jungen  Medienmacher  eine  Möglichkeit,  der  BRD-Wohl- 
standsgesellschaft  einen  Spiegel  vorzuhalten.  Durch  die  Abbildung  sich  ankün- 
digender gesellschaftlicher  Konfliktfelder  wie  »Selbstbestimmung«,  »Vergan- 
genheitsbewältigung«,  »Chancen  in  der  Leistungsgesellschaft«,  »Arbeitslosig- 
keit« und  »Verweigerung«  wollten  sie  Hörfunk  und  Fernsehen  in  der  Bundes- 
republik verändern.  Dem  ästhetischen  Zeichensatz  und  dem  Raum  ihres  gesell- 


740  Jimmy  Cliff,  Wild  World,  Cat  Stevens,  B-Seite:  Be  Aware,  7”,  Island  6014  024,  1970,  3’35.  URL: 
http://  hi tparade.ch/cdimg/jimmy_cliff- wild_world_s.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

741  Little  Richards,  Greenwood  Mississippi,  Little  Richards,  B-Seite:  I Saw  Her  Standing  There,  7”, 
Reprise  0942,  September  1970,  3’20.  http://www.soulfulkindamusic.net/lrichard.htm  [Letzter  Zugriff: 
11.5.2007] 

742  John  Mayall,  When  I’m  gone,  John  Mayall,  LP  Blues  Giants,  Decca  DS3 113/1/2,  Germany  1969, 

3’15. 


282 


schaftspolitischen  Deutungsanspruches  sollten  die  neuen  Sichtweisen  der  jun- 
gen Generation  hinzugefügt  werden.743 

s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  steckten  die  im  bundesrepublikanischen  Hör- 
funk bis  in  die  1970er  Jahre  hinein  als  nahezu  unspielbar  geltenden  Randberei- 
che der  Unterhaltungsmusik  ab.  In  der  Berichterstattung  über  die  Aktivitäten 
des  SDS  an  der  Freien  Universität  sowie  über  die  restriktiven  Aspekte  der  Ber- 
liner Hochschulpolitik  rückten  die  Jugendprogramme  das  Infragestellen  von 
Autoritäten  in  den  Mittelpunkt.  Das  gelang  auch  an  den  Kommentierungen 
diverser  Untersuchungsausschüsse,  die  das  Verhalten  der  Polizei  bei  Demon- 
strationen bewerteten.  Repressive  Polizeimaßnahmen  gegen  einzelne  junge 
Studenten  und  Bürger  zu  thematisieren,  gehörte  bereits  1968  zum  »frechen« 
Erscheinungsbild  von  s-f-beat .744  Bei  der  Abbildung  sogenannter  »gesellschaft- 
licher Ränder«  in  West-Berlin  blieben  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  ähnlich 
aufgeschlossen  wie  bei  der  Einarbeitung  neuer  Musikstile.  Dies  führte  zu  tiefen 
Verwerfungen  in  der  Gesamterzählung  des  SFB  und  durchkreuzte  die  Erwar- 
tungen der  Aufsichtsgremien  an  das  Sag-  und  Darstellbare  in  einer  Jugendsen- 
dung. »Randgruppen«  waren  für  Intendant  Franz  Barsig  nahe  am  »Extremis- 
mus«. Und  ob  das  im  Hörfunk  oder  im  Fernsehen  gesendet  werden  musste 
oder  sollte,  darüber  entstanden  zahlreiche  Konflikte  zwischen  der  für  die 
Jugendprogramme  zuständigen  Hauptabteilung  Familie  und  der  Intendanz/ 
Programmdirektion  des  SFB. 

Barsig  kanzelte  s-f-beat  Anfang  1975  nach  allen  Regeln  der  Kunst  ab  und 
verdeutlichte  damit,  dass  er  eine  Neuausrichtung  erwartete,  s-f-beat  habe  des- 
halb viele  Hörer  verloren,  so  Barsigs  Eindruck,  weil  die  Sendungen  sich  in  der 
Vergangenheit  ausgiebig  »mit  Problemen  von  Randgruppen«  beschäftigt  hät- 
ten. Die  Jugendsendungen  vernachlässigten,  so  der  Vorwurf,  die  normalen,  ver- 


743  Ein  diesbezüglicher  Vergleich  liktionaler  Stoffe  der  Dramatischen  Kunst  und  des  Hörspiels  lohnt 
sich  weiterhin  für  die  DDR  und  die  BRD.  Hier  bleibt  dieser  deutsch-deutsche  Aspekt  ausgeblendet. 

744  DRA,  R-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/11,  s-f-beat,  8.10.1968, 
398.  Sendung,  Hans-Rainer  Lange:  Sprecher;  Wolfgang  Kraesze:  Musik,  Aufnahmeleitung.  s-f-beat-Mel- 
dung:  (Klammern  im  Original  eingefügt.  Beim  Verlesen  ausgelassen)  »Das  Berliner  Verwaltungsgericht 
gab  heute  (nach  dreitägiger  Verhandlung)  der  Klage  eines  Studenten  gegen  den  Berliner  Polizeipräsiden- 
ten statt.  Der  Student  war,  ohne  dass  er  einen  Polizisten  angegriffen,  noch  sonst  gewaltsamen  Widerstand 
geleistet  hätte,  von  (-  wie  es  heißt  -)  Schlagstockhieben  verletzt  worden. 


283 


nünftigen  und  fröhlichen  Berliner  Jugendlichen.  Den  Hörerverlust  könne  die 
Sendung  »nur  dann  wieder  ausgleichen«,  so  Barsig  weiter,  wenn  sie  die  »Inter- 
essen der  Mehrheit  der  Jugendlichen  anspricht  und  nicht  nur  im  Übermaß 
Minderheiten  berücksichtigt.«745 

Zu  den  Rändern  des  »öffentlichen  Raumes«,  die  s-f-beat  interessierten, 
zählten  Rocker,  Wohnkollektive  wie  das  Drugstore,  Hausbesetzungen  wie  das 
Rauch-Haus  sowie  die  Insassen  von  Jugendgefängnissen  und  Erziehungsheimen 
der  bezirklichen  Jugendfürsorge.  Für  die  freien  Mitarbeiter  von  s-f-beat  waren 
es  die  »Verhältnisse«,  die  gerade  die  Entfaltung  in  einer  »freien«  Gesellschaft 
verhindern  würden.  Dem  SFB  ging  es  hingegen  um  die  Produktion  einheitli- 
cher Bilder  und  Erzählungen  über  eine  saubere  und  glückliche  Westberliner 
Jugend.  Intendant  Barsig  wünschte  sich,  dass  eher  die  Möglichkeiten,  Chancen 
und  Freiheiten  thematisiert  würden. 

5. 2. 1.4.1  Öffentliche  Räume  und  deren  Politisierung 

Selbstbestimmung  in  öffentlichen  und  geschlossenen  Einrichtungen  der  Jugend- 
fürsorge, in  Wohnprojekten  und  besetzten  Häusern  war  eine  Forderung,  die  in 
der  s-f-beat-Redaktion  auf  Resonanz  stieß.  Dieses  Thema  eignete  sich,  um 
Westberliner  »Verhältnisse«  zu  kommentieren  und  deren  Veränderung  einzu- 
fordern. 

Die  t-ü^tff-Redaktion  griff  in  der  ersten  Märzwoche  1973  subkulturelle 
Gewaltexzesse,  die  sich  im  Umfeld  einiger  Jugendzentren  in  den  vorangegange- 
nen Wochen  ereignet  hatten,  als  Thema  auf.  Bezugnehmend  auf  diese  »Rocker- 
schlägereien« würde  s-f-beat,  so  kündigte  Redakteur  Hans-Rainer  Lange  in  sei- 
ner Sendung  am  5.  März  1973  an,  »Jugendliche  zu  Wort  kommen  zu  lassen,  die 
in  unserer  Gesellschaft  und  sonst  kaum  Gelegenheit  haben,  sich  zu  ihren  Moti- 
ven zu  äußern.«746  Die  Black-Latin-Fusion  Combo  Willie  Bobo  & The  Bo-Gents 


745  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3519,  Intendant  Franz 
Barsig  an  HA  Familie  und  Bildung,  Rainer  Kabel,  Abt.  Familienprogramm,  Susanne  Fijal,  Abt.  Jugendre- 
daktion, Marianne  Wagner,  Betr.:  Neugestaltung  von  >s-f-beat<,  Berlin  3.1.1975,  S.  1-3,  S.  3. 

746  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/62,  s-f-beat  5.3.1973, 
Montag,  1504.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Hans-Rainer  Lange:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Henning 
Vosskamp:  Aufnahmeleitung  Ebd.  S.  1. 


284 


lag  mit  »Shut  up  and  Pay  Attention« 747  auf  dem  Plattenteller.  Anschließend 
kamen  zwei  Jugendliche  zu  Wort,  die  Opfer  der  gewalttätigen  Auseinanderset- 
zung geworden  waren.  Auf  Barbara  Streisands 748  Ballade  »Stoney  End«  rockten 
die  ungeschliffenen  Five  Dollar  Shoes.7 49 

Am  nächsten  Tag  folgte  dann  das  Interview  mit  einem  jungen  Rocker,  der 
nicht  zur  Jugendzen trums-Disco  gelassen  worden  war.  s-f-beat-B.eAzkte.ur  Hen- 
ning Vosskamp  stellte  die  Geschichte  seines  Gesprächspartners  in  einem  Ein- 
spieler als  einen  exemplarischen  Fall  für  die  Entstehung  von  Schlägereien 
vor.750  Lou  Reed  - so  hatte  es  Wolfgang  Kraesze,  der  diese  Sendung  moderier- 
te, musikalisch  geordnet  - besang  daraufhin  den  harten  Asphalt.751  Westberlins 
Straßen  waren  »hartes«  Pflaster  bedeutete  s-f-beat  nicht  ohne  Augenzwinkern. 
Den  Mittwochs-Beitrag  zur  Rocker-Problematik  kündigte  Hans-Dieter  Fran- 
kenberg mit  den  Worten  an:  »Schlagen  und  geschlagen  werden,  hier  ein  Bei- 
spiel dieser  - in  Anführungszeichen  - Rocker-Moral.  «752 

Dazu  passte  der  Hard- 
rock-Song »The  Doctor«  des  amerikanisch-britischen  Trios  West,  Bruce  & 
LaingJ 53  Tags  darauf  ging  es  um  die  »Folgen  einer  Schlägerei«.754  Freddie 
Robinsons  Gitarrenstück  »Medicine  Man«755  behandelte  im  Anschluss  die  »Ver- 
letzten«. Den  letzten  Schwerpunkt- Bericht  leitete  Jeff  Simmons  mit  »Lucille 


747  Willie  Bobo  & the  Bo-Gents,  Shut  up  and  Pay  Attention,  Track  2,  LP:  Do  What  You  Want  To  Do, 
Sussex  SXBS  7003,  1968,  3’30. 

748  Barbara  Streisand,  Stoney  End,  Barbara  Streisand,  LP  Stoney  End,  CBS  32562,  1971,  2’58. 

749  Five  Dollar  Shoes,  Bad  Dream,  Tom  Graves/  Mike  Millius/  Scott  Woody,  LP  Five  Dollars  Shoes, 
Neighborhood  6293  843  Germany,  1972,  2’55.  URL:  http://www.kissfaq.com/albumcovers/cover_five_ 
small.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

750  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/62,  s-f-beat  6.3.1973, 
1505.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Wolfgang  Kraesze:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Henning  Vosskamp: 
Aufnahmeleitung. 

751  Lou  Reed,  Walk  on  the  wild  Side,  Lou  Reed,  LP:  Transformer,  RCA4807  Dezember  1972,  4’  12. 

752  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/62,  s-f-beat  7.3.1973, 
Mittwoch,  1506.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Hans-Dieter  Frankenberg:  Live-Sprecher,  Musikauswahl, 
Henning  Vosskamp:  Aufnahmeleitung  [Rocker-Moral,  1’45]. 

753  West,  Bruce  & Lang,  LP  Why  Dontcha,  Polydor  2383187,  1972. 

754  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/62,  s-f-beat  8.3.1973, 
Donnerstag  , 1507.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Uli  Herzog:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Henning  Voss- 
kamp: Aufnahmeleitung. 

755  Freddie  Robinson,  Medicine  Man,  LP  Off  the  Cuff,  Enterprise  ENS-1035,  1973. 


285 


has  messed  my  mind  up«756  musikalisch  ein.  Beim  Rocker-Thema  sei  oft  die 
Bemerkung  gefallen:  »Wir  sitzen  auf  der  Straße  - wir  haben  keine  Freizeiträu- 
me.« Deshalb  forderte  s-f-beat  zum  Abschluss  dieser  Schwerpunkt-Woche 
»offene  Ohren  bei  den  Bezirksämtern  und  schnelles  Handeln.«  Das  wäre  »jetzt 
dringend  nötig.«  Ohne  Verständnis  und  individuelle  Hilfe  für  diese  Jugendli- 
chen würden  sie  »sonst  immer  am  Rand  oder  außerhalb  unserer  Gesellschaft 
stehen«  bleiben.  Das  aber  wollten  die  engagierten  Journalisten  verhindern,  um 
zu  zeigen,  dass  Veränderung  möglich  war,  wenn  man  nur  seine  Stimme  erhob. 

Neben  Jugendgewalt  waren  Hausbesetzungen  ein  Feld,  das  s-f-beat- Redak- 
teure gern  thematisierten.  Am  2.  Oktober  1972  ging  es  in  s-f-beat  »wieder  ein- 
mal um  das  Georg-von-R/mch-YLaus.«  Am  Freitag  der  Vorwoche  hatte  es  Ver- 
handlungen über  einen  Nutzungsvertrag  »zwischen  dem  Senator  für  Familie, 
Jugend  und  Sport  (Ilse  Reichel)  und  dem  Jugendzentrum  e.V.«  gegeben.  Kom- 
mentar des  Moderators:  »Um  es  vorwegzunehmen:  vorläuhg  sind  die  Verhand- 
lungen erst  einmal  gescheitert.  Strittigster  Punkt  der  Vereinbarung  war  der 
Informationsaustausch  und  eine  jährliche,  schriftliche  Dokumentation  über  die 
Arbeit  im  Haus.«757  Die  betroffenen  Jugendlichen,  die  in  der  Sendung  zu  Wort 
kamen,  bezeichneten  das  als  »Repressionsparagraphen«.  Dann  übernahm  wie- 
der der  Moderator:  Beide  Seiten  seien  zwar  »zu  einem  nochmaligen  Treffen 
bereit.«  Das  müsse  allerdings  noch  in  dieser  Woche  geschehen.  Am  Freitag 
werde  »mit  großer  Sicherheit  der  Antrag  der  CDU  auf  Schließung  des  Rauch- 
hauses im  Abgeordnetenhaus  angenommen.«  Seit  Mai  1972  hatte  sich  die 
CDU-Fraktion  auf  parlamentarischem  Weg  darum  bemüht.758  Ein  weiterer 
Fall,  über  den  s-f-beat  ähnlich  umfangreich  und  stellungnehmend  berichtete, 


756  Jeff  Simmons,  Lucille  has  messed  my  mind  up,  Frank  Zappa,  LP  Straight  records  STS  1057,  1969. 
URL:  http://images.bluebeat.eom/an/7/9/4/9/3/139497.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

757  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/45,  s-f-beat  2.10.1972, 
1398.  Sendung.  18.00-19.00  Uhr.  Kopie  des  Nutzungsvertrages,  S.  1-8.  § 8:  Die  Vertragsschließenden  sind 
sich  einig,  dass  a.)  die  Gesamtzahl  der  Bewohner  des  Hauses  in  der  Regel  70  Personen  nicht  übersteigen 
darf;  b.)  Kinder  unter  14  Jahren  nur  gemeinsame  mit  einem  Elternteil  im  Hause  wohnen  dürfen,  c.)  Trebe- 
gängern unter  14  Jahren  jedoch  in  Ausnahmefällen  Unterkunft  gewährt  werden  kann.«  S.  5-6. 

758  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/45,  s-f-beat,  6.10.1972, 
1402.  Sendung. 


286 


war  die  Besetzung  des  Schöneberger  Jugendzentrums  Drugstore  im  September 
1972. 759 

5. 2. 1.4.2  Selbstverständigungen.  NS-Vergangenheit  und  gegenwärtige 
Benachteiligungen 

Konflikte  um  die  gesellschaftliche  Wirklichkeit  der  1970er  Jahre,  die  »Vergan- 
genheitsbewältigung« und  die  offizielle  Geschichtsschreibung  hinsichtlich  NS- 
und  früher  Nachkriegszeit  fochten  die  Berliner  Junge  Union  und  die  »Falken« 
aus.  s-f-beat  meldete  am  22.  Juni  1970  einen  politischen  Angriff  der  Berliner 
Jungen  Union  gegen  den  Landessekretär  der  Sozialistischen  Jugend  »Die  Fal- 
ken«, Heinz  Beinert.760  Vorausgegangen  war  ein  langjähriger  Konflikt  zwischen 
den  beiden  jugendpolitischen  Gruppierungen,  der  sich  an  der  Person  Heinz 
Beinert  abarbeitete.  Die  JU  hatte  ihm  wiederholt  vorgeworfen,  linksradikale 
Positionen  zu  vertreten.  Der  Falken-Vorsitzende  Beinert  hatte  in  einer  Rede 
auf  dem  Gelände  des  Lublin  er  Konzentrationslagers  Majdanek  formuliert,  dass 
»das  offizielle  Westdeutschland  der  Nachkriegszeit«  für  den  sozialistischen 
Jugendverband  »ein  Produkt  des  Kalten  Krieges«  sei.  Die  Tradition  der  physi- 
schen Vernichtung  während  des  Dritten  Reiches  habe  in  der  Regierungszeit 
Adenauers  und  Erhards  »in  den  Köpfen  der  Leute  weitergelebt.«  Diese  Tradi- 
tion würde  »sich  heute  in  der  Verketzerung  von  politisch  Andersdenkenden« 
äußern.761  Uber  die  sich  anschließende  Debatte,  die  zwischen  »Falken«  und 
der  Berliner  Jungen  Union  um  den  Begriff  Faschismus  und  dessen  Aufarbei- 
tung entbrannte,  berichtete  wir  - um  zwanzig  am  ersten  Juli-Sonntag  1970. 762 


759  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/41,  s-f-beat,  15.9.72, 
1387.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Henning  Vosskamp:  Livesprecher;  Musikauswahl,  Juliane  Bartel:  Auf- 
nahmeleitung. 

760  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/12,  s-f-beat,  22.6.1970, 
825.  Sendung,  Henning  Vosskamp:  Live-Sprecher  + Musikauswahl,  Hans-Dieter  Frankenberg:  Aufnahme- 
leitung. [Offener  Brief  der  JU  vom  19.  Juni  1970,  S.  1-2]. 

761  Ebd.,  S.  2. 

762  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3685/24,  wir  - um  zwanzig, 
237  Sendung,  5.7.1970,  Sonntag  20.02-21.00  Uhr,  Sender  Freies  Berlin,  Redaktion  Jugendsendungen, 
Alfons  Lauströer,  Wir  um  zwanzig  Nr.  237  vom  5.7.1970,  S.  1-9,  S.  2. 


287 


Die  »Falken«  hatten  zu  einem  Streitgespräch  geladen.  Dort  ging  es  »bald  nicht 
mehr  allein  um  die  im  ehemaligen  Konzentrationslager  Maidanek  gehaltene 
Rede«,  schrieb  Jugendredakteur  Alfons  Lauströer  in  die  Anmoderation.  Es  sei 
schnell  um  Grundsatzfragen  gegangen.  Die  Vertreter  der  JU  empörten  sich 
über  Beinerts  Behauptung,  die  CDU  unter  Kanzler  Adenauer  hätte  faschisti- 
sche Traditionen  in  der  Bundesrepublik  toleriert.763  Zunächst  kam  Uwe  Leh- 
mann-Brauns von  der  Jungen  Union  zu  Wort.  Die  Zwischenmoderation  in  wir- 
um  zwanzig  verdeutlichte,  dass  es  »keine  Synthese  geben  konnte  zwischen  dem 
bürgerlich  demokratischen  Reformwillen«,  wie  ihn  der  JU-Vertreter  erinnern 
wollte,  und  der  von  Beinert  »ausgesprochenen  Forderung  nach  einer  radikalen 
Veränderung  des  Gesellschaftssystems.«764  Der  Falken -Vorsitzende  Beinert 
bekam  zwei  Takes,  die  JU  nur  einen.  Das  sollte  wir  - um  zwanzig  den  Vorwurf 
eintragen,  nicht  ausgewogen  genug  zu  berichten. 

Eine  andere  Form  der  Selbstverständigung  sprach  s-f-beat  am  Beispiel  der 
Erziehung  in  geschlossenen  Fleimen  an.  Es  ging  um  immer  noch  gültige  und 
von  den  Journalisten  als  repressiv  bezeichnete  Fürsorgepraktiken,  gegen  die  die 
bezirklichen  Jugendämter  in  West-Berlin  von  sich  aus  nichts  unternahmen.  Am 
14.  September  1972  thematisierte  s-f-beat  die  Zustände  im  Hauptpflegeheim 
»Ollenhauer  Straße«.  Auf  die  Klänge  von  Jimmy  Smiths  Orgel  und  seinen  Titel 
»Slow  down  sagg«  stellte  Moderatorin  Tina  Stock  das  geschlossene  Durch- 
gangs- und  Beobachtungsheim  für  junge  Mädchen  vor.  In  ihrer  Darstellung  war 
dieses  »ein  Haus  mit  Gefängnischarakter.  Es  gibt  Eisentore,  verschlossene 
Türen,  Hohe  Mauern,  kaum  Ausgang.  «765 

Die  s-f-beat- Macher  nahmen  einen 
Konflikt  mit  dem  Westberliner  Senat  in  Kauf,  der  um  ein  positives  Erschei- 
nungsbild bemüht  war  und  an  diesem  Thema  absehbar  keine  rechte  Freude 
haben  würde.  »Mehr  darüber  in  Wir  um  Zwanzig  am  Sonntag  und  mehr  im 
Beat,  sowie  wir  mehr  wissen.«  »Maximum  Consumption«  von  der  eben 


763  Ebd.,  S.  2. 

764  Ebd.,  S.  3. 

765  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/41,  s-f-beat,  14.9.72, 
1386.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Uli  Herzog:  Livesprecher:  Musikauswahl,  Juliane  Bartel:  Aufnahmelei- 
tung.  Jimmy  Smith,  Slow  down  sagg,  Jimmy  Smith,  LP  Root  Down,  Verve  V6-8806,  1971,  6’43. 


erschienene  Kinks-hP  »Everybody’s  in  Showbiz«  folgte.766  Eine  Woche  später 
berichtete  Tina  Stock,  dass  sich  die  Bezirksstadträte  und  die  Senatsverwaltung 
für  Familie,  Jugend  und  Sport  dazu  durchgerungen  hatten,  diese  »unverant- 
wortlichen Zustände«  zu  beseitigen.767  In  der  nächsten  Sendung  erzählte  Stock 
erneut  von  der  »Ollenhauer«.  Das  geschlossene  Mädchenheim  sollte  nun  »in 
eine  offene  Einrichtung  umgewandelt  werden.«  Das  war  eine  klare  Positions- 
bestimmung der  SFF-Jugendsendung  für  eine  fortschrittliche  Jugendsozialar- 
beit. Mitte  Oktober  1972  ging  es  in  s-f-beat  nochmals  um  das  Mädchenheim. 
Die  Berichterstattung  habe  einiges  bewegt,  so  die  SFß-Jugendsendung  über 
ihre  Wirkung.  Die  Bezirksstadträte  und  die  Senatsverwaltung  für  Familie  hat- 
ten sich  entschlossen,  das  Heim  zu  öffnen.768  Einige  Monate  später,  am  27. 
Februar  1973 769,  stellte  Stock  ein  Gutachten  der  Senatsverwaltung  Inneres  vor, 
das  die  Heimerziehung  unter  dem  Blickwinkel  einer  Reform  der  Bewirtschaf- 
tung der  senatseigenen  Jugendheime  betrachtete.  Five  Dollar  Shoes  spielten  zur 
Feier  des  Tages  den  »Love  Song«. 

5. 2. 1.5  Westberlin  - die  Beschreibungen  einer  sich  als  Popmetropole 
verstehenden  Provinzstadt 

Veranstaltungs-,  Party-  und  Konzertankündigungen,  die  s-f-beat  durchsagte, 
hatten  einen  subkulturellen  Nachrichtenwert.  Daran  waren  stets  neue  Stadtkar- 
ten popkultureller  Ereignisse  zu  fertigen.  Die  Auffälligkeiten,  Besonderheiten 
und  Widerständigkeiten  West-Berlins,  ausgehend  von  Polizeimeldungen  oder 
den  Konzerthinweisen  hob  die  SFF-Jugendsendung  hervor  und  begleitete  so- 


766  The  Kinks,  Maximum  Consumption,  Ray  Davies,  LP  Everybody’s  In  Showbiz,  RCA  6065,  Sep- 
tember  1972.  URL:  ttp://www.superseventies.com/kinks.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

767  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/40,  s-f-beat,  20.9.72, 
1390.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Juliane  Bartel:  Livesprecher;  Musikauswahl,  Uli  Herzog:  Aufnahmelei- 
tung. 

768  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/47,  s-f-beat,  12.10.1972, 
1406.  Sendung.  Hauptpflegeheim  Ollenhauer-Strasse. 

769  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/60,  s-f-beat  27.2.1973, 
1500.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Wolfgang  Kraesze:  Livesprecher,  Musikauswahl,  Ulrich  Herzog,:  Auftiah- 
meleitung. 


289 


mit  die  Aufmüpfigkeit  der  Hörer-Community.  Dazu  gehörten  auch  die  bizarren 
Nachrichten  des  Informationsbüros  West770  über  die  Bedeutung  des  Pop  in  der 
DDR,  die  stark  von  der  Berliner  Kalter  Kriegs-Mentalität  geprägt  waren.  Als 
junger  Ostberliner  ins  s-f-beat- Land  zu  gelangen,  war  eine  akustische  Achter- 
bahnfahrt im  transnationalen  Sound  des  Pop. 

Berichterstattung  über  die  musikalische  Szene  der  eigenen  Stadt  fand  in  s-f- 
beat  wenig  statt.  Im  Grunde  geschah  dies  nur,  wenn  Konzerte  anzukündigen 
waren.  Zwei  der  wichtigsten  Beatkapellen  der  Bundesrepublik,  die  noch  dazu 
aus  Berlin  kamen,  wurden  gelegentlich,  aber  selten  gespielt:  The  Gloomys  mit 
»Calling  Myfair«771  und  The  Lords? 72  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  The  Petards 
und  ihrem  1966er  Titel  »Pretty  Miss«773  und  mit  The  Can,  deren  avantgardisti- 
sches »Soul  Desert«  von  der  »Soundtracks«-LP  wenig  gespielt  wurde.774 

Eine  Bezugnahme  auf  die  Berliner  Musikszene  leistete  s-f-beat  mittels 
Party-Ankündigungen  und  die  Promotion  von  Auftritten  in  Jugendfreizeithei- 
men. Daneben  kamen  Vor-  und  Nachberichte  von  Ereignissen  in  der  Deutsch- 
landhalle, der  Waldbühne,  in  den  Clubs  Neue  Welt,  Dachluke,  Pop-Inn,  Star-Club 


770  Das  Informationsbüro  West  (IWE)  in  West-Berlin  sammelte  mit  einem  Informantennetz,  zumeist 
aber  nur  durch  Adaption  von  Artikeln  in  Ost-Zeitungen  Nachrichten  aus  der  DDR,  die  für  ein  westdeut- 
sches Publikum  aufbereitet  wurden.  Die  antikommunistische  Agentur  soll  vom  Bundesministerium  für 
Gesamtdeutsche  Fragen  finanziert  worden  sein,  und  wurde  von  DDR-Seite  als  eine  Art  Geheimdienst 
angesehen. 

771  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/7,  s-f-beat,  Freitag,  9.2. 
1968,  232.  Sendung,  Hans-Rainer  Lange:  Sprecher;  Wolfgang,  Kraesze  Musikauswahl  und  Auftiahmelei- 
tung.  The  Gloomys,  Calling  Mayfair,  Ralf  Siegel/Michael  Kunze,  A-Seite:  Daybreak,  7”,  Capitol  C 23694, 
URL:  http://www.gloomys.de/,  http://www.gloomys.de/assets/images/db_iniages/db_Daybreak_ipg-jpg 
[Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

772  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/6,  s-f-beat,  22.1.1968, 
218.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  Ulrich  Herzog:  Livesprecher  + Musikauswahl,  Hans-Rainer  Lange:  Auf- 
nahmeleitung, The  Lords,  John  Brown’s  Body,  Claudio  Szenkar,  B-Seite:  Cut  my  hair,  7”,  Col.  C.  23549, 

1967,  2’30.  URL:  http://hitparade.ch/cdimages/the_lords-john_browns_body_s.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9. 

2010]. 

773  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/5,  s-f-beat,  17.  Juni 

1968,  18.30-19.30  Uhr,  340.  Sendung  Joachim  Pukass:  Live  Sprecher  + Musikauswahl;  Hans  Dieter  Fran- 
kenberg: Aufnahmeleitung.  The  Petards,  Pretty  Miss,  Horst  Ebert,  A-Seite:  Baby,  run,  run,  run,  7”,  CCA 
5021,  1966.  URL:  http://www.twang-tone.de/babyrun.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

774  The  Can,  Soul  Desert,  LP  Soundtracks,  Spoon  005,  1970,  3 ’3  7.  DLP  Cannibalism,  Spoon  001/2. 


290 


Hermsdorf775  und  dem  Friedenauer  Tuesday  Club776  vor.  Das  Charlottenbur- 
ger Quasimodo  beherbergte  die  Jazzszene.777 

Was  in  der  Stadt  jenseits  der  Opernhäuser,  Ballsäle  und  Tanzschulen  gebo- 
ten war,  erfuhr  der  interessierte  Berliner  Jugendliche  bei  s-f-beat.  Im  Audimax 
der  FU,  dem  Henry-Ford -Bau,  feierten  beispielsweise  am  26.  Juni  1970  die 
englischen  Heavy-Rocker  Black  Sabbath  aus  Birmingham  eine  schwarze  Messe. 
Auch  die  »neue  Leitung  der  Deutschlandhalle«  kündigte  an,  die  Halle  für 
»mehr  Pop-  und  Jazz-Musik- Veranstaltungen  zu  nutzen«,  meldete  Der  Abend 
am  24.  Juni  1970.  Für  mehr  Pop  war  s-f-beat  immer  zu  haben,  weswegen  solche 
Artikel  im  Radio  verlesen  wurden.  Also  kündigte  der  Moderator  auch  gleich  an, 
dass  Led  Zeppelin  und  The  Rolling  Stones  778  bald  in  der  Deutschlandhalle  auftreten 
würden.  Und  nicht  nur  die  Hörer  jenseits  der  Mauer  wussten:  In  der  Ostberli- 
ner Werner-Seelenbinder-Halle  in  Friedrichshain  würden  die  Stones  niemals  spie- 
len. So  steigerte  das  Jugendprogramm  auch  die  Anziehungskraft  des  ansonsten 
eher  bräsigen  West-Berlin. 

Berliner  Bands  hießen  The  Safebreakers  - »Konzert  im  Jugendheim  Froh- 
nau 15.  September  1967«  - oder  The  Outs  - »Konzert  im  Jugendfreizeitheim, 
Münstersche  Straße  4«.  Andere  Tipps  priesen  DJ-Teams  wie  Club  65  an,  die 


775  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6041/10,  s-f-beat,  20.9. 
1967,  Mittwoch  18.30-19.30,  133.  Sendung,  Hans-Dieter  Frankenberg:  Live-Sprecher,  Musikauswahl, 
Hans-Rainer  Lange:  Aufnahmeleitung.  Für  den  nächsten  Abend  kündigte  Frankenberg  die  »Thursday 
Dance  Party«  im  Hermsdorfer  Starclub  an.  Zwischen  19.00  und  23.00  Uhr  spielten  drei  Beatbands:  »The 
Odd  Persons,  The  United  Beat  Company  und  die  Selected  Four«,  Ort  war  Berlin-Hermsdorf  Junostr.  7. 
Der  Club  war  in  einer  alten  Ziegelei  und  Tonwarenfabrik  untergebracht.  In  der  Nähe  war  die  Gaststätte 
Seeschloss,  eine  andere  »Beat-Location«  in  Reinickendorf,  die  vom  S-Bahnhof  Hermsdorf  aus  recht 
schnell  zu  erreichen  war. 

776  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  6041,  s-f-beat,  4.4.1967. 
20.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr.  Tipps  für  4.4.1967. 

777  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/30,  s-f-beat,  10.9.1970, 
878.  Sendung,  Hans  Dieter  Frankenberg:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Ulrich  Herzog:  Aufnahmeleitung: 
Tipps  für  heute:  Im  Quartier  von  Quasimodo,  Kantstr.  12a,  22.00  Uhr,  »The  Peter  Brötzmann-Group« 
(Free  Jazz)  Tipps  für  morgen:  »Noch  bis  zum  13.  September  New  Jazz  Days  im  Quartier  von  Quaismodo. 
Ab  22  Uhr  »The  Kris  Wanders  Group«. 

778  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/12,  s-f-beat,  23.6. 
1970,  826.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  Juliane  Bartel:  Live-Sprecherin,  Musikauswahl,  Ulrich  Herzog: 
Aufnahmeleitung. 


»im  Jugendheim  Köpenicker  Straße  eine  Beat-Party« 779  gaben.  Für  den  näch- 
sten Tag  kündigte  s-f-beat  The  Bus  Stop  Four  in  der  Neuköllner  Martin  Luther 
Kirche  und  erneut  The  Safebreakers  im  Haus  der  Jungen  Gemeinde  Sankt  Judas 
Taddäus  in  Tempelhof  an.780 

Das  »Pop  and  Song  international« -Festival  auf  der  Freilichtbühne  Victo- 
riapark fand  am  ersten  Septemberwochenende  1972  im  Rahmen  der  24.  Kreuz- 
berger Festlichen  Wochen  statt.  Dazu  rief  s-f-beat  den  Verantwortlichen  im  Kul- 
turamt des  Bezirkes  Kreuzberg  an.  Zur  Eröffnung  des  Tegeler  Jugendzentrums 
Change  griffen  die  Rock  Buster  in  die  Saiten,  am  übernächsten  Donnerstag,  den 
14.  September  1972,  kamen  Hanuman  dorthin  und  sonnabends  stieg  in  Tegel 
eine  Disk-Fete.781  Oliver  und  Uwe  gaben  in  der  Kreuzberger  Anode,  Friedrich- 
straße 210  am  Checkpoint  Charlie,  eigene  Kompositionen  zum  Besten.  Das  war 
im  September  1972.  Im  Theater  im  Keller  in  der  Neuköllner  Friedeistraße  traten 
Lokomotive  Kreuzberg  und  James  Blond  auf.  In  der  Dampfinaschine,  Joachimstha- 
ler  Straße,  Ecke  Lietzenburger  in  der  Nähe  vom  Rankeplatz,  spielten  die  Han- 
noveraner Scorpions  und  sonntags  war  offene  Bühne  für  Nachwuchsmusiker.782 
Wilmersdorfer,  Charlottenburger,  Schöneberger  und  Kreuzberger  Nächte  waren 
lang,  lebendig  und  besonders  für  Berlin-Besucher  aus  der  Rest-Bundesrepublik 
ein  nachwirkendes  Erlebnis. 

Pop-Meldungen  in  s-f-beat  waren  Werbung  für  einen  anderen  Lebensstil 
und  beschrieben  abweichende  Handlungen  im  öffentlichen  Raum.  In  der  Char- 
lottenburger Uhlandstraße  gab  es  »ZIP,  einen  Platten-  und  Posterladen  mit 


779  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.6041/9,  s-f-beat,  14.9. 
1967,  18.30-19.30,  129.  Sendung,  Hans-Rainer  Lange:  Live-Sprecher,  Wolfgang  Kraesze:  Musikauswahl, 
Aufnahmeleitung. 

780  Ebd.  s-f-beat,  15.9.1967,  18.30-19.30,  130.  Sendung,  Gesine  Frohner  Live-Sprecher,  Musikaus- 
wahl, Wolfgang  Kraesze:  Aufnahmeleitung. 

781  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/38,  s-f-beat,  1.9.1972, 
1376.  Sendung,  19.05-20.00  Uhr,  Juliane  Bartel:  Livesprecher;  Musikauswahl,  Wolfgang  Kraesze,  Aufnah- 
meleitung. [Die  Sendezeit  verschob  sich  wegen  den  Olympischen  Spielen  in  München  1972  um  eine  Stun- 
de nach  hinten] . 

782  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3712/41,  s-f-beat,  14.9. 
1972,  1386.  Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Uli  Herzog:  Livesprecher:  Musikauswahl,  Juliane  Bartel:  Aufnah- 
meleitung. 


292 


reichhaltigem  Pop  und  Undergroundprogramm.«  Im  Forum  Steglitz  eröffnete 
nun  eine  Zweigstelle.  »Den  Besucher  erwarten  bequeme  Sessel  (schwarz,  pla- 
stic)  und  Lenco  Stereo  Systeme  sowie  Lichtspiele.  «783 

Dazu  passte  auch  die 

Meldung,  dass  in  der  Uhlandstraße  der  Market  öffnete.  Dieser  Laden  bot  »Pop- 
mode und  Schallplatten  aus  London«  an.  Dazu  gab  es  schon  ab  elf  Uhr  Frei- 
bier. Die  Berliner  Heavy-Progressive-Band  Murphy  Elend  spielte.784  Die  Band 
trat  später  zusammen  mit  Mythos  bei  der  1000.  s-f-beat- Sendung  auf.78’ 

Eine  zweite  Form  Berliner  Popnachrichten  waren  Ankündigungen  und 
Berichte  von  Happenings.  Beliebt  war  wildes  Campieren  an  den  Badeseen  im 
Berliner  Südwesten.  Dort,  auf  diesen  »Smoke  and  Love-Ins«,  roch  es  nicht  nur 
nach  verschüttetem  Bier,  sondern  auch  stets  süßlich.  Die  Reiterstaffel  der  Berli- 
ner Polizei  hatte  am  23.  Juni  1970  »zum  vierten  Mal  seit  der  Nacht  zum  17. 
Juni  am  Grunewaldsee  Jugendliche«  kontrolliert,  die  »dort  an  offenen  Feuer- 
stellen« campierten.  Von  den  80  Personen  wurden  »elf  Jugendliche,  die  sich 
nicht  ausweisen  konnten«786,  vorübergehend  festgenommen. 

Bei  diesen  Pop-News  ging  es  um  Widerständigkeit.  Bei  der  Veranstaltung 
»Schreibmaschine  für  Vietnam«  anlässlich  des  Weltfriedenstages  1970  politi- 
sierte s-f-beat  das  restriktive  Verhalten  der  Kreuzberger  Bezirksverwaltung.  Im 
Haus  der  Jugend  im  Kreuzberger  Böckler-Park  sollten  Jürgen  Beckeimann, 
Nicolas  Born,  Eckart  Kroneberg  und  Volker  von  Törne  lesen.  Tangerine  Dream 


783  DRA,  P.-Bblg.,  Sender  Freies  Berlin,  Schriftgut  Hörfunk  Nr.  3712/62,  s-f-beat  7.3.1973,  1506. 
Sendung,  18.00-19.00  Uhr,  Hans-Dieter  Frankenberg:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Henning  Vosskamp: 
Aufnahmeleitung.  Dampfmaschine  - Terminankündigung,  Erste  Berliner  Initiativkneipe,  Joachimsthaler 
Str.  26/  Ecke  Lietzenburger:  Es  spielen:  Leo  Wright,  Agitation  Free,  Manfred  Burzlaff,  Franz  De  Byl,  Allan 
Yates  und  Keef  West. 

784  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/17,  s-f-beat,  16.9. 
1970,  882.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  s-f-beat  Meldung:  16.9.1970.  Zu  Lenco  Plattenspieler:  URL: 
http://www.zwillingssterne.de/images/LencoL70_kpl.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

785  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/16,  s-f-beat,  25.9. 
1970,  889.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  Hans  Rainer  Lange:  Live-Sprecher,  Musikauswahl,  Rolf  Seiler:  Auf- 
nahmeleitung. 

786  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/12,  s-f-beat,  23.6. 
1970,  826.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  Juliane  Bartel:  Live-Sprecherin;  Musikauswahl,  Ulrich  Herzog: 
Aufnahmeleitung. 


293 


und  das  Arbeiter-Theater  Kreuzberg  waren  angekündigt.787  Durch  den  engagier- 
ten Bericht  von  /■-J^e/zf-Reporter  Rolf  Seiler,  der  in  der  Rücknahme  der  Veran- 
staltungsgenehmigung seitens  des  Kulturamtes  Zensur  und  Unterdrückung  zu 
erkennen  meinte,  lud  sich  diese  Aktion  politisch  auf.  Etwa  zweihundert  Interes- 
sierte versammelten  sich  vor  dem  verschlossenen  Haus.  Polizisten  hatten  es 
besetzt.  Die  Band  erhielt  deshalb  keinen  Strom.  »Man  gruppierte  sich  um  ein 
Megaphon,  ein  Flugblatt  wurde  verlesen.  Anschließend  herrschte  allgemeine 
Ratlosigkeit,  bis  man  die  Bücher  der  anwesenden  Autoren  vom  Dach  eines 
VW-Busses  aus  versteigerte.  «788 

Immerhin  passierte  etwas  Widerständiges. 

Popnachrichten  aus  der  DDR  klangen  so:  »Ein  Dorn  im  Auge  sind  der 
SED  die  meist  total  überlaufenen  Beat-Veranstaltungen  der  Jugendklubs  und 
Tanzgaststätten  in  der  DDR.«  Solche  Nachrichten  lieferte  das  Informationsbü- 
ro West,  das  sich  in  diesem  Fall  auf  einen  in  der  Hallenser  Bezirkszeitung 
»Freiheit«  erschienenen  Artikel  bezog.  Auf  den  Konzerten,  so  gab  es  der  anti- 
kommunistische Informationsdienst  West  weiter,  schrien  »Halbwilde«  mittels 
Verstärkeranlagen  »unartikulierte  Laute«  und  »entgrenzten«  sich  unter  »gro- 
tesken körperlichen  Verrenkungen.«789  Das  sei  »akustisches  Rauschgift«,  und 
die  »Freiheit«  beschuldigte  den  Westen,  die  DDR-Jugend  damit  zu  infizieren. 
Ist  nicht  allein  die  Freiheit,  von  der  die  »Freiheit«  sprach,  bereits  eine  vergifte- 
te, so  musste  sich  der  informierte  Jugendliche  im  Westen  fragen:  Wie  rückstän- 
dig sind  die  denn  in  der  »Zone«?  1970  sprach  im  Westen  niemand  unter  Drei- 
ßig mehr  von  »Beat«,  das  war  seit  drei  Jahren  durch. 

West-Berlin  wurde  durch  die  verschiedenen  popkulturellen  Bezugnahmen 
in  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig  als  schräge  und  nach  außen  unverständliche 
Erlebniswelt  hergestellt.  Die  grenzüberschreitende  Hörer-Community  ver- 
stand diese  Aussagen  eher  als  die  Entscheidungsträger  in  den  SEB-Gremien. 


787  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/35,  s-f-beat  1.9.1970, 
871.  Sendung,  18.30-19.30  Uhr,  Hans  Dieter  Frankenberg  Live-Sprecher;  Musikauswahl,  Henning  Voss- 
kamp: Aufnahmeleitung. 

788  Ebd.  s-f-beat  2.9.1970,  872.  Sendung,  18.30  -19.30  Uhr,  Uli  Herzog:  Live-Sprecher,  Musikaus- 
wahl, Hans  Rainer  Lange:  Aufnahmeleitung,  Beitrag  Rolf  Seiler:  Schreibmaschinen  für  Vietnam,  2.9.1970. 

789  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/41,  s-f-beat,  3.8.1970, 
Nr.  852  Informationsbüro  west,  berlin,  3.8.1970,  beat  fuer  ddr-jugendliche  rauschgiftersatz,  sed  gegen 
beatveranstaltungen  in  der  ddr. 


2 94 


Die  Jugendsendungen  zeichneten  eine  sich  ständig  verändernde  Stadtkarte  der 
Clubs,  Konzerte  und  Läden  - eine  neue  Geografie  des  popkulturellen  West- 
Berlins. 

5.2.2  RIAS.  Poparbeiter  des  Kalten  Krieges 

Der  RIAS  fügte  Swing-  und  Jazzklänge  in  die  Berliner  Klanglandschaft  ein 
und  markierte  damit  die  akustische  Dimension  der  transatlantischen  Bindung. 
Anfangs  bezog  sich  der  Sender  auf  den  Soundtrack  des  Blockade-Sommers 
1948,  diesen  reformulierte  RIAS  1953,  um  den  Juni-Aufstand  in  der  DDR  im 
selben  Jahr  darin  einzufügen.  Die  Arbeit  mit  Klang  war  ein  wesentlicher  Aspekt 
der  RLdS-Präsenz.  Auch  über  den  Zugriff  auf  die  in  der  New  Yorker  Tin  Pan 
Alley  produzierten  und  verlegten  hoch  kommerzialisierten  Schlagertitel  der 
1920er  und  1930er  Jahre  kartografierte  RIAS  amerikanische  Populärmusik  als 
eingängig,  liberal  und  aufgeschlossen.  Es  war  der  Klang  eines  »weißen«  Main- 
stream-Amerikas, in  welches  ab  Mitte  der  1950er  Jahre  zwar  einige  afro-ameri- 
kanische  Künstler  wie  Louis  Armstrong  Eingang  fanden,  aber  nur,  wenn  sie 
vergleichbar  erfolgreich  und  international  bekannt  waren.  Mit  diesem  »wei- 
ßen« Swing-  und  Jazzsound,  den  die  NS-Kulturpolitik  einst  als  »entartet« 
deklariert  hatte,  ließen  sich  im  Berlin  des  ersten  Nachkriegsjahrzehnts  ästheti- 
sche Differenzen  setzen.  Damit  markierte  RIAS  auch  die  Unterschiede  zur 
deutschen  und  sowjetischen  Tanzmusik,  die  der  DDR-Rundfunk  abzubilden 
versuchte.  Die  RLdS-Sendung  Schlager  der  Woche  ging  1947  auf  Sendung.790 
Auch  wenn  diese  Musiksendung  in  ihrer  wechselnden  Klangästhetik  für 


790  Zur  Geschichte  der  Schlager  der  Woche:  Die  1.  Sendung  lief  1947.  Moderator  war  Wolfgang 
Behrend,  seine  letzte  Sendung  kam  am  10.5.1954,  vom  14.6.54  bis  1.1.1968  Fred  Ignor,  vom  8.1.  bis  30.9. 
1968  Charlie  Hickmann,  vom  07.10.1968  bis  27.9.1985  Lord  Knud  alias  Knud  Kuntze.  Am  27.9.1985 
endete  die  Sendung.  Der  Bestand  RIAS,  A5 04-02 -03  der  Abteilung  »Leichte  Musik«  ist  noch  unter  dem 
Blickwinkel  von  Popmusik  und  Kalter  Krieg  zu  untersuchen.  A5 04-02 -03/00 10,  Schlager  der  Woche, 
Fahrpläne  der  Musiksendung:  »Schlager  der  Woche  mit  Lord  Knud«  1.11.1968-31.7.1971,  A504-02-03/ 
0008,  Fahrpläne,  Sendeunterlagen  zum  Schlager  der  Woche  mit  Musiktiteln  1.6.1969-23.9.1985  und 
A504-02 -03/0020  (Znr:  26.92.047),  Schlager  der  Woche  1949-1985,  Zusammenfassungen  der  Jahresrück- 
blicksendungen. URL:  http://www.rundfunkwiki.de/Schlager_der_Woche,  http://oldiestopten.de/sound/ 
rias/sdw/sdw7508 15.html  (Sendung  v.  15.8.1975)  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 


295 


jugendliche  Musikhörer  in  Berlin  und  der  DDR  von  hoher  popkultureller  Be- 
deutung war,  blieb  sie  dennoch  im  RIAS  zeitlich  eingegrenzt.  Sie  störte  das 
RLdS-Klangbild,  das  von  der  »Freiheitsglocke«  und  seinem  Tanzorchester 
geprägt  war,  nicht  aber  von  Little  Richards  »Good  Golly  Miss  Molly.«  791 

5. 2. 2.1  Das  Gegenprogramm  des  RIAS  zum  Deutschlandtreffen  1964 

Sprachliche  Deutungshoheit  über  politische  Ereignisse  zu  gewinnen  war  in  der 
Auseinandersetzung  des  Kalten  Krieges  in  Berlin  ein  hoher  Wert,  den  es  immer 
wieder  neu  zu  erobern  galt.  So  hatte  RIAS  bereits  Anfang  April  1964  ein  Son- 
derprogramm für  das  an  Pfingsten  in  Ostberlin  stattfmdende  Deutschlandtref- 
fen ausgearbeitet.  Es  sollte  vorher  nicht  in  den  Hörfunk-  und  Fernsehzeit- 
schriften erscheinen.797  Aber  die  Bestimmung  des  »Wort«-Sounds  bedeutete 
mm  nicht  mehr  zwangsläufig,  auch  die  akustische  Dimension  zu  beherrschen. 
Die  Klangfarbe  dieses  RZ/fS-Sonderprogramms  enthielt  Swing,  Männerstim- 
men weißer  Interpreten  und  Easy-Listening-Adaptionen  mit  volltönenden 
Blechblasinstrumenten.  Der  RIAS  setzte  schöne  Melodien  gegen  DT  64,  setzte 
ein  »Erwachsenenprogramm«  gegen  ein  »Jugendtreffen«.  Mit  hochaktueller 
internationaler  Popmusik  wartete  der  RIAS  während  des  Deutschlandtreffens 
nicht  auf,  auch  wenn  Rita  Pavone,  The  Trashmen,  Bill  Haley  und  Shorty  Miller  am 
letzten  Abend  vorkamen.  The  Beatles  suchte  man  vergebenes.  Der  »Wort«- 
Sound  des  Gegenprogramms  war  hochaktuell,  die  Ereignisproduktion  live,  die 
Musik  jedoch  veraltet. 

Nach  Schlager  der  Woche  auf  RIAS  II  (20.00-2 1.00  Uhr)  spielten  eine  Stun- 
de lang  Tanzorchester  der  ARD.  Darauf  folgte  die  RIAS-Rundschau  Berlin  und 
dann  die  zweistündige  Sendung  Und  der  Himmel  hängt  voller  Geigen,  in  der 
unter  anderem  die  Orchester  von  Percy  Faith,  Harry  Hermann  und  Helmut 
Zacharias  vertreten  waren. 

Mit  »Junger  Mann  aus  gutem  Haus«  startete  diese  Musiksendung.  Das 


791  Little  Richard  »Good  Golly  Miss  Molly«,  John  Marascalco/  Robert  Blackwell,  LP  Little 
Richard,  Specialty  Records  SP-2103,  July  1958. 

792  DRÄ,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A403-01-05/0001,  Programmdirektion  (UK), 
Sonderprogramm  für  Jugendliche  auf  UKW  89,6  MHz  , Berlin  2.4.1964,  S.  1-3  S.  1. 


296 


Stück  hatte  Adolf  Steimel  1941  komponiert.  Hans  Carste  spielte  es  mit  dem 
RLdS-Tanzorchester,  Peter  Igelhoff  sang  dazu.793  Mit  »In  einer  Nacht  im 
Mai«794,  Titelmelodie  des  gleichnamigen  Ufa-Musikfilms  aus  demjahr  1938, 
und  »Ich  brauche  keine  Millionen  (Musik,  Musik,  Musik)«  aus  dem  Film 
»Hallo  Janine«  von  1939 795  ging  es  weiter.  Mit  diesen  Klassikern  deutscher 
Unterhaltungsmusik  wurde  die  Abgrenzung  zu  den  internationalen  Tagesschla- 
gern markiert.  Während  der  Sendung  kamen  natürlich  auch  George  Gershwins 
»S  Wonderful« 796  mit  Benny  Goodmans  Klarinette  im  Vordergrund,  »Love 
makes  the  world  go  round«797  vom  Tin  Pan  Alley- Komponisten  Richard 
Rogers  zum  Einsatz. 

Die  Hauptabteilung  Politik  des  RIAS  gab  einen  Stimmungsbericht  vom 
ersten  Abend  des  Deutschlandtreffens.  Ein  Volkskunstensemble  des  Funkwer- 
kes Köpenick  habe  auf  dem  Alexanderplatz  gesungen:  alte  deutsche  Volkslieder 
»und  immer  unmittelbar  anschließend  >olle  Kommunistensongs<.«  Immerhin, 
merkten  die  RTIS-Protokollanten  an,  hätte  es  bei  diesem  Auftritt  auch  ein 
»Twist-Solo«  gegeben.  Allerdings  sei  die  Resonanz  darauf  enttäuschend  ausge- 
fallen, erzählte  ein  Besucher,  den  die  RZ/IS-Nachrichtenredaktion  als  »Quelle 
Golf«  aufführte.798 

Am  Sonnabend  sendete  der  RIAS  nach  den  Abendnachrichten  und  der 
Kommentierung  des  Deutschlandtreffens  in  der  DDR  eine  satirische  Abend- 


793  DRA,  R-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  15.5.64,  Musiktitel,  S.  1-5, 
S.  1.  M:  Adolf  Steimel,  T:  Ralph  Maria  Siegel  Verlag:  Caesar  R.  Bahar-Edition  »Baltic«  Foxtrott  1941,  LP 
Ariola  31078. 

794  Peter  Kreuder/  Friedrich  Schröder,  In  einer  Nacht  im  Mai,  Release  14.9.1938,  Regie:  Günther 
Jacoby.  S:  Marika  Röck,  Victor  Staal.,  LP  Ariola  31078. 

Regie:  Curt  Boese,  S:  Marika  Röck,  Johannes  Heesters,  Release  1.7.1939.  URL:  http://www.mur- 
nau-stiftung.de/de/suchergebnis.asp?ID=346  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

796  The  Search,  1948,  R:  Fred  Zinnemann,  S:  Montgomery  Cliff,  Aline  MacMahon  oder  An  Ameri- 
can in  Paris,  1951  R:  Vincente  Minelli,  S:  Gene  Kelly,  Leslie  Caron. 

797  Richard  Rodgers,  No  Strings:  An  After-Theatre  Version  LP  Atlantic  1383,  SD  1383)  gespielt  von 
Bobby  Short  with  Al  Cohn’s  Orchestra,  New  York,  29.3.1962. 

798  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Pfingst-Sonderprogramm,  Quelle  »Golf«,  Stimmungsbericht,  15.5.1964,  Peter  von  Schubert,  Zeitraum 
18-21.00  Uhr,  S.  1-2,  S.  1.  [Abgeliefert  22.20,  Gesendet  23.45]. 


Sendung  mit  dem  »Genossen  Pinsel.  «799 

Die  beiden  Klangfiguren  »Pinsel« 
und  »Schnorchel«  karikierten  frech  und  populär  die  SED-Parteisprache,  die 
Allgemeinplätze  der  DDR-Agitation  und  deren  Aufbaurhetorik.  Sie  maßen 
diese  an  den  Schwächen  der  >kleinen  Leute«  Danach  folgte  auf  die  RIAS-Staü- 
onsansage  - »Stimme  der  freien  Welt«  - der  1964  erschienene  »Sportpalast- 
Twist«800  mit  Werner  Müller  und  seinen  Heubodensängern.  Werner  Müller, 
der  1948  die  Leitung  des  RZTS-Tanzorchesters  übernommen  hatte,  war  vorher 
für  den  (Ost-)  Berliner  Rundfunk  tätig  gewesen.801 

Auf  die  Klänge  eines  Berlin-Medleys  stellte  RZ/fS-Sprecher  Joachim  Jauer 
alsdann  den  Jazzmusiker  Duke  Ellington  und  sein  Orchester  vor.  Der  afro-ame- 
rikanische  Jazzer  spielte  »Chattanooga  Choo  Choo«  (Mack  Gordon/  Harry 
Warren)  und  »Show-Time«  (Joel  Forrester),  zwei  Klassiker  der  amerikani- 
schen Unterhaltungsmusik.  Nach  einer  kurzen  Einblendung  des  Chefredak- 
teurs Herz  kamen  der  Klarinettist  und  Saxophonist  Moe  Koffman  mit  »Swin- 
ging  Shepherd  Blues«802  und  Ricky  Nelson  mit  seinem  1961er  Hit  »Hello  Mary 
Lou«.803  Herz  kommentierte  dann  einige  Aussagen  von  DT  64.  Ella  Fitzgerald 
verlieh  »Shiny  Stockings«804  stimmliche  Kraft  und  Energie.  Nach  Jimmy  Dor- 
sets  Version  von  »Just  One  Of  Those  Things«805  führte  der  RIAS  ein  Telefon- 
interview mit  dem  stellvertretenden  West-Berliner  Bürgermeister  Heinrich 


799  Ebd.,  S.  2.  URL:  http://www.17juni53.de/material/otoene_pi.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

800  Werner  Müller  & seine  Heubodensänger,  Sportpalast-Twist,  Werner  Müller,  A-Seite:  Noch  ein 
Tor,  7’  Decca  19  510,  1964.  URL:  http://www.fc45.de/images/product_images/info_images/Werner-Mueller- 
und-seine-Heubodensaenger_Noch-ein-Tor.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

801  Petra  Galle:  RIAS  Berlin  und  Berliner  Rundfunk  1945-1949,  Münster  2003,  S.  151. 

802  Moe  Koffman  Septett,  Swinging  Shepherd  Blues,  Morris  Koffman,  LP  Cool  and  Hot  Sax,  Jubilee 
Records  1037,  1957. 

Ricky  Nelson  , Hello  Mary  Lou,  Gene  Pitney/  Cadet  Mangiaracina,  B-Seite:  Traveling  Man,  7”, 
United  Artists  006-93744,  1961,  2T7  [nur  1’  angespielt]  URL:  http://hitparade.ch/cdimages/ricky_nelson- 
hello_mary_lou_s_l.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

804  Ella  Fitzgerald,  Shiny  Stockings,  Frank  Benjamin  III  Foster/  Jon  Hendricks;  A-Seite:  Deed  I Do, 
7”,  His  Master  Voice,  VS  517  (UK),  1963.  (Aufnahme:  16/7/1963)  URL:  http://ellafitzgerald.altervista.org/ 
issues_02_a.htm  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

895  Jimmy  Dorsey,  Just  One  of  Those  Things,  Cole  Porter  (Musical,  Jubilee  1935),  LP  Saturday  Night 
Mood  - Various  Orchestras,  Columbia  Dance  Party  Series  Colum  CL  599,  December  1954.  Oder:  Doris 
Day,  Just  One  Of  Those  Things,  Cole  Porter)  Film:  Young  at  Heart  1954,  R:  Gordon  Douglas  S:  Doris  Day, 
Frank  Sinatra. 


298 


Albertz  und  holte  dessen  Meinung  zur  politischen  Bedeutung  des  FDJ-Jugend- 
treffens  ein.  RIAS  erzeugte  ein  schnelles  und  bewegliches  Programm,  das  die 
Aussagen  wichtiger  West-Berliner  Politiker  mit  gefälliger  und  populärer 
Unterhaltungsmusik  verband. 

Die  »Jugendnachrichten«  (21.40-21.46  Uhr)  enthielten  die  Live-Reporta- 
ge  des  Jugendfunkredakteurs  Richard  Kitschigin.806  Diese  war  von  der  Cha- 
cha- Version  des  chilenischen  Volksliedes  »ay,  ay,  ay«  und  dem  flotten  »Trum- 
pet  Blues«  umgeben.807 

Eindrücke  vom  ersten  Festivaltag  lieferten  dann  die  Augenzeugen  »J  und 
K«.  Fahnen,  Transparente  und  Uniformierte  gebe  es  in  Ostberlin  überall, 
berichteten  diese.  »Jeder,  der  zuhause  eine  Uniform  hängen  hat«,  so  ihre 
Wahrnehmung,  habe  »sie  sich  für  das  Deutschlandtreffen  angezogen.«  Beim 
»Rampen-Rendezvous«  seien  die  Publikumsplätze  an  der  Treptower  Freilicht- 
bühne »nur  zur  Hälhe«  besetzt  gewesen,  FDJ-Lieder  seien  »relativ  teilnahms- 
los hingenommen« 808  worden.  Den  Versuch  der  beiden  West-Berliner  Besu- 
cher, sich  mit  organisierten  Jugendlichen  in  der  DDR  zu  unterhalten,  beschrie- 
ben diese  im  RIAS  so:  Die  Kommunikation  sei  zwar  »offen  und  freimütig«  von- 
statten gegangen,  allerdings  »schlichen  sich  bei  den  FDJlern  Schlagwörter  ein, 
die  sie  quasi  als  >Schutzhülle<  während  des  Gesprächs  benutzen.«  Dennoch,  so 
der  abschließende  Befund  der  Augenzeugen,  seien  die  Gespräche  »außeror- 
dentlich fair  und  freundschaftlich«  verlaufen.809 

Zwischen  zehn  und  kurz  vor  halb  elf  brachte  der  RIAS  dann  einen  von 
ffanns-Peter  Herz  angesagten  Nachrichten-  und  Reportageblock.  Dieser  ent- 
hielt Beiträge  aus  dem  Ü-Wagen.  Am  Pfingstsonntag  kommentierte  Innense- 


806  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Dienstplan,  Pfingst-Sonderprogramm  von  Freitag  15.  bis  Montag  18.5.1964,  Berlin  12.5.1964,  Hand- 
schriftliche Ergänzung  auf  Entwurf  Sonderprogramm  24.4.1964,  S.  1-3,  S.  2. 

807  Perez  Prado,  Ay  Ay  Ay,  Osman  Perez  Freire,  LP  Our  Man  in  Latin  America,  RCA  Victor  LPM- 
2610,  1963.  URL:  http://www.317x.eom/albums/p/perezpradoll/reduced.gif  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010], 
Harryjames  & Orchestra,  Trumpet  Blues,  Harryjames,  Columbia  36549,  1942. 

808  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Pfingst-Sonderprogramm,  Quelle  »J  und  K«,  Freilichtbühne  Treptow,  Rampen-Rendezvous,  16.5.1964, 
13.00-19.00  Uhr,  S.  1-3,  S.  1.  [Gesendet  21.57  Uhr]. 

809  Ebd.,  S.  3. 


299 


nator  Albertz  in  Wo  uns  der  Schuh  drückt  telefonisch  das  Deutschlandtreffen. 
Er  bezeichnete  die  SED  als  kalt  berechnende  Gefängniswärter810,  die  die  Vor- 
beimarschierenden zur  Freiwilligkeit  zwinge,  wie  es  die  NSDAP  und  die  HJ 
getan  hatten.  Albertz  zeichnete  das  Bild  einer  missbrauchten  Jugend  in  Ostber- 
lin. Denn  nur  im  »freien  Berlin«  lebe  die  »wirklich  freie  deutsche  Jugend«811 
und  feiere  unbeschwert.  Um  dies  zu  verdeutlichen,  schaltete  die  f^UfS-Aufnah- 
meleitung  zwischen  20  und  21.15  Uhr  mehrfach  zum  »Bunten  Abend  aus  dem 
Sportpalast«812,  um  dieses  »Ereignis«  im  »freien«  Teil  Berlins  mit  dem  Treffen 
im  »eingeschlossenen«  Berlin  in  Beziehung  zu  setzen.  Nach  der  RIAS- Stations- 
ansage fasste  die  Politikredaktion  die  sonntäglichen  Demonstrationen  auf  dem 
Marx- Engels-Platz  zusammen.  Ray  Conniff  und  sein  Orchester  spielten  dann 
den  Titelsong  des  Musicals  »Gigi«.813  Darauf  folgte  ein  Schlager-Medley  des 
7?WS'-Tanzorchesters.  Für  die  Dauer  der  Übertragung,  von  21.15  bis  22.15 
Uhr,  wurden  RIAS  II  und  das  UKW-Sonderprogramm814  zusammengeschaltet. 

Nach  soviel  Schlagermusik  ging  es  ab  22.15  Uhr  mit  Schallplatten  aus  dem 
Studio  in  der  Kufsteiner  Straße  weiter.  Der  Instrumentaltitel  »Hallo  Leute« 


810  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Kommentar  Heinrich  Al- 
bertz (17.5.1964,  19.56-19.58  Uhr),  S.  1-2,  S.  1.  [Ruft  20.00  Uhr  ins  Sonderprogramm  RIAS]. 

811  Ebd.,  S.2. 

812  DRA,  R-Bblg-,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Dienstplan,  Pfingst-Sonderprogramm  von  Freitag  15.  bis  Montag  18.5.1964,  Entwurf  Sonderprogramm, 
Berlin  24.4.1964,  S.  1-3,  S.  3. 

813  Ray  Conniff  & Orchestra,  Gigi,  Frederick  Loewe,  LP  The  happy  beat,  CBS  SPPG  62132,  1964. 
URL:  http://www.stardust.supanet.com/items-for-sale-at-3 .95.1wp/items-for-sale-at— 3 .95.htm  [Letzter  Zu- 
griff: 5.9.2010]. 

814  Die  kleine  Gabriele,  Susi  Ball,  URL:  http://www.ping.be/~vanherre/page66.html  [Letzter  Zugriff: 
5.9.2010].  Detlev  Engel/  Gert  Böttcher,  Stern  von  Samoa,  Detlev  Engel,  B-Seite:  Eine  Welt  ohne  Liebe  (A 
World  Without  Love),  7”,  Decca  D 19  603,  1964.  URL:  http://covergalerie.Org/DATEN/D/DETLEF 
%20ENGEL/Detlef%20Engel.htm,  Kathy  Kirby,  You’re  The  One,  B-Seite:  Love  Me  Baby,  7”,  Decca 
UKF.11892,  1964.  URL:  http://www.kathykirby.co.uk/discs.php  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Ted  Herold, 
Glück  in  Acapulco,  B-Seite:  Das  Haus  am  Missouri,  7”,  Polydor  52  294,  Februar  1964.  Grit  van  Hoog, 
Träumen,  ist  das  nicht  wunderschön,  B-Seite:  Das  Glück  kommt  vom  Treusein,  7”,  Telefunken  U 55477, 
1963.  Rene  Kollo,  Schöne  Rose  vom  Rio  Grande,  B-Seite:  Du  bist  einfach  zum  verlieben,  7”,  Polydor 
52161,  1963.  Carlos  Otero,  Dunkle  Augen  in  der  Nacht  (Occhi  Neri  E Cielo  Blu),  B-Seite:  In  den  Straßen 
von  Neapel,  7”,  Polydor  52  043  1963.  Silvio  Francesco  und  Caterina  Valente/Werner  Müller  & Orchester, 
The  Peppermint-Tvist,  Joey  Dee,  B-Seite:  Popcateperl-Twist,  7”,  Decca  A-133,  1962.  URL:  http:// 
www. discogs.com/image/R-1 50-864049- 11 668643 95. jpeg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Trude  Herr,  Spie- 
gel-Twist, B-Seite:  Autofahrer-Blues,  7”,  Polydor  24  9551,  1963. 


3 00 


von  Weiner  Müller  und  Lionel  Hamptons  Swing-Titel  »The  Mess  is  here«  leite- 
ten dann  zur  »heißen  Tanzmusik«815  über.  Harry  James  blies  den  »Trumpet 
Blues«816,  bis  der  RIAS  erneut  in  den  Sportpalast  schaltete.  Weitere  drei  Mal 
sollte  in  dieser  Sendung  noch  zu  dem  »Ding  mit  Pfiff«  im  Sportpalast  geschal- 
tet werden,  wo  sich  jeweils  ein  Jugendfunkredakteur  meldete,  der  schmissig 
reportierte.  Dazwischen  war  noch  ein  längerer  Wortblock  gestellt,  in  dem  Joa- 
chim Jauer  ein  Gespräch  mit  zwei  Besuchern  der  Großen  Kundgebung  des 
Deutschlandtreffens  vortrug.  Ein  Trommelwirbel  habe  die  Westbesucher  emp- 
fangen, »der  aber  die  FDJler  nicht  aus  ihrer  schlendernden  Gangart  brachte.«817 

Nach  der  Stationsansage  »Hier  spricht  RIAS-Berlin«  startete  am  Pfingst- 
montag das  Abendprogramm  mit  »Swinging  Saxophones«,  einem  »Madison- 
Potpourri«  und  »Andy’s  Shuffle«818,  gespielt  vom  schwedischen  Jazz-Saxopho- 
nisten Carl-Henrik  Norin.  Um  20  Uhr  sagte  Hanns-Peter  Herz  das  Sonder- 
programm an.  Dieses  bestand  aus  einem  Mitschnitt  des  ÄZ/fS-Monitordienstes, 
der  Moderations-  und  Interviewpassagen  aus  dem  gegnerischen  DT  64- Pro- 
gramm einspielte.819  Herz  hatte  in  seinem  Abendkommentar  zu  Beginn  des 
Deutschlandtreffens  drei  Tage  zuvor  verlangt,  dass  das  Zentralkomitee  der 
SED  den  Verkehr  »durch  die  Mauer  in  beiden  Richtungen  freigeben«  müsse, 
wenn  es  »wirklich  die  Begegnung  der  deutschen  Jugend  und  das  Gespräch  zwi- 
schen jungen  Menschen  aus  Ost  und  West  wünschte.«820  Am  Pfingstmontag 
nun  bewertete  Hanns-Peter  Herz  die  Abschlusskundgebung  und  die  Stimmung 
auf  dem  Deutschlandtreffen  rückblickend.  Er  setzte  dabei  erneut  die  FDJ  mit 
der  HJ  gleich  und  suchte  diese  Deutung  mit  der  Einblendung  von  Mitschnitten 


815  DRA,  P.-Bblg-,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Entwurf  Sonderprogramm  vom  17.5.64,  Aktuelles  und  Musik,  Berlin  24.4.1964,  S.  3. 

816  Harry  James,  Trumpet  Blues,  Donald  Lindley,  7”  Capitol  EAP  3 654. 

817  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Pfingst-Sonderprogramm,  Quelle  j + k,  Grosse  Kundgebung,  Gespräch,  Berlin  17.5.1964,  11.00-14.00 
Uhr,  S.  1.  [22.55  Uhr  verwendet]. 

818  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Musiklaufplan,  Sonder- 
programm Pfingstmontag  18.5.1964,  S.  1-10,  S.  1. 

819  DRA,  P.-Bblg,  Schriftgut  Hörfhnk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Sonderprogramm  18.5. 
1965,  S.  1. 

820  DRA,  P.-Bblg,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Herz,  Pfingstreffen  der  FDJ,  Der  Abendkommentar,  15.5.1964,  S.  1-4,  S.  2. 


301 


zu  untermauern,  die  als  klangliche  Argumente  dienen  sollten.821  Nach  zwei 
weiteren  Zwischenmusiken  erfolgte  eine  Schaltung  zu  Jugendfunk-Redakteur 
Kitschigin,  der  vor  einem  Jugendfreizeitheim  stand.  Von  dort  berichtete  er  über 
das  freie  und  unbeschwerte  Jugendleben  in  West-Berlin.  Nach  den  Nachrich- 
ten erklang  zuerst  Bobby  Darin  mit  »Roses  of  Picardy«,  dann  folgte  seine  Inter- 
pretation von  »There’s  a rainbow  ’round  my  shoulder«  aus  dem  1928  erschie- 
nenen Musicalfilm  »The  Singing  Fool«.  Der  dänische  Gitarrist  Jorgen  Ingmann 
zupfte  »Amorada«822  mit  brasilianischen  Sambarhythmen.  Anschließend  be- 
richtete RTIS-Augenzeuge  »Juno«  wieder  vom  Deutschlandtreffen  in  der 
DDR,  von  lebhaften,  aber  ruhigen  und  sachlichen  Diskussionen.  Er  interpre- 
tierte das  Deutschlandtreffen  als  Parteiveranstaltung,  für  die  sich  der  »norma- 
le« Berliner  in  Pankow,  Lichtenberg  und  Friedrichshain  nicht  interessiert  habe 
und  lieber  ins  Grüne  gefahren  sei.822  So  etwas  war  für  das  RIAS- Sonderpro- 
gramm eine  verwertbare  »Aussage«. 

»Peace  Pipe«  von  Cliff  Richards  & The  Shadows  schloss  an  die  Musik  Ing- 
manns  an  und  setzte  den  einschmeichelnden  Gitarrenklang  fort.  Im  Anschluss 
sang  Cliff  Richards  die  deutsche  Version  von  »Lucky  Lips«:  »Rote  Lippen  soll 
man  küssen  / denn  zum  Küssen  sind  sie  da.«824  Es  folgte  eine  Liveschaltung  auf 


821  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403 -01 -05/0001,  Sonderprogramm  Pfingst- 
montag 18.5.1964,  S.  1-10,  S.  5.  [21.40-21.48  Uhr:  Kommentar  Herz,  FDJ/HJ  mit  Einblendungen] 

822  Bobby  Darin,  Roses  of  Picardy,  Frederick  E.  Weatherly/Haydn  Wood  (1916),  LP  Oh!  Look  at 
Me  Now,  Capitol  Music  K 83  473  October  1962.  [Billy  May  Orchester]  L1RL:  http://www.bobbydarin. 
net/look.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010].  Bobby  Darin  and  Billy  May  Orchester,  There’s  a rainbow,  Dave 
Dreyer,  Al  Jolson,  and  Billy  Rose.  Jorgen  Ingmann,  Amorada,  Waldyr  de  Azevedo,  LP  Guitar  Solos, 
Metronome  MLP  15071,  1964.  L1RL:  http://www.cykelkurt.com/musik/ingmann/ingmann05.html  [Letz- 
ter Zugriff:  5.9.2010], 

823  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  [Hauptabteilung  Politik, 
Pfingst-  Sonderprogramm,  Montag  18.5.1964],  Quelle  Juno,  Ostberlin  blieb  zu  Hause,  S.  1-3,  S.  2. 

824  George  Barnes,  Guitars  Galore,  George  Barnes,  LP  Guitars  galore  Philips  PPS-6020,  1961, 2’40. 
URL:  http://microgroove.jp/mercury/PPS6020.shtml  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  The  Shadows,  Peace 
Pipe,  Norrie  Paramour,  EP  Spotlight  On  The  Shadows  7’,  Columbia  SEG  8135  Mono  1962.  [oder  LP 
Greatest  Hits,  Columbia  SCX  1522  Stereo,  (UK),  06.1963]  URL:  http://hitparade.ch/cdimages/the_sha- 
dows-spotlight_on_the_shadows_s.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  Cliff  Richard  & Shadows,  Rote  Lippen 
soll  man  küssen,  Jerry  Leiber/Mike  Stoller,  B-Seite:  Let’s  Make  AMemory,  7”,  Columbia  22563,  Germa- 
ny,  1963. 


3°2 


den  »Ku-Damm«.  In  den  nächsten  dreißig  Musik-Minuten  konnte  es  den  älteren 
ÄLdS'-Hörern  dann  durchaus  zu  heiß  werden.  Der  Niederländer  Shorty  Miller, 
The  Trashmen  mit  »The  Surfin’  Bird«  von  deren  kurz  zuvor  in  der  Bundesrepu- 
blik erschienenen  Single  sowie  Bill  Haleys  »Rock  Around  the  Clock«  und  »See 
you  later,  alligator«  räumten  mit  der  nüchternen  Abgeklärtheit  des  bisherigen 
RLdS-Sonderprogramms  auf.  Mit  einem  Medley  aus  Melodien  der  wilden 
Zwanziger  Jahre  kehrte  die  gewohnte  RdS-Klangfarbe  zurück.82  '’  Etwas  später 
folgte  dann  »The  Ballad  of  Jed  Clampett«,  die  Titelmelodie  der  US-Fernsehse- 
rie  »The  Beverly  Hillbillies«  sowie  eine  Schlagzeug-lastige  Version  des  Brecht- 
Weill-Klassikers  »Mäckie  Messer«.  Rita  Pavone  - ausnahmsweise  eine  Frauen- 
stimme in  der  Sendung  - wünschte  sich,  ein  Junge  zu  sein,  denn  dann  könnte 
sie  lange  Hosen  tragen  und  spät  nach  Hause  kommen.  Pavones  italienische 
Nummer  Eins  »II  ballo  del  mattone«  aus  dem  Jahr  1963  folgte  darauf. 826  Die- 
ser Titel  war  ein  Hinhörer.  In  seiner  nächsten  Moderation  erzählte  Hanns- 
Peter  Herz  von  einer  jungen  FDJlerin,  die  dem  /TTS'-ßcsucher  »Bravo« 
berichtet  habe,  dass  sie  in  ihrer  Klasse  »wochenlang  in  der  politischen  Staats- 
bürgerkunde Gegenargumente  gegen  die  Ansichten  der  Westdeutschen  einge- 
hämmert« bekommen  hätte.  Jugendliche  und  andere  Ostberliner  Bürger,  »die 


825  Shorty  Miller,  And  The  Roulettes,  Shepherd’s  Slop,  A-Seite:  S-l-o-p  Slop,  7”  Vogue  DV  14078, 
1963.  Erschienen  auf  der  LP  Slop  -Twist  - Hully-Gully,  Mode  Schallplatten  MID  16022  HiFi,  1963.  The 
Trashmen,  Surfin’  Birds,  Steve  Waher,  King  Of  The  Surfl,  7”  Columbia/Stateside  C 22  653,  Ger,  1964. 
Bill  Haley  and  His  Comets,  Rock  Around  the  Clock , Jimmy  De  Knight/  Max  C.  Freedman,  B-Seite  Thir- 
teen  Women,  7”,  Brunswick  Records  05317,  Mai  1954.Bill  Haley  Und  Seine  Comets,  See  You  Later,  Alli- 
gator, Robert  Guidry,  B-Seite  The  Paper  Boy  (On  Main  Street),  7”,  Brunswick  82870  78,  Ger,  1956. 
URL:  http://thegardnerfamily.org/haley/discography/products.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  Spike 
Jones,  The  20s  roar  (Medley),  LP  60  Years  of  Music  America  Hates  Best,  Liberty  Records  ST  7154,  1960. 
URL:  http://www.bsnpubs.com/liberty/libertya.html  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010]. 

826  The  Ballad  of  Jed  Clampett,  Nelson  Riddle,  LP  More  Hit  TV  Themes,  Capitol  Music  T 1869, 
1962.  URL:  http://web.cfa.arizona.edu/riddle/collection/MMS4NELS.pdf  [Letzter  Zugriff  5.9.2010], 
Enoch  Light  & Light  Brigade,  Mack  the  Knife,  Kurt  Weill,  LP  Provocative  Percussion,  Volume  2,  R 33 
810/RS  810  SD,  1960.  URL:  http://tralfaz-archives.eom/coverart/L/Light/light_perc2.html  [Letzter 
Zugriff  5.9.2010],  Rita  Pavone,  Wenn  ich  ein  Junge  war’,  Günter  Loose/Heinz  Buchholz,  B-Seite:  Okay, 
Okay,  7”,  RCA  479485,  1963.  URL:  http://hitparade.ch/cdimages/rita_pavone-wenn_ich_ein_junge_ 
waer_s.jpg  [Letzter  Zugriff:  5.9.2010],  Rita  Pavone,  II  ballo  del  mattone,  Bruno  Canfora/  Dino  Verde,  A- 
Seite:  Cuore,  7”  RCA  8212,  1963.  [LP,  RCA  Italiana  PML  10350,  1963]. 


3°3 


das  SED-Regime  ablehnten«,  behauptete  »Bravo«,  stünden  »schweigsam  am 
Rande«  und  würden  sich  nicht  trauen,  »ihre  Ansichten  vorzubringen.«827  Der 
größte  Teil  der  DDR-Jugendlichen  lehne  das  System  ab,  so  die  Analyse  des 
West-Besuchers.  Diese  altbekannte  Deutung  wollte  der  RIAS  nun  zum  Schluss 
des  Deutschlandtreffens  neu  setzen.  Mit  Otto  Kermbachs  Gassenhauer  »Denk- 
ste denn,  denkste  denn,  Du  Berliner  Pflanze/Denkste  denn,  ick  liebe  dir,  Nur 
weil  ick  mit  dir  tanze?«  klang  diese  RIAS- Sendung  aus.  Die  Stimme  Alexander 
Fleßburgs,  der  Kembachs  Titel  sang,  kannten  alle  REIS-Hörer,  die  vor  1940 
geboren  waren.  Auf  dieses  lasterhafte  und  mehrfach  ausdeutbare  Lied,  das  an  die- 
sem Abend  die  RIAS- Sicht  auf  die  Beziehung  von  DDR-Jugend  und  SED  sym- 
bolisieren sollte,  moderierte  Elanns-Peter  Herz  dieses  Sonderprogramm  ab.828 

Mit  den  Berichten  seiner  »Informanten«  erzeugte  RIAS  eine  mediale 
Authentizität,  die  kein  Hörer  nachprüfen  konnte.  Das  RMS-Sonderprogramm 
versuchte,  immer  wieder  neue  Deutungen  und  Auslegungen  über  das  FDJ- 
Deutschlandtreffen  zu  setzen.  Der  RIAS  versuchte,  Argumentationshoheit  über 
die  Ereignisse  zu  erlangen,  indem  er  in  schneller  Abfolge  die  immer  gleichen 
Schlagworte  platzierte.  In  der  RIAS- Sicht  stand  »frei«  gegen  »unfrei«,  »demo- 
kratisch« gegen  »totalitär«,  »bunt«  gegen  »grau«,  »Unbeschwertheit«  gegen 
»Zwang«.  Diese  ideologischen  Grenzziehungen  aber,  so  muss  man  konstatie- 
ren, fanden  wenig  Anklang  bei  den  Hörern. 

1964  hatte  die  Soundscape  RIAS  Popmusik  noch  nicht  in  das  Arsenal  seiner 
Cold  War  Culture- Munition  aufgenommen.  RMS-Chefredaktion  und  die  Haupt- 
abteilung Politik  bestanden  noch  aus  »Wort« -Arb eitern  des  Kalten  Krieges. 
Die  »Pop-Arbeiter«  mussten  sich  im  Sender  erst  noch  durchsetzen. 


827  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 403-01-05/0001,  Hauptabteilung  Politik, 
Pfingst-Sonderprogramm,  Montag  18.5.1964,  Quelle:  Bravo,  S.  1-2.  [gesendet  23.50  Uhr]. 

828  Kurt  Edelhagen  und  sein  Orchester,  Brazil,  Ary  Barroso/  Bob  Russell,  LP  A Toast  to  the  Band, 
Polydor  LPHM  46323,  1959,  2’14V  Alexander  Fleßburg  und  Otto  Kermbach  & Orchester,  Denkste 
denn,  du  Berliner  Pflanze,  Otto  Kermbach,  Schellack  10163  27. 


5. 2.2 .2  Musik  gegen  Grenzen.  RIAS -Treffpunkt  16/40.  13.  August  1966. 
Fünf  Jahre  Mauer 


Im  August  1966  verarbeitete  der  RTIS-Jugendfunk  internationale  Popmusik 
und  jugendkulturelle  Abweichungen,  um  seine  Deutungen  der  deutschen  Tei- 
lung darüber  zu  erzählen.  Die  Jugendfunk- Redaktion  begann  nunmehr,  Pop- 
musik und  Subkultur  in  die  Rahmungen  ihres  Verständnisses  von  Cold  War  Cul- 
ture  einzufügen. 

Mit  dem  die  Mauer  verherrlichenden  DDR-Lied  »Friedenskämpfer- 
Grenzsoldaten«  (Walter  Krumbach  / Wolfgang  Richter)  stieg  der  Treffpunkt 
16/40  in  diese  Mauersendung  ein.  Von  Pete  Seeger,  auf  den  sich  die  FDJ-Singe- 
klubs  und  die  Hootenanny-Bewegung  hinsichtlich  seiner  Parteinahme  für  die 
Unterdrückten  und  die  amerikanische  Arbeiterklasse  bezogen,  verwandte  der 
Treffpunkt  »If  I had  a hammer«  als  Eingangssong.  Allerdings  spielten  in  der 
RMS-Sendung  The  Brothers  Four  diesen  Titel.  Der  Gitarrist  Trini  Lopez  sollte 
später  noch  mit  seiner  1963er  Hit-Version  dieses  Songs  kommen.  Treffpunkt 
1 6/40  setzte  den  in  der  DDR-Kulturpolitik  eingesetzten  Bezugnahmen  auf  See- 
ger eine  andere  Tonlage  entgegen.  »If  I had  a hammer«  wurde  von  der  RIAS- 
Redaktion  als  Aufruf  zum  Handeln  in  der  Systemauseinandersetzung  einge- 
setzt: Morgens  und  abends  müsse  gegen  die  »Schand-Mauer«  geschlagen  wer- 
den. Das  ganze  Land  und  alle  Brüder  und  Schwestern  sollten  es  hören.829 
Bezugnehmend  auf  Seegers  Liedtext,  der  neben  einem  »Hammer«  auch  noch 
»einen  Song«  und  »eine  Glocke«  zur  Verfügung  hatte,  setzte  der  RIAS  seine 
akustische  Senderkennung  - die  Freiheitsglocke  des  Schöneberger  Rathauses  - 
in  einem  neuen  Kontext  ein.  Klang  war  zum  Werkzeug  der  Systemauseinander- 


829  The  Brothers  Four,  If  I had  a hammer,  Lee  Hays/  Pete  Seeger,  LP  The  Big  Folk  Hits,  CBS  CL- 
2033  (mono),  CBS  CS-8833  (stereo)  1963.  URL:  http://www.akh.se/brothers4/cs8833.htm  [Letzter 
Zugriff:  5.9.2010],  Pete  Seeger,  If  I had  a Hammer  (The  Hammer  Song),  Lee  Hays/Pete  Seeger,  Hooten- 
anny  Records  H 101  Banks  ofMarble  (The  Weavers)  1949. 


3°5 


Setzung  geworden  und  Treffpunkt  16/40  reformulierte  diese  Technik.830  An- 
schließend zog  das  RZ/fS-Moderatoren-Duo  »Horst  und  Christa«  wieder  die 
Tonspur  des  »Liedes  der  Grenzsoldaten«  hoch  und  kommentierte:  Kein  junger 
Mensch  könne  einen  solchen  Inhalt  gut  finden,  nicht  einmal  richtige  Kommu- 
nisten. Dann  folgte  eine  Spezialität  von  Treffpunkt  1 6/40:  eine  Wort-,  Ton-, 
Effekt-Collage,  die  verschiedene  Themenbereiche  anriss  und  miteinander  in 
Bezug  setzte.  Bausteine  dieser  Collage  waren  thematisch  passende  Musiktitel, 
Zwischenmoderationen,  Original-Beiträge,  hörspielartige  Live-Dialoge,  State- 
ments von  Korrespondenten  und  flapsige  Bemerkungen.  Dabei  ging  es  um 
offensive  Begriffsbesetzungen,  zum  Beispiel  die  Verknüpfung  von  Protestdis- 
kursen mit  dem  Ziel,  Freiheitsrechte  und  Demokratie  zu  erstreiten.  Sowohl  das 
Reden  als  auch  die  Musik  warben  für  Meinungs-,  Informations-  und  Konsum- 
freiheit. 

Am  Beispiel  des  Themenfeldes  »Reisefreiheit«  lässt  sich  zeigen,  wie  eine 
solche  RZ/fS-Inszenierung  funktionierte.  Zunächst  wurden  die  Begriffe  »Euro- 
pa« und  »Reisen«  platziert.  Dann  erklärte  die  Frauenstimme  »Christa«:  Dafür 
gebe  es  doch  Düsenflugzeuge.  »Horst«  verbesserte,  dass  dies  ohne  Pass  und 
entsprechender  Eintragung  einer  Nummer  nicht  möglich  sei.831 

Aber  der  Fokus  der  Jugendsendung  lag  nicht  nur  auf  der  DDR,  sondern 
ihre  Macher  kritisierten  auch  Zustände  in  West-Berlin  und  der  westlichen 
Welt.  In  der  »Mauersendung«  von  1966  schloss  sich  an  die  Polemiken  gegen 
die  Ost-Zone  die  Kritik  an  westlichen  »Zerrbildern«  an.  Als  erstes  Beispiel 
nannten  die  Moderatoren  die  »weiße«  Perspektive  auf  die  Entkolonialisierung, 
die  gerade  von  einer  Demonstration  vor  dem  Charlottenburger  Astor-Kino 
thematisiert  worden  war,  welche  sich  gegen  den  Dokumentarfilm  »Africa 
Addio«  von  Gualtiero  Jacopetti  gerichtet  hatte.  Die  Protestierenden  kamen  mit 
O-Tönen  in  der  Sendung  zu  Wort.  Moderator  Horst  Cierpka  hielt  den  »Pro- 


830  DRA,  P-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0072,  [Ablage  Programmdirek- 
tion,  Hauptabteilung  Kulturelles  Wort,  Kundler],  Treffpunk  16/40,  13.8.1966,  S.  1-9,  S.  1.  Ruprecht 
(Kurzrock),  Horst  (Cierpka)  und  Christa  (Fries).  R:  13.  August  1966,  H:  Ja,  wenn  ich  einen  Hammer  hätte 
...  CH:  Na,  nicht  nur  Du  ...  Den  hätten  viele  andere  auch  gerne.  R:  In  der  ganzen  Welt.  CH:  Also  ein  Treff- 
punkt der  Proteste?  H:  Ja,  ein  Protest  gegen  die  Mauer.  R:  Gegen  Mauern  überhaupt,  gegen  Zäuneziehen, 
Kästchen  machen,  regulieren,  einsperren,  aussperren  ...  H: ...  und  gegen  Sich-Abfinden. 

831  Ebd.,  S.2. 


306 


test  gegen  ein  Zerrbild  von  Afrika«  für  berechtigt.  Er  kritisierte,  dass  Berliner 
Polizisten  die  Demonstration  gewaltsam  aufgelöst  hatten.  Ihm  war  aber  ebenso 
wichtig,  zu  betonen,  dass  die  linken  Demonstranten,  die  gegen  den  Vietnam- 
krieg auf  West-Berliner  Straßen  gingen,  ihrerseits  ein  Zerrbild  erschaffen  wür- 
den, wenn  sie  die  USA  als  undemokratischen  Aggressor  brandmarkten.  Cierp- 
ka:  »Vietnam.  Ja!  Ich  habe  es  selber  gesehen,  vor  dem  Weißen  Haus.  So  etwa 
20tausend  Studenten  mit  Plakaten.  Keiner  hat  randaliert,  kein  Polizist  hat 
geprügelt.«  832  So  (und  nicht  anders)  könne  sich  in  einer  Demokratie  eine  Min- 
derheit zu  Wort  melden,  meinte  Cierpka,  auch  wenn  schließlich  der  Wille  der 
Mehrheit  den  Ausschlag  gebe. 

Dann  thematisierte  Sprecherin  Christa  Fries  »Gammler«  als  Ärgernis  »in 
Ost  und  in  West«.  Genau!  meldete  sich  Ruprecht  Kurzrock,  der  als  Dritter  im 
Studio  saß:  Weil  schon  die  langen  Haare  ein  Protest  seien.  Dann  ließen  die  drei 
»Bescheidwissser«  vom  RIAS  den  französischen  Chansonier  George  Brassens 
über  den  schlechten  Ruf  singen.8  ’ 3 Daran  schloss  die  »Ballade  vom  Drainagele- 
ger Fredi  Rossmeisel« 834  des  jungen  Wolf  Biermann  an,  eines  in  der  DDR 
lebenden  kritischen  Künstlers,  der  sich  auf  der  Abschussliste  der  SED  wohl- 
fühlte. »Die  Internationale  der  Jugend«,  begann  Ruprecht  Kurzrock  in  der 
Abmoderation,  passe  »nicht  auf  den  roten  Plüsch«,  vollendete  Christa  Fries: 
Die  Kommunisten  in  Ostberlin  »nehmen  die  Revolution  ja  ernst.«  Aber  auch 
die  Jugendlichen  in  der  DDR  würden  Fortschritt  und  Errungenschaften  wollen 
und  »mehr  sehen,  als  nur  die  Mauer  von  hinten.  «835 

Dann  spielten  die  drei 

RLdS-Moderatoren  einige  Sätze  des  als  »Obergammler«  der  Amsterdamer 
Provos  angekündigten  Roel  van  Duijn  ein.  Dieser  sagte,  Jugend  sei  »die  letzte 
revolutionäre  Klasse,  vom  Proletariat  ist  nichts  mehr  zu  erwarten.«836  So  wen- 


832  Ebd.,  S.  3. 

833  George  Brassens,  La  mauvaise  reputation,  George  Brassens,  LP  Brassens  et  sa  guitare,  recital  n° 
1,  Philips  N 76061  R,  Decembre  1953,  2’10”. 

834  Wolf  Biermann,  Ballade  vom  Drainageleger  Fredi  Rossmeisel,  Wolf  Biermann,  LP  Wolf  Bier- 
mann  Zu  Gast  bei  Wolfgang  Neuss,  Philips  843  742  D,  1965. 

835  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0072,  Treffpunkt  16/40,  13.8. 
1966,  S.  5. 

836  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfbnk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0072,  [Abteilung  Jugend  und 
Erziehung],  Takes  13.  August,  Berlin  10.8.1966,  S.  1-2,  S.  2. 


3°7 


dete  die  RMS-Jugendredaktion  eine  anarchistische  Idee  antikommunistisch  an. 
Soviel  Kreativität,  meinten  sie  wohl,  könne  das  SED-Regime  nicht  parieren. 

Die  verschiedenen  Verweisstränge,  die  im  Verlauf  der  Sendung  einzeln 
angesprochen  und  mit  passenden  Musiktiteln  unterlegt  waren,  fügten  sich  nun 
als  Ansammlung  von  Protestformen  gegen  das  DDR-Grenzregime  zusammen. 
Das  Grenzsoldatenlied  besinge  nicht  die  »neue  Zeit«,  so  Kurzrock,  es  sei  die 
alte.  Das  »sozialistische  Reich«  war  demnach  die  Weiterführung  des  Dritten 
Reiches  mit  ausgetauschten  Symbolen.837  Damit  zog  diese  Treffptmkt-Sendung 
die  Trennlinien  des  Redens  über  die  Grenze  zwischen  Ost-  und  West-Berlin 
freiheitlich  demokratisch,  aber  messerscharf.  Das  »Neue«  stünde  nicht  auf  Sei- 
ten des  kommunistischen  Deutschlands,  nicht  im  sozialistischen  Lager.  Spre- 
cher »Horst«  übersetzte  darauf  Pete  Seegers  »We  shall  Overcome«  ins  Deutsche 
und  es  wurde  klar,  was  und  welches  Bauwerk  in  der  Auslegung  des  RIAS  über- 
wunden werden  sollte.838 

In  diesem  »Mauer«-Treffpunkt  entwarfen  die  RMS-Journalisten  ein  aku- 
stisches Bild  von  Freiheit,  der  Berechtigung  demokratischen  Protests  und  einer 
durch  die  Berliner  Mauer  symbolisierten  Unfreiheit.  Noch  war  der  Treffpunkt 
1 6/40  keine  Popmusiksendung  mit  leicht  konsumierbaren  und  unverfänglichen 
jugendkulturellen  Informationen  über  neue  Schallplatten,  Modetipps  und 
übersetzten  Schlagertexten,  sondern  eine  auf  Aufklärung  und  Erziehung  set- 
zende politisierte  Autorensendung.  Jugendkultur  war  darin  einfügbar,  wenn  die 
Zustände  von  Repression  und  Unfreiheit  in  der  DDR  damit  zu  geißeln  waren. 
Kritik  an  der  Wehrhaftigkeit  westlicher  liberaler  Demokratien  war  in  dieser 
RLIS-Verwendung  von  Pop  als  Waffe  des  Kalten  Krieges  aber  nicht  enthalten. 


837  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  A 404-01-01/0072,  Treffpunkt  16/40,  13.8. 
1966,  S.  9. 

Pete  Seeger,  We  shall  overcome,  Pete  Seeger,  LP  The  Complete  Carnegie  Hall  Concert  June  8, 
1963,  Columbia  CL2101/CS8901,  1963. 


308 


5. 2.2. 3 Tausendundein  Treffpunkt.  Die  Jubiläumsfeier  im  Mai  1971  zeigt  auf 
eine  »neue«  Verwendung  von  Pop 

Zwischen  1966  und  1971  veränderte  sich  beim  RIAS  die  Arbeit  mit  Pop  grund- 
legend. Der  RIAS-Treffpunkt  bediente  nun  verschiedene  pop-  und  jugendkultu- 
relle Informations-  und  Bedürfnislagen  in  Ost-  und  Westberlin.  Bei  der  »Treff- 
punkt-Party« habe  sich  der  RIAS  auf  das  »bei  solchen  Fällen  übliche  Teenager- 
Publikum«  einzustellen,  vermerkte  Redaktionsleiter  Kitschigin  in  seiner  Kon- 
zeption für  eine  Jubiläumssendung  imjahre  1971,  »das  von  unseren  Moderato- 
ren leicht  lenkbar  und  zum  Mitmachen  (Beifall  usw.)  anzufeuern«839  sei. 
Jugendliche  Besucher  sollten  zwar  Tanzen  können,  aber  »Trouble  während  der 
Sendezeit«  sollte  es  keinen  geben.  Daraus  sprach  eine  erhebliche  Distanz  zu 
den  Konsumenten. 

Die  Jubiläumssendung  zur  Feier  der  1001.  Ausgabe  des  RIAS-Treffpunkts 
im  Mai  1971  folgte  Kitschigins  Konzept:  Zwischen  16.00  und  16.40  Uhr  lief 
»wie  üblich«  das  RZ/lS-Bildungsprogramm.  Nach  16.40  Uhr  wurde  der  Treff- 
punkt von  den  sonstigen  Mittwochs-Rubriken  (HiFi-Lexikon,  pop  secret)  entla- 
stet. Moderator  Kai  Bloemer  sprach  mit  Abteilungsleiter  Kitschigin  über  die 
Treffpunkt-Gründung  und  schaltete  mehrfach  zu  den  Vorbereitungen  für  den 
»Abend  für  junge  Hörer«.  Bloemer  hatte  dann  - entsprechend  der  Konzeption 
- die  »auf  Band  zu  erwartenden  Grußbotschaften  der  befreundeten  ARD-Kol- 
legen  und  die  Grußtelegramme-  und  briefe  von  anderen  prominenten  Freun- 
den der  Sendung«840  einzuspielen. 

Das  musikalische  Programm  wurde  »aus  den  gegenwärtig  gängigen 
Titeln«  zusammengestellt.  Darin  wurden  Wunschtitel  von  Hörern  aus  der 
DDR  dann  besonders  berücksichtigt,  wenn  sie  »halbwegs  aktuell«  waren.  Auch 
gegenüber  dieser  Zielgruppe  gab  es  in  der  Jugendredaktion  des  RIAS  eine 
gewisse  Zurückhaltung,  was  deren  Musikgeschmack  anging. 

Eine  »bloße  Unterhaltungsshow  mit  der  Präsentation  der  für  uns  aus  hnan- 


839  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  RIAS,  F 502-03-00/0074,  Programmdirektion  Kul- 
turelles  Wort,  Redaktion  Treffpunkt,  Richard  Kitschigin,  an  Abteilung  Presse  und  Information,  Jochen 
Maass,  RIAS-Abend  für  junge  Hörer:  1001  Treffpunkt,  Berlin  7.5.1971,  S.  1-11,  S.  1. 

840  Ebd.,  S.  4. 


3°9 


ziellen  und  anderen  Gründen  allein  verfügbaren  deutschen  Starlets  zu  bieten«, 
entspräche  nicht  dem  »Treffpunkt-Charakter«,  befand  Kitschigin.  Aus  diesem 
Grund  erhalte  »die  Sendung  ein  sachliches  Gerüst,  das  das  unterhaltende  Ele- 
ment jedoch  nicht  beeinträchtigen«  werde.  »Der  Treffpunkt  versteht  sich  u.  a. 
als  ein  Programm,  in  dem  die  Interessen  junger  Leute  frei  dargelegt  werden 
können.«841  Das  Populäre  und  Unterhaltende  überlagerte  die  Informationsbe- 
züge. Gerade  vor  Westberliner  Publikum  war  diese  Seite  hervorzuheben.  Ver- 
treter des  Berliner  Jugendlebens  erhielten  unter  der  Bezeichnung  »Wie  hätten 
Sie’s  denn  gern«  die  Möglichkeit  »ihre  Forderungen  und  Wünsche  an  die 
Gesellschah,  an  Behörden  usw.  öffentlich  vorzutragen.«  »Für  unsere  DDR- 
Hörer«,  so  der  Redaktionsleiter,  »müßte  sich  aus  diesen  Äußerungen  ein  inter- 
essantes Bild  unserer  Situation«  in  Westberlin  und  der  Redefreiheit  im  RIAS 
»ergeben«.  Die  entsprechenden  Vertreter  der  Jugendverbände  wurden  - wie 
zuvor  geplant  - vorgestellt  und  konnten  »sich  dann  nach  einem  vorbereiteten 
Text  äußern,  der  vorher  mit  der  Redaktion  abgesprochen«  wurde.  Die  Gäste 
hatten  sich  zudem  kurz  zu  fassen.842 

Nachdem  die  Live-Sendung  gegen  22  Uhr  endete,  spielte  der  RIAS  Musik 
vom  Band.  Hans-Günther  Goldbeck-Löwe  lieferte  eine  Ausgabe  von  »Kom- 
press-intern«  und  bastelte  die  Glückwunsch-Telegramme  sowie  ein  Porträt  der 
Treffpunkt-Macher  zusammen.  Detlev  Erich  Otto  erzählte  unter  dem  Titel 
»Eigen-Pop  stinkt«  die  Geschichte  des  Treffpunkts. 

Der  RIAS-Trejfpunkt  war  1971  bunt,  nett  und  unverbindlich,  relativ  plura- 
listisch in  der  Abbildung  von  jugendpolitischen  Positionen  und  Meinungen, 
ausgewogen  in  der  Berichterstattung  und  in  der  Beteiligung  dieser  Standpunk- 
te bei  Diskussionsrunden.  Die  Differenz  setzte  der  RIAS-Trejfpunkt  nicht  an 
den  unterschiedlichen  Ausdeutungen  hinsichtlich  politischer  und  popkulturel- 
ler Meinungsbildungsprozesse,  sondern  in  der  offensiven  Integration  dieser 
Strömungen,  um  westliche  Vielfalt  gegen  die  Eintönigkeit  des  DDR-Jugendle- 
bens  im  Blauhemd  abzugrenzen.  Der  RLdS-Jugendfunk,  so  das  Selbstverständ- 


841  Ebd.,S.  5. 

842  Ebd.,  S.  6.  [Die  Beiträge  vom  Landesjugendring,  Jung-Kino,  Jung-Galerist,  Jungdemokraten, 
Jungsozialisten,  Schülervertretung,  Junggewerkschafter,  Junge  Presse,  Junge  Union,  hatten  bis  14.5.1971 
vorzuliegen]. 


310 


nis,  leistete  den  kulturellen  Transfer  von  Pop  nach  Plauen,  Pankow  und  Par- 
chim  und  fügte  seine  Auslegung  davon  an.  Die  Jugendfunk-Redakteure  waren 
nun  »Poparbeiter«  des  Kalten  Krieges  in  einer  Zeit  der  »Entspannung«.  Dieser 
Medien-Pop  des  nun  Bundesrundfunksender  gewordenen  RIAS  war  in  der  Lage, 
auf  die  kulturellen  Traditionen  des  afro-amerikanischen  Amerikas  zuzugreifen. 
Mit  dieser  Verschiebung  des  Sounds  erneuerte  RIAS  seinen  Anspruch  auf  einen 
maßgeblichen  Anteil  an  der  Klanglandschaft  Berlin. 

5.3  Rundfunklandschaften  sind  Klanglandschaften.  Drei  Zuflüsse  in  die 
Berliner  Soundscape  des  Pop.  Eine  Zusammenfassung 

Jugendstudio  DT  64,  s-f-beat  und  RIAS-Trejfpunkt  führten  drei  akustische  und 
politische  Strömungen  in  die  massenmediale  Klanglandschaft  Berlins  ein.  Aus 
diesen  Zeichensätzen  - komplementär  zum  unterschiedlich  stark  angehäuften 
Bildwissen  aus  visuellen  Medien  - bedienten  sich  Jugendkulturen  in  beiden 
Hälften  der  Stadt.  Diese  Jugend-Hörfunkprogramme  störten  die  Senderidenti- 
täten und  Musikfarben  ihrer  Rundfunkanstalten  erheblich.  Die  Musikpolitiken 
des  RIAS,  des  SFB  und  des  Berliner  Rundfunks  bemühten  sich  jeweils  um  die 
Konservierung  eines  bestimmten,  als  charakteristisch  benannten  Klanges.  Pop- 
musik und  einen  sich  verändernden  »Wort«-Sound  darin  einzuarbeiten  (das 
galt  in  anderen  Rahmungen  auch  für  Jugendstudio  DT  64),  war  eine  Herausfor- 
derung für  diese  Sender.  Bereits  an  dieser  Stelle  kreuzten  sich  die  Geschichten 
der  Jugendsendungen,  an  denen  verschiedene  Techniken  der  Aushandlung 
eines  kulturellen  Phänomens  sichtbar  werden. 

Die  drei  Rundfunkanstalten  gingen  ähnlich  zögerlich  auf  neue  Impulse  ein. 
Sie  hatten  auf  ihre  akustischen  Produktkommunikationen  Rücksicht  zu  neh- 
men. Jugendhörfunk  war  in  Ost-  und  Westberlin  ein  Trendverstärker,  obwohl 
die  Rundfunkanstalten  ansonsten  eher  als  Umklammerungsmaschinen  funktio- 
nierten, die  Initiativen  der  Jugendsendungen  zu  bremsen  versuchten.  Das  ge- 
lang in  Westberlin,  besonders  beim  SFB  im  Verlauf  der  1970er  Jahre  immer 
weniger,  obwohl  Wege  der  Disziplinierung  von  den  Aufsichtsinstanzen  be- 
schritten wurden. 

Von  Beginn  an  war  s-f-beat  eine  Musiksendung,  die  ausschließlich  englisch- 
sprachige Titel  spielte.  Das  wurde  bereits  als  Effekt  institutioneller  Selbstame- 


rikanisierung  beschrieben.843  Es  ist  hier  zudem  herausgehoben  worden,  dass 
»Amerikanisierung«  eher  eine  Pluralisierungvon  Zugriffsmöglichkeiten  auf  die 
Kombinationen  von  transnational  gehandelten  Musikprodukten  beschreibt,  die 
sich  in  der  Zusammenführung  und  in  der  Rekontextualisierung  mit  neuen 
Bedeutungen  aufluden  und  so  die  ursprünglich  enthaltenen  Trennlinien  auflö- 
sten. So  war  afro-amerikanischer  Soul  mit  »weißem«  Country  in  s-f-beat  und 
auch  im  RIAS -Treffpunkt  spielbar.  Möglich  war  das  auch  im  DDR-Rundfunk, 
aber  dann  nur  eingebettet  in  eine  Kritik  der  Ausgrenzungseffekte  des  kapitali- 
stischen Gesellschaftssystems. 

Die  Moderatoren  und  Musikgestalter  von  s-f-beat  und  wir  - um  zwanzig 
waren  Poparbeiter  der  Gegenkulturen.  Sie  hatten  ihre  unterschiedlichen  Titel- 
abfolgen, wiederholten  diese  regelmäßig  und  formten  daraus  persönliche 
Klangmuster,  personal  sounds.  Musik  aus  Deutschland  konnte  das  Interesse  der 
Redakteure  nicht  wecken.  Sie  spielten  konsequent  britische  und  amerikanische 
Popmusik.844 

Die  musikalische  »Nicht-Berechenbarkeit«  von  s-f-beat  und  die  »progressi- 
ve« Grundausrichtung  der  redaktionellen  Beiträgen  und  Auslegungen  knüpfte 
ein  Netz  aus  Verweisen,  das  sich  aber  immer  stärker  den  Kalten  Kriegs-Kon- 
frontationen entzog,  s-f-beat  veränderte  sich  von  einem  Programm,  das  dem 
DDR-Rundfunk  insbesondere  junge  Hörer  entziehen  sollte,  zu  einem  lokalpo- 
litisch  interessierten  Jugendmagazin,  in  dem  der  »Musik«-  und  »Wort«-Sound 
vielfältige  Distinktionen  schuf. 

Im  DDR-Rundfunk  wechselten  die  Disziplinierungen  oftmals  die  Kanäle. 
Der  Zielkonflikt  zwischen  den  ZK-Abteilungen  Agitation  und  Kultur  begrenz- 
te die  Tiefenwirkung  des  11.  Plenums  auf  den  Rundfunk  und  seine  Jugendsen- 
dungen. Die  Redaktion  von  Jugendstudio  DT  64  musste  stets  im  Spannungsfeld 
zwischen  den  ästhetischen  Geschmäckern  von  SED-Funktionären  und  Hörer- 
erwartungen agieren.  Mit  der  Erweiterung  des  Aktionsradius’  von  Jugendstudio 


843  Kaspar  Maase:  Vom  Schreckbild  zum  Vorbild.  Wie  und  warum  sich  der  deutsche  Rundfunk  ame- 
rikanisierte,  in:  Geschichte  in  Wissenschaft  und  Unterricht,  55.  Jg.  (2004)  H.  10,  S.  566-585.  Konrad  Dus- 
sel: English-Language  Pop  Music,  in:  Axel  Schildt/  Detlef  Siegfried  (Hg.):  Between  Marx  and  Coca-Cola, 
2006,  S.  149-160. 

844  Zeitzeugeninterview  Hans-Rainer  Lange,  Berlin-Marienfelde  8.1.2007. 


312 


DT  64  über  Ost-Berlin  hinaus,  das  Schaffen  von  Ereignissen  (auch  in  der  Pro- 
vinz) und  die  Integration  der  Singebewegung  in  das  Musikprogramm  am  Ende 
der  Sechziger  Jahre  festigte  DT  64  seinen  Status,  den  das  aus  der  einheitlich- 
grauen Rundfunklandschaft  der  DDR  immernoch  herausfallende  Jugendpro- 
gramm ständig  gegen  Angriffe  verteidigen  musste. 

DT  64  verletzte  den  gedachten  Klang  des  sozialistischen  Rundfunks.  Späte- 
stens ab  1967  diskutierte  das  SRK  diese  Störungen  aber  nicht  mehr.  Popularität 
und  Anziehungskraft  begründeten  diverse  Sonderrechte.  Solange  DT  64  sozia- 
listischen Pop  herstellte,  Freizeit  organisierte,  dabei  die  Konsumenten  »erzog« 
und  die  FDJ  sowie  die  DDR  als  lebendigen  und  spannenden  Ort  inszenierte, 
war  die  eigene  Musikpolitik  nach  »oben«  zu  rechtfertigen. 

Im  RIAS  spielten  Jugendformate  in  den  frühen  1960er  Jahren  eine  eher 
untergeordnete  Rolle.  Treffpunkt  16/40  war  zunächst  eine  von  Kultur-  und 
Schulfunk-Redakteuren  konzipierte  Autoren-Sendung,  die  sich  zwar  formal  an 
junge  Leute  wandte,  deren  Sprache  aber  nicht  sprach.  Popmusik  war  lange  Zeit 
kein  Teil  der  RTIS-Klangfarbe.  Erst  ab  1968  wurden  aus  »Wortarbeitern«  des 
Kalten  Krieges  auch  in  diesem  Sender  »Pop-Arbeiter«.  Seine  Zeit  als  relevante 
Sendestation  für  Jugendliche  (gerade  auch  in  der  DDR)  sollte  für  den  RIAS  erst 
in  den  1970er  Jahren  kommen. 

Die  Soundscape  Pop  in  der  grenzüberschreitenden  Medienlandschaft  Berlin 
enthielt  Schnittstellen,  an  denen  sich  die  Jugendhörfunksendungen  beiderseits 
der  Mauer  zwar  nicht  trafen,  aber  fast  berührten.  Auch  wenn  sie  unterschiedli- 
che Schwerpunkte  in  ihrer  Arbeit  mit  Pop  setzten,  überwanden  sie  alle  die 
zuvor  zementierten  Eingrenzungen  des  medialen  Kalten  Krieges. 

6.  Zornige  junge  Menschen  und  ihre  technischen,  auditiven  und  körperlichen 
Praktiken  der  Antidisziplin.  Hörerhandeln 

Um  Hörerhandeln  in  den  komplexen  Verschränkungen  der  Berliner  Rundfunk- 
landschaft kartografieren  zu  können,  sei  ein  Rückgriff  auf  die  vorangegangenen 
Kapitel  gestattet,  der  einer  groben  Zwischenzusammenfassung  gleichkommt. 

An  der  Aushandlung  von  Musikpolitik  im  Berliner  Rundfunk,  im  Sender 
Freies  Berlin  und  im  RIAS  sind  Vorgehensweisen  der  Redakteure  sichtbar  ge- 
worden, die  Michel  de  Certeau  als  »resistente,  listige  und  hartnäckige  Prakti- 

3T3 


ken«  bezeichnet.  Diese  wirken  innerhalb  hierarchischer  Institutionen,  wie  es 
Rundfunkanstalten  sind,  um  einer  vorgegebenen  Disziplin  zu  entkommen,  ohne 
jedoch  die  eigentlichen  Herrschaftsverhältnisse  zu  verlassen.84-'’  Die  institutio- 
nellen Aushandlungen  darüber,  warum  und  an  welchem  Sendeplatz  Jugendpro- 
gramme in  den  Berliner  Rundfunkanstalten  ausgestrahlt  wurden,  rahmten  diese 
Taktiken. 

Die  Medienprodukte  für  junge  Konsumentengruppen,  die  in  den  drei 
Rundfunkanstalten  erzeugt  wurden,  hatten  unterschiedliche  inhaltlich-politi- 
sche, aber  nicht  zwangsläufig  auch  deutlich  verschiedene  akustische  Aussagen. 
Die  Narrationen  der  Sender  umzuarbeiten  und  sie  neu  zu  besetzen,  waren  Tak- 
tiken der  jungen  Redakteure  und  Konsumenten,  um  an  den  Differenzen  zu  den 
intentionalen  Medientexten  ihre  eigenen  Ausleuchtungen  zu  setzen.  Sie  schrie- 
ben neue  Bewegungen  in  den  sozial  produzierten  Raum  ein,  gaben  ihm  Rich- 
tungen und  sich  selbst  darin  neue  Verortungen. 

Die  versendeten  Töne,  Bilder  und  Fiktionen  entstammten  Rundfunkan- 
stalten, die  trotz  unterschiedlicher  Organisation  und  Einbindung  in  das  frei- 
heitlich-demokratische oder  aber  sozialistisch-zentralistische  System  zuallererst 
hoch  bürokratisierte  Verwaltungen  waren,  die  Programmfreiheit-  und  aufsicht 
eher  reglementierend  als  zulassend  auslegten. 

Die  verschränkten  Geschichten,  die  »histoires  croisees«,  die  jugendliche 
Mediennutzungen  und  Zeichenproduktionen  in  West-  und  Ostberlin  schrie- 
ben, sind  ein  Geflecht  von  Aneignungen.  Es  knüpfte  sich  aus  eigensinnigen 
Taktiken,  die  Kommunikationsanordnungen  besonders  im  öffentlichen  Raum 
umzuschreiben.  An  Rezeptionsverläufen  in  der  Rundfunklandschaft  Berlin  wer- 
den diese  Netze  der  Antidisziplin 846  sichtbar,  die  auf  der  Zersplitterung  und 
Neukonfiguration  subkultureller  Zeichensätze  fußten. 

6.1.  Die  verschiedenen  Popkulturen.  Medien-Pop  und  Freizeit-Pop 

Die  Untergrabung  audiovisueller  Medientexte  und  deren  Bejahungen  sind 
Umgangsweisen  von  Konsumenten,  die  viel  mehr  in  Zuständen  komplementä- 


845 


Michel  de  Certeau:  Kunst  des  Handelns,  Berlin:  Merve  Verlag  1988,  S.  187. 


rer  Überlagerung  zu  fassen  sind.  Medien-Pop  bezeichnet  dabei  das  von  den 
Rundfunkanstalten  als  versendbar  anerkannte  und  dadurch  genormte  visuelle 
und  akustische  Material,  welches  ihre  Deutungen  von  Jugendkultur  abbildet 
und  auf  die  alltäglichen  Handlungen  jugendkultureller  Strömungen  einige 
Schritte  zugeht.  Freizeit-Pop  bezieht  sich  auf  die  Herstellung  neuer  Zeichen 
durch  die  teil-  und  gegenkulturelle  Praxis  der  Besetzung  von  Produkterzählun- 
gen und  deren  Einfügungen  in  die  alltägliche  Lebenswelt.  Freizeit-Pop  er- 
scheint als  Form  ästhetischer  Kompromisse,  die  Stufen  der  Angepasstheit  und 
der  Abweichung  anzeigen. 

Pop  ist  also  ein  sozialer  Raum,  in  welchem  die  verschiedenen  Verwendun- 
gen und  komplementären  Umdeutungen  von  Kleidungsstücken,  Tonträgern, 
Spielfilmen,  Comics,  Fernseh-  und  Hörfunksendungen  dessen  Außengrenzen 
markieren.  Es  sind  instabile  Trennlinien. 

Rundfunk-  und  Fernsehsendungen  bildeten  ihre  Deutungen  des  Populären 
in  Unterhaltungsshows  und  Hitparaden  ab,  beschleunigten  die  Einarbeitungen 
subkultureller  Impulse  in  den  Zeichensatz  des  Mainstream.  Pop  führte  stilisti- 
sche Gattungen  zusammen  und  löste  kulturelle  Hierarchien  auf.  Die  Geschich- 
te des  Pop  ist,  so  Walter  Grasskamp,  als  Reihenfolge  von  Eroberungen  zu 
schreiben,  sozusagen  eine  Kette  von  Besetzungen  von  Musik,  Frisuren  und 
Kleidungsstücken. 

6.1.1  Popkulturelle  Empfangsverhältnisse.  Unterströmungen  und 
Oberflächenbearbeitungen 

Die  akustische  Seite  anglo-amerikanischer  Popkultur  in  einem  HRD-Hörfunk- 
programm,  und  nicht  nur  dort,  zu  Gehör  zu  bringen,  hieß  beim  Sender  Freies 
Berlin  Mitte  der  1960er  Jahre  »einfach  Musik  zu  spielen,  die  nicht  aus  den 
Rundfunkarchiven  stammte.«850  Die  Veränderungen  der  öffentlich-rechtlichen 
Jugendprogramme  in  Berlin  - mit  stärkeren  Abstrichen  auch  im  DDR-Rund- 
funk  - waren  auf  die  ausgewählten  Wahrnehmungen  der  politisch  und  pop-kul- 


850  Wolfgang  Kraesze:  Das  Wichtigste  wird  in  die  Nacht  verdammt,  in:  Olaf  Leitner  (Hg.):  West- 
Berlin!,  Westberlin!  Berlin  (West)!  Die  Kultur  - Die  Szene  - Die  Politik.  Erinnerungen  an  eine  Teilstadt 
der  70er  und  80er  Jahre,  Berlin:  Schwarzkopf  & Schwarzkopf  2002,  S.  338-346,  S.  340. 


3J5 


turell  engagierten  Umwelten  zu  beziehen,  in  denen  die  Redakteure  und  freien 
Mitarbeiter  sich  bewegten.  Allerdings  war  nicht  alles  im  SFB  und  RIAS  vor  dem 
Mikrofon  sagbar,  auch  wenn  schon  vieles  in  s-f-beat  oder  dem  RIAS-Treffpunkt 
musikalisch  spielbar  geworden  war. 

Sich  in  der  Zeichenwelt  der  Popkultur  zu  bewegen,  lernten  die  Jugendli- 
chen schnell,  gründlich  und  gewissenhaft.  Sie  häuften  darüber  symbolisches 
Kapital  an,  erhielten  andere  Blickweisen,  obwohl  Weiterqualifizierung  im 
sozialistischen  und  bundesrepublikanischen  Arbeitsleben  andere  Anforderun- 
gen an  sie  stellte.  Über  die  Differenz  zur  »sauberen«  Tanz-  und  Unterhaltungs- 
musik bespielten  die  jungen  Konsumenten  ihre  Tonspuren,  ihre  alltägliche 
Soundtracks.851  Dazu  gehörte  auch,  sich  immer  wieder  von  Neuem  gegen  die 
hegemonialen  Hybridisierungen  zu  wehren  und  unbesetzte  Territorien  zu  fin- 
den. Jugendliche  der  Gegenwart  würden  anders  hören  und  andere  Musikstile 
bevorzugen  als  diejenigen  fünf  Jahre  zuvor852,  schrieb  j'-J-^ctff-Redakteurin 
Marianne  Wagner.  Das  würde  schubweise  Veränderungen  bei  den  Programm- 
anbietern notwendig  machen,  meinte  sie,  nicht  nur  in  West-Berlin. 

Die  Pop-Experten  in  der  DDR  wurden  immer  jünger.  Das  lag  insbesonde- 
re daran,  dass  die  preiswerter  werdenden  Empfangsgeräte  das  Eintrittsalter  in 
die  Welt  popmusikalischer  Sozialisationen  zwischen  Mitte  der  1960er  Jahre 
und  der  1970  Jahre  senkten.  War  um  1965  das  Geschenk  zur  Jugendweihe  oft- 
mals ein  Kofferradio,  dann  waren  es  zehn  Jahre  später  ein  Z/p^owtf-Plattenspie- 
ler  aus  Zittau,  ein  RFT-M/weff-Kassettenrekorder  aus  Hermsdorf  oder  ein 
Hweff-Rekorder  aus  Blankenburg.  Eine  zwischen  1968  und  1978  mehrfach 
durchgeführte  Intervallstudie  des  Leipziger  Instituts  für  Jugendforschung  zeigt, 
dass  Ende  der  1960er  Jahre  doppelt  so  viele  Achtklässler  ein  Kofferradio  (43 
Prozent)  besaßen  als  diejenigen  zwei  Jahrgangsstufen  darunter  (20  Prozent).  In 
der  zehnten  Klasse  hatten  dann  drei  von  fünf  Jugendlichen  ein  solches  Gerät. 
Der  Anteil  stieg  also  nochmals  in  gleichem  Maße  an.  1968  hatte  jeder  vierte 


851  Peter  Wicke:  Soundtracks.  Popmusik  und  Pop-Diskurs,  in:  Walter  Grasskamp  et  al.  (Hg.):  Was 
ist  Pop?,  2004,  S.  115-139,  S.  116. 

852  Marianne  Wagner:  Aus  dem  Erfahrungsschatz  gebrannter  Kinder  (1),  in:  medium,  8.  Jg.  (1978) 
H.  10,  S.  12-13,  S.  13. 


3l6 


zwölfjährige  Junge  eine  »Kofferheule«,  mit  14  jeder  zweite  und  zwei  Jahre  spä- 
ter hielten  in  einer  Gruppe  von  vier  Jungen  drei  Transistorradios  in  den  Hän- 
den.853 Nur  jedes  achte  Mädchen  hatte  mit  12  Jahren  ein  solches  Gerät.  Der 
Nachholbedarf  junger  Frauen  war  beträchtlich.  Zwei  Jahre  später  besaßen  aber 
schon  mehr  als  ein  Drittel  (36  Prozent)  ein  mobiles  Radio.  1976  verfügte  be- 
reits mehr  als  die  Hälfte  männlicher  Sechstklässler  und  mehr  als  ein  Drittel 
aller  Mädchen  in  diesem  Alter  über  ein  Kofferradio.  Die  Studie  verzeichnete 
erneut  einen  sprunghaften  Anstieg.  Der  Unterschied  zwischen  den  Geschlech- 
tern schwäche  sich  ab,  konstatierten  die  Forscher,  löse  sich  aber  nicht  auf. 

6. 1 .2  Klang  und  symbolische  Devianz  im  öffentlichen  Raum  in  Berlin 

DDR-Jugendliche  in  den  1960er  Jahren  eigneten  sich  viel  früher  individuelle 
Medienkompetenzen  an  als  vorangegangene  Nutzergenerationen.  Die  aktive, 
grenzüberschreitende  Zusammenführung  unterschiedlicher  Medienangebote 
beschleunigte  diese  Entwicklung.  Dadurch  erweiterte  sich  der  Spielraum  für 
symbolische  Devianz  beträchtlich.  Das  zeigte  sich  auch  in  selbstbewussten  Ge- 
gendeutungen zu  offiziellen  Medientexten.  Das  Gerücht,  die  Rolling  Stones  wür- 
den auf  dem  Kreuzberger  Springer-Hochhaus  zum  Republikgeburtstag  spielen, 
veranlasste  im  Oktober  1969  mehrere  tausend  Jugendliche  in  den  DDR-Bezir- 
ken  dazu,  in  die  Hauptstadt  zu  fahren  und  auf  den  Konzertbeginn  zu  warten. 
2000  Jugendliche  schafften  dies,  auch  wenn  Sirenengeheul  und  Blaulicht  ande- 
re akustische  und  visuelle  Ereignisse  erzeugten  als  die  vergeblich  von  Keith 
Richards  und  Mick  Jagger  erwarteten.  Solch  herrschaftliche  Klang-  und  Licht- 
effekte waren  auch  im  Umfeld  Westberliner  Großveranstaltungen  schnell  her- 
auszufordernde Symbole  von  Ordnung  und  Sicherheit  und  ein  großflächig  in- 
szeniertes Schauspiel.  Demokratisch-freiheitliche  Polizeiknüppel  hinterließen 
die  gleichen  Markierungen  wie  sozialistische. 

Ein  beliebtes  öffentliches  Schauspiel  bei  Ostberliner  Jugendlichen  war  es, 
in  größeren  Gruppen  laut  Westradio  zu  hören.  Nicht  nur  der  entstehende 


853  Lothar  Bisky:  Die  Entwicklung  der  Mediennutzung  als  kulturelle  Verhaltensweise  Jugendlicher, 
in:  Walter  Friedrich/  Harry  Müller  (Hg.):  Zur  Psychologie  der  12  bis  22  jährigen,  Berlin:  Deutscher  Ver- 
lag der  Wissenschaften  1980,  S.  146-173,  S.  149. 


30 


Lärm  störte  die  innerstädtischen  Feierabendrituale  von  Arbeitern  und  Ange- 
stellten. Das  Ministerium  für  Staatssicherheit  (MfS)  berichtete  im  September 
1969  über  vereinzelte  Klagen  von  Bürgern  der  Hauptstadt  im  Vorfeld  des  20. 
Jahrestages  der  Republikgründung.  Es  gebe,  so  der  Vorwurf,  »keinen  ausrei- 
chenden Schutz  gegen  derartige  Übergriffe  irregeleiteter  Jugendlicher.«854  Die 
Jugendlichen  warfen  den  vorbei  gehenden  Bürgern  nicht  nur  »glimmende 
Zigarettenreste«,  sondern  auch  deftige  Beleidigungen  hinterher.  Diese  symbo- 
lischen Aufladungen  abweichenden  Verhaltens  waren  Bastelanleitungen  zu 
selbst  gefertigten  Identitäten  jenseits  von  Strebsamkeit  und  zielgerichteter 
Anpassungswilligkeit. 

Vor  dem  S-Bahnhof  Schönhauser  Allee  und  dem  Kino  SKALA  im  Prenz- 
lauer Berg  trafen  sich,  so  die  an  das  MfS  übermittelten  Erkenntnisse  der  Volks- 
polizeidirektion Berlin,  an  jedem  Abend  zwischen  20  und  30  Jugendliche.  Aus- 
geprägt sei  »unter  diesen  Jugendlichen  das  Abhören  westlicher  Sendestationen 
mittels  Kofferradios«855  Die  Empfangsgeräte  waren  in  Schutzumschläge  ge- 
hüllt, die  auf  den  ersten  Blick  wie  Schultaschen  aussahen. 856  Auf  dem  Helm- 
holtz-Platz,  einige  Straßen  weiter,  lärmten  ebenfalls  bis  zu  3 0 Jugendliche  jeden 
Abend  und  beschädigten  die  Parkanlagen.  Hier  bildete  sich  »eine  ständige 
Konzentration  Jugendlicher«,  die  ihre  Freizeit  »nicht  sinnvoll«  verbrachte. 
Auch  dort  waren  die  Kofferradios  bis  zum  Anschlag  aufgedreht.  Am  Kollwitz- 
platz,  an  der  Ecke  Chodowicki-  und  Winsstraße  und  im  Bötzowviertel  an  der 
Hufeland-  und  Esmarchstraße  hielten  sich  regelmäßig  Jugendliche  auf.  Diese 
»Orte«  hatten  die  Jugendlichen  sicherlich  nicht  neu  erfunden,  sondern  fügten 
ihre  »Besetzung«  an  die  vorangegangenen  an,  röhrten  nicht  mehr  unbedingt 
mit  Motorrädern  umher,  sondern  ließen  Musikklänge  aus  den  Lautsprechern 
drängen,  die  nur  mit  Mühe  zu  bestimmen  waren. 

Die  nachdrückliche  Bekämpfung  solcher  als  Verfehlungen  bezeichneten 


854  BStU,  MfS,  HA  XX,  Nr.  10212  foliert,  HA  VT I I , Abt.  3,  Major  Mikuszeit,  an  ZAIG  im  Hause, 
Information:  Randalierende  Jugendliche  am  Strausberger  Platz,  Berlin  23.9.1969,  Bl.  16. 

855  BStU,  MfS,  HA  XX,  Nr.  11635  foliert,  Präsidium  der  Volkspolizei  Berlin,  Präsident,  an  Verwal- 
tung für  Staatssicherheit  Groß-Berlin,  Leiter,  Dokumentation  über  Tendenzen  der  Fehlentwicklung 
jugendlicher  und  jungerwachsener  Bürger  der  Hauptstadt  der  DDR-Berlin,  10.6.1969,  Bl.  1-96,  Bl.  12. 

856  Siehe:  Die  Fotos  von  Jugendlichen  Bl.  16  und  Bl.  17. 


31S 


Umnutzungen  des  öffentlichen  Raumes857  stimmten  mit  den  Ordnungsvorstel- 
lungen breiter  Bevölkerungsschichten  durchaus  überein.  Auf  deren  Loyalitäten 
konnte  auch  deshalb  Bezug  genommen  werden,  weil  die  Ansammlungen  Ju- 
gendlicher sowohl  die  Redeweisen  über  sozialistische  Fortschrittlichkeit  als 
auch  die  Grenzziehungen  bürgerlicher  und  proletarischer  Sauberkeitsvorstel- 
lungen herausforderten.  Das  bedeutete,  dass  das  »Verbot  des  Auftritts  von 
Beat-Kapellen,  überspitzte  Maßnahmen  zur  Zurückdrängung  der  Dekadenz, 
Auflösung  von  Gruppierungen  usw.«  genügten,  um  bei  DDR-Jugendlichen 
»mehr  oder  weniger  spontane  negative  oder  feindliche  Reaktionen  auszu- 
lösen.«858 

6. 1.2.1  Die  jugendlichen  Deutungen  der  DT  64- Argumente  gegen  Gammler  1965 

Hörer  machten  in  ihren  Briefen  an  Jugendstudio  DT  64  vor  dem  1 1 . Plenum 
gerade  am  Thema  Beatmusik  deutlich,  dass  sie  diese  Techniken  der  Gegendeu- 
tung medialer  Angebote  kannten.  Sie  akzeptierten  lebensstilistische  Ausdiffe- 
renzierungen, auch  wenn  sie  im  Jugendverband  FDJ  engagiert  waren.  »Als  lei- 
denschaftlicher Beat-Fan  muß  ich  mich  gegen  ihre  aggressiven  Anspielungen 
gegen  den  Beat  auf  das  Energischste  wehren.«  »Sie«  - damit  war  der  staatliche 
Jugendfunk  gemeint  - »reden  immer  so  viel«  darüber,  dass  in  der  DDR  »alles 
für  die  Jugend  getan«  werde.  Das  stimme  aber  nicht,  da  »Sie  den  Beat  verbie- 
ten. «S59 

Damit  erreiche  die  Partei  und  der  Rundfunk  gar  nichts,  so  ein  Anony- 
mus im  Frühjahr  1966.  In  anderen  Staaten  des  sozialistischen  Lagers  - Polen, 
CSSR  oder  Jugoslawien  - sei  eben  jener  Beat  nicht  verboten.  Deshalb  würden 
viele  Jugendliche  »ja  unseren  Staat«  hassen:  weil  vieles  verboten  werde.  Es  sei 
»langweilig«  und  deshalb  fühle  sich  die  Jugend  in  der  DDR  nicht  wohl.  Die 
Beat-Fans  hätten  in  Halle,  Leipzig  und  Dresden  zu  Recht  demonstriert. 


857  Siehe:  Die  Berichte  der  Bezirksbehörde  der  Deutschen  Volkspolizei,  Potsdam,  für  die  Jahre  1965- 
1968,  in:  Lindenberger:  Volkspolizei,  2003,  S.  423-432. 

858  BStU,  MfS,  ELA.  XX,  Nr.  6189  foliert,  Einsatzstab  Aktion  »Nachstoß«,  Analyse  zur  Entwicklung 
der  politisch-operativen  Situation  unter  jugendlichen  Personenkreisen  sowie  zur  Wirksamkeit  der  einge- 
leiteten Maßnahmen,  Berlin  20.  11.1969,  Bl.  289-332,  S.  309. 

859  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkomitee,  AVN  18,  Postbulletin 
28/29.3.1966,  Hörerbrief  anonym,  Poststempel  Hoyerswerda,  S.  3. 


3J9 


Die  Hörerin  Ursula  beschwerte  sich  im  Dezember  1965,  dass  inzwischen 
so  wenig  gute  Kapellen  in  Plauen  spielen  würden,  dass  ihre  Stadt  einschlafe.  Sie 
fragte  DT  64,  warum  so  viele  Bands  verboten  würden.  Nur  deshalb  »weil  sie  der 
Mode  entsprechende  Hits«  spielen?  Sie  sehe,  dass  »diese  Kapellen  stets  in 
einem  vollen  Haus  spielen,  eben  weil  diese  >Welle<  bevorzugt«860  werde. 

Barbara,  eine  FDJlerin  aus  Neuenhagen,  ärgerte  sich  Anfang  Dezember 
1965  darüber,  dass  es  nun  hieß,  in  der  DDR  gäbe  es  keine  Gammler,  sondern 
nur  in  Westdeutschland.  Sie  bezweifelte  dies  und  stellte  die  von  den  Tageszei- 
tungen und  von  Jugendstudio  DT  64  bekräftigten  Ausschließungen  in  Frage.  Die 
Vorgänge  in  Leipzig  im  Umfeld  der  Beat-Demonstration  kannte  die  FDJlerin. 
Sie  kannte  auch  die  Berliner  »Gammlertreffpunkte«,  den  Tunnel  am  Bahnhof 
Lichtenberg  und  den  S-Bahnhof  Ostkreuz.  Die  junge  Frau  betonte,  dass  »nicht 
alle,  die  lange  Haare  und  Twist-Hosen  haben  gleich  Gammler«  seien,  denn 
»dann  müßten  einige  Mädchen  und  Jungen  in  unserer  Schule  auch  Gammler 
sein.«861  Die  wären  aber  gute  und  engagierte  Mitglieder  des  sozialistischen 
Jugendverbandes.  Eine  andere  junge  Frau,  Angelika  aus  Berlin,  hatte  mehrfach 
von  Freunden  und  Bekannten  gehört,  dass  »Jugendliche  mit  etwas  längeren 
Haaren  als  üblich,  von  den  Angehörigen  von  Kampfgruppen  mitgenommen 
und  auf  dem  Polizeirevier  barbiert«  würden.  Mit  welchem  Recht  würde  dies 
gemacht?  Von  wem  hätten  die  Einsatzkräfte  der  Volkspolizei  die  Erlaubnis, 
fragte  sie,  denn  das  sei  »indirekte  Körperverletzung.«862  Die  Hörerin  verlang- 
te, dass  Jugendstudio  DT  64  dazu  eine  Diskussionsrunde  veranstalten  möge. 

Um  Meinungsbildung,  sozialistische  Erziehung  und  die  Gültigkeit  des  Ju- 
gendkommuniques »Hausherren  von  morgen«  zu  zeigen,  führte  DT  64  in  die- 
ser Zeit  häufig  Jugendforen  durch.  Doch  das  Thema  »Zwangshaarschnitt  für 
Gammler«  war  zu  heiß  und  zu  kritisch  für  den  DDR-Rundfunk  und  die 
Jugendsendung  des  Berliner  Rundfunks.  Hörerin  Barbara  schien  journalistische 


860  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkomitee,  AVN  18,  Postbulletin 
17/18.12.1965,  Hörerbrief  Ursula,  S.  2. 

861  DRA,  P-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkomitee,  AVN  18,  Postbulletin 
4/6/7.12.1965,  Hörerbrief  Barbara,  S.  2. 

862  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkomitee,  AVN  18,  Postbulletin 
2.11.1965,  Hörerbrief  Angelika,  S.  2. 


320 


Bearbeitungen  dieses  Themas  zu  erwarten,  die  sie  von  HRD-Politikmagazinen 
wie  Panorama  oder  Monitor  gekannt  haben  mag. 

»Ihr  redet  dauernd,  daß  bei  uns  jeder  Jugendliche  frei  ist  und  tun  und  las- 
sen kann,  was  er  gerne  möchte«863,  hielt  Karin  dem  Jugendstudio  vor.  Obwohl 
ihr  lange  Haare  persönlich  nicht  gefielen,  ginge  es  nicht,  wenn  DT  64  dagegen 
»hetze«.  Schließlich  seien  diese  Frisuren  nun  modern.  Ansonsten  hebe  schließ- 
lich der  DDR-Jugendfunk  immer  alles  Fortschrittliche  und  Moderne  hervor. 
»Wenn  wir  frei  sind,  kann  doch  jeder  rumlaufen  wie  er  will.  Wenn  Gammler 
nun  so  rumlaufen,  laßt  sie  doch!«  Die  junge  Hörerin  beschwerte  sich,  dass  ihrer 
Ansicht  nach  zu  wenig  Beat  gespielt  werde.  Diese  Musik  habe  sie  bislang  an  das 
Programm  von  Jugendstudio  DT  64  gebunden. 

6. 1.2 .2  Das  Nicht-Konzert  der  Rolling  Stones  am  7.  Oktober  1969 

Das  über  den  RIAS  verbreitete  Gerücht  über  ein  angebliches  Rolling-Stones- 
Konzert  auf  dem  grenznahen  - und  damit  von  Ostberliner  Seite  gut  einsehba- 
ren - Springer-Hochhaus  in  der  Kreuzberger  Kochstrasse  zum  runden  Repu- 
blikgeburtstag  am  7.  Oktober  1969  erzeugte  ein  Ereignis,  das  die  Sichtbarkeit 
von  Pop  im  DDR-Alltag  und  das  Unverständnis  von  Pop  seitens  der  Über- 
wachsorgane verdeutlichte.  Die  von  der  Volkspolizei  an  diesem  Tag  verhafteten 
- »angefallenen«  - Jugendlichen  nahmen  diese  Gelegenheit  als  »echte  Sensati- 
on« und  eine  »einmalige  Chance«  wahr,  »ein  Stück  westlicher  Freiheit«  zu 
erleben.  Das  Risiko,  von  den  drastischen  Verhinderungstechniken  der  Sicher- 
heitsorgane erfasst  zu  werden,  war  dabei  einkalkuliert.  Die  Volkspolizei  stellte 
im  Vorfeld  des  vermeintlichen  Stones- Konzertes  2320  beabsichtigte  Reisen  von 
»negativen  Jugendlichen«  aus  allen  Teilen  der  DDR  nach  Berlin  fest.  487  Ju- 
gendliche wurden  in  die  Heimatorte  zurückgeschickt,  vier  erhielten  eine  Auf- 
enthaltsbeschränkung, 157  dagegen  Berlin -Verbot,  mit  1558  wurden  »Ausspra- 
chen« geführt.  Es  gab  zwölf  Haftbefehle.  Die  Polizei  leitete  zwei  Ermittlungs- 
verfahren ein.  Die  Transportpolizei  hatte  bis  zum  Jahrestag  der  Republik  660 


Ebd.,  Hörerbrief  von  Karin  A.  S.  1. 


321 


Personen  wieder  zurückgewiesen.  In  der  Hauptstadt  hatte  die  Volkspolizei 
noch  weitere  115  Personen  demMfS  »zugeführt.«864 

Am  frühen  Nachmittag  des  7.  Oktober  1969  hielten  sich  zwischen  Spittel- 
markt, Hausvogteiplatz,  Leipziger,  Jerusalemer-  und  Marktgrafenstraße  bis  zu 
2000  »derartige  Jugendliche«  auf.  Natürlich  war  die  Staatsgrenze  zu  jeder  Zeit 
gesichert  und  »keine  Gruppen  dekadenter  Jugendlicher«  gelangten  dort  hin. 
Eine  Stunde  später  war  der  Bereich  zwar  geräumt,  doch  das  Problem  war  mit 
der  Zerstreuung  der  Menge  nicht  beseitigt.  Wenig  später  hatten  sich  Jugendli- 
che an  verschiedenen  Plätzen  zwischen  Liebknechtstraße,  Marx-Engels-Platz, 
Breite  Straße  und  nach  Westen  am  Thälmannplatz  wieder  gesammelt  und  pro- 
vozierten mit  Sprechchören  wie  »Freiheit«,  »Es  lebe  Mao«,  »Es  lebe  Dubcek« 
und  »1,  2,  3,  ...  Sch...!«865.  Durch  diese  Akte  der  Präsenz  veränderte  sich  der 
durchherrschte  öffentliche  Raum,  den  de  Certeau  als  »Geflecht  von  bewegli- 
chen Elementen«  versteht,  die  sich  in  ihm  entfalten  und  ihn  ausfüllen.866  Sie 
geben  dem  öffentlichen  Raum  dadurch  eine  Richtung,  die  die  herrschaftlichen 
Uberwachungstechniken  und  ihre  Apparate  erst  wieder  mit  einigem  Personal- 
aufwand umlenken  mussten. 

Im  Nachgang  zählte  das  MfS  im  Oktober  1969  verschiedene  Erscheinun- 
gen symbolischer  Devianz  auf,  die  an  den  Rowdytum-Diskurs  angeschlossen 
wurden.  In  einer  Lehrlingswerkstatt  der  SDAG  Wismut  in  Schlema  stellten 
Jugendliche  Metall-Armbänder  mit  der  Aufschrift  »King-Stones«  her,  in  Götz 
(Kreis  Brandenburg)  erschien  ein  Jugendlicher  auf  einer  Nachmittagsveranstal- 
tung im  Kulturhaus  mit  einem  T-Shirt,  auf  dem  die  Rolling  Stones  abgebildet 
waren.  Außerdem  hatte  er  sich  die  britische  Flagge  an  die  Brust  geheftet.  Aller- 
dings störte  sich  dort  im  Havelland  niemand  daran.  Nach  fünf  Stunden  kam  der 
Abschnittsbevollmächtigte  und  verwies  diesen  SVowet-Fan  schließlich  des  Saales. 
Zwei  Mädchen  aus  der  Nähe  von  Görlitz  ritzten  sich  mit  Rasierklingen  »die 


864  BStU,  MfS,  HA  XX,  Nr.  10211  foliert,  Arbeitsstab,  Aktion  Stafette,  Bericht  zu  den  rowdyhaften 
und  staatsfeindlichen  Ausschreitungen  Jugendlicher  am  7.10.69,  Berlin  9.10.1969,  Bl.  25  -33,  Bl.  27.  [Es 
kam  zu  5 Ermittlungsverfahren  mit  Haft,  3 Ordnungsstrafen,  46  Rückschleusungen  in  die  Heimatorte 
über  die  Transportpolizei,  23  Berlin- Verbote,  14  Belehrungen,  bei  24  Personen  »waren  noch  weitere 
Überprüfungen  erforderlich«] . 

865  Ebd.,  Bl.  29. 

866  Michel  de  Certeau:  Kunst  des  Handelns,  1988,  S.  218. 


322 


Worte  »Rolling  Stones  Fan«  in  die  Unterarme.  Vier  Jugendliche  der  Zünd- 
holzwerke Riesa  beschrifteten  ihre  Arbeitsjacken  mit  Rolling  Stones.  Ein  anderer 
Jugendlicher  tätowierte  sich  »den  linken  Unterarm  mit  einem  Eisernen  Kreuz 
und  einem  kleinen  Hakenkreuz.«867  Mit  ähnlichen  Bezügen  setzte  sich  auch 
eine  »lose  Gruppierung  von  22  Jugendlichen  im  Alter  von  14-18  Jahren«  in 
Burg  an  der  Elbe  in  Szene.  Sie  nannten  sich  »Vereinigung  Deutscher  Jugend« 
(VDJ)  oder  auch  »Burger  Fan-Club  68«  (BFC  68).  Ihre  Klubzugehörigkeit 
stellten  sie  auf  T-Shirts  mit  einheitlichen  Emblemen  zur  Schau.  Diese  Beset- 
zungen von  öffentlichem  Raum  mit  Poptechniken  bezogen  sich  also  auf  zeitge- 
nössische und  vergangene  Zeichensätze  und  ihre  Verwendungen.  Diese  konn- 
ten auch  auf  den  Nationalsozialismus  verweisen.  Diese  Taktiken  und  Hand- 
lungsweisen setzten  Differenzen  zur  sozialistischen  und  parteilichen  Deutung 
und  Symbolpolitik. 

Die  Wegnahme  von  Kofferradios,  Zum-Haare-schneiden- Schicken,  Gast- 
stättenverbote und  allgemeine  Alkoholverbote  bewertete  die  MfS-Aktion  »Nach- 
stoß« als  »weiche«  Maßnahmen,  um  die  Einstellungen  »negativer  Jugendli- 
cher« erzieherisch  zu  beeinflussen.  Diese  könnten  fallweise  mit  »härteren« 
Vorgehensweisen  verbunden  werden,  für  die  nicht  notwendigerweise  eine 
gesetzliche  Grundlage  bestehen  müsse.  Allerdings  müssten  künftig,  so  das  MfS, 
»differenzierte  gesellschaftliche  Sanktionen  gegen  dekadente  Jugendliche«  be- 
vorzugt werden,  da  diese  auf  den  einzelnen  Jugendlichen  abgestimmt  und 
rechtlich  begründet  werden  könnten.  Kampagnenmäßige  Züge  seien  unbedingt 
zu  vermeiden,  argumentierte  das  MfS  weiter,  sofern  sie  über  die  von  der  Mehr- 
heitsgesellschaft geteilten  Vorstellungen  von  ordentlichem  Benehmen  hinausge- 
hen und  den  Anschein  »administrativer  staatlicher  Maßnahmen«868  erwecken 
würden.  Die  Pößnecker  SED-Kreisleitung  sei  in  dieser  Hinsicht  falsch  vorge- 
gangen, kritisierte  die  MfS-Abteilung  XX,  gerade  weil  sie  »ohne  Abstimmung 
mit  dem  MfS  eine  Aktion  gegen  langhaarige  Jugendliche  gestartet«  habe.  67 
Jugendlichen  wurden  dort  unter  Gewaltanwendung  die  Haare  geschnitten.  Das 


867  BStU,  MfS,  HA  XX,  Nr.  6189  foliert,  Aktion  »Nachstoß«,  Analyse  zur  Entwicklung  der  poli- 
tisch-operativen  Situation  unter  jugendlichen  Personenkreisen,  Berlin  20.  11.1969,  Bl.  327. 

868  Ebd.,  S.  321. 


323 


löste  eine  Solidarisierung  anderer  Jugendlicher  aus,  die  sich  an  den  folgenden 
Tagen,  dem  22.  und  23.  Oktober  1969  auf  dem  Marktplatz  einfanden.  Von  den 
200  Jugendlichen  wurden  39  der  Kreisstelle  der  Staatssicherheit  übergeben. 
Vier  Jugendliche  mussten  in  Untersuchungshaft. 

6. 1 .2 .3  Erfahrungsberichte  Westberliner  Polizeidirektionen  von 
Beatkonzerten  1966 

Auch  der  in  der  freiheitlich-liberalen  Demokratie  produzierte  öffentliche  Raum 
war  von  Ordnungs-  und  Sicherheitsmaßnahmen  durchzogen.  Sie  richteten  sich 
zunächst  an  Veranstaltungs-,  später  an  Demonstrationsöffentlichkeiten.  Nach 
den  Ausschreitungen  beim  Sfower-Konzert  in  der  Charlottenburger  Waldbühne 
am  15.  und  16.  September  1965  und  der  parteipolitisch  motivierten  Problema- 
tisierung  im  Berliner  Abgeordnetenhaus  trafen  sich  die  Senatsverwaltung  des 
Innern  und  der  Stab  des  Polizeipräsidenten  wiederholt,  um  das  »Rowdytum«  in 
West-Berlin  zu  behandeln.869  Ein  Ergebnis  dieser  Treffen  war  die  Regelung, 
dass  Veranstalter  von  Hallenkonzerten  künftig  zusätzliche  Ordnungskräfte 
bereitzustellen  hatten.870 

Der  Jugendverband  »Die  Falken«  hatte  die  britische  Beat-  und  Rockband 
The  Who  Ende  Oktober  1966  in  den  Schöneberger  Sportpalast  gebucht.871  Im 
Vorprogramm  spielten  die  Berliner  Gruppen  The  Boots  und  The  Hound  Dogs 
sowie  die  britischen  Kapellen  The  Moody  Blues  und  Casey  Jones  & his  Govenors. 
Die  »Falken«  hatten  sechzig  Mitglieder  eines  Amateur-Boxclubs  als  Ordnungs- 
dienst bestellt,  die  »die  Darsteller  auf  der  Bühne  vor  >hyperbegeisterten<  Zuhö- 
rern« schützen  sollten  und  »im  gesamten  Zuschauerraum  Störungen  im  Keime 
zu  ersticken«  hatten.  Die  Schöneberger  Polizei  hatte  62  Einsatzkräfte  in  den 


869  LAB,  B Rep.  020,  Acc.  2117,  Nr.  7803  foliert,  Senatsverwaltung  Inneres,  Marx,  Vermerk,  Betr.: 
Maßnahmen  gegen  unzuverlässige  Gaststättenkonzessionäre;  hier:  Vorbesprechung  für  die  erste  Sitzung 
der  Rowdy-Kommission  am  18.1.1966,  Berlin  19.1.1966,  Bl.  3-8. 

870  LAB,  B Rep.  020  Nr.  7813  unpag.,  Polizeipräsident  in  Berlin,  Betr.:  Erfahrungsberichte  der  Poli- 
zeiinspektionen Neukölln,  Schöneberg  und  Charlottenburg  über  Beat- Veranstaltungen,  Berlin  11.1.1967, 
S.  1-2,  S.  1. 

LAB,  B Rep.  020  Nr.  7813  unpag.,  Polizeiinspektion  Schöneberg,  Lode,  Betr.:  Bericht  über  die 
Beat- Veranstaltung  im  Sportpalast  am  30.10.1966  - Veranstalter  »Die  Falken«,  S.  1-16,  S.  1. 


Sportpalast  beordert  und  noch  zehn  Mann  in  Bereitschaft  versetzt.872  Das  Kon- 
zert begann  um  17  Uhr.  Einige  jugendliche  Besucher  versuchten  die  Absper- 
rungen zu  überwinden.  Das  verhinderten  aber  die  Ordner.  7000  Besucher 
waren  im  Saal,  als  The  Who  kurz  vor  19.30  Uhr  auf  die  Bühne  kamen.  Ab  da 
waren  die  Besucher  nicht  mehr  auf  ihren  Stühlen  zu  halten.  Die  Rhythmen  des 
ersten  Liedes  vermischten  sich  »mit  dem  Begleitgeschrei  der  Zuhörer  mehr 
und  mehr  derart,  dass  der  gesamte  Raum  nur  noch  mit  einem  einzigen  ohren- 
betäubenden Lärm  erfüllt  war.«873  Das  dauerte  dann  eine  Stunde  lang.  Eine 
Bierflasche  habe  ein  junges  Mädchen  am  Kopf  verletzt,  schrieb  der  Polizist, 
Stühle  seien  anfänglich  zwar  geworfen  worden,  die  »kräftigen  Ordner«  hätten 
das  aber  schnell  unterbunden.  »Man  bekam  den  Eindruck,  dass  viele  der  jungen 
Zuhörer  unter  Führung  eines  >Leithammels<  gern  etwas  Radau  aus  Freude  am 
Radau  mitgemacht  hätten.«  Dann  wäre  die  »an  und  für  sich  harmlose  Menge« 
schlagartig  gefährlich  geworden,  analysierte  der  Polizeiexperte  in  der  Rück- 
schau. Mit  den  Saalordnern  sei  aber  eine  »ordnende  Gewalt«874  vorhanden 
gewesen.  Zehn  Minuten  nach  Veranstaltungsende,  gegen  20.30  Uhr,  war  der 
Saal  leer.  Nur  vereinzelt  hielten  sich  Gruppen  Jugendlicher  danach  noch  vor 
dem  Sportpalast  auf. 

Die  Neuköllner  Polizeidirektion  fügte  ihrem  Bericht  über  einen  anderen 
Einsatz  auf  einem  Konzert  im  Dezember  1966  in  eine  Abhandlung  über 
jugendliches  Verhalten  ein.  Darin  heißt  es:  »Beat  als  Musik  ist  zumindest  keine 
Aufforderung,  Krawall  zu  machen  und  einen  Konzertsaal  auseinander  zuneh- 
men.«875 Die  jungen  Mädchen  hatten  ihre  »Super-Miniröcke«  und  ihre  Wind- 
jacken mit  Bandnamen  beschriftet,  wie  die  aufmerksamen  Einsatzkräfte  beob- 
achteten. Einige  »Gammler«  hätten  »verdreckte  Pelzjacken  und  Fellstiefel« 
getragen,  notierten  die  Polizisten  weiter.  »Um  den  Hals  hingen  viel  zu  große 
Metallketten  mit  Amuletten.«  Eine  andere  Begegnung  stieß  die  braven  Geset- 


872  Ebd.,  S.  2. 

873  Ebd.,  S.  8. 

874  Ebd.,  S.  14. 

875  LAB,  B Rep.  020,  Nr.  7813  unpag.,  Polizeiinspektion  Neukölln,  Urban,  Betr.:  Erfahrungsbericht 
über  den  polizeilichen  Einsatz  von  Beat- Veranstaltungen  in  der  »Neuen  Welt«  und  im  »Europa-Palast«, 
Berlin  23.12.1966,  S.  1-24,  S.  2. 


zeshüter  ab:  »Weit  widerlicher  noch  als  diese  Typen  sind  jene  langmähnigen 
Schlakse,  die  sich  in  ihrer  modernen  Kleidung  mit  den  hochhackigen  Schuhen 
in  einer  impertinenten  Art  bewegen  und  benehmen.«876  Für  diese  Taktik  der 
männlichen  Selbstinszenierung  hatte  die  Polizei  absolut  kein  Verständnis.  Der 
Einsatzbericht  der  Polizei  feminisierte  dieses  Auftreten,  setzte  die  Jugendlichen 
sprachlich  gar  mit  Prostituierten  gleich  und  markierte  ein  solches  Erschei- 
nungsbild als  »gefährlich«,  weil  es  den  geschlechtlich  definierten  Ordnungs- 
normen entgegenstand.  Entsprechend  beschrieb  der  Bericht  auch  den  The  Pret- 
ty  Things-Sänger  Phil  May  als  »durchweg  femininen  Typ  mit  ausgesprochenem 
Penner-Look.«  877 

6.2  Gekreuzte  Rezeptionen  in  einer  Rundfunklandschaft  der  Differenz 

Bis  in  die  1970er  Jahre  prägte  die  Idee  einer  linear  fortgeschriebenen  Gleich- 
förmigkeit von  ausgesandter  und  empfangener  Nachricht  die  Betrachtungswei- 
se der  Kommunikationsverhältnisse.878  Dann  etablierte  sich  der  »uses  & grati- 
fications«-Ansatz,  der  die  Beziehung  zwischen  den  Benutzungen  von  Medien 
und  den  individuell  daraus  gewonnenen  Belohnungen  betonte.879  Dabei  blie- 
ben zunächst  sowohl  der  Marktcharakter  politischer  und  kultureller  Informa- 
tionen als  auch  die  soziale  Herstellung  von  Botschaften  durch  die  Praxen  ver- 
schiedener Entschlüsselungsverfahren  vernachlässigt.880  Die  gesellschaftliche 
Aushandlung  dessen,  wie  Medien  genutzt  werden,  was  von  ihnen  in  welcher 
Situation  erwartet  und  verlangt  wird,  begann  mit  dem  Aufkommen  neuer  Ver- 


876  Ebd.,  S.  4. 

877  Ebd.,  S.  13. 

878  Harold  D.  Lasswell:  The  Structure  and  Function  of  Communication  in  Society,  in:  Wilbur 
Schramm  (Hg.):  Mass  Communication,  Urbana:  University  of  Illinois  Press  1969,  S.  117-130. 

879  Karsten  Renckstorf:  Alternative  Ansätze  der  Massenkommunikationsforschung:  Wirkungs-  vs. 
Nutzenansatz,  in:  Rundfunk  und  Fernsehen,  21  Jg.  (1973)  H.  2-3,  S 183-197.  Willi  Teichert:  Fernsehen 
als  soziales  Handeln,  in:  Rundfunk  und  Fernsehen,  20  Jg.  (1972)  H.  4,  S.  421-439.  Philipp  Palmgreen:  Der 
»Uses  and  Gratifications  Approach«,  Theoretische  Perspektiven  und  praktische  Relevanz,  in:  Hans-Bre- 
dow-Institut  (Hg.):  Rundfunk  und  Fernsehen  1948-1989,  Baden-Baden:  Nomos  1990,  S.  560-571.  Klaus 
Merten:  Vom  Nutzen  des  »Uses  and  Gratifications  Approach«,  Anmerkungen  zu  Palmgreen,  in:  Hans- 
Bredow-Institut  (Hg.):  Rundfunk  und  Fernsehen  1948-1989,  Baden-Baden:  Nomos  1990,  S.  572-578. 

880  John  Fiske/John  Hartley:  Reading  Television,  London:  Methuen  1978,  S.  13-21. 


326 


Wendungen  immer  wieder  von  neuem.  Sie  bargen  Potenziale,  generationelle 
Umgangsweisen  mit  Medienangeboten  zu  prägen.  In  der  Rundflinklandschaft 
Berlin  vollzog  sich  dieser  Umschreibungsprozess  gegen  die  auf  Verzögerung 
ausgerichteten  massenmedialen  Produktionsweisen  der  Rundfunkanstalten, 
aber  dennoch  mit  den  von  ihnen  angebotenen  klanglichen  und  visuellen  Er- 
zeugnissen. Auch  an  Popkultur  bildeten  sich  gekreuzte  Rezeptionsmuster  her- 
aus, die  sich  als  unterschiedlich  starke  Doppelnutzungen  fortschrieben.  Damit 
waren  selektive  Entnahmen  verbunden,  die  über  die  Abgleiche  mit  den  eigenen 
lebensweltlichen  Erfahrungen  in  diese  Umwelten  als  Umkodierungen  einge- 
fügt wurden. 

6.2.1  Technische  Rezeptions-  und  Empfangsverhältnisse 

Radio  besitze  eine  Erklärungsfunktion,  so  Neal  Weintraub  1971.  Teenager  wür- 
den demnach  vom  Hörfunk  erwarten,  dass  dieser  Themen  und  Probleme  be- 
handle, welche  die  jeweilige  Altersgruppe  der  Konsumenten  betreffen.881 
Jugendliche  schrieben  ab  den  1960er  Jahren  der  »Tragbarkeit«  eines  Transi- 
storradios - also  einer  mit  einem  batteriebetriebenen  Empfangsgerät  verbunde- 
nen Beweglichkeit  - eine  sehr  hohe  Nutzfunktion  zu.  Radioprogramme  dienten 
nun  viel  stärker  dazu,  Zeit  auszufüllen  und  Tagesabläufe  zu  ordnen.  Dabei  kam 
es  weniger  darauf  an,  ob  der  Inhalt  tatsächlich  als  wichtig  erachtet  wurde.  Poli- 
tische und  informative  Inhalte  störten  nur  dann,  wenn  sie  gegen  die  Anzie- 
hungskraft von  Musikprogrammen  gesetzt  waren.  In  diesem  Punkt  unterschie- 
den sich  Jugendliche  in  der  amerikanischen  Provinz  nicht  wesentlich  von  denen 
in  Neukölln  oder  Treptow. 

1967  verbrachten  etwas  mehr  als  ein  Viertel  der  Jugendlichen  in  der  sächsi- 
schen Kleinstadt  Grimma  mehr  als  zwei  Stunden  täglich  mit  dem  Konsum  von 
Massenmedien.882  Das  war  in  erster  Linie  das  Hörfunkprogramm.  1976  war  ein 


881  NealT.  Weintraub:  SomeMeanings  Radio  Has  for  Teenagers,  in:  Journal  of  Broadcasting,  15.  Jg. 
(1971)  H.  2,  S.  147-152,  S.  150. 

882  Lothar  Bisky/  Walter  Friedrich:  Massenkommunikation  und  Jugend.  Zur  Theorie  und  Praxis  der 
Massenkommunikation  und  ihrer  Einflüsse  auf  die  sozialistische  Persönlichkeitsbildung  und  Bewusst- 
seinsentwicklungjugendlicher, Berlin:  Deutscher  Verlag  der  Wissenschaften  1971,  S.  85. 


327 


das  Fernsehprogramm  bevorzugendes  Mischungsverhältnis  zwischen  Radio- 
und  TV-Nutzung  kennzeichnend  für  das  Rezeptionsverhalten  junger  DDR- 
Bürger.  Wer  DT  64  hörte,  der  schaltete  auch  deutlich  häufiger  die  Jugendsen- 
dung des  Deutschen  Fernsehfunks  - rund  - ein.883  Das  bedeutete  aber  nicht,  dass 
die  Angebote  des  West-Fernsehens  - ZDF-Disco  mit  Moderator  Ilja  Richter 
und  der  Radio  Bremen-Musikladen  mit  Uschi  Nehrke  und  Manfred  Sexauer  - 
deswegen  nicht  auch  konsumiert  wurden.  Die  Studie  des  Zentralinstituts  für 
Jugendforschung  in  Leipzig  sprach  diesen  Strang  ostdeutscher  Mediennutzung 
allerdings  nicht  an. 

Jede  Jugendgeneration  der  DDR  sozialisierte  sich  an  den  jeweils  aktuellen 
musikalischen  Einflüssen  der  internationalen  Popkultur  und  den  gängigen  Ko- 
piertechniken. Trotz  der  vielzähligen  Bemühungen,  »deutsche«  Klangbestände 
und  »progressive«  Bestandteile  in  einer  sozialistischen  Popmusik  zu  verbinden, 
fand  die  populäre  DDR-Musik  letztlich  bei  nachwachsenden  Musikkonsumen- 
ten ab  Mitte  der  1970er  Jahre  schwächer  werdenden  Anklang. 

Die  starke  Position  der  DDR-Jugendmedien  in  den  1970er  Jahren  hatte 
sich  ein  Jahrzehnt  später  in  das  Gegenteil  umgekehrt.884  In  dieser  Entwicklung 
war  DT  64  keine  Ausnahme,  obwohl  gerade  dort  bei  der  Zusammenführung 
von  DT  64  mit  tiallo!  (vom  Sender  Stimme  der  DDR)  zu  einem  Jugendsender 
zwischen  März  1986  und  Dezember  1987  weitreichende  Anstrengungen  unter- 
nommen wurden,  um  dessen  inzwischen  auf  bestimmte  Hörergruppen  be- 
grenzte Attraktivität  fortzuschreiben. 

In  der  DT  64-Anfangszeit  waren  Popmusik  und  jugendkulturelle  Inhalte 
von  den  sozialistischen  Rundfunkverantwortlichen  hingenommen  worden,  nun 
- in  den  späten  1980er  Jahren  - wollte  man  sich  darüber  profilieren.  In  Stereo- 
qualität war  Jugendradio  DT  64  1987  dennoch  nur  in  einem  Radius  von  40  Kilo- 
metern um  Berlin  empfangbar.  In  Leipzig  waren  es  50  Kilometer,  im  Umkreis 
von  Karl-Marx-Stadt  ebenfalls  nur  40  Kilometer.  Und  im  Dresdner  Elbetal 


Lothar  Bisky:  Mediennutzung,  1980,  S.  165. 

Thomas  Lietz/  Rebekka  Honeit/  Stefan  Rauhut:  Die  Rundfunknutzung  Jugendlicher  in  der 
DDR,  in:  Jahrbuch  für  Kommunikationsgeschichte,  8.  Jg.  (2006),  Stuttgart:  Steiner  Verlag.  [Dank  an 
Herrn  Lietz  für  die  pdf-Fassung]. 


328 


waren  es  nur  wenige  Kilometer.  Der  mono-Sound  von  DT  64  trug  auf  der  Mit- 
telwelle hingegen  weiter,  deckte  Berlin  im  Umkreis  von  120  Kilometern  ab, 
erreichte  immerhin  die  ganze  Ostseeküste  und  weite  Teile  der  Grenzbezirke. 
Der  Empfang  war  im  Bezirk  Schwerin,  in  der  Mecklenburgischen  Seenplatte, 
im  Elbetal  und  in  der  Oberlausitz  allerdings  zum  Ende  der  1980er  immer  noch 
lückenhaft.  Gegenüber  den  Sechziger  Jahren  war  zwar  die  topografische  Aus- 
breitung des  DDR- Rundfunks  deutlich  verbessert,  allerdings  hatte  sich  nun  der 
technische  Standard  der  Versorgung  auch  gewandelt.  Das  betraf  in  ähnlichem 
Maße  allerdings  auch  die  Empfangsqualität  der  RIAS-,  SFB-,  DLF-  und  Radio 
Luxemburg- Mittelwellen.  Nur  der  RIAS  deckte  nahezu  die  ganze  DDR  ab,  weil 
der  Sender  Elof  trotz  der  bergigen  Topografie  auch  den  südlichen  Teil  der 
DDR  erfasste.885 

SEß-Intendant  Franz  Barsig  betonte  1973,  dass  SFB  I immer  noch  auf  eine 
Teilnutzung  der  irischen  Athlone-Welle  (566  kHz)  beschränkt  sei  und  seine 
Mittelwelle  nach  Westen  abzuschirmen  habe.  Deshalb  erreiche  das  erste  SFB- 
Hörfunkprogramm  nur  knapp  60  Prozent  der  DDR-Bevölkerung.  Mit  den 
Fernsehsendern  in  West-Berlin  erreichte  der  SFB  immerhin  im  Umkreis  von 
125  Kilometern  um  Berlin  jeden  Haushalt.  Durch  seine  Präsenz  im  ARD-bcrn- 
sehen  war  es  vier  von  fünf  DDR-Haushalten  möglich,  Beiträge  des  SFB  im 
ersten  Westprogramm  zu  sehen.  Der  Beat-Club  von  Radio  Bremen  erreichte 
also  potenziell  mehr  DDR-Jugendliche  als  wir-  um  zwanzig  auf  SFB  I und  s-f- 
beat  auf  SFB  II  zusammen. 

Außer  in  Berlin,  den  angrenzenden  DDR-Bezirken  sowie  bis  zu  50  Kilome- 
ter östlich  der  innerdeutschen  Grenze  blieb  West- Sound  immer  noch  einkanalig, 
ein  mono-Sound.  Das  Stereo-Erlebnis  westlicher  Klänge  schufen  sich  die  Kon- 
sumenten in  der  DDR  selbst,  indem  sie  gleichsam  einen  zweiten  Kanal  dazu 
dachten.  Dieser  virtuelle  Kanal  enthielt  ihre  Imaginationen,  Assoziationen  und 
Wunschvorstellungen . 


885  DRA,  P-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin  Nr.  i084,  Programmausschuss, 
Kurzprotokoll  über  die  gemeinsame  Sitzung  der  Programmbeiräte  des  NDR,  WDR  und  des  Programm- 
ausschusses des  SFB,  6.  und  7.  9.1973,  S.  1-8.  Anlage  2:  Referat  des  Intendanten  Franz  Barsig,  Sender 
Freies  Berlin,  über  die  Wirkung  des  ARD-Programms  in  der  DDR  und  die  Möglichkeit,  dort  Fernsehauf- 
nahmen zu  machen,  S.  1-12,  S.  1. 


6.2.2  Doppelnutzungen  Ost 


Der  Leipziger  Jugendforscher  Walter  Friedrich  untersuchte  1967  in  der  sächsi- 
schen Stadt  Grimma,  wie  Jugendliche  ihre  Freizeit  gestalteten.886  14  Prozent 
der  Mädchen  und  Jungen  hörten  täglich  die  Sendungen  von  Jugendstudio  DT 
64,  etwas  mehr  als  die  Hälfte  verfolgten  es  mehrmals  im  Verlauf  einer  Woche. 
Ein  Viertel  der  Jugendlichen  schalteten  selten  ein.  Einer  von  sechzehn  Heran- 
wachsenden verzichtete  bereits  ganz  darauf,  den  Jugendfunk  des  Berliner  Rund- 
funks, »ihr«  DDR-Jugendprogramm,  zu  hören.  Mädchen  bezeichneten  sich 
doppelt  so  häufig  als  »Stammhörerinnen  von  DT  64«  als  Jungen.  Dies  lag  mit- 
hin auch  daran,  dass  sich  männliche  Heranwachsende  bei  weitem  stärker  über 
das  »verbotene«  Hören  von  Westsendern  inszenierten. 

Untersuchungen  des  Staatlichen  Rundfunkkomitees  stellten  1972  eine  in 
etwa  gleich  gebliebene  Verteilung  des  Hörverhaltens  zwischen  DT  64  und  den 
westdeutschen  Sendern  fest.887  Das  Jugendprogramm  des  Berliner  Rundfunks 
band  im  Verlauf  einer  Nachmittagssendung  etwa  die  Hälfte  der  jugendlichen 
Hörer,  die  »anderen«  - d.  h.  die  ausländischen  Funkstationen  (AFS)  - zwischen 
einem  Viertel  und  einem  Drittel  der  gleichen  Zielgruppe.  Der  typische  DT  64- 
Hörer,  den  diese  Reichweitenstudie  konstruierte,  war  eine  in  der  FDJ  politisch 
aktive  Schülerin,  die  an  einer  POS  oder  EOS  lernte  und  zwischen  15  und  18 
Jahre  alt  war.  Aber  wer  FDJ -Mitglied  war  und  oft  DT  64  hörte,  verzichtete  des- 
halb nicht  zwangsläufig  darauf,  Westsender  zu  hören.  Demnach  vereinigte 
Radio  Luxemburg  auch  mit  21  Prozent  den  stärksten  Höreranteil  der  AFS  auf 
sich.  Die  »fröhlichen  Wellen«  aus  Luxemburg/  Juniinster  übertrafen  auch 
Jugendstudio  DT  64  in  der  täglichen  Reichweite  und  Hördauer.  Lediglich  im 
Monatsdurchschnitt  lag  DT  64  vor  dem  Privatsender.  DT  64  erreichte  aber 
immerhin  noch  fast  zwei  Drittel  der  jugendlichen  Konsumenten.888 


886  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  AVN  587,  Walter 
Friedrich,  Freizeitgestaltung  der  Jugend  im  Kreis  Grimma,  1.8.1967.  Einschaltungen:  regelmäßig 
(53,1%),  selten  (26%),  nie  (6%). 

887  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  AVN  1.2. 7.1,  Wern- 
fried Maltusch/ Joachim  Hürtgen,  Zur  Rezeption  von  Jugendprogrammen  des  Rundfunks,  ca.  1972,  S.  12. 

888  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  AVN  1 .2.7.1,  Wern- 
fried Maltusch/  Karl-Heinz  Otte:  Leitungsinformation  über  Befragungen  zum  Hörverhalten  und  zur 


33° 


In  die  Sendezeit  von  DT  64  war  von  Beginn  an  die  aktuelle  Politiksendung 
Pulsschlag  der  Zeit  eingefügt.  Diese  Sendung  verantwortete  die  Hauptabteilung 
Politik  des  Berliner  Rundfunks.  Beide  Programme  zu  verknüpfen  war  ein  zwi- 
schen dem  SRKund  dem  Berliner  Rundfunk  ausgehandelter  Kompromiss.  Die 
weitreichenden  programmgestalterischen  Impulse  des  Jugendstudios  DT  64 
wurden  mit  direkter  parteilicher  Information  ausgeglichen.  Auf  dieser  Lösung 
beharrte  der  Berliner  Rundfunk  über  das  Jahr  1970  hinaus.  Die  Reichweiten- 
studie von  1972  ergab:  Jeden  Tag  wuchs  bis  17.30  Uhr  die  Hörerzahl  an.88q  Die 
akustische  Veränderung  des  Programms  durch  Pulsschlag  der  Zeit  wiederum 
nahmen  die  jungen  Konsumenten  zum  Anlass,  von  den  DDR-Programmen 
wegzuschalten.890  Gleichzeitig  waren  RMS-Treffpunkt,  der  Aktuelle  Plattentel- 
ler ( Deutschlandfunk ) und  auchHfW mit  Musik  on  air.  Ab  18.30  Uhr  setzte  dann 
s-f-beat  dieses  Angebot  fort. 

Weit  mehr  als  ein  Drittel  der  DDR-Konsumenten  über  15  Jahren  hörten 
der  Studie  zufolge  tatsäch lieh  Jugendstudio  DT  64.  Darauf  folgten  die  Westber- 
liner und  westdeutschen  Sender  mit  einem  Anteil  von  fast  einem  Viertel.  Das 
Informations-  und  Unterhaltungsprogramm  von  Radio  DDR  I lag  nicht  weit 
dahinter.  Die  Sendungen  von  Jugendstudio  DT  64  banden  einen  gleich  bleiben- 
den Prozentsatz  von  Jugendlichen,  trotz  der  westlichen  Konkurrenz.  Ohne  DT 
64  wäre  das  Nutzungsverhalten  noch  ungünstiger  ausgefallen,  verdeutlichte  der 
Leiter  der  soziologischen  Forschung  des  SRK,  Wernfried  Maltusch,  in  einem 
Brief  gegenüber  Inge  Schmidt,  die  in  der  ZK-Agitationsabteilung  immer  noch 
für  Rundfunk  zuständig  war.  Zwar  ließ  sich  fast  die  Hälfte  der  Hörfunkkonsu- 
menten bis  18  Jahren  von  Jugendstudio  DT  64  ansprechen,  jedoch  schaltete 
»nahezu  jeder  dritte  Hörer«  in  diesem  Alter  auch  die  »ausländischen  Funksta- 


Interessenlage  Jugendlicher  gegenüber  dem  Rundfunk,  15.2.1974,  Hörbeteiligung  an  Jugendsendungen, 
S.  2.  Die  tägliche  Verteilung:  DT  64  (16%),  Musik  für  junge  Leute  DDR  1 (9%),  Hallo!,  Stimme  der 
DDR  ehemals  Deutschlandsender  (6%),  Radio  Luxemburg  (21%),  Deutschlandfunk  (8%),  RIAS-Treff- 
punkt  (6%),  Europawelle-Saar  (4%),  SF-Beat  (3%),  andere  Jugendsendungen  (4%). 

889  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee,  AVN  177,  Abteilung 
Soziologische  Forschung:  Falltest  18.11.1970  in  der  Zeit  von  15.30  bis  19.30  Uhr,  S.  2.  Altersgruppe  15- 
18  Jahre  (63%)  und  19-24  Jahre  (58%). 

890  BArch  B,  DR  6/607  unpag.,  Staatliches  Komitee  für  Rundfunk,  Wissenschaftliche  Gruppe,  Ar- 
beitsbereich soziologische  Forschung,  Dr.  Wernfried  Maltusch,  an  Zentralkomitee  der  SED,  Abteilung 
Agitation,  Inge  Schmidt,  Berlin  15.5.1970,  S.  1-7. 


331 


tionen«  ein.  Je  jünger  die  Hörer,  desto  länger  nutzten  diese  auch  die  Angebote 
aus  dem  Westen.891 

Die  Senderbindung  bei  jugendlichen  Hörern  war  deutlich  schwächer  aus- 
geprägt als  die  Anziehungskraft  einzelner  klar  zu  bestimmender  Programman- 
gebote, die  Popmusik  spielten.892  Das  ritualisierte.  Ein  einem  Zeitplan  folgen- 
des Wechseln  der  Radiosender  hatte  sich  inzwischen  als  stärkstes  Muster  der 
Mediennutzung  durchgesetzt.  Im  Frühjahr  1972  rang  sich  der  Berliner  Rund- 
funk schließlich  dazu  durch,  Pulsschlag  der  Zeit  an  Jugendstudio  DT  64  anzu- 
schließen  und  die  Sendung  nicht  mehr  damit  zu  unterbrechen. 

Die  nahezu  im  gleichen  Zeitraum  durchgeführten  Studien  des  Zentralinsti- 
tuts für  Jugendforschung  zur  Nutzung  von  Massenmedien  (ZIJ)  bestätigten, 
dass  die  Verbindung  von  informationeller  und  musikalischer  Versorgung  in  den 
Sendungen  des  Jugendstudios  DT  64  innerhalb  des  DDR-Rundfunks  am  besten 
gelöst  worden  war.  Mindestens  jeder  zehnte  Jugendliche  in  der  DDR  schaltete 
täglich  DT  64  ein.  Somit  kam  das  Angebot  immerhin  auf  fast  ein  Drittel  der 
Zuhörer  in  dieser  Zielgruppe  im  Verlauf  einer  Woche.  Jeder  vierte  DDR- 
Jugendliche  aber  interessierte  sich  - so  das  ZIJ  - nicht  mehr  für  DT  64  f 98  Die 
Jugendlichen,  die  Ende  der  1950er  Jahre  geboren  worden  waren,  erlernten  die 
inzwischen  gesellschaftlich  akzeptierten  doppelten  Nutzungsweisen.  Diese 
erfolgten  bei  Erwachsenen  entlang  anderer  geschmacklicher  Präferenzen. 


891  BArch  B,  DR  6/132  unpag-,  HA  Planung/  Forschung,  Arbeitsbereich  soziologische  Forschung, 
Wernfried  Maltusch,  Wolfgang  Briest,  Jörn  Fechner,  Hans-Gert  Kramer,  an  Sekretariat  des  Vorsitzenden, 
Grimmer,  Bericht  über  die  Falltest  vom  14,  15.  16.4.1970,  Berlin  23.4.1970,  S.  1-19,  S.  8. 

892  SAPMO-BArch,  DY  30  IV  2/2.033/37,  Büro  Lamberz,  Prof.  Dr.  Walter  Friedrich,  »Zu  Proble- 
men  der  ideologischen  Arbeit  unter  Jugendlichen«,  vertrauliche  Dienstsache,  21.9.1972,  S.  16. 

893  BArch  B,  DR  6/836  a unpag.,  HA  Planung/Forschung,  Abteilung  soziologische  Forschung,  Lise- 
lotte Mühlberg  an  Vorsitzenden  des  Rundfunkkomitees,  Rudi  Singer,  Untersuchungsberichte  des  Leipzi- 
ger Instituts  für  Jugendforschung,  Berlin  19.3.1974,  S.  1-27,  S.  13.  Für  die  Nutzung  in  den  späten  1980er 
Jahre  siehe  Holm  Felber/Hans-Jörg  Stiehler:  Erwartungen  Jugendlicher  an  Jugendradio  DT  64,  Leipzig: 
Zentralinstitut  für  Jugendforschung  1988.  Holm  Felber/Hans-Jörg  Stiehler  et  al.:  Mediennutzung  und 
Jugendradio  DT  64,  Leipzig:  Zentralinstitut  für  Jugendforschung  1988. 


332 


6.2.3  Ostfunk  in  Westohren.  Die  »unterschlagene«  Richtung  des 
Medienkonsums 

Die  Einrichtung  von  s-f-beat  im  Zuge  der  SBB-Programmreform  1967  sowie 
der  Start  des  RIAS -Treffpunkt  zum  Beginn  des  Winterprogramms  am  30.  Sep- 
tember 196  8 894  waren  Reaktionen  auf  die  programmgestalterischen  Bemühun- 
gen des  DDR-Rundfunks.  Die  mediale  Konkurrenz  war  der  entscheidende 
wechselseitige  Bezugspunkt  für  diese  Veränderungen.  Die  Konsumenten  waren 
in  diesen  Überlegungen  eher  randständige  Faktoren.  Reichweitenuntersuchun- 
gen hatten  beim  SFB  die  Aufgabe,  vorher  getroffene  Programmveränderungen 
nachträglich  als  erfolgreiche  Maßnahme  zu  rechtfertigen.895  Hörerbriefe,  be- 
sonders aus  der  DDR,  und  die  Meinung  von  Multiplikatoren,  die  in  die  DDR 
reisten  oder  von  dort  zu  Besuch  kamen,  wie  zum  Beispiel  Rentner,  waren  beim 
SFB  und  beim  RIAS  zusätzliche  Filter  programmgestalterischer  Entscheidungs- 
findung. Auch  das  war  ein  Aspekt  der  Verzögerung. 

1967  fand  das  Westberliner  SIGMA- Institut  für  den  SFB  heraus,  dass  ein 
Viertel  aller  Berliner  ein  Transistorradio  besaßen  und  vier  von  fünf  Hörern  das 
Gerät  jeden  Tag  benutzten.  Zwischen  18  und  20  Uhr  lag  die  Haupteinschaltzeit 
des  SBB-Hörfunks.896  Genau  dort  war  s-f-beat  auf  SFB  II  zu  finden.  Der 
SIGMA-Umfrage  zufolge  hatte  der  SFB  gegenüber  dem  RIAS  einen  leichten 
Vorsprung.  Männer  entschieden  sich  demnach  häufiger  für  den  SFB  als  Frauen. 
Bei  jüngeren  Berlinern  - gerade  Schülern,  Lehrlingen  und  Angestellten  - hatte 
der  SFB  mit  54  Prozent  ein  deutliches  Übergewicht  gegenüber  dem  RIAS  (28 
Prozent).897  Der  Soldatensender  AFN  sprach  in  der  Altersgruppe  bis  25  Jahren 
immerhin  fast  ein  Fünftel  der  jungen  Hörer  an.  Das  war  eine  starke  Position. 
Der  britische  und  der  französische  Militärsender  hatten  bei  jüngeren  Westber- 
liner Hörfunkkonsumenten  zwar  geringere,  aber  dennoch  langfristig  herausge- 


894  TV  Hören  und  Sehen,  (1968)  H.  39,  S.  42.  Sendewoche  28.9-4.10.1968. 

895  Hansjörg  Bessler:  Hörer-  und  Zuschauerforschung  (hrsg.  v.  Hans  Bausch,  Rundfunk  in  Deutsch- 
land;  5),  München:  dtv  1980,  S.  130-134  und  S.  170-172. 

Günther  Marquard:  Auswertung  der  durch  das  SIGMA-Institut  in  Westberlin  vorgenommene 
Hörer-Umfrage,  Berlin  1967,  S.  4. 

897  Ebd.,  S.  7. 


333 


arbeitete  Bedeutung.  Pop  Club  International  (freitags  22-24  Uhr),  die  FFB-Hit- 
parade  (montags  bis  sonnabends,  19.25-20  Uhr),  BBC-Top  of  the  Pops  (freitags, 
22-23  Uhr)  und  die  britische  Top  20  Show  (sonnabends,  20.30-21.30  Uhr)  ver- 
bargen sich  hinter  diesen  Werten.898  Der  RIAS,  der  zu  diesem  Zeitpunkt  eine 
Jugendsendung  am  Sonnabendnachmittag  hatte,  war  in  diesem  Bereich  deut- 
lich ins  Hintertreffen  geraten.  Die  DDR-Sender  Deutschlandsender,  Berliner 
Rundfunk  und  Radio  DDR  I spielten  - stellte  die  SIGMA-Expertise  fest  - für  die 
Gesamthörerschaft  eine  ähnlich  marginale  Rolle  (2  Prozent)  wie  BFBS  und  FFB 
(3  Prozent).  Nach  der  Reichweite  des  Ost-Programms  im  Hörersegment  Ju- 
gend fragte  die  SIGMA-Studie  nicht.  Es  erscheint  allerdings  plausibel,  für 
Jugendstudio  DT  64  eine  ähnliche  Attraktivität  wie  für  die  Militärsender  in  der 
jüngeren  Zielgruppe  West-Berlins  anzunehmen.  Denn  während  Jugendstudio 
DT  64  lief,  brachte  SFB  II  klassische  Musik.  Demnach  hatte  s-f-beat  acht  Pro- 
zent Gewohnheits-,  aber  deutlich  mehr  Gelegenheitshörer  (15  Prozent).899 

In  dieser  Höreranalyse  von  1967  traten  klare  altersmäßige  und  klangliche 
Trennlinien  hervor.  Die  Gräben  zwischen  den  musikalischen  Geschmäckern  in 
West-Berlin  waren  tief  und  unüberwindlich.  Auf  wir  - um  zwanzig  am  Sonntag- 
abend (19.35-21.00  Uhr)  folgte  eine  Operetten-  oder  Opernübertragung.  Die 
Gesamthörerzahl  des  SFB  verdoppelte  sich  dann.  Diese  erste  Höreruntersu- 
chung des  SFB  nach  dem  Mauerbau  - im  übrigen  die  einzige  in  den  Sechziger 
Jahren  - interessierte  sich  nur  für  die  geglückte  Profilierung  von  SFB  I.  Für 
gekreuzte  Verwendungsweisen  von  Medienangeboten  interessierte  sich  diese 
Untersuchung  nur,  sofern  es  die  Musikprogramme  der  Militärsender  betraf.  Sie 
vernachlässigte,  dass  der  Deutschlandfunk  und  die  östlichen  Agitations-  und 
Musiksender  aber  auch  in  West-Berlin  jugendliche  Konsummöglichkeiten  von 
Popmusik  erweiterten. 

Eine  Anfang  1976  durchgeführte  /w/n/fetf-Untersuchung  maß  RIAS  I bei 
jungen  Menschen  unter  Dreißig  einen  leichten  Vorsprung  gegenüber  den  bei- 
den SFF-Programmen  zu.  RIAS  II  lag  mit  diesen  gleich  auf.  AFN  folgte  kurz 
darauf.  Mit  deutlichem  Abstand  kamen  die  anderen  Militärsender.  Radio 


898  DRA,  P.-Bblg.,  Schriftgut  Hörfunk,  Bestand  Sender  Freies  Berlin,  Nr.  3686/4,  Jochen  Mindak, 
Das  radio  pop-programm.  In  und  um  Berlin,  in:  Music  report,  1.  Jg.  Dezember  1967,  S.  19. 

899  Günther  Marquard:  Anlage,  Nutzung  des  SFB -Hörfunkprogramms  an  Werktagen,  1967,  S.  3. 


334 


Luxemburg  war  noch  weiter  dahinter  platziert.900  Das  lag  inzwischen  auch 
daran,  dass  die  Luxemburger  Mittelwelle  gegenüber  UKW  schlechter  klang. 
Zumindest  hielten  fünf  Prozent  der  Westberliner  Jugendlichen  DDR-Pro- 
gramme  für  zeitlich  begrenzte  Alternativen.  Da  diese  Studie  nicht  in  Erfahrung 
brachte,  um  welche  Uhrzeit  solche  Wahlentscheidungen  getroffen  wurden,  ist 
nicht  auszuschließen,  dass  sich  dieser  Westberlin-Anteil  während  der  Sendezeit 
von  DT  64  durchaus  erhöhte. 

Auch  die  »Tel eskopie« -Untersuchung  1978/79  sprach  AFN  und  BFBS 
noch  ihre  wichtige  Bedeutung  als  Quelle  popmusikalischen  Konsums  junger 
Berlinerinnen  und  Berliner  zwischen  14  und  29  Jahren  zu  (21,9  Prozent).  SFB 
II  verzeichnete  aber  jetzt  einen  mehr  als  doppelt  so  hohen  Höreranteil  in  der 
selben  Altersgruppe  (47,5  Prozent).901  Zwar  steigerte  SFB  II  seine  tägliche 
Reichweite  gegenüber  der  Erhebung  von  1976  deutlich,  verlor  aber  Hörfunk- 
konsumenten aus  bildungsfernen  Schichten.  Bei  den  Hörern  unter  Dreißig 
waren  1978/79  immerhin  zehn  Prozent  bereit,  Ostberliner  Sender  einzuschal- 
ten. Auch  bei  Westberliner  Jugendlichen  hatte  sich  also  ein  stabiles  Muster  der 
doppelten  und  gekreuzten  Mediennutzung  ausgeprägt.  Allerdings  war  es  we- 
sentlich schwächer  als  in  Ostberlin  und  der  DDR. 

6.3.  Soundscape  Pop.  Konsumenten  schaffen  eigene  Klanglandschaften. 

Eine  Zusammenfassung 

Murray  Schäfer  hat  mit  dem  Begriff  soundscape  Orte  und  Szenerien  erfasst,  in 
denen  bestimmte  Klänge  hörbar  sind  und  andere  durch  Verstärkungen  erst 
erfahrbar  gemacht  werden  müssen.  Zudem  hebt  er  hervor,  dass  unterschiedli- 
chen topografischen  Umwelten  charakteristische  Klänge  eingeschrieben  seien. 
Technisierte  Umgebungen  würden  auch  eigene  Tonspuren  ausbilden,  so  Scha- 


900  Rainer  Kabel/  Josef  Eckhardt:  Interessen  und  Probleme  von  Jugendlichen  und  jungen  Erwachse- 
nen.  Zwei  Umfragen  des  SFB  und  des  WDR,  in:  Media-Perspektiven,  8.  Jg.  (1977)  H.  3,  S.  131-142,  S. 
140.  Radio  Luxemburg  (Mittel-  und  Kurzwelle)  (11%). 

901  Rainer  Kabel/  Urban  Zerfaß:  Der  Sender  Freies  Berlin  und  sein  Publikum.  Die  Hörfunk-  und 
Fernsehnutzung  in  Berlin  (West  und  im  übrigen  Bundesgebiet  - Auswertung  der  Teleskopie-Strukturer- 
hebung  1978/79),  in:  SFB-Werkstatthefte;  3 (hrsg.  v.  SFB-Intendant  Wolfgang  Haus),  August  1980,  S.  30. 
Leider  gibt  es  keinen  Vergleich  von  s-f-beat  und  RIAS-Treffpunkt. 


335 


fer  weiter,  die  die  natürlichen,  ursprünglichen  Geräusche  und  Töne  überlagern 
würden.  In  den  industrialisierten  Teilen  der  Welt  entsteht  laut  Schäfer  in  einer 
nun  veränderten  klanglichen  Umwelt  eine  »lo-h-soundscape«.  Allerdings  sei 
diese  nicht  mehr  auf  konkrete,  wirkliche  Orte  festgelegt.  Akustische  Räume  und 
ihre  Kontexte  würden  beweglich  und  mitnehmbar  werden.902  Schallplatten, 
Tonbänder  und  Kassetten  fungierten  als  Speicherungen.  Rundfunkprogramme 
stellten  in  Wort  und  Ton  temporäre  Abbildungen  von  gegenwärtigen  und  ver- 
gangenen Geräuschkulissen  und  Klanglandschaften  her.  Mit  Kofferradios  wur- 
den eigene  Zusammenstellungen  von  Programmen  transportierbar. 

Die  Vervielfachung  der  Wahlmöglichkeiten,  die  die  Berliner  Rundfunkland- 
schaft auszeichnete,  förderte  die  Ausbildung  doppelter  musikalischer  und  pop- 
kultureller Präferenzen  in  der  DDR  und  in  West-Berlin,  mit  ästhetischen  Vor- 
teilen für  die  transnationale  westliche  Popkultur.  Der  Sound  war  neben  Klei- 
dung, Frisur  und  Sprache  ein  wichtiges,  verbindendes  Element  zwischen  Pop- 
und  Jugendkultur.  Über  die  daran  ausgebildeten  Präferenzen  entstanden 
Gemeinschaften.  Aus  der  zeitlich  begrenzten  »subjektiven  Selbst-  und  Fremd- 
verortung«  903  wurden  Sinnstiftungen,  die  popkulturelle  Antidisziplinen  förder- 
ten. Der  Popsound  schuf  neue  Netze  von  Orten  und  Beziehungen.904  Wenn  an 
Medienbildern  Generationen  entstehen  und  Generationen  Bilder  machen, 
dann  sind  - in  Anlehnung  an  Habbo  Knoch  - an  »wichtigen«  Hörfunksendun- 
gen, Schallplatten,  Konzerten  und  Songs  »emotionale  Bindungen  anschließbar, 
die  zu  den  Grundlagen  von  Generationen  als  Identifikationsgemeinschaf- 
ten«905 werden.  Der  Sound  und  die  Ästhetik  der  Popkultur  einer  Generation  ist 
in  Liedern,  Melodien  und  Klängen  gespeichert.  Dieser  Zeichensatz  ist  gren- 
zenüberschreitend lesbar.  Darüber  werden  Verständigungen  vereinfacht,  die 
nicht  mehr  nur  national  kodiert  sind.  Über  die  Verschaltung  mit  Sprech-  und 


902  Murray  R.  Schäfer:  TheMusic  of  the  Environment,  in:  Cultures,  1.  Jg.  (1973)  H.  1,  S.  15-52,  S.  30. 

903  Jürgen  Reulecke:  Einführung.  Lebensgeschichten  des  20.  Jahrhunderts,  in:  Ders.  (Hg.):  Genera- 
tionalität und  Lebensgeschichte  im  20.  Jahrhundert  (=  Schriften  des  Historischen  Kollegs;  58),  München: 
R.  Oldenburg  2003,  VII-XV,  VIII. 

904  Michel  de  Certeau:  Kunst  des  Handelns,  1988,  S.  15. 

Habbo  Knoch:  Gefühlte  Gemeinschaften.  Bild  und  Generation  in  der  Moderne,  in:  Ulrike  Jureit/ 
Michael  Wildt  (Hg.):  Generationen.  Zur  Relevanz  eines  wissenschaftlichen  Grundbegriffs,  Hamburg: 
Hamburger  Edition  2005,  S.  295-319,  S.  295. 


336 


Empfangstechniken,  deren  Handhabungen  sowie  die  verschiedenen  Aneignun- 
gen und  Bearbeitungen  entstehen  »diasporic  public  sph eres«. 906  Diese  Sphären 
verfügen  über  transnationale  Öffnungen,  aber  auch  über  selektive  nationale  und 
lokale  Erweiterungen  und  Verschließungen. 

Der  von  mir  eingeführte  Begriff  des  akustischen  Medien-Pops  ist  dabei  eine 
Tonspur,  die  die  Medienprodukte  in  Referenzschlaufen  erzeugen  und  dadurch 
bekräftigen.  Daneben  treten  die  an  individuellen  Konsumakten  geformten  Er- 
fahrungen mit  Tonträgern,  Massenmedien,  popkultureller  Selbstbetätigung 
und  der  Teilhabe  an  Beat-  und  Rockkonzerten.  Das  ist  Freizeit-Pop,  den  ich  dem 
Medien-Pop  als  Antipode  entgegenstellen  möchte.  In  den  dröhnenden  Landkar- 
ten des  Amüsements  und  jugendlichen  Zeitvertreibs  sind  andere  Stadtgeschich- 
ten enthalten,  subkulturelle  Wegmarkierungen  eingezeichnet,  Hinweise  aufge- 
stellt, die  gerade  Erwachsene  nicht  lesen  können.907 

Popmusik  und  die  damit  verbundenen  symbolischen  und  lebensstilistischen 
Inszenierungen  stellten  im  Berlin  des  Kalten  Krieges  Verweisketten  auf.  Deren 
selektive  Erinnerungen  an  gelebte  sounds  verschmolzen  mit  den  konservierten 
»Medien-Sounds«  der  Rundfunkanstalten.  Das  medial  produzierte  Narrativ 
überdeckte  die  tatsächlichen  auditiven  Erzählspuren  vergangener  Klangerfah- 
rungen. Soundgenerationen  hatten  ihre  jeweiligen  Identitäten  dagegen  zu  kon- 
struieren. 

7.  Schlussbetrachtung:  Die  Herrschaftsbeziehungen  in  der  Soundscape  des  Pop. 

Oder  warum  Jugendkultur  immer  schneller  war 

Das  Sprechen  überund  der  Konsum  von  Popmusik  wurde  in  den  1960er  Jahren 
angesichts  der  gesellschaftlichen  Umbrüche  in  den  konkurrierenden  deutschen 
Nachkriegsgesellschaften  zunehmend  politisch.  Kulturelle  Differenzen  zwi- 
schen junger  Generation,  neuen  Ansichten,  ihrer  Musik  und  den  überkomme- 


906  James  Lull:  Media,  Communication,  Culture.  A Global  Approach,  Cambridge:  Polity  Press  2000, 
S.  253. 

907  Erko  Sturm:  And  The  Beat  Goes  On.  Die  Berliner  Musikszene  in  den  sechziger  Jahren,  Markum: 
Textum  Verlag  2004,  S.  52-65,  Kapitel  9:  Die  Berliner  Szene  boomte.  Auch:  Hans-Jürgen  Klitsch:  Shakin’ 
all  over,  2001,  S.  133-178. 


337 


nen  Werten  der  Mehrheitsgesellschaften  mündeten  in  einen  alltagskulturellen 
Stellvertreterkrieg.  Scheingefechte  um  Zeichen,  Symbole,  Klänge  und  Haar- 
längen verschleierten  den  eigentlichen  Kampf:  jenen  um  gesellschaftspolitische 
Deutungshoheit. 

Gerade  durch  die  Denationalisierung  von  Sound  öffneten  sich  jugendliche 
Subkulturen  - nicht  nur  in  beiden  Teilen  Deutschlands  - seit  Mitte  der  1950er 
Jahre  den  global  zirkulierenden  musikalischen  Einflüssen.  Sie  tauchten  ein  in 
eine  transnationale  Zeichenwelt  und  stellten  ihre  Erweiterungen  darin  ein. 
Einschneidend  neue  akustische,  visuelle  und  körperliche  Erfahrungen  wurden 
möglich. 

Gegen  die  sich  als  sozialistisch  bezeichnende  Mehrheitskultur  in  Ostberlin 
und  in  der  DDR,  aber  ebenso  gegen  den  freiheitlich-demokratischen,  kulturel- 
len und  politischen  Mainstream  Westberlins  besetzten  jugendliche  Subkulturen 
die  neuen  Sounds  der  transnationalen  Popkultur.  Viele  dieser  neuen  oder 
umgeformten  Musikstile  kamen  ursprünglich  von  den  Rändern  der  in  den  Ver- 
einigten Staaten  bestehenden  verschiedenen  kulturellen  und  ethnischen  Sphä- 
ren. Sie  waren  bereits  in  die  unterhaltungsindustrielle  Verwertbarkeit  überführ- 
te kulturelle  Hybride.  Bei  deren  als  »Amerikanisierung«  bezeichneten  Übertra- 
gung nach  Deutschland  und  der  anschließenden  Einarbeitung  hafteten  sich 
neue  Bedeutungen  und  Bezugspunkte  an.  Dadurch  geriet  die  hochkulturell 
geprägte  Cold  War  Culture  in  Deutschland,  insbesondere  in  beiden  Stadthälften 
Berlins,  unter  Spannung.  Das  löste  über  die  normalen  Beharrungskräfte  der 
Mehrheitskultur  hinausgehende  Abschottungen  und  Abwehrmechanismen  aus, 
die  das  Ziel  hatten,  die  lästigen  neuen  Trends  in  den  bestehenden  kulturellen 
Bezugsrahmen  zu  zwingen.  Die  Strategien  in  Ost  und  West  wiesen  dabei  Ähn- 
lichkeiten auf,  unterschieden  sich  aber  voneinander: 

In  Westberlin  bemühte  sich  eine  besorgte  Jugendpolitik  um  eine  Neutrali- 
sierung der  Störfaktoren  durch  Umklammerung.  In  Ostberlin  erfolgte  die  Ein- 
arbeitung über  Negativkonstruktionen,  aus  denen  schließlich  für  die  sozialisti- 
sche Kulturpolitik  akzeptable  Impulse  herausgelöst  wurden.  Im  Zusammenspiel 
aber  führten  die  Strategien  von  Ost  und  West  zu  einer  Aufweichung  der  kultu- 
rellen Konstellationen  des  Kalten  Krieges  der  Töne  und  Zeichen. 

Trennte  die  Forschung  bisher  in  akzeptierende,  zulassende  westliche  Cold 
War  Liberais  und  beschränkende,  verhindernde  ostdeutsche  Cold  War  Conserva- 


338 


tives,  muss  eine  neue  Kategorie  eingeführt  werden:  die  eines  sozialistischen  Cold 
War  Pragmatism. 

Dieser  trat  in  den  Aushandlungen  um  die  Musikpolitik  von  Jugendstudio  DT 
64  hinsichtlich  des  allgemeinen  Sounds  des  DDR-Rundfunks  gegen  die  kultur- 
und  musikpolitischen  Positionen  anderer  Institutionen  wie  der  ZK-Abteilung 
Kultur,  dem  Komponistenverband  und  dem  VEB  Deutsche  Schallplatte  in 
Erscheinung. 

Diese  Aushandlungen  erwiesen  sich  als  instabil  und  anfällig  gegenüber  von 
Außen  kommenden  Interessen.  Das  zeigte  sich  vor  und  auf  dem  11.  Plenum  des 
ZK  der  SED  im  Dezember  1965. 

Entgegen  der  bisherigen  Ansicht,  das  sogenannte  »Kahlschlag«-Plenum 
habe  zu  einer  völligen  Neuordnung  geführt,  kann  am  Beispiel  der  Musikpolitik 
gezeigt  werden,  dass  institutionelle  Zuständigkeiten  nicht  abschließend  geklärt 
wurden.  Daraus  ergibt  sich  für  die  Forschung  auch  eine  neue  Perspektive  auf 
die  Aushandlung  von  Macht  sowie  Herrschafts-  und  Einspruchsbereiche  inner- 
halb des  SED -Apparates. 

Für  das  Beispiel  der  Musikpolitik  stellt  sich  dies  wie  folgt  dar:  Die  Abtei- 
lung Agitation/  Propaganda  des  ZK  war  für  die  Massenmedien  zuständig,  ver- 
antwortete also  die  darin  eingesetzte  Musik.  Die  ZK-Abteilung  Kultur  aller- 
dings gab  in  allen  anderen  Bereichen  der  sozialistischen  Gesellschaft  die  Bear- 
beitungen von  Musik  und  deren  Aufführung  vor,  und  versuchte  wiederholt, 
aber  mit  leidlichem  Erfolg,  auf  den  Rundfunk  Einfluss  zu  nehmen. 

Aufgabe  des  DDR-Rundfunks  war  es,  politische  und  erzieherische  Inhalte 
zu  vermitteln.  Allerdings  wurden  im  Zuge  der  Hörerbindung  als  »kommer- 
ziell« geltende  Formate  und  Präsentationsweisen  aus  dem  Westen  übernom- 
men und  fortentwickelt.  Das  lässt  sich  besonders  an  Jugendstudio  DT  64  zeigen. 
An  dieser  Sendung  werden  aber  auch  die  institutionellen  Verwerfungen  und 
Inkonsequenzen,  Abwehrhaltungen  und  Blockaden  innerhalb  der  DDR-Kul- 
turpolitik  sichtbar. 

Ab  Ende  der  1960  Jahre  - die  Mediennutzungsgeneration  des  Deutsch- 
landtreffens 1964  entwuchs  der  musikalischen  Sozialisation  - lockerten  sich  die 
Hörerbindungen  von  DDR-Jugendlichen  an  die  staatlichen  Hörfunkprogram- 
me und  begannen  ab  Ende  der  1970er  langsam  aber  stetig  zu  erodieren.  Die 
danach  eingeleiteten  Maßnahmen,  zunächst  die  Sendezeit  von  DT  64  auszuwei- 


339 


ten  und  letztlich  1987  Jugendradio  DT  64  zu  gründen,  waren  Rückzugsgefechte. 
Sie  ermöglichten  allerdings  auch  neue  mediale  Abbildungen  subkultureller 
Sounds  im  DDR-Rundfunk. 

Auch  in  der  Bundesrepublik,  beim  öffentlich-rechtlichen  SFB  und  dem  spä- 
teren Bundesrundfunksender  RIAS,  war  die  Herstellung  einer  klanglichen  Wie- 
dererkennbarkeit des  Stationenklangs  ein  Produkt  interner  Herrschaftsbezie- 
hungen und  Aushandlungen.  Der  Hinweis  auf  die  DDR-Konkurrenz  half  bei 
der  Durchsetzung  neuer  Programmideen,  die  aber  bei  Einführung  stets  be- 
schränkt und  umklammert  wurden. 

Die  vormaligen  »Wort«-Arbeiter  des  Kalten  Krieges  in  den  Rundfunkan- 
stalten wurden  in  den  1960er  Jahren  von  jungen  »Pop« -Arbeitern  abgelöst. 
Diese  formten  die  Systemkonfrontation  schließlich  zu  einem  Wettbewerb  auf 
einem  Hörermarkt  um,  wobei  Attraktivität  wichtiger  wurde  als  ideologisches 
Kräftemessen. 

Jugendliche  führten  die  »neue«  Musik  (mittels  neu  entwickelter  mobiler 
Abspielgeräte)  im  öffentlichen  Raum  aktiv  auf  und  erweiterten  die  transnatio- 
nale Mediennutzung  über  Systemgrenzen  hinweg.  Sie  formten  in  Berlin  eine 
Soundscape  Pop.  Darin  emanzipierten  sie  sich  von  den  von  Medienproduzenten 
vorgegebenen  und  gesellschaftlich  akzeptierten  Verwendungen  von  Klängen. 

Die  neuen  Jugendsendungen  erweiterten  als  »Klangdealer«  für  adoleszente 
Pop-Revolutionäre  die  massenmediale  Meistererzählung  Berlins.  Im  Konflikt 
um  die  Besetzung  und  Neudefinition  von  Klängen  und  sozialer  Praxen  ihres 
medialen  Konsums  verwischte  die  Soundscape  Pop  die  fein  austarierten  ideologi- 
schen Grenzziehungen  der  Berlin  Cold  War  Culture.  Popmusik  verändert  nicht 
die  Welt,  aber  die  Menschen,  die  darin  leben.  Pop  hat  die  Berliner  Mauer  nicht 
zum  Einsturz  gebracht,  aber  den  Boden  aufgeweicht,  auf  dem  sie  stand. 


34° 


Abkürzungsverzeichnis 


AFN 

AFS 

AMIGA 

ARD 

AWA 

BArch 

BBC 

BFBS 

BFN 

BMG 

BMI 

BRD 

BStU 

CDU 

CSSR 

DAG 

DDR 

DEFA 

DFF 

DFS 

DGB 

DLF 

DRA 

DSS 

DT  64 

ERP 

FCC 

FDJ 

FU 

HA 

HO 

HU 

JU 

LM 

IMV 

kHz 

LAB 

LP 

LW 

MfS 

MITROPA 


342 


American  Forces  Network  (US-Soldatensender) 

Ausländische  Funk-Station  (DDR-Bezeichnung  für  West-Sender) 
Unterhaltungsmusik-Label  des  VEB  Deutsche  Schallplatten  Berlin  (DDR) 
Arbeitsgemeinschaft  der  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalten  der  BRD 
Anstalt  zur  Wahrung  der  Aufführungsrechte  (DDR-»GEMA<<) 

Bundesarchiv  (Berlin) 

British  Broadcasting  Corporation  (britische  Rundfunkanstalt) 

British  Forces  Broadcasting  Service  (Nachfolgesender  von  BFN) 

British  Forces  Network  (britischer  Soldatensender) 

Bundesministerium  für  Gesamtdeutsche  Fragen 
Bundesministerium  des  Inneren 
Bundesrepublik  Deutschland 

Bundesbeauftragte  für  die  Unterlagen  des  Staatssicherheitsdienstes 
der  ehern.  DDR 

Christlich-Demokratische  LTnion 

Tschechoslowakei,  amtlich  Tschechoslowakische  Sozialistische  Republik 
Deutsche  Angestellten-Gewerkschaft  (BRD) 

Deutsche  Demokratische  Republik 

ursprünglich  Deutsche  Film  AG  (ab  1954  dem  DDR-Kulturministerium  unterstellt) 
Deutscher  Fernsehfunk  (DDR-Staatsfernsehen) 

Deutscher  Freiheitssender  (DDR) 

Deutscher  Gewerkschaftsbund  (BRD) 

Deutschlandfunk  (BRD) 

Deutsches  Rundfunkarchiv 
Deutscher  Soldatensender  (DDR) 

Deutschlandtreffen  1964  (ursprünglich  Festivalsender  des  FDJ-Pfingsttreffens  1964) 
European  Recovery  Program  (US-Aufbauhilfe  für  Europa,  »Marshallplan«) 
Federal  Communications  Commission  (US-Behörde  für  TV-  und  Radiolizenzen) 
Freie  Deutsche  Jugend  (SED-Jugendorganisation) 

Freie  Universität  (West-Berlin) 

Hauptabteilung 

Handelsorganisation  (staatliches  Einzelhandelsunternehmen  der  DDR) 
Humboldt-Universität  zu  Berlin  (damals  DDR) 

Junge  Union 

Inoffizieller  Mitarbeiter  (des  MfS) 

Inoffizieller  Mitarbeiter  mit  vertraulichen  Beziehungen  zur  bearbeiteten  Person 
Kilohertz  (Frequenzeinheit) 

Landesarchiv  Berlin 

Langspielplatte 

Langwelle 

Ministerium  für  Staatssicherheit  (»Stasi«) 

Mitteleuropäische  Schlaf-  und  Speisewagen  Aktiengesellschaft 


MMM 

MW 

NATO 

NDR 

NVA 

NWDR 

ORF 

RFT 

RIAS 

SAPMO 

SBZ 

SDAJ/Falken 

SDS 

SED 

SFB 

SPD 

SRK 

SWF 

UKW 

USIA 

VEB 

WDR 

ZAIG 

ZDF 

ZK 

ZMP 


Messe  der  Meister  von  morgen  (DDR-»Jugend  forscht«) 

Mittelwelle 

North  Atlantic  Treaty  Organization  (westliches  Militärbündnis) 

Norddeutscher  Rundfunk 

Nationale  Volksarmee  (Streitkräfte  der  DDR) 

Nordwestdeutscher  Rundfunk  (Vorläufer  von  NDR,  WDR  und  SFB) 
Österreichischer  Rundfunk 

Radio-  und  Fernmeldetechnik  (Flerstellerverbund  in  der  DDR) 

Rundfunk  im  Amerikanischen  Sektor  (West-Berlin) 

Stiftungsarchiv  der  Partei-  und  Massenorganisationen  der  DDR 
Sowjetische  Besatzungszone  (später  DDR) 

Sozialistische  Deutsche  Arbeiterjugend  (sozialistischer  Jugendverband 
in  der  BRD) 

Sozialistischer  Deutscher  Studentenbund  (BRD) 

Sozialistische  Einheitspartei  Deutschlands 

Sender  Freies  Berlin  (öffentlich-rechtliche  Rundfunkanstalt  West-Berlins) 
Sozialdemokratische  Partei  Deutschlands 
Staatliches  Rundfunkkomitee  (der  DDR) 

Südwestfunk  (Vorläufer  des  Südwestrundfunk  SWR) 

Ultrakurzwelle 

United  States  Information  Agency  (US-Behörde  für  Öffentlichkeitsarbeit) 
Volkseigener  Betrieb  (Staatsunternehmen  in  der  DDR) 

Westdeutscher  Rundfunk 

Zentrale  Auswertungs-  und  Informationsgruppe  (Funktionseinheit  des  MfS) 
Zweites  Deutsches  Fernsehen 
Zentralkomitee  der  SED 

Zentrale  Musikproduktion  (des  Staatlichen  Rundfunks  der  DDR) 


343 


Quellenverzeichnis 


Unveröffentlichte  Quellen 

1.  Bundesarchiv  Berlin  (BArch  B) 

DR  1 , Ministerium  für  Kultur  der  Deutsche?!  Demokratischen  Republik 

Nr.  8729,  8783,  8784. 

DR  6 , Staatliches  Rundfunkkomitee / Staatliches  Komitee  für  Rundfunk 

80,  93,  117,  120,  128,  132,  149,  181,282,283,360,426,440,443,444,446,  463,469,  470,  478, 
480,492,  493, 494,  537,  561,563,  584,  585,  588,  592,  594,  596,  602,  606,  607,  623,  704,  734,  761, 
765,  767  a,  791  c,  792,  794,  795,  799  a,  808  c,  814,  814  a,  815,  818,  824,  836  a. 

2.  Stiftung  Archiv  der  Parteien  und  Massenorganisationen  der  DDR  im  Bundesarchiv  (SAPMO) 

DY  SO,  Sozialistische  Einheitspattei  Deutschlands  (SED) 

J IV  2/2  A,  Sitzungen  des  Politbüros  der  SED,  Arbeitsprotokolle,  Nr.  1.03 1. 

J IV  2/2,  Sitzungen  des  Politbüros  der  SED,  Nr.  932. 

IV  2/1,  Tagungen  des  Zentralkomitees  der  SED,  Nr.  336,  337. 

J IV  2/3,  Protokolle  der  Sitzungen  des  Sekretariats  des  Zentralkomitees  der  SED,  Nr.  1.129, 
Protokoll  der  Sitzung  Nr.  89  vom  24.1 1.1965. 

J IV  2/3 A,  Sitzungen  des  Sekretariats  des  Zentralkomitees  der  SED,  Arbeitsprotokolle. 

Nr.  1.232,  Arbeitsprotokoll  Nr.  78,  vom  11.10.1965. 

Nr.  1 .243 , Arbeitsprotokoll  Nr.  89,  vom  24.1 1.1965. 

IV  A 2/9.01,  Ideologische  Kommission  beim  Politbüro  der  SED,  Nr.  21,  27. 

IV  A 2/9.02,  Abteilung  Agitation  des  Zentralkomitees  der  SED,  Nr.  4,  5,  66,  107,  121,  159. 

IV  2/2.106,  Agitationskommission  des  Politbüros  der  SED,  Nr.  6,  7. 

IV  2/2.028,  Büro  Albert  Norden.  Nr.  60,  65,  90  . 

IV  2/2.033,  Büro  Werner  Lamberz,  Nr.  37. 

IV  2/9.06,  Abteilung  Kultur  des  Zentralkomitees  der  SED,  Nr.  4,  89,  285. 

IV  2/2 .111.  Jugendkommission  des  Politbüros  der  SED,  Nr.  6,  1 1 . 

IVA  2/16,  Abteilung  Jugend  des  Zentralkomitees  der  SED,  Nr.  19,  23,  123,  124. 

DY  24,  Freie  Deutsche  Jugend  (FDJ) 

Nr.  512,  531  II,  580,  1556  II,  6381,  10.879. 

S.  Landesarchiv  Berlin  (LAB) 

LAB,  C Rep.  121,  Magistrat  von  Groß-Berlin,  Abteilung  Kultur,  Nr.  230,  235. 

LAB,  C Rep.  902,  SED-Bezirksleitung  Berlin,  Nr.  2114,  2117. 

LAB,  B Rep.  002,  Senatskanzlei  des  Senats  von  Westberlin,  Nr.  3676,  3677,  3865,  8054/1,  10773. 
LAB,  B Rep.  013,  Senator  für  Jugend  und  Sport,  Nr.  434,  464,  522,  573. 

LAB,  B Rep.  014,  Senator  für  Volksbildung  und  Kultur,  Nr.  2536,  2537,  2538,  2647,  2648. 

LAB.  B Rep  020,  Der  Polizeipräsident  in  Berlin,  Nr.  7803,  7813. 


344 


4.  Bundesbeauftragte  für  die  Unterlagen  des  Staatssicherheitsdienstes  der  ehemaligen  DDR  (BStU) 


BStU,  MfS,  HA XX  Nr.  913,6189,  10211,  10212,  11635. 

BStU,  MfS,  ZAIG,  Nr.  9978. 

BStU,  MfS,  AIM  Nr.  4720/79. 

5.  Deutsches  Rundfunkarchiv  Potsdam-Babelsberg  ( DRA , P.-Bblg.) 

Schriftgut  Hörfunk , Bestand  Sender  Freies  Berlin 

Nr.  1084,  2016,  2016/1,  2016/2,  2668,  2669,  2702/11,  3011,  3055,  3519,  3721,  3771,  4945, 
5904/3,  5904/4,  6576,  8054/1. 

s-f-beat 

Nr.  3686/4,  3686/5,  3686/6,  3686/7,  3686/11,  3686/12,  3686/16,  3686/17,  3686/20,  3686/30, 
3686/31,  3686/35,  3686/41,  3686/43,  3712/38,  3712/40,  3712/41,  3712/45,  3712/47,  3712/60, 
3712/62,  6041,  6041/9,  6041/10,  6041/12. 

wir  - um  zwanzig 

Nr.  3543/11,  3685,  3685/24. 

Schriftgut  Hörfunk , Bestand  RIAS 

F 404-00-00/0023,  F 504-00-00/0012,  F 504-01-04/001,  A 404-01-01/0072,  A 404-01-01/0075, 
F 301-00-01/0007,  F 404-00-00/0023,  F 502-03-00/0074,  A 403-01-05/0001,  F 502-00-00/0045. 

Schriftgut  Hörfunk , Bestand  Staatliches  Rundfunkkomitee 

BP  31/63,  BP  33/63,  BP  5/64,  BP  10/64,  BP  16/65,  KV  77/64 
Soziologische  Forschung  AVN  1.2. 7.1,  AVN  177 
Berliner  Rundfunk,  DT  64,  AVN  587 
Postbulletins,  DT  64,  AVN  18 

6.  Sonstige  Archive 

Deutscher  Bundestag. , Parlamentsarchiv , Berlin 

Kurzprotokoll  der  4.  Sitzung  des  Ausschusses  für  Gesamtdeutsche  und  Berliner  Fragen,  Bonn,  1.2. 
1962,  S.  1-36.  TOP  4 Bundeszuschuss  von  4 Millionen  DM  an  den  Sender  Freies  Berlin,  S.  24-35. 

Rundfunk  Berlin-Brandenburg , Historisches  Archiv 

0900581,  »Wir  - um-Zwanzig«,  Vorfälle  beim  Schah-Besuch,  4.6.1967,  86’45”.  SFB-Journalist 
Hans-Werner  Kock  moderierte  diese  hitzige  Diskussion  in  wir  - um  zwanzig.  [Umschnitt  des 
Mitschnitts,  Zur  Vorführung  Rundfunkrat  6.6.1967,  20  Uhr]. 

DeutschlandradioKultur,  Senderarchiv  RIAS 

B001714,  Vor  Ort  in  Meiningen,  Plauen,  Wismar  - Abfahrt  zum  Deutschlandtreffen.  Gläsernes 
Studio  in  Berlin.  [RIAS-Monitor:  Deutschlandtreffen  1964]. 


345 


Veröffentlichte  Quellen 


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der  Sozialistischen  Einheitspartei  Deutschlands  zu  Problemen  der  Jugend  in  der  Deutschen 
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verlag der  DDR  1965,  S. 64-96. 

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tion des  Prozessmaterials,  Band  1,  Karlsruhe:  Verlag  C.  F.  Müller  1964,  Band  2,  Karlsruhe,  1965. 

Josef  Henke/  Uta  Rössel  (Hg.):  Die  Kabinettsprotokolle  der  Bundesregierung,  Bd.  12,  1959, 
München:  Oldenbourg  Verlag  2002. 

Ralf  Behrendt/  Christoph  Seemann  (Hg.):  Die  Kabinettsprotokolle  der  Bundesregierung,  Bd.  13, 
1960,  München:  Oldenbourg  Verlag  2003. 

Abgeordnetenhaus  von  Berlin,  III.  Wahlperiode,  Band  3.61.  Sitzung,  4.6.1961,  98.  Sitzung 
8.11.1962. 

Abgeordnetenhaus  von  Berlin,  IV  Wahlperiode,  Band  4.  46.  Sitzung,  23.9.1965. 


346 


Literaturverzeichnis 


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Wolfrum,  Edgar  (2006):  Die  60er  Jahre.  Eine  dynamische  Gesellschaft,  Darmstadt: 

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Wurschi,  Peter  (2007):  Rennsteigbeat.  Jugendliche  Subkulturen  im  Thüringer  Raum  1952-1989, 
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Zielinski,  Siegfried  (1989):  Audiovisionen.  Kino  und  Fernsehen  als  Zwischenspiele  in  der 
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Zilling,  Maria-Theresia  (1981):  AFN.  Der  Amerikanische  Soldatensender  in  Europa 
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(Hg.):  Youth  Cultures.  A cross-cultural  Perspective,  London/  New  York:  Routledge, 

S.  223-233. 

Ambrosius,  Gerold/  Kaelble,  Hartmut  (1992):  Einleitung.  Gesellschaftliche  und  wirtschaftliche 
Folgen  des  Booms  der  1950er  und  1960er  Jahre,  in:  Hartmut  Kaelble  (Hg.):  Der  Boom 
1948-1973.  Gesellschaftliche  und  wirtschaftliche  Folgen  in  der  Bundesrepublik  Deutsch- 
land und  in  Europa,  Opladen:  Westdeutscher  Verlag,  S.  7-32. 

Barthes,  Roland  (1995):  Ecoute,  in:  Ders.:  CEvre  completes,  Bd.  3 (1974-1980),  Paris:  Editions 
du  Seuil,  S.  727-736. 

Bausch,  Hans  (1966):  Die  Rolle  von  Hörfunk  und  Fernsehen  in  der  Demokratie,  in:  Martin 
Löffler  (Hg.):  Die  Rolle  der  Massenmedien  in  der  Demokratie,  München/  Berlin: 

C.H.  Beck,  S.  34-42. 

Becker,  Frank/  Reinhardt-Becker,  Elke  (2006):  Amerikabild  und  ,,Amerikanisierung«  im 


Deutschland  des  20.  Jahrhunderts  - ein  Überblick,  in:  Frank  Becker/  Elke  Reinhardt- 
Becker  (Hg.):  Mythos  USA.  »Amerikanisierung«  in  Deutschland  seit  1900, 

Frankfurt/  Main:  Campus,  S.  9-18. 

Bisky,  Lothar/  Gerisch,  Harald  (1975):  Zur  Rolle  und  Funktion  der  Massenmedien  bei  der  sozia- 
listischen Persönlichkeitsentwicklung  Jugendlicher,  in:  Autorenkollektiv/ Walter  Friedrich 
(Hg.):  Jugend,  FDJ,  Gesellschaft,  Berlin:  Verlag  Neues  Leben,  S.  369-384. 

Böhm,  Thomas  (2003):  Hey!  Stop!  What’s  that  Sound?  Beobachtungen  zu  Herkunft  und 

Bedeutung  der  Klänge  in  der  Popmusik,  in:  Thomas  Phelps/  Ralf  von  Appen  (Hg.):  Pop 
Sounds.  Klangtexturen  in  der  Pop-  und  Rockmusik  (=  texte  zur  populären  musik;  1), 
Bielefeld:  transcript,  S.  31-48. 

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Michael  Rauhut/  Thomas  Kochan  (Hg.):  Bye  Bye,  Lübben  City.  Bluesfreaks,  Tramps  und 
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in  NRW,  Münster:  Agenda,  S.  336-343. 

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Wolfgang  Ruppert  (Hg.):  Um  1968.  Die  Repräsentation  der  Dinge,  Marburg:  Jonas,  S.  65-94. 

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steinigen  Weg  zum  Erfolg.  Im  Gespräch  mit  Peter  von  Rüden,  in:  Hans-Ulrich  Wagner 
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Kraesze,  Wolfgang  (2002):  Das  Wichtigste  wird  in  die  Nacht  verdammt,  in:  Olaf  Leitner  (Hg.): 
West-Berlin!,  Westberlin!  Berlin  (West)!  Die  Kultur  - Die  Szene  - Die  Politik. 
Erinnerungen  an  eine  Teilstadt  der  70er  und  80er  Jahre,  Berlin:  Schwarzkopf  & 
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konkurrenz, in:  Michael  Lemke  (Hg.):  Schaufenster  der  Systemkonkurrenz.  Die  Region 
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Kurseil,  Julia  (2006):  Musik  der  Rede.  Geräuschnotationen  in  der  russischen  Avantgarde,  in: 
Anne  Thurmann-Jajes/  Sabine  Breitsameter/  Winfried  Pauleit  (Hg.):  Sound  Art.  Zwischen 
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Lethen,  Helmut  (2005):  Geräusche  jenseits  des  Textarchivs.  Ernst  Jünger  und  die  Umgehung  des 
Traumas,  in:  Nicola  Gess/  Florian  Schreiner/  Manuela  K.  Schulz  (Hg.):  Hörstürze.  Akustik 
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Mäusli,  Theo  (1996):  Radio.  Nicht  bloss  ein  Apparat,  der  tönt,  in:  Theo  Mäusli  (Hg.): 
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Merten,  Klaus  (1990):  Vom  Nutzen  des  »Uses  and  Gratifications  Approach«.  Anmerkungen  zu 
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3Ö5 


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der  Zeitschrift  Rundfunk  und  Fernsehen,  Baden-Baden:  Nomos,  S.  572-578. 

Meyen,  Michael  (2004):  Das  unwichtige  Medium.  Radiohören  in  der  DDR,  in:  Klaus  Arnold/ 
Christoph  Classen  (Hg.):  Zwischen  Pop  und  Propaganda.  Radio  in  der  DDR,  Berlin: 

Ch.  Links,  S.  341-354. 

Motte-Haber,  Helga  de  la  (1996):  Radio(un)kultur,  in:  Thomas  Vogel  (Hg.):  Über  das  Hören. 
Einem  Phänomen  auf  der  Spur,  Tübingen:  Attempto,  S.  145-157. 

Münkel,  Daniela  (1998):  Produktionssphäre  in:  Adelheid  von  Saldern/  Inge  Marszolek  (Hg.): 
Zuhören  und  Gehörtwerden,  Band  II.  Radio  in  der  DDR  der  fünfziger  Jahre.  Zwischen 
Lenkung  und  Ablenkung,  Tübingen:  edition  diskord  1998,  S.  168-197. 

Mühl-Bennighaus,  Wolfgang  (2006):  Von  den  Schwierigkeiten  mit  der  Unterhaltung,  in:  Ders. 
(Hg.):  Drei  Mal  auf  Anfang.  Fernsehunterhaltung  in  Deutschland,  Berlin:  Vistas,  S.  11-44. 

Müller,  Jan- Werner  (2003):  1968  as  Event,  Milieu  and  Ideology,  in:  Jan-Werner  Müller  (Hg.): 
German  Ideologies  since  1945.  Studies  in  the  Political  Thought  and  Culture  of  the  Bonn 
Republic,  Houndmills  Basingstoke:  Palgrave  Macmillan,  S.  117-143. 

Müller,  Wolfgang  C./  Schubert,  Günter/  Uecker,  Dieter  (1965):  Organisierte  und  nicht- 

organisierte  Jugend  in  Berlin,  in:  Ludwig  von  Friedeburg  (Hg.):  Jugend  in  der  modernen 
Gesellschaft,  Köln:  Kiepenheuer  & Witsch,  S.  524-530. 

Müllerburg,  Roland  (1990):  Für  Berlin  und  Deutschland.  Der  RIAS  - Rundfunk  im  amerikani- 
schen Sektor,  in:  Hans-Bredow-Institut  (Hg.):  Rundfunk  und  Fernsehen  1948-1989. 
Ausgewählte  Beiträge  der  Medien-  und  Kommunikationswissenschaft  aus  40  Jahrgängen 
der  Zeitschrift  Rundfunk  und  Fernsehen,  Baden-Baden:  Nomos,  S.  44-49. 

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Pater,  Monika  (1998):  Rundfunkangebote  zwischen  Humor  und  Erziehung  zum  sozialistischen 
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Rucht,  Dieter  (1998):  Die  Ereignisse  von  1968  als  soziale  Bewegung.  Methodologische  Über- 
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Schildt,  Axel  (1998):  Hegemon  der  häuslichen  Freizeit.  Rundfunk  in  den  50er  Jahren,  in: 

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Schildt,  Axel  (1998):  Zwei  Staaten  - eine  Hörfunk-  und  Fernsehnation.  Überlegungen  zur 
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zwischen  BRD  und  DDR,  in:  Arnd  Bauernkämper/  Martin  Sabrow/  Bernd  Stöver  (Hg.): 
Doppelte  Zeitgeschichte.  Deutsch-Deutsche  Beziehungen  1945-1990,  Bonn:  Dietz,  S.  58-71. 

Schildt,  Axel  (2000):  Materieller  Wohlstand  - pragmatische  Politik  - kulturelle  Umbrüche.  Die 
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Vollberg,  Andreas  (2003):  Lebensfunke  der  Hörfunk- Ara.  Unterhaltungsmusik  im  NRW- 

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Wagner,  Hans-Ulrich  (2005):  Sounds  like  the  Fifties.  Zur  Klangarchäoglogie  der  Stimme  im 
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Wicke,  Peter  (2004):  Soundtracks.  Popmusik  und  Pop-Diskurs,  in:  Walter  Grasskamp  et  al. 

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Wilke,  Jürgen  (2004):  Radio  im  Geheimauftrag.  Der  Deutsche  Freiheitssender  904  und  der 
Deutsche  Soldatensender  935  als  Instrument  des  Kalten  Krieges,  in:  Klaus  Arnold/ 
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369 


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Baacke,  Dieter  (1967):  Das  Phänomen  Beat  (Teil  I),  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
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Baacke,  Dieter  (1967):  Das  Phänomen  Beat  (Teil  II).  Beat  - Teilkultur  der  Jugendlichen,  in: 

deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  15.  Jg.  (H.  12),  S.  552-560. 

Baacke,  Dieter  (1969):  >underground<  - zwischen  Profit  und  Provokation,  in:  deutsche  jugend. 
Zeitschrift  für  Jugendfragen  und  Jugendarbeit,  17.  Jg.  (H.  5),  S.  221-230. 

Baacke,  Dieter  (1970):  Subkultur  und  Jugendarbeit,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für  Jugend- 
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Bathke,  Ulrich  (1966):  Einige  Erfahrungen  mit  Gammlern  und  einige  Reflexionen  über  sie,  in: 
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Fritz,  Helmut  (1968):  Von  der  Flucht  und  Heimkehr  der  Hippies.  Rückblick  auf  eine  burleske 
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Gaulitz,  Peter  (1965):  Harter  Beat  und  weiche  Kissen,  in:  Eulenspiegel,  12.  Jg.  (Heft  3,  Oktober 
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Geserick,  Rolf  (1990):  Der  Klassenfeind  sitzt  auf  dem  Dach.  Der  deutsch-deutsche  Schlagab- 
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Gries,  Rainer  (2006):  Das  generationengeschichtliche  Paradigma  in  der  Kommunikations- 
historie. Ein  kursorischer  Überblick,  in:  medien  & zeit,  21.  Jg.  (H.  3),  S.  4-20. 

Großbölting,  Thomas  (2004):  Bundesdeutsche  Jugendkulturen  zwischen  Milieu  und  Lebensstil, 
in:  Mitteilungsblatt  des  Instituts  Soziale  Bewegungen,  (H.  31),  S.  59-81. 


37° 


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Heigert,  Hans  (1959):  Ein  neuer  Typ  wird  produziert:  der  Teenager,  in:  deutsche  jugend. 
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Herz,  Hanns-Peter  (1964):  Honecker  kritisiert  die  FDJ,  in:  deutsche  jugend.  Zeitschrift  für 
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Hickethier,  Knut  (1999):  Zwischen  Gutenberg- Galaxis  und  Bilder-Universum.  Medien  als  neues 
Paradigma,  Welt  zu  erklären,  in:  Geschichte  und  Gesellschaft,  25.  Jg.  (H.  1),  S.  146-172. 

Holzweißig,  Gunter  (1990):  Massenmedien  unter  Parteiaufsicht.  Lenkungsmechanismen  vor  der 
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Holzweißig,  Gunter  (1994):  Medienlenkung  in  der  SBZ/  DDR.  Zur  Tätigkeit  der  ZK- Abteilung 
Agitation  und  der  Agitationskommission  beim  Politbüro  des  SED,  in:  Publizistik,  39.  Jg. 

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Hymmen,  Friedrich  Wilhelm  (1971):  Dr.  Oeller  zeigt  die  Klaue  des  bayerischen  Löwen.  Das 
Absetzen  der  »Zoom«-Folge,  in:  Kirche  und  Fernsehen,  23.  Jg.  (H.  6),  S.  3-4. 

Jäger,  Hermann  (1967):  Chronologie  der  Piratensender,  in:  fff-Courier,  1.  Jg.  (Nr.  31,  3.8.1967), 
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Kabel,  Rainer/  Eckhardt,  Josef  (1977):  Interessen  und  Probleme  von  Jugendlichen  und  jungen 
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Stellung  zu  den  Vorgängen  im  Funkhaus  Masurenallee,  in:  Frankfurter  Rundschau, 
12.6.1970. 

Ganz,  Rudolph  (1970):  Franz  Barsig  und  das  Problem  der  Ausgewogenheit  - Affären  im  Sender 
Freies  Berlin  erwecken  Zweifel  an  der  Befähigung  des  Intendanten,  in:  Frankfurter  Rund- 
schau, 30.5.1970. 

Garnatz,  Klaus  (1971):  Im  3.  Hörfunkprogramm  tummeln  sich  Kommunisten,  in:  Berliner 
Morgenpost,  25.7.1971. 

Garnatz,  Klaus  (1971):  Wie  links  ist  das  3.  Hörfunkprogramm?,  in:  Die  Welt,  14.8.1971. 

Höfl,  Heinz  (1967):  Mit  garnierten  Platten  ein  Milionengeschäft,  in:  Süddeutsche  Zeitung, 

26.7.1967. 

Hy  (=  Friedrich  Wilhelm  Hymmen)  (1962):  Rias  ärgert  die  Roten,  in:  Deutsche  Zeitung/ 
Wirtschaftszeitung,  6.4.1962. 

Jacobsen,  Cornelia  (1970):  Franz  Barsig  und  die  Linken,  in:  Die  Zeit,  15.6.1970. 

Rudorf,  Reginald  (1977):  Luxemburgs  Sieg  über  Goliath.  Wie  ein  »Kommerzsender«  die 
öffentlich-rechtlichen  Riesen  schlägt,  in:  Rheinischer  Merkur,  30.9.1977. 

Rudorf,  Reginald  (1977):  Der  Rundfunk  der  auf  seine  Hörer  hört.  Das  deutsche  Programm  von 
Radio  Luxemburg  feiert  zwanzigjähriges  Jubiläum.  Ab  1983  auch  Satelliten-Fernsehen,  in: 
Welt,  19.9.1977. 

Sauermann,  Jürgen  (1967):  Millionen  Hörer  feiern  die  fröhlichen  Wellen,  in:  Welt  am  Sonntag, 

24.9.1967. 

Wahl,  Jürgen  (1961):  Ulbrichts  »höhere  Fernsehtürme«  Mit  der  Gegenwehr  der  Bundesrepublik 
hapert  es  sehr,  in:  Rheinischer  Merkur,  14.7.1961. 


374 


Danksagung 


Ich  danke  meinem  Sohn  Noam-Nicolas  für  die  Ablenkung,  meiner  Frau  Anne 
für  die  Unterstützung  während  der  Fertigstellung  dieser  Arbeit,  meinen  Eltern 
Christa  und  Kurt  und  meinen  Schwiegereltern  Gabriele  und  Eberhard  für  den 
Zuspruch. 

Ferner  danke  ich  Thomas  Lindenberger  und  Konrad  H.  Jarausch  für  die  Inspi- 
ration und  die  kritische  Begleitung  meiner  Dissertation.  Ingrid  Pietrzynski  und 
Jörg-Uwe  Fischer  begleiteten  mich  fürsorglich  durch  die  Bestände  des  Deut- 
schen Rundfunkarchives  Potsdam-Babelsberg.  Meinen  Kollegen  Christopher 
Görlich  und  Tobias  Schulz  vom  Zentrum  für  Zeithistorische  Forschung  (ZZF) 
danke  ich  für  das  Korrekturlesen,  meinem  strengen  Lektor  Marcel  Kirf  für  die 
langen  Stunden  kritisch-kreativer  Auseinandersetzung  und  Nurdin  Kühnei  für 
die  Aufrechterhaltung  meiner  Motivation  in  London.  Michael  Giesecke  danke 
ich  für  die  neuen  Aufgaben  in  Erfurt. 

Susanne  Fijal,  Marianne  Wagner,  Hans-Rainer  Lange,  Richard  Kitschigin,  Sieg- 
mar Krause,  Marianne  Oppel,  Peter  Salchow,  Dieter  Hunziger,  Manfred  Kühn, 
Axel  Blumentritt,  Johnny  Marhold,  Heinz  Beinert  und  Frank  Elstner  danke  ich 
für  die  Gespräche  und  Einblicke,  die  sie  mir  gewährt  haben. 


375 


Gedruckt  mit  freundlicher  Unterstützung  der  Deutschen  Forschungsgemeinschaft. 

Bei  der  vorliegenden  Ausgabe  handelt  es  sich  um  die  überarbeitete  Fassung  einer  Dissertation, 
die  im  Juli  2007  von  der  Philosophischen  Fakultät  der  Universität  Potsdam  angenommen  wurde. 
Gutachter:  Prof.  Dr.  Thomas  Lindenberger  und  Prof.  Dr.  Konrad  H.  Jarausch. 

Die  mündliche  Prüfung  und  Verteidigung  (Disputation)  fand  am  2 1 . Januar  2008  statt. 

Die  Deutsche  Bibliothek  verzeichnet  diese  Publikation  in  der  Deutschen  Nationalbibliographie; 
detaillierte  bibliographische  Daten  sind  im  Internet  über  http://dnb.ddb.de  abrufbar. 

1.  Auflage,  Oktober  2010 
© Landbeck  Verlag 
Zossener  Straße  20,  10961  Berlin 
www.landbeck-verlag.de 

Alle  Rechte  Vorbehalten,  insbesondere  das  der  Übersetzung,  des  öffentlichen  Vortrags  sowie  der 
Übertragung  durch  Rundfunk  und  Fernsehen,  auch  einzelner  Teile.  Kein  Teil  des  Werkes  darf  in 
irgendeiner  Form  (durch  Fotografie,  Mikrofilm  oder  andere  Verfahren)  ohne  schriftliche  Geneh- 
migung des  Verlages  reproduziert  oder  unter  Verwendung  elektronischer  Systeme  verarbeitet, 
vervielfältigt  oder  verbreitet  werden. 

Der  Umschlag  zeigt  ein  MfS-Überwachungsfoto  von  Jugendlichen  vor  dem  Berliner  Skala-Kino 
(um  1969),  mit  freundlicher  Genehmigung  der  Behörde  der  Bundesbeauftragten  für  die  Unterla- 
gen des  Staatssicherheitsdienstes  der  ehemaligen  Deutschen  Demokratischen  Republik  (BStU). 

Lektorat:  Marcel  Kirf,  Potsdam 

Printed  in  Germany 

ISBN:  3-98113-758-3 


376